FeedbackAbschluss-Umfrage
CBChefärzteBrief

ArbeitsrechtKann eine zehnstündige Bahnfahrt die AU eines Chefarztes fragwürdig erscheinen lassen?

Abo-Inhalt27.02.2024473 Min. LesedauerVon RA Michael Lennartz, lennmed.de Rechtsanwälte, Bonn, Berlin, Baden-Baden

| Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) eines gekündigten Chefarztes ist nicht allein deshalb anzuzweifeln, weil die darin attestierte Arbeitsunfähigkeit (AU) bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses währt. Wenn ein Chefarzt in einem gekündigten Arbeitsverhältnis arbeitsunfähig erkrankt und eine zehnstündige Bahnfahrt nach Hause antritt, um dort seine Hausärztin aufzusuchen, ist allein deswegen die AU-Bescheinigung noch nicht fragwürdig (Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 13.07.2023, Az. 5 Sa 1/23; Abruf-Nr. 236973). |

Klinikum behält Arbeitsentgelt wegen Zweifeln an der AU zurück, ehemaliger Chefarzt klagt Fortzahlung ein

Ein ehemaliger Chefarzt klagte gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber, ein Reha-Klinikum. Streitig war eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall i. H. v. 5.625 Euro.

Der Kläger hatte etwa 1.000 km von seinem Familienwohnsitz entfernt gearbeitet und am Arbeitsort eine Zweitwohnung bewohnt. Mitte August 2021 hatte er von seinem Arbeitgeber die Kündigung zum 28.02.2022 erhalten. In den Folgemonaten war er viermal wegen verschiedener Erkrankungen arbeitsunfähig gewesen. Am 08.02.2022 hatte der Chefarzt die Teilnahme an einer Dienstbesprechung wegen Krankheit abgesagt, sich tags darauf krankgemeldet und war knappe zehn Stunden mit der Bahn zum Familienwohnsitz gefahren, um dort die Hausärztin aufzusuchen. Am 22.02.2022 hatte er seinen bereits genehmigten Resturlaub angetreten und zum 01.03.2022 in einem anderen Klinikum eine neue Beschäftigung als Oberarzt aufgenommen.

Der Arbeitgeber hatte einen Teil des Gehalts einbehalten, weil er insbesondere wegen der Heimfahrt Zweifel an der Krankschreibung bis zum Antritt des Resturlaubs hegte. Der ehemalige Chefarzt hatte den Fehlbetrag erfolglos zurückgefordert. Seiner Zahlungsklage gab das Gericht statt.

So begründete das LAG seine Entscheidung

Die Richter bestätigten den Anspruch des Chefarztes auf Zahlung des zuvor einbehaltenen Lohnes. Sie hielten das Vorgehen der Klinik für unzulässig. So sei die Belastung bei einem Vergleich zwischen der zehnstündigen Bahnfahrt in der ersten Klasse mit dem Arbeitsalltag eines Chefarztes nicht annähernd so hoch wie in der Klinik: „Im Zug besteht die Möglichkeit, eine entspannte Körperhaltung einzunehmen und sich bei Bedarf etwas zu bewegen. Als Chefarzt war der Kläger hingegen während des gesamten Arbeitstages durch seine Leitungstätigkeit, durch Mitarbeiter, Patienten, medizinische und wirtschaftliche Fachfragen etc. gefordert. Die Tätigkeit bedingt ein hohes Maß an Konzentration und Reaktionsvermögen sowie Flexibilität.“ (Rd.-Nr. 38)

In diesen Fällen ist der Beweiswert einer AUB erschüttert

So führte das LAG ein weiteres Mal den Maßstab zur Erschütterung des Beweiswerts aus. Der Beweiswert einer AUB sei erschüttert, wenn nach Maßgabe eines verständigen Arbeitgebers belastbare Tatsachen vorhanden seien, die erhebliche Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers belegen.

Anderweitige Arbeitsleistungen oder sportliche Aktivitäten stellen die AUB infrage

Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber die Krankheitsdiagnosen regelmäßig nicht kenne. Etwas anderes gelte, wenn das Krankheitsbild nach außen offen zutage trete (beispielsweise im Falle äußerer Wunden). Bekannt sei dem Arbeitgeber jedoch die jeweils geschuldete Arbeitsleistung. Nach dieser bestimme sich, ob ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig sei oder nicht. Die zu erbringenden Arbeitsaufgaben bildeten den Maßstab dafür, ob bestimmte Aktivitäten des Arbeitnehmers Zweifel an der Richtigkeit der AUB weckten, also darauf hindeuteten, dass er tatsächlich arbeitsfähig sei:

  • Erbrächten Arbeitnehmer anderweitig Arbeitsleistungen, die sie ebenso gut bei dem eigenen Arbeitgeber ausführen könnten, könne sich daraus ein Anzeichen für eine tatsächlich vorhandene Leistungsfähigkeit ergeben.
  • Sportliche Aktivitäten könnten je nach Arbeitsaufgabe ebenfalls eine AUB infrage stellen.

Eine „passgenaue AU“ kann den Beweiswert der AUB erschüttern ...

Zweifel an der Richtigkeit einer AUB könnten sich zudem aus zeitlichen Zusammenhängen ergeben. Der Beweiswert einer AUB sei regelmäßig erschüttert, wenn ein Arbeitnehmer zeitgleich mit seiner Kündigung eine solche Bescheinigung einreiche, die passgenau die noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdecke (vgl. CB 09/2023, 16). Melde sich ein Arbeitnehmer nach Erhalt einer arbeitgeberseitigen Kündigung „postwendend“ krank, könne dies ebenfalls – als eines von mehreren (!) Elementen – im Rahmen einer Gesamtschau zur Erschütterung des Beweiswerts einer AUB führen.

... aber nicht jede AUB, die bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses gilt, ist allein deswegen anzuzweifeln!

Der Beweiswert einer AUB sei jedoch nicht allein deshalb erschüttert, weil diese einen Zeitraum innerhalb der Kündigungsfrist, insbesondere gegen Ende der Kündigungsfrist betreffe. Krankheiten können auch in einem gekündigten oder einem aus anderen Gründen endenden Arbeitsverhältnis auftreten. In der Ablösungsphase möge zwar die Motivation eines Arbeitnehmers nachlassen. Daraus sei aber keinesfalls zu schließen, dass jede AUB in diesem Zeitraum makelbehaftet sei. Der Arbeitnehmer müsse daher seine AU nicht nachweisen, indem er seine Erkrankung, die damit verbundenen gesundheitlichen Einschränkungen sowie die ärztlich verordnete Behandlung offenlege.

AUSGABE: CB 4/2024, S. 8 · ID: 49917038

Favorit
Teilen
Drucken
Zitieren

Beitrag teilen

Hinweis: Abo oder Tagespass benötigt

Link
E-Mail
X
LinkedIn
Xing
Loading...
Loading...
Loading...
Heft-Reader
2024

Organspende

Organspende-Register ist freigeschaltet: Spendewillige können sich ab sofort online registrieren

CB
Seite 6
20.03.2024
365 Min. Lesedauer

Wer im Todesfall eigene Organe bzw. eigenes Gewebe spenden will, kann seinen Willen seit dem 18.03.2024 außer im Organspendeausweis oder in der Patientenverfügung nun auch digital im Organspende-Register hinterlegen (online unter

Arbeitsschutz

Fachgesellschaften liefern Entscheidungshilfen zur Weiterbeschäftigung schwangerer Ärztinnen

CB
Seite 7
19.02.2024
258 Min. Lesedauer

Wird eine angestellte Ärztin schwanger, reagieren viele Arbeitgeber mit einem Beschäftigungsverbot – mit weitreichenden Folgen für die Karriere der werdenden Mutter. Daran hat auch das im Jahr 2018 novellierte Mutterschutzgesetz (MuSchG) ...

Bildrechte