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ApothekervergütungNach Einführung des § 129 Abs. 4d SGB V: Welche Retaxfallen verbleiben?
| Mit dem Inkrafttreten des § 129 Abs. 4d Sozialgesetzbuch (SGB) V durch das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) wurden die Möglichkeiten der Krankenkassen reduziert, Retaxationen vorzunehmen. Auch wenn viele Apotheker über diese Neuregelung erleichtert sein dürften, gibt es nach wie vor Situationen, in denen eine Retaxation droht. |
In diesen Fällen sind Retaxationen unzulässig
Eine Nullretaxation ist durch die Neuregelung im SGB V insbesondere dann unzulässig, wenn die Abgaberangfolge – ohne besondere Begründung – nicht eingehalten wurde. Gemeint sind Fälle, in denen kein Rabattarzneimittel bzw. kein preisgünstiges Arzneimittel gewählt wurde oder Verfügbarkeitsanfragen nicht oder nicht vollständig durchgeführt wurden. Dann muss die Krankenkasse jedoch nicht die reguläre Vergütung zahlen, sondern nur den Einkaufspreis des Arzneimittels (ohne Zuschläge nach der Arzneimittelpreisverordnung) vergüten. Weiterhin sind Retaxationen in folgenden Fällen unzulässig:
- Fehlende Dosierangabe auf der Verordnung
- Fehlendes oder nicht lesbares Ausstelldatum der Verordnung
- Überschreitung der festgelegten Belieferungsfrist um maximal drei Tage mit Ausnahme der besonders geregelten Fälle
- Abgabe des Arzneimittels vor der Vorlage der ärztlichen Verordnung
- Notwendige Genehmigung lag bei Abgabe des Arzneimittels (noch) nicht vor
Darüber hinaus gibt es bereits seit 2009 Regelungen in § 6 des Rahmenvertrags über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 2 SGB V, die die Retaxmöglichkeiten der Krankenkasse beschränken:
- So ist z. B. eine Retaxation unzulässig, die mit der Begründung erfolgt, dass nach den Regelungen der ergänzenden Arzneilieferverträge notwendige Angaben (Kassen-IK, LANR, BSNR) fehlen oder von der Apotheke nachgetragen wurden. Die einzige Ausnahme ist: Soweit eine Retaxation im Liefervertrag ausdrücklich vorgesehen ist, greift dieser Retaxausschluss nicht.
- Bei unbedeutenden Formfehlern (ohne Auswirkungen auf die Arzneimittelsicherheit oder Wirtschaftlichkeit), z. B. Schreibfehlern oder einer unleserlichen Arztunterschrift, ist eine Retaxation ebenfalls ausgeschlossen.
Hinzu kommt die im Rahmenvertrag vorgesehene Heilungsmöglichkeit bestimmter Fehler durch die Apotheke vor der Abrechnung. Aufgrund dieser Regelung ist der Apotheker z. B. berechtigt, fehlende Angaben zur Dosierung selbst auf dem Rezept zu vermerken.
Weiterhin bestehende Retaxfallen
Es gibt zwei wichtige Bereiche, die von der Neuregelung nicht umfasst sind.
Noch nicht abgeschlossene Verfahren
Die Neuregelung des § 129 Abs. 4d SGB V ist am 27.07.2023 in Kraft getreten. In allen Fällen, in denen die Abgabe des Arzneimittels am 27.07.2023 oder danach erfolgte, ist die Regelung in jedem Fall anwendbar. Weil die Krankenkassen z. T. aber mit erheblicher Verzögerung retaxieren, wird es für eine Übergangszeit noch viele Fälle geben, in denen die Abgabe eines Arzneimittels auf einem GKV-Rezept vor dem 27.07.2023 erfolgte und bei denen das Beanstandungsverfahren durch die Krankenkasse noch nicht begonnen hat oder aber noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Gerade bei kostenintensiven Nullretaxationen wäre dies besonders ärgerlich.
Denkbar sind drei Verfahrensstände, auf die man für die Anwendbarkeit des § 129 Abs. 4d SGB V – und damit der Einschränkungen – abstellen könnte:
- Alle Verordnungen, die ab dem 27.07.2023 beliefert werden
- Alle Verordnungen, die ab dem 27.07.2023 durch die Krankenkassen beanstandet werden
- Alle ab dem 27.07.2023 noch „schwebenden Verfahren“
Die Krankenkassen werden sich auf den Standpunkt stellen, dass die Neuregelungen nur auf Verfahren anwendbar sind, in denen die Abgabe des Arzneimittels ab dem 27.07.2023 erfolgte. Die Apotheker dagegen werden geltend machen, dass die Neuregelung auf alle Verfahren Anwendung finden muss, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Erleichterungen noch nicht abgeschlossen waren. Insoweit kann mit der Bestandskraft einer Entscheidung argumentiert werden. Solange eine Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist, sind neu eingeführte Regelungen anzuwenden, die im Laufe des Verfahrens geschaffen wurden.
Es wäre wünschenswert gewesen, dass der Gesetzgeber in die Neuregelung ausdrücklich den Zeitpunkt aufgenommen hätte, ab dem sie angewendet werden soll. Stattdessen gibt es lediglich eine „Klarstellung“ des Bundesministeriums für Gesundheit, dass von der Neuregelung nur Retaxationen erfasst sein sollen, die nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens ausgesprochen wurden. Für Absetzungen, die noch nicht abgeschlossene Beanstandungsverfahren betreffen, bei denen eine Beanstandung aber vor dem 27.07.2023 erfolgt ist, sei die Regelung nicht anwendbar. Es hat in der Vergangenheit aber schon diverse Fälle gegeben, in denen „Klarstellungen“ des Gesetzgebers von der Rechtsprechung nicht bestätigt wurden. Dies geschah häufig mit dem Argument, wenn der Gesetzgeber eine der Klarstellung entsprechende Regelung gewollt hätte, hätte er den Gesetzestext demgemäß formulieren müssen.
Merke | Im Ergebnis wird diese Frage durch die Gerichte geklärt werden müssen. Soweit Apotheker laufende Retaxationsverfahren haben (d. h. solche, die noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sind), sollte die Anwendbarkeit der Neuregelung in jedem Fall zu ihren Gunsten geltend gemacht werden. |
Verordnungen mit besonderen Belieferungsfristen
Grundsätzlich hat der Gesetzgeber festgelegt, dass eine Überschreitung der festgelegten Belieferungsfrist um maximal drei Tage nicht mehr zu einer Retaxation führen darf. In den folgenden besonderen Fällen bleibt es aber dabei, dass eine Retaxation erfolgen darf, wenn die vom Gesetzgeber festgelegte Belieferungsfrist überschritten wird:
Merke | Besonderes Augenmerk ist auf BtM- und T-Rezepte zu legen. Diese sind – ausgestellt im Rahmen des Entlassmanagements – nicht immer einfach zu erkennen. Auch bei diesen Verordnungen gilt aber die verkürzte Rezeptgültigkeit von drei Werktagen! |
... sonst droht eine Nullretaxation Merke| Da die neue Retax-Einschränkung in diesem Zusammenhang nicht greift, können Apotheker – auch bei einer Überschreitung der Frist um maximal drei Tage – nicht geltend machen, dass eine Retaxierung nach § 129 Abs. 4d SGB V unzulässig wäre. Die Krankenkassen könnten eine Nullretaxation durchführen, wenn die Abgabe eines Betäubungsmittels außerhalb der Sieben-Tage-Frist nach § 12 BtMVV erfolgt. |
- 1. Entlassrezepte
- Diese besonderen Rezepte sind nur vorgesehen, um den Patienten die Versorgungssituation beim Übergang von einer stationären in eine ambulante Behandlung zu erleichtern. Krankenhäuser sind daher berechtigt, kleine Mengen benötigter Arzneimittel zu verordnen. Gerade weil damit aber nur eine kurze Übergangszeit abgedeckt werden soll, ist zur Rezeptgültigkeit in § 11 Abs. 4 der Arzneimittel-Richtlinie festgelegt, dass ein Entlassrezept innerhalb von drei Werktagen beliefert werden muss. Dabei zählt der Ausstellungstag mit, sofern die Verordnung an einem Werktag (alle Tage außer Sonntage und gesetzliche Feiertage) erfolgte. Sofern die Verordnung an einem Sonn- oder Feiertag ausgestellt wurde, ist sie daher nur bis zum dritten darauffolgenden Werktag einlösbar. Erfolgte die Verordnung an einem Werktag, so darf sie nur bis zum übernächsten Werktag eingelöst werden.
- 2. BtM-Rezepte
- Außerhalb des Entlassmanagements ist die Möglichkeit der Einlösung von BtM-Rezepten ebenfalls zeitlich begrenzt. § 12 Abs. 1c Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) schreibt vor, dass keine Abgabe von Betäubungsmitteln erfolgen darf, wenn die Verschreibung bei Vorlage in der Apotheke vor mehr als sieben Tagen ausgefertigt wurde. Der Ausstellungstag ist insoweit nicht der erste Tag der Frist, d. h., die Abgabe muss spätestens am siebten Tag nach der Ausstellung des Rezepts erfolgen.Abgabe hat spätestens am siebten Tag nach der Ausstellung des Rezepts zu erfolgen ...
- 3. T-Rezepte und Rezepte über orale Vitamin-A-Säure-Derivate
- Entsprechende Regelungen mit Befristungen gibt es auch für T-Rezepte und Rezepte über orale Vitamin-A-Säure-Derivate bei Frauen im gebärfähigen Alter. Die neue Drei-Tage-Regelung kann in diesen Fällen also ebenfalls nicht zugunsten der Apotheker angewendet werden.
AUSGABE: AH 2/2024, S. 11 · ID: 49852160