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ArbeitsrechtOberarzt lässt 16-jährigen Sohn im OP assistieren: Abmahnung entbehrlich, Kündigung wirksam
| Ein leitender Oberarzt, der seinen 16-jährigen Sohn Tätigkeiten während der OP durchführen lässt, kann dafür auch ohne vorherige Abmahnung gekündigt werden (Arbeitsgericht Paderborn, Urteil vom 20.08.2024, Az. 3 Ca 339/24). |
Kündigungsschutzklage des Oberarztes scheitert
Der Kläger war seit 2011 als leitender Oberarzt in der Klinik für Orthopädie/Unfallchirurgie tätig. Er nahm bei einer von ihm durchgeführten Operation seinen 16-jährigen Sohn mit in den Operationssaal. Er ließ ihn während der OP Haken halten, während sich die 76-jährige Patientin in Vollnarkose befand. Bevor der Kläger den Operationssaal verließ, bot er seinem Sohn an, dass dieser die OP-Wunde „tackern“ könne. Der Sohn lehnte das Angebot ab. Nachdem der Arbeitnehmer den Operationssaal verlassen hatte, nähte der Facharzt C zunächst subkutan. Er begann dann die Haut zu tackern. Die letzten Tackervorgänge führte der Sohn des Oberarztes aus. Der Krankenhausträger hörte die Mitarbeitervertretung zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung an. Diese teilte mit, dass sie die erhobenen Einwände gegen die Kündigung aufrechterhalte. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich und stellte den Arbeitnehmer frei.
Vor Gericht behauptete der Kläger, den Chefarzt über die beabsichtigte Mitnahme seines Sohnes in den Operationssaal vorher informiert zu haben. Dieser hätte hiergegen keine Einwände erhoben. Zudem seien in der Vergangenheit in der Klinik des Arbeitgebers andere Personen während Operationen im OP anwesend gewesen und diese hätten auch teilweise Tätigkeiten übernommen. Dies entspräche der üblichen Praxis beim Arbeitgeber. Zudem wäre eine Abmahnung ausreichend. Die Arbeitgeber ist der Ansicht, dass bereits die Mitnahme des Sohnes des Arbeitnehmers eine so schwerwiegende Pflichtverletzung darstelle, dass dadurch eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen wäre. Das Gericht wies die Klage ab.
Diese Pflichtverletzungen des Klägers sah das Gericht
Das Gericht war der Auffassung, dass eine erhebliche Pflichtverletzung des Klägers vorliege, die eine Abmahnung entbehrlich gemacht habe. Der Kläger habe eine Reihe von Pflichtverletzungen begangen:
- Er habe seine Aufklärungspflicht gegenüber der von ihm operierten Patientin verletzt. Er habe diese nicht über die Anwesenheit seines Sohnes informiert und ihr Einverständnis hierzu nicht eingeholt. Die Würde der Patientin sei missachtet worden. Der Schutz der Menschenwürde und der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts würden es gebieten, dass bei derartigen Eingriffen nur Personen anwesend seien, die an der Durchführung der Operation beteiligt seien (behandelnde Ärzte, sonstiges Klinikpersonal).
- Es sei irrelevant, ob die Hygienevorgaben durch den Sohn entsprechend eingehalten worden seien. Die Gegenwart jeder weiteren Person im Operationssaal erhöhe die Gefahr einer Übertragung von Krankheitserregern, sei es, dass die Person Keimträger sei oder vorhandene Keine aufwirbele. Der Vorwurf, ein Risiko geschaffen zu haben, werde nicht dadurch abgeschwächt, dass es sich nicht verwirklicht habe.
- Es bestünden Anhaltspunkte dafür, dass die Anwesenheit des Sohnes die OP konkret hätte verzögern und deren Ablauf hätte stören können. Die Gefahr sei latent vorhanden gewesen. Der Sohn habe weder eine medizinische Ausbildung noch Vorerfahrung im medizinischen Bereich.
- Es habe die Gefahr bestanden, dass der Sohn Schwierigkeiten bei der Ausführung der anspruchsvollen Tätigkeit habe, die üblicherweise von einem Assistenzarzt durchgeführt werde. Der Arbeitnehmer habe damit rechnen müssen, dass dem Sohn Fehler unterlaufen und er einschreiten müsse. Diese Risikoerhöhung sei ihm bewusst gewesen, da er seit 13 Jahren als Operateur tätig und in der Hierarchie direkt unter dem Chefarzt angesiedelt sei.
- Selbst wenn der Oberarzt den Chefarzt über die Mitnahme seines Sohnes in den OP in Kenntnis gesetzt haben sollte und dieser keine Einwände erhoben habe, führe die Assistenz des Sohnes während der OP zu einem so schwerwiegenden Pflichtverstoß, dass es die hier ordentlich ausgesprochene Kündigung – auch ohne vorangegangene Abmahnung – rechtfertige.
- Das Verhalten führe auch zu einer Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht gegenüber der Patientin. Der Sohn habe Gelegenheit gehabt, sich Kenntnisse über medizinische Einzelheiten und die Tatsache, dass sich eine bestimmte Person beim Arbeitgeber in Behandlung befinde, zu verschaffen.
- Es wurde eine narkotisierte Patientin operiert. Hier zeige sich fehlendes Verantwortungsbewusstsein und fehlende Sensibilität des Arbeitnehmers in Bezug auf die Intimsphäre der Patientin.
Eine Abmahnung war vorliegend entbehrlich
Das Gericht hielt in diesem Fall eine Abmahnung für entbehrlich. Der Kläger habe nicht annehmen dürfen, dass der Arbeitgeber den Vorfall billigen würde. Allein der Hinweis des Oberarztes, eine Abmahnung wäre ihm eine Warnung gewesen und er hätte sich künftig vertragskonform verhalten, reicht nicht aus, eine Abmahnung als erforderlich anzusehen. Sonst könnte sich jeder Arbeitnehmer gegen eine Kündigung mit dem Hinweis auf eine erforderliche Abmahnung erfolgreich wehren (Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.12.2012, Az. 2 Sa 402/12). Bei einer so schweren Pflichtverletzung ist regelmäßig die Rechtswidrigkeit des Verhaltens erkennbar und eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.06.2009, Az. 2 AZR 283/08). Der Arbeitnehmer war hier ständiger Vertreter des Chefarztes und hat diesen bei dessen Dienstaufgaben vertreten. Er hat es zu schwerwiegenden Pflichtverletzungen kommen lassen. Diese würden dadurch gesteigert, dass der Sohn während der Operation nicht lediglich anwesend gewesen sei, sondern zusätzlich die assistierende Tätigkeit des „Haken-Haltens“ übernommen habe.
AUSGABE: CB 1/2025, S. 16 · ID: 50245434