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CBChefärzteBrief

HaftungsrechtBGH: Diese Vorkehrungen sind in der Pflege sturzgefährdeter Patienten zu treffen

Abo-Inhalt20.03.20241117 Min. LesedauerVon RA, FA MedR Dr. Rainer Hellweg, Hannover

| Wenn ein Patient im Krankenhaus stürzt und Haftungsansprüche macht, geht es um die Frage, ob juristisch eine Pflichtverletzung des Personals vorliegt. Wurde das Sturzrisiko richtig eingeschätzt? Hätte der Sturz vermieden werden können? Hierzu hat der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem aktuell veröffentlichten Beschluss vom 14.11.2023 (Az. VI ZR 244/21) maßgebliche Feststellungen getroffen – zu einem Fall, wie er jeden Tag in der Klinik passieren kann. Der Chefarzt als medizinisch Gesamtverantwortlicher seiner Abteilung steht hier in besonderer rechtlicher Verantwortung. |

Sturz der Patientin führt zur Mehrfachamputation

Einer 66-jährigen Patientin war eine Knieendoprothese links implantiert worden. Nachdem der unmittelbare postoperative Verlauf zunächst unauffällig war, erschien die Patientin zwei Tage post-OP zunehmend desorientiert. Ein Schädel-CT ergab keinen Befund. Wegen anhaltender Unruhe und Verwirrtheit wurde die Patientin sogar für eine Nacht auf die Intensivstation verlegt. Nach Rückverlegung auf die Normalstation wurde ein „extrem hohes Sturzrisiko“ dokumentiert, das auf der Sturzrisikoskala mit 12 Punkten bewertet wurde. Im Laufe des Vormittags stürzte die Patientin im Beisein einer Pflegekraft bei dem Transfer auf den WC-Stuhl, wobei sie sich nicht verletzte.

Der Sturz mit Verletzungsfolge ereignete sich dann im Zusammenhang mit dem Mittagessen: Dieses wurde ihr auf den Nachttisch gestellt, ohne dass weitere Sicherheitsmaßnahmen ergriffen wurden. Die Patientin stürzte von der Bettkante sitzend und fiel auf den Boden. Dabei erlitt sie eine Unterschenkelmehrfachfraktur links, die operativ behandelt werden musste. In der Folgezeit ergaben sich Komplikationen, weswegen später der linke Unterschenkel und nach einem erneuten Sturz auch der linke Oberschenkel amputiert werden mussten.

Vorwurf: Essen hätte im Bett angereicht werden müssen

Nach dem Vortrag der Patientenseite im Prozess hätte der Zustand der Patientin beim Mittagessen weitere Schutz- und Obhutsmaßnahmen erfordert, deren Unterlassen einen groben Behandlungsfehler darstelle. Das Mittagessen hätte nicht bloß auf dem Nachttisch abgestellt werden dürfen. Aufgrund der bekannten kognitiven und körperlichen Defizite der kurz zuvor operierten Patientin habe man damit rechnen müssen, dass sich diese objektiv unvernünftig verhalten und den Versuch unternehmen könnte, zum Essen aufzustehen. Bei prospektiver Vorausschau zur Risikominimierung hätte das Mittagessen zumindest so angereicht werden müssen, dass die Patientin es im Bett habe einnehmen können – ohne in die Versuchung zu kommen, sich selbstständig an der Bettkante aufzusetzen.

Zum Beispiel hätte die Pflegekraft das Essen auf den ausgeklappten Tisch stellen und diesen über das Bett schwenken sowie die Patientin durch das Hochstellen des Kopfteils in eine halbsitzende Position bewegen können. Durch das kommentarlose Abstellen des Essens auf dem Nachttisch durch die Pflegekraft sei ein besonderes Sturzrisiko in der konkreten Situation provoziert worden. Dies sei als grob behandlungsfehlerhaft einzustufen – so der Vorwurf der Patientenseite.

Anders als die Vorinstanz sieht der BGH die Verantwortung auf der Behandlerseite

Noch in der Vorinstanz beim Oberlandesgericht Köln hatte die Behandlerseite obsiegt. Die Kölner Richter sahen keinen Behandlungsfehler. Ihre Begründung: Es seien keine besonderen Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Mittagessen erforderlich gewesen. Die Einnahme des Essens im Bett sei nicht mit einer konkreten Sturzgefahr verbunden gewesen.

Diese Entscheidung hat der BGH jedoch nunmehr aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG Köln zurückverwiesen. Der BGH machte in den Gründen zu seiner Entscheidung deutlich, dass die Kölner Richter das Vorbringen der Patientenseite im Prozess nicht hinreichend gewürdigt hätten. Somit ist der BGH zu einer anderen – patientenfreundlicheren – Bewertung gekommen als das OLG Köln zuvor.

BGH betont die Verantwortung des Krankenhausträgers für das eingesetzte Pflegepersonal

Zu den allgemeinen Anforderungen an die pflegerische Betreuung hob der BGH hervor: Die pflegerische Betreuung der stationär aufgenommenen Patienten gehöre zu den Vertragsaufgaben des Krankenhausträgers. Dieser trage eine eigene Verantwortung für das von ihm eingesetzte Pflegepersonal. Zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Patienten seien alle notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um zu verhindern, dass sich ein für den Patienten bestehendes Sturzrisiko verwirkliche. Dabei sei immer die konkrete Situation des Patienten im jeweiligen Zeitpunkt entscheidend.

Geben Sie als Chefarzt die richtigen Anweisungen!

Die Vorkehrungspflicht zur Sturzvermeidung trifft nicht nur den Krankenhausträger. Rechtlich gesehen ist der Chefarzt – unter dem Stichwort des „Organisationsverschuldens“ – in besonderer Verantwortung (CB 10/2021 Seite 13): Er ist verpflichtet, für die ärztlichen und pflegerischen Mitarbeiter in seiner Abteilung die korrekten zu Anweisungen geben, um Stürze von Patienten bestmöglich zu vermeiden. Dazu gehört nach der aktuellen BGH-Entscheidung auch, dass bei relevant sturzgefährdeten Patienten das Essen nicht einfach auf dem Nachttisch abgestellt wird, sondern die entsprechenden Schutzmaßnahmen getroffen werden.

Weiterführender Hinweis

AUSGABE: CB 4/2024, S. 12 · ID: 49958607

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