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BonussystemeSchadenersatz bei verspäteter Zielvorgabe: ArbG muss 100 %-Bonus zahlen

Abo-Inhalt23.10.20243249 Min. Lesedauer

| Eine pflichtwidrig und schuldhaft unterlassene Zielvorgabe macht den ArbG in gleicher Weise schadenersatzpflichtig wie der Nichtabschluss einer Zielvereinbarung. |

Sachverhalt

Zwischen den Parteien war vereinbart worden, dass der ArbN bei Erreichen sämtlicher Ziele, also von 100 Prozent im Sinne des Bonussystems des Unternehmens und in Anwendung der jeweils gültigen Bonusregelung, einen Jahresbonus in Höhe von brutto 30 Prozent des tatsächlich gezahlten Bruttojahresgrundentgelts erhalte. Dieser Betrag könnte entsprechend dem Zielerfüllungsgrad auch über- oder unterschritten werden. Der ArbG hatte in den Jahren zuvor keine persönlichen Leistungsziele gesetzt, sondern nur Umsatzziele für das ganze Unternehmen. Er teilte dem ArbN weder vor noch zu Beginn des Jahres 2022 Zielvorgaben mit. Der ArbN fragte auch nicht danach. Der ArbG behauptete, dass die Zielvorgaben Anfang Juni 2022 per E-Mail an alle Mitarbeiter kommuniziert worden seien; auch seien sie im Intranet einsehbar gewesen.

Das Arbeitsgericht Paderborn verurteilte den ArbG zur Zahlung eines Schadenersatzes in Höhe eines fiktiv mit 100-Prozent-Zielerreichung angenommenen Bonus. Der Schaden des ArbN sei auf 28.035,08 EUR brutto zu schätzen. Bei einer 100-prozentigen Zielerreichung hätte der Bonus insgesamt 61.957,08 EUR brutto betragen.

Entscheidungsgründe

Ebenso wie das Arbeitsgericht Paderborn kam auch das LAG Hamm (5.7.24, 12 Sa 1210/23, Abruf-Nr. 243585) zum Ergebnis, dass der ArbN gegen den ArbG einen Anspruch auf Schadenersatz wegen nicht erfolgter Zielvorgabe für das Geschäftsjahr 2022 gemäß § 280 Abs. 1, Abs. 3, §§ 283, 252 BGB i. V. m. § 3 Abs. 2 b des Arbeitsvertrags habe. Die Höhe des Schadens sei gemäß § 287 ZPO zutreffend vom Arbeitsgericht auf 28.035,08 EUR brutto geschätzt worden.

Wie auch bereits zahlreiche andere LAG entschieden haben, sei eine in der Zielperiode pflichtwidrig und schuldhaft unterbliebene Zielvorgabe in gleicher Weise zulasten des ArbG schadenersatzauslösend, wie die pflichtwidrig und schuldhaft nicht abgeschlossene Zielvereinbarung, allerdings ohne dass ein Mitverschulden des ArbN in Betracht komme.

Zwar unterliege die einseitige Zielvorgabe als Leistungsbestimmung der Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB. Folge sei, dass bei einem Unterbleiben der Zielvorgabe die Leistungsbestimmung grundsätzlich durch Urteil vorzunehmen sei (LAG Köln 15.12.14, 5 Sa 580/14). Nach teilweise vertretener Auffassung gelte dies auch, wenn die Zielperiode abgelaufen und wegen der Bonuszahlung ein Rechtsstreit anhängig sei (LAG Düsseldorf 29.10.03, 12 Sa 900/03; LAG Köln 15.12.14, 5 Sa 580/14). Hiergegen spreche jedoch, dass die Gründe, aus denen das BAG im Falle einer unterbliebenen Zielvereinbarung nach Ablauf der Zielperiode eine Festlegung der Ziele durch Urteil für ausgeschlossen halte und grundsätzlich einen Schadenersatzanspruch annehme, für den Fall der unterbliebenen einseitigen Zielvorgabe unterschiedslos ebenso zutreffen (Hessisches LAG vom 30.4.21, 14 Sa 606/19; LAG Köln 26.1.18, 4 Sa 433/17; LAG Rheinland-Pfalz 15.12.15, 8 Sa 201/15).

Sobald die Zielperiode abgelaufen sei, sei der Zweck der Zielvorgaben, nämlich die Motivation der Mitarbeiter durch das Setzen eines Leistungsanreizes, nicht mehr erreichbar. Auch die nachträgliche Ermittlung angemessener, fallbezogener Ziele durch die Gerichte sei in der Regel mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden oder sogar gar nicht möglich. Dies gelte gleichermaßen für einseitige Zielvorgaben (LAG Köln 26.1.18, 4 Sa 433/17; Hessisches LAG 30.4.21, 14 Sa 606/19; BAG 12.12.07, 10 AZR 97/07). Die verspätete Zielvorgabe sei vom ArbG zu vertreten und begründe einen Schadenersatzanspruch des ArbN. Der ArbG habe unstreitig frühestens Anfang Juni 2022 dem ArbN die Zielvorgaben mitgeteilt. Dabei habe er ihm keine Ziele mitgeteilt, die erst ab dem Zeitpunkt der Mitteilung bis zum Ende der Zielperiode erreicht werden müssen, sondern das komplette zu Beginn des Jahres 2022 ermittelte Jahresziel vorgegeben. Es liege daher kein Fall vor, dass der ArbG die Ziele nur noch für den verbleibenden Zeitraum vorgegeben habe.

Die Rechtsprechung gehe davon aus, dass im Falle einer vollständig unterbliebenen Zielvereinbarung eine Zielbestimmung für einen vergangenen Zeitraum nicht möglich sei (BAG 17.12.20, 8 AZR 149/20; LAG Köln 26.1.18, 4 Sa 433/17; LAG Rheinland-Pfalz 15.12.15, 8 Sa 201/15). Entsprechendes müsse auch im Falle einer vollständig unterbliebenen Zielvorgabe gelten. Mit dem Nicht-Abschluss einer Zielvereinbarung oder der Nichterteilung einer Zielvorgabe verletze der ArbG eine arbeitsvertragliche Pflicht und nach Ablauf der jeweiligen Zielperiode sei die Vereinbarung von Zielen oder die Erteilung von Zielvorgaben unmöglich im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB.

Nicht höchstrichterlich entschieden sei bisher, wie sich eine verspätet erteilte Zielvorgabe auf den Schadenersatzanspruch des ArbN auswirke. Zu beachten sei, dass eine Zielvorgabe oder Zielvereinbarung, die erst nach der Hälfte der Zielperiode erfolge, jedenfalls überwiegend die Anreizfunktion nicht mehr erfüllen könne. In diesen Fällen sei es sachgerecht, eine Unmöglichkeit im Sinne des § 275 BGB anzunehmen. Dann sei eine derart verspätet erfolgte Zielvorgabe ebenso wie eine derart verspätet getroffene Zielvereinbarung mit einer gar nicht abgeschlossenen Zielvereinbarung bzw. einer gar nicht erteilten Zielvorgabe und deren Rechtsfolgen gleichzusetzen und führe zu einem Schadenersatzanspruch des ArbN.

Nur geringe Verspätungen bzw. Verzögerungen eines Zielvereinbarungsprozesses bzw. einer einseitig zu erteilenden Zielvorgabe von einigen Tagen oder Wochen seien hinnehmbar und blieben ohne Konsequenzen. Erst bei größeren Verzögerungen ab zwei – ggf. drei – Monaten sei dem ArbG die Beweis- und Darlegungslast dafür aufzubürden, dass die Zielsetzung für den ArbN erreichbar gewesen sei. Könne der ArbG dies nicht darlegen und beweisen, sei dies wie eine unterbliebene Zielvereinbarung bzw. unterbliebene Zielvorgabe zu behandeln. Dann könne der ArbN den Bonus auf Basis einer 100%igen Zielerreichung im Rahmen eines Schadenersatzanspruchs verlangen.

Zudem obliege dem ArbG bei einer Zielvorgabe, die Billigkeit der Leistungsbestimmung darzulegen und zu beweisen. Er müsse insbesondere darlegen, dass der ArbN, auch wenn der ArbG die Ziele vor Beginn der Zielperiode gesetzt hätte und die Zielvorgabe ihre Anreizwirkung in vollem Umfang entfaltet hätte, seine Ziele nicht zu 100 % erreicht hätte.

Das BAG unterscheide auch nicht zwischen persönlichen und unternehmensbezogenen Zielen. Grundsätzlich gelte dabei, dass ein ArbN vereinbarte Ziele erreicht hätte, wenn nicht besondere Umstände diese Annahme ausschließen würden, die der ArbG dartun und gegebenenfalls beweisen müsse (BAG 12.12.07, 10 AZR 97/07). Nichts anderes könne für eine Zielvorgabe gelten. Hier habe die ArbG keine besonderen Umstände vorgetragen, die die Annahme ausschließen, dass der ArbN die Zielvorgabe erreicht hätte.

Relevanz für die Praxis

Grundlage bei der abstrakten Schadensberechnung nach § 252 S. 2 BGB ist in Fällen, in denen die Festlegung von Zielen schuldhaft unterblieben ist, der für den Fall der Zielerreichung zugesagte Bonus. Dabei sind im Rahmen des nach § 287 Abs. 1 ZPO bestehenden Ermessens auch Umstände zu berücksichtigen, die gegen eine Zielerreichung des ArbN sprechen. Solche Umstände muss der ArbG darlegen und beweisen. Ein Beispiel dafür ist, wenn der ArbN auch in den Vorjahren die für ihn geltenden Ziele nicht erreicht hat (BAG 12.5.10, 10 AZR 390/09). Im oben liegenden Fall hat der ArbG keinen Sachverhalt vorgetragen, der gegen das Erreichen der Zielvorgaben spricht. Insbesondere hat er nicht vorgetragen, dass die für den ArbN geltenden Zielvorgaben auch in den Vorjahren nicht erreicht worden sind.

In zwei Urteilen des LAG Nürnberg (24.4.24, 2 Sa 293/23, Abruf-Nr. 242477 und 26.4.24, 8 Sa 292/23, Abruf-Nr. 243376) wurde ebenfalls im Sinne des ArbN entschieden. In beiden Fällen gab der ArbG die Vorgaben für die – im März des Jahres festgelegten – Unternehmensziele den ArbN am 26.10.21 bekannt. Hierzu das LAG: Eine Anreizfunktion könne erst ausgelöst werden, wenn die betroffenen ArbN überhaupt von den Zielen Kenntnis haben. Ein derart später Zeitpunkt der Bekanntgabe könne auch für die noch verbleibende Periode keine sinnvolle Anreizfunktion mehr erfüllen und sei daher wie eine gänzlich unterbliebene Vorgabe zu behandeln. Wenn das Geschäftsjahr bereits zu mehr als drei Viertel abgelaufen sei, sei es für den Anreiz zu spät.

Das LAG Nürnberg verweist auf ein Urteil des LAG Köln vom 6.2.24 (4 Sa 390/23), das den ArbG auch zum Schadenersatz wegen verspäteter Zielvorgabe (im September der Zielperiode) verurteilte. Gegen dieses Urteil des LAG Nürnberg wurde Revision vor dem BAG (10 AZR 125/24) eingelegt.

Rechtsprechungsübersicht / Verspätete Zielvereinbarungen

Hessisches LAG 30.4.21, 14 Sa 606/19, Abruf-Nr. 226128

Wurde der Zielvereinbarungsprozess seitens des ArbG ohne Widerspruch des ArbN über lange Zeit so praktiziert, dass der ArbG eine einseitige Zielvorgabe vorgenommen hat, wenn die Verhandlungen über den Abschluss einer Zielvereinbarung scheiterten und erfolgt eine solche Zielvorgabe dann nicht, steht dem ArbN dem Grunde nach ein Schadenersatzanspruch nach § 280 Abs. 1, 3 BGB, §§ 283, 252 BGB zu. Dies gilt auch, wenn die Zielvorgabe zwar nachgeholt wird, aber erst zu einem Zeitpunkt, zu dem die Freistellung des ArbN erfolgt ist oder unmittelbar bevorsteht.

LAG Köln 26.1.18, 4 Sa 433/17, Abruf-Nr. 201658

Die einseitige Zielvorgabe unterliegt als Leistungsbestimmung der Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB. Unterbleibt eine Zielvorgabe, ist die Leistungsbestimmung durch Urteil vorzunehmen. Ist die Zielperiode abgelaufen, kann eine Festlegung der Ziele nicht mehr erfolgen und der ArbN kann nach den gleichen Grundsätzen Schadenersatz verlangen, wie diese bei der unterbliebenen Zielvereinbarung nach abgelaufener Zielperiode anerkannt ist.

LAG München 20.6.12, 10 Sa 951/11

Wird eine einseitige Zielfestsetzung (und keine gemeinsame Zielvereinbarung) vereinbart, liegt die alleinige und ausschließliche Initiativlast beim ArbG; kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, löst diese nach Ablauf der Zielperiode einen Schadenersatzanspruch des ArbN aus.

LAG Rheinland-Pfalz 15.12.15, 8 Sa 201/15, Abruf-Nr. 183602

Unterlässt der ArbG die vertraglich vereinbarte Vorgabe von Zielen im Wege eines Bonusplans, kann dieses Versäumnis einen Schadenersatzanspruch des ArbN wegen der entgangenen zusätzlichen Verdienstmöglichkeit begründen.

LAG Hamm 2.10.08, 15 Sa 1000/08, Abruf-Nr. 091279

Ein Freiwilligkeitsvorbehalt für künftige Zeiträume hinsichtlich der Prämie einer Zielvereinbarung, die Bestandteil des Arbeitsvertrags geworden ist, verstößt gegen das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Hat der ArbG schuldhaft keine Ziele vorgegeben, ist der Bonus im Fall der Zielerreichung nach § 252 S. 2 BGB Grundlage für die Ermittlung des dem ArbN zustehenden Schadenersatzes. In solchen Fällen ist grundsätzlich von einem Prämienanspruch in Höhe der 100-prozentigen Zielerreichung als Schaden auszugehen.

LAG Düsseldorf 15.5.24, 14 SLa 81/24, Abruf-Nr. 242922

Bei einer in der Zielperiode pflichtwidrig und schuldhaft unterbliebenen Zielvorgabe ist der ArbG in gleicher Weise wie bei einer pflichtwidrig und schuldhaft nicht abgeschlossenen Zielvereinbarung zur Zahlung von Schadenersatz verpflichtet, allerdings ohne dass ein Mitverschulden des ArbN in Betracht kommt.

LAG Köln 6.2.24, 4 Sa 390/23, Abruf-Nr. 240412

Erfolgt eine Zielvorgabe erst zu einem derart späten Zeitpunkt innerhalb des maßgeblichen Geschäftsjahres, dass sie ihre Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllen kann, ist sie so zu behandeln, als sei sie überhaupt nicht erfolgt. Ein derart später Zeitpunkt ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn das Geschäftsjahr bereits zu mehr als drei Viertel abgelaufen ist. Eine Anreizfunktion wird nicht per se dadurch ausgeschlossen, dass die unterlassene Zielvorgabe unternehmensbezogene Ziele betrifft.

BAG 17.12.20, 8 AZR 149/20, Abruf-Nr. 222862

Ein schuldhafter Verstoß des ArbG gegen seine arbeitsvertragliche Verpflichtung, mit dem ArbN für eine Zielperiode Ziele zu vereinbaren, an deren Erreichen eine Bonuszahlung geknüpft ist, löst jedenfalls nach Ablauf der Zielperiode nach § 280 Abs. 1, Abs. 3 BGB i. V. m. § 283 S. 1 BGB grundsätzlich einen Anspruch auf Schadenersatz statt der Leistung aus.

BAG 12.12.07, 10 AZR 97/07, Abruf-Nr. 081665

Hat der ArbN aufgrund einer Vereinbarung im Arbeitsvertrag Anspruch auf einen Bonus in bestimmter Höhe, wenn er die für jedes Kalenderjahr gemeinsam festzulegenden Ziele erreicht, steht ihm wegen entgangener Bonuszahlung Schadenersatz zu, wenn aus vom ArbG zu vertretenden Gründen für ein Kalenderjahr keine Zielvereinbarung getroffen wurde. Der für den Fall der Zielerreichung zugesagte Bonus bildet die Grundlage für die Schadensermittlung. Trifft auch den ArbN ein Verschulden am Nichtzustandekommen der Zielvereinbarung, ist dieses Mitverschulden angemessen zu berücksichtigen.

AUSGABE: AA 11/2024, S. 191 · ID: 50207252

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