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CBChefärzteBrief

PalliativversorgungSterbehilfe in Österreich seit dem 01.01.2022 liberalisiert – die Relevanz für deutsche Chefärzte

Abo-Inhalt31.10.20229527 Min. LesedauerVon RA Dr. Matthias Losert, Berlin

| Österreich hat zum 01.01.2022 die Gesetzgebung zum assistierten Suizid liberalisiert und weitgehend an die deutsche Rechtslage (CB 06/2019, Seite 2 ff.) angepasst. Nicht liberalisiert wurde dagegen die Rechtslage zur Tötung auf Verlangen. Hintergrund ist ein Urteil (österreichisch: das Erkenntnis) des österreichischen Verfassungsgerichtshofs (VfGH) vom 11.12.2020 (Az. G 139/2019-71). Die Entscheidung ist auch für deutsche Chefärzte relevant, wenn in deren Abteilung österreichische Ärzte eingesetzt oder österreichische Staatsangehörige medizinisch versorgt werden, die fälschlicherweise noch von der alten Rechtslage ausgehen. |

Selbsttötung vs. Tötung auf Verlangen

Eine straflose Selbsttötung liegt vor, wenn der zur Selbsttötung Entschlossene die seinen Tod auslösende Handlung unmittelbar und vorsätzlich an sich selbst vornimmt. Das ist etwa der Fall, wenn der Betreffende eine Tablette mit tödlichem Gift selbst zu sich nimmt. Der Betreffende muss in der Lage sein, den Handlungsablauf jederzeit unterbrechen zu können. Der Betreffende muss den Entschluss zur Selbsttötung mit klarem Bewusstsein und in freier Entscheidung getroffen haben.

So urteilten Österreichs oberste Verfassungsrichter

Der (VfGH) der Republik Österreich hatte über eine Verfassungsbeschwerde zu entscheiden, die sich gegen die strafrechtlichen Regelungen zur Tötung auf Verlangen und zum assistierten Suizid – normiert in §§ 77 und 78 Österreichisches Strafgesetzbuch (StGB) – richtete.

Gegen diese Paragrafen richtete sich die Verfassungsbeschwerde

§ 77. Wer einen anderen auf dessen ernstliches und eindringliches Verlangen tötet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.

§ 78. Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet [Hervorhebung durch die Redaktion], ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.

Der VfGH hob in § 78 die Wortfolge „oder ihm dazu Hilfe leistet“ als verfassungswidrig auf. Hinsichtlich der Tötung auf Verlangen (§ 77) hatte die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg.

Das Gericht war der Auffassung, dass Normen über die Gestaltung des Lebens und Sterbens wesentlich in das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen eingreifen. Dem Gesetzgeber stehe daher kein weiterer rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu. Es gebe auch keine Pflicht zum Leben, sodass die Entscheidung über die Sterbehilfe ausschließlich das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen tangiere. Es müsse auch beachtet werden, dass sich ein Grundrechtsträger etwa bei Kenntnis einer schweren Krankheit selbst verfrüht das Leben nehmen könne. Denn er könnte denken, dass er bei fortschreitender Kenntnis nicht mehr in der Lage sei, sein Leben selbst zu beenden.

Die Rechtslage in Österreich nach dem Erkenntnis

Künftig ist es in Österreich also nur erlaubt, bei der Selbsttötung Hilfe zu leisten. Keinesfalls darf aber eine Tötung auf Verlangen erfolgen. Mit dem Urteil des VfGH wurde die Rechtslage zum assistierten Suizid weitgehend an die deutsche Rechtslage angepasst. Der österreichische Gesetzgeber hat auf den Entscheid des VfGH reagiert und ein Sterbeverfügungsgesetz erlassen. Im Rahmen dieses Gesetzes wurde mit Wirkung zum 01.01.2022 auch § 78 StGB wie folgt geändert:

§ 78 Österreichisches Strafgesetzbuch: Mitwirkung an der Selbsttötung

§ 78. (1) Wer eine andere Person dazu verleitet, sich selbst zu töten, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.

  • (2) Ebenso ist zu bestrafen, wer
    • 1. einer minderjährigen Person,
    • 2. einer Person aus einem verwerflichen Beweggrund oder
    • 3. einer Person, die nicht an einer Krankheit im Sinne des § 6 Abs. 3 des Sterbeverfügungsgesetzes (StVfG), BGBl. I Nr. 242/2021, leidet oder die nicht gemäß § 7 StVfG ärztlich aufgeklärt wurde, dazu physisch Hilfe leistet, sich selbst zu töten.

Unterschiede zur deutschen Rechtslage

Durch das Sterbeverfügungsgesetz wurden einige Besonderheiten eingeführt, die nach deutschem Recht für die Patientenverfügung nicht gelten:

  • Vor Errichtung der Sterbeverfügung muss eine Aufklärung durch zwei Ärzte erfolgen. Einer dieser Ärzte muss über eine palliativmedizinische Qualifikation verfügen.
  • Die Sterbeverfügung kann frühestens zwölf Wochen nach der ersten ärztlichen Aufklärung errichtet werden.
  • Die Sterbeverfügung ist von der für die Aufbewahrung verantwortlichen Person zu vernichten, wenn binnen fünf Jahren nicht das tödliche Präparat bezogen wurde. Ansonsten ist die Sterbeverfügung zehn Jahre nach ihrer Errichtung zu vernichten.
  • Das Sterbeverfügungsgesetz gilt für österreichische Staatsbürger und für Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in Österreich haben.
  • Beim österreichischen Bundesminister für das Gesundheitswesen wird ein elektronisches Sterbeverfügungsregister geführt.
Weiterführende Hinweise
  • Interview: „Bei der Frage nach assistiertem Suizid kann ein Chefarzt sich nicht nicht verhalten!“ (CB 02/2022, Seite 14)
  • Medizinethik und Recht am Lebensende: Die Entscheidung des BGH zum Thema „Lebenserhalt“ (CB 06/2019, Seite 2 ff.)

AUSGABE: CB 12/2022, S. 11 · ID: 48649247

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