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Gleichstellung„Frauen streben in der Herzchirurgie trotz aller Klischees Führungspositionen an!“
| Unter dem Dach der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie e. V. (DGTHG) hat sich das Netzwerk Herzchirurginnen gebildet (Info online unter iww.de/s7128). Es bietet eine Plattform für den themenübergreifenden Austausch, praxisorientierte Workshops und die berufliche Interessenvertretung. Geleitet wird das Netzwerk von den drei Herzchirurginnen und Initiatorinnen Prof. Dr. Sabine Bleiziffer, Prof. Dr. Claudia Schmidtke und Privatdozentin Dr. Gloria Färber. Ursula Katthöfer (textwiese.com) fragte Privatdozentin Dr. Färber zu den Positionen des Netzwerks. |
Frage: Frau Dr. Färber, die Chirurgie verliert viele weibliche Talente, wenn sie die 30 überschritten haben und an der Schwelle zur Oberärztin stehen. Ist es Zufall, dass in diesem Alter oft die Familienphase beginnt?
Antwort: Das ist schwer zu sagen. Familie und Beruf in Einklang zu bringen, war für Frauen noch nie einfach. Ein grundlegendes Problem ist nach wie vor die qualifizierte Kinderbetreuung, die den „Spagat“ zwischen Familie und einer hochspezialisierten Tätigkeit erleichtern würde. Solange hier keine signifikante Besserung eintritt, wird sich dies vermutlich nicht so schnell ändern.
Frage: Würde mehr Kinderbetreuung in den Kliniken die Situation verbessern?
Antwort: Das Kind gut betreut zu wissen, wäre eine erhebliche Verbesserung und ein wichtiger Schritt, um Frauen den Aufstieg innerhalb der Klinikhierarchie zu erleichtern. Auch Herzchirurgen sind Väter. Das sollte alle angehen. Ein besseres Angebot würde die Klinik z. B. auch für Pflegeberufe interessanter machen.
Frage: Welche Rolle spielt die männliche Führungskultur bei dem Dilemma?
Antwort: Das Thema sollte man in einem übergeordneten Kontext betrachten: Die gesamte Krankenhausstruktur steht vor einer großen Herausforderung. Unsere Patienten werden multimorbider, Infektionsgeschehen komplexer. Personalmangel in fast allen Bereichen und steigende Auflagen für Zulassung und Zertifizierungen von Medizinprodukten führen zu Versorgungsengpässen. Eine „männliche“ oder nennen wir es „traditionelle Führungskultur“ kann das alleine nicht stemmen, flexiblere Konzepte sind gefragt. Fakt ist aber, dass die männlichen Kollegen schon wesentlich länger und dementsprechend auch in größerer Anzahl in der Herzchirurgie vertreten sind. Dies prägt den Führungsstil und klassische Rollenklischees sind hartnäckig. Mit unserer deutschlandweiten Umfrage zu Frauen in der Herzchirurgie konnten wir zeigen, dass entgegen den „frauentypischen Klischees“ fast 90 Prozent der Frauen in Vollzeit tätig sind und durchaus eine Führungsposition in der Herzchirurgie anstreben. Derzeit gibt es aber keine Chefärztin und in der Hierarchieebene Oberarzt/-ärztin beträgt der Frauenanteil nur 13 Prozent.
Frage: Was müsste geschehen, um diese Führungskultur aufzubrechen und zu mehr Gendergerechtigkeit zu finden?
Antwort: Die gute Nachricht ist: Auf Assistenzarztebene beträgt der Frauenanteil ca. 35 Prozent. Der steigende Frauenanteil wird automatisch zu Veränderungen der Führungskultur führen. Allerdings soll das kein passiver Prozess bleiben. Eine familienfreundlichere und flexiblere Arbeitsplatzgestaltung werden helfen, den Anteil der Frauen in Führungspositionen zu steigern. Elternzeit wird heutzutage auch regelmäßig von den männlichen Kollegen wahrgenommen. Nicht mit den Veränderungen der Gesellschaft Schritt zu halten, führt auf lange Sicht zu einer Qualitätsverschlechterung, nicht nur für das Personal, sondern auch für den erkrankten Menschen.
Frage: Setzt das Netzwerk Herzchirurginnen sich für eine Frauenquote ein?
Antwort: Es gibt stichhaltige Argumente dafür, aber auch dagegen. Derzeit setzt das Netzwerk Herzchirurginnen auf Qualifikationsmaßnahmen und Vernetzung u. a. mit gezieltem Mentoring und OP-Kursen. Wir wollen neben den operativen Fähigkeiten die wissenschaftlichen und Führungsfertigkeiten trainieren.
Frage: Sie haben mit dem Seminar „Herzchirurgie-Praxis: Frauen trainieren Frauen“ ausschließlich weiblichen Nachwuchs fortgebildet. Was war anders als in geschlechtergemischten Seminaren?
Antwort: Es war sehr schnell eine vertraute und fokussierte Atmosphäre. Die Teilnehmerinnen waren konzentrierter und mutiger. Frauen und Männer haben bekanntermaßen unterschiedliche Kommunikations- und Lernstrategien. Bei einer rein weiblichen Gruppe hatte man den Eindruck, einfacher zu interagieren.
Frage: Ein Programmpunkt des Seminars war die Selbstvermarktung. Was müssen junge Fachärztinnen da noch lernen?
Antwort: Selbstvertrauen und Gelassenheit. Kern des Erfolgs ist trotz aller Herausforderungen die Freude am Beruf, der immer auch Berufung sein sollte, zu bewahren. Darüber hinaus braucht es Durchsetzungsvermögen, innere Stärke und Entschlossenheit.
Frage: Was wünscht das Netzwerk sich von der DGTHG, um Herzchirurginnen zu fördern?
Antwort: Das Netzwerk Herzchirurginnen ist Teil der DGTHG. Obwohl es uns als Netzwerk noch nicht lange gibt, haben wir gemeinsam eine gute Basis geschaffen. Wir haben eine Sensibilisierung erreicht, Frauen auch in relevante Positionen z. B. bei wissenschaftlichen Kongressen zu setzen. Wir sind auf einem guten Weg. Letztendlich liegt es an uns Herzchirurginnen, das Netzwerk weiterzuentwickeln. Es bleibt spannend.
Frau Dr. Färber, vielen Dank für das Gespräch!
AUSGABE: CB 12/2022, S. 16 · ID: 48676435