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CBChefärzteBrief

HaftungsrechtBGH-Urteil zeigt: Bei Anlage eines Verweilkatheters ist besondere Sorgfalt geboten!

Abo-Inhalt04.12.20243810 Min. LesedauerVon RA, FA MedR, Dr. Rainer Hellweg, Hannover

| Verweilkatheter spielen im Krankenhausalltag in verschiedenen Behandlungskonstellationen immer wieder eine Rolle. Muss für eine fehlerhafte Anlage eines Katheters auch dann gehaftet werden, wenn der Gesundheitsschaden beim Patienten erst später eintritt? Und was ist bei der Katheteranlage zu beachten? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat hierzu wichtige Feststellungen getroffen (Urteil vom 02.07.2024, Az. VI ZR 363/23). Zwar ist der Fall in der Geburtshilfe angesiedelt. Aber auch Chefärzte anderer Fachrichtungen sind gut beraten, nachgeordnete Mitarbeiter auf besondere Sorgfalt hinzuweisen. |

Neugeborenes muss in Uniklinik verlegt werden

Der neugeborene Patient war in der 23. Schwangerschaftswoche mit einem Geburtsgewicht von 610 Gramm zur Welt gekommen und wurde im Anschluss in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des gleichen Krankenhauses intensivmedizinisch betreut. Er musste intubiert und maschinell beatmet werden. Diagnostiziert wurden ein offener Ductus arteriosus Botalli mit Links-rechts-Shunt, zerebraler Minderperfusion sowie Lungenüberflutung.

Gut zwei Wochen nach der Geburt wurde wegen klinischer Instabilität und schwankender Blutdruckwerte zur Blutdruckmessung ein arterieller Katheter in die Arteria radialis des linken Arms gelegt. Da Durchblutungsstörungen der Arterie auftraten, musste dieser jedoch nach zwei Tagen wieder entfernt werden. Da sich der Ductus Botalli nach medikamentöser Therapie nicht schloss, war eine Operation angezeigt. Dafür sollte der Patient eine Woche später ins 20 km entfernte Universitätsklinikum verlegt werden.

Nach Komplikationen bei Anlage des Katheters muss der linke Unterarm amputiert werden

Für den Transport und die Verlegung legte ein Arzt in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Morgen einen Verweilkatheter zur Blutdruckmessung in die Arteria brachialis des linken Arms. Der Katheter wurde auch beim Rücktransport und bei Rückkehr in die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in der Arterie liegend belassen – obwohl sich bereits bei der postoperativen Umlagerung in den Transportinkubator eine Verfärbung der linken Hand gezeigt hatte. Am Nachmittag war keine arterielle Blutdruckkurve am Monitor mehr ableitbar und es bestanden sichtbare Zeichen einer schweren Durchblutungsstörung. Erst daraufhin wurde der arterielle Katheter gezogen. Aufgrund der eingetretenen Mangelversorgung des linken Unterarms starb das Gewebe in Hand und Unterarm der linken Hand in der Folge vollständig ab. Daher mussten die linke Hand und der linke Unterarm amputiert werden.

Gutachterkommission sieht Behandlungsfehler der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin

Im zunächst eingeleiteten Verfahren vor der Gutachterkommission für Fragen ärztlicher Haftpflicht bei der Landesärztekammer war nach Einholung eines neonatologischen sowie eines herzchirurgischen Gutachtens die Schlussfolgerung gezogen worden, dass zwar den Ärzten des Universitätsklinikums kein Vorwurf zu machen sei. Jedoch sei den Ärzten in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des verlegenden Krankenhauses die Einbringung des Verweilkatheters in die linke Arteria brachialis als fehlerhaft anzulasten. Diese Arterie hätte wegen der erhöhten Gefährdung und des Ischiämierisikos nicht mehr verwendet werden dürfen. Im nachfolgenden Zivilprozess verurteilte das Landgericht zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 100.000 Euro, während das Berufungsgericht in der nächst höheren Instanz mangels Nachweises der Kausalität eine Haftung verneinte.

BGH sieht insgesamt drei Behandlungsfehler

Dieses Urteil wiederum hob der BGH nunmehr auf und verwies zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück. Insgesamt drei Behandlungsfehler seien zu attestieren:

  • Am Morgen vor der Verlegung hätte kein Verweilkatheter zur Blutdruckmessung in die Arteria brachialis des linken Arms gelegt werden dürfen. Dies deshalb, weil bereits eine Woche zuvor nach Anlage eines Verweilkatheters in der Arteria radialis links eine Durchblutungsstörung aufgetreten sei, weshalb ein erhöhtes Risiko einer erneuten Ischämie bestanden habe. Vielmehr hätte der Transport ohne Katheter erfolgen müssen – und man hätte es dann den Ärzten des Universitätsklinikums überlassen müssen, ob für die Durchführung der OP die Anlage eines Katheters als erforderlich beurteilt würde oder nicht.
  • Ein weiteres Versäumnis liege darin, dass vor Anlage des Katheters im linken Oberarm nicht die Durchgängigkeit der beiden Arterien im linken Unterarm überprüft worden sei. Wegen der zuvor in der linken Arteria radialis aufgetretenen Durchblutungsstörung hätte vor Anlage die Durchgängigkeit der Arteria radialis sowie der Arteria ulnaris untersucht werden müssen.
  • Schließlich sei es als weiterer Behandlungsfehler zu qualifizieren, dass der Katheter im Anschluss an die Operation bei der Übernahme des Patienten zur Umlagerung in den Transportinkubator nicht gezogen worden sei.

Zeitlicher Versatz hindert nicht die haftungsbegründende Kausalität

Der BGH kritisierte, dass das Berufungsgericht zu Unrecht die Kausalität der Behandlungsfehler für die Durchblutungsstörung und den späteren Verlust des linken Unterarms verneint habe. Hierzu hob der BGH als wichtige Richtschnur folgende Aspekte hervor:

  • Die fehlerhafte Anlage eines Verweilkatheters sei im Rechtssinne kausal für eine Ischämie, wenn die Anlage des Katheters nicht hinweggedacht werden könne, ohne dass die Ischämie entfiele. Der BGH knüpft hier an die juristisch gebräuchliche Diktion der „condition sine qua non“ an.
  • Die Kausalität sei auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Durchblutungsstörung nicht sofort nach Katheteranlage, sondern erst einige Stunden später eingetreten sei. Dies begründete der BGH damit, dass die Ursache für die Durchblutungsstörung bereits mit der Einbringung des Katheters gesetzt worden sei.
  • Den für die Behandlerseite streitenden Einwand im Prozess, auch andere Ärzte hätten den Katheter mit entsprechend negativen Folgen legen können, betreffe einen hypothetischen Kausalverlauf. Dieser Einwand sei möglich, hätte aber von den Ärzten der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin argumentativ ergänzend untermauert werden müssen. Hierzu hätte beispielsweise vorgebracht werden müssen, dass die anderen Ärzte die Anlage eines arteriellen Katheters in der konkreten Behandlungssituation für erforderlich gehalten hätten und dass diese Ärzte nicht eine besser geeignete Arterie für den Zugang gefunden hätten.

Schlussfolgerungen für behandelnde (Chef-)Ärzte

Auch für Fälle außerhalb der Fachbereiche der Geburtsmedizin sowie Kinder- und Jugendmedizin lassen sich aus dem BGH-Urteil relevante Schlussfolgerungen ziehen:

Fazit | Die Anlage von Kathetern stellt im Klinikalltag häufig eine Routinetätigkeit dar. Dies birgt das Risiko, dass sich die behandelnden Ärzte nicht mit hinreichender Sorgfalt in jedem einzelnen Behandlungsfall mit Indikation und möglichen Kontraindikationen sowie der Verlaufsbeobachtung beschäftigen. Dass dies aber anzuraten ist zwecks Vermeidung von Haftungsrisiken, zeigt der aktuell vom BGH entschiedene Fall. Hierauf sollte der Chefarzt die nachgeordneten Mitarbeiter in seiner Abteilung hinweisen.

  • Vor der Anlage von Verweilkathetern sollte sorgfältig geprüft werden, ob Kontraindikationen etwa wegen einer erhöhten Risikolage im konkreten Behandlungsfall bestehen. Dies gilt insbesondere für Fälle, in denen zuvor angelegte Katheter Störungen hervorgerufen haben – wie im hiesigen Fall.
  • Auch wenn ein Katheter einmal liegt, sollte zumindest gedanklich medizinisch fortlaufend überprüft werden, ob dieser nicht gezogen werden sollte – insbesondere wenn Durchblutungsstörungen erkennbar sind.
  • Im Haftungsfall ist das Zeitmoment per se kein tragfähiges Schutzargument der Behandlerseite, wenn die Schädigung erst mit zeitlichem Versatz nach Katheteranlage eingetreten ist. Wenn ein medizinischer Ursachenzusammenhang zwischen der fehlerhaften Katheteranlage und dem Gesundheitsschaden beim Patienten gezogen werden kann, reicht dies zur Begründung von Kausalität und Haftung.

AUSGABE: CB 1/2025, S. 11 · ID: 50241107

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