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BetriebsübergangDie sechs wichtigsten Fragen in der Praxis bei einem Betriebsübergang

Abo-Inhalt24.10.20243255 Min. LesedauerVon Dr. Guido Mareck, stellvertretender Direktor Arbeitsgericht Dortmund

| Welche Phasen des Betriebsübergangs unterscheidet man und was gilt es, in den einzelnen Phasen besonders im Fokus zu haben? Wie sieht es während und nach dem Betriebsübergang für Veräußerer und Erwerber im Hinblick auf Haftung, Eintritt in die Arbeitsverhältnisse und Kündigung aus und muss man den Betriebsrat beteiligen? Dieser Beitrag gibt schnelle Antworten auf die in der betrieblichen Praxis am häufigsten gestellten Fragen rund um das Thema Betriebsübergang. |

1. Welche Phasen sind zu unterscheiden?

Im Wesentlichen sind beim Betriebsübergang vier Phasen zu unterscheiden:

  • die Anbahnungs- oder Vorphase,
  • die Phase der vertraglichen Ausgestaltung des Betriebsübergangs mit dem potenziellen Erwerber,
  • die Phase der tatsächlichen Übertragung der sachlichen und immateriellen Betriebsmittel, das sogenannte „Closing“ und
  • die Phase nach Vollzug des Betriebsübergangs.

2. Was ist wann von Veräußerer und Erwerber zu beachten?

Die Vorphase ist geprägt von Überlegungen dazu, ob ein share oder asset deal durchgeführt werden soll, also nur Übertragung von Gesellschaftsanteilen ohne Wechsel des Betriebsinhabers als juristische Person, oder ob ein echter Betriebsübergang auf einen neuen Inhaber – den Erwerber – erfolgen soll. Darüber hinaus werden ökonomische Überlegungen zum Betriebswert sowie zu etwaigen Risiken wie Systemen der betrieblichen Altersversorgung auf Veräußererseite angestellt. Abschließend müssen Sondierungsgespräche mit potenziellen Erwerbern geführt werden. Auch die Beteiligung des Betriebsrats und ggf. des Wirtschaftsausschusses – sofern vorhanden – spielt bereits im Vorfeld eine Rolle.

Nachdem sich ein konkreter Bewerber herauskristallisiert hat, muss in der nun folgenden Phase die konkrete vertragliche Ausgestaltung des Betriebsübergangs angegangen werden. Dies betrifft Zuweisung von Aufgaben und Haftungsrisiken auf Veräußerer- und Erwerberseite. Unter anderem muss ein Zeitplan aufgestellt und die Übertragung von Betriebsmitteln und personenbezogenen Daten geregelt werden.

Diese Vereinbarungen müssen der sogenannten „Due-Diligence-Prüfung“ genügen. Das bedeutet, dass sie im Einklang mit gesetzlichen Bestimmungen und dem ggf. vorhandenen Unternehmenskodex stehen müssen. Die Datenübertragung muss darüber hinaus den Anforderungen der DSGVO und des BDSG genügen, schon um Probleme mit Aufsichtsbehörden zu vermeiden.

Die Abschlussphase des Betriebsübergangs, das „Closing“ steht im Licht der tatsächlichen schuld- und sachenrechtlichen Übertragung der Betriebsmittel und der Übernahme der Leitungsmacht durch den Erwerber als neuen Betriebsinhaber. Arbeitsrechtlich gesehen spielen hier oft Überlegungen wie haftungsrechtliche Fragen oder die Möglichkeit von Änderungs- bzw. Beendigungskündigungen eine Rolle.

In der letzten Phase nach Durchführung des Betriebsübergangs geht es um Informations- und Abstimmungsansprüche zwischen Erwerber und Veräußerer, die sich zwar teilweise aus Treu und Glauben herleiten lassen, aber sinnvollerweise bereits vorher vertraglich fixiert werden sollten.

3. Was muss der Erwerber haftungsrechtlich beachten?

Mit vollzogenem Betriebsübergang tritt der Erwerber in vollem Umfang in die Rechtsstellung des früheren Inhabers ein. Er muss dann Kündigungs-, Ausschluss- und Verjährungsfristen hinsichtlich der übergegangenen Belegschaft im Auge haben, die in vielen Fällen noch vor dem Übergang im Betrieb

des Veräußerers zu laufen begonnen haben.

Dies betrifft u. a. auch die sechsmonatige Wartefrist nach § 1 Abs. 1 KSchG und den erstmaligen Erwerb des Urlaubsanspruchs nach § 4 BUrlG. Vereinbarungen zwischen Veräußerer und Erwerber vermögen hieran außerhalb des Betriebsübergangs in der Insolvenz, für den § 55 InsO gilt, nichts zu ändern. Diese (spätere) Haftungslage sollte aber schon bei den Verhandlungen über den Kaufpreis und dessen Höhe eine Rolle spielen.

4. Wie und wann ist der Betriebsrat zu beteiligen?

Besteht im Veräußererbetrieb ein Betriebsrat, hat dieser u. a. Informations- und Überwachungsrechte nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bei der Übermittlung und Verarbeitung von Beschäftigten- und sonstigen Daten.

Darüber hinaus besteht im Vorfeld des Betriebsübergangs das Unterrichtungsrecht nach § 111 BetrVG. Wenn es sich bei dem Übergang und den Maßnahmen seiner Durchführung um eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG, die sozialplanpflichtig ist, handelt, kann der Betriebsrat Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 111, 112 und 112a BetrVG durchsetzen. Daneben bestehen auch im Betriebsübergang die Rechte bei personellen Einzelmaßnahmen nach §§ 99 ff. BetrVG, das Anhörungsrecht nach § 102 Abs. 1 BetrVG bei Kündigungen und die Mitbestimmungsrechte in sozialen Angelegenheiten nach § 87 Abs. 1 BetrVG, um nur die wichtigsten zu nennen.

5. Was bedeutet „Information der Belegschaft“?

Bereits in einer frühen Phase der Vertragsverhandlungen sollten Veräußerer und Erwerber die Verantwortung für die Unterrichtung der vom Betriebsübergang betroffenen ArbN in Textform nach § 613a Abs. 5 BGB klären. Die ordnungsgemäße Unterrichtung ist entscheidend für den Ablauf der Widerspruchsfrist von einem Monat, innerhalb derer die ArbN dem Übergang des Arbeitsverhältnisses schriftlich widersprechen können. Um diese Rechtsfolge auszulösen, muss die Unterrichtung aber den Anforderungen des § 613a Abs. 5 Nr. 1 bis 4 BGB genügen. Das bedeutet u. a., dass der Zeitpunkt des Übergangs, dessen wirtschaftliche und soziale Folgen und die in diesem Zusammenhang geplanten Maßnahmen im Unterrichtungsschreiben umfassend, wahrheitsgemäß und verständlich dargestellt werden müssen.

Die einmonatige Widerspruchsfrist der ArbN gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses beginnt nicht zu laufen, wenn die Unterrichtung unvollständig oder unrichtig ist. Das hat nicht selten zur Folge, dass die ArbN noch Jahre nach der Transaktion ihr Widerspruchsrecht ausüben und zum alten ArbG zurückkehren können. Typische Fälle sind eine spätere wirtschaftliche Krise oder Insolvenz des neuen ArbG oder Umstrukturierungsmaßnahmen, die zum Wegfall von Arbeitsplätzen führen oder mit einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen verbunden sind.

Das BAG (21.3.24, 2 AZR 79/23, Abruf-Nr. 242521) stellte jüngst fest, dass die Hinweise auf die Rechtsfolgen zwar präzise sein müssen. An den Inhalt der Unterrichtung über die rechtlichen Folgen des Betriebsübergangs dürfen aber keine im praktischen Leben kaum erfüllbaren Anforderungen gestellt werden. Es könne daher gerade nicht erwartet werden, dass das Unterrichtungsschreiben „keinen juristischen Fehler“ enthalte.

6. Wann gilt das Kündigungsverbot nach § 613a Abs. 4 S. 1 BGB?

Nur wenn der Betriebsübergang alleinige oder zumindest überwiegende Ursache einer Kündigung seitens des Veräußerers oder Erwerbers eines Betriebs ist, greift das eigenständige, vom KSchG unabhängige Kündigungsverbot nach § 613a Abs. 4 S. 1 BGB ein. Der ArbN, der sich auf dieses Verbot berufen will, muss aber gleichwohl die Klagefrist von drei Wochen nach § 4 S. 1 KSchG wahren, um erfolgreich gegen eine solche Kündigung vorgehen zu können.

Kündigungen aus anderen Gründen als dem Betriebsübergang bleiben zulässig. Bei Anwendbarkeit des KSchG muss aber ein personen-, verhaltens- oder betriebsbedingter Kündigungsgrund vorliegen. Im Kündigungsschutzprozess ist hierfür der kündigende ArbG darlegungs- und beweispflichtig. Abzustellen ist dabei stets auf die Verhältnisse bei Kündigungszugang.

Weiterführende Hinweise
  • „Der richtige Zeitplan für den Betriebsübergang – Teil 1: Wer muss was wann und wie regeln?“, Abruf-Nr. 49650100
  • „Der richtige Zeitplan für den Betriebsübergang – Teil 2: Wer muss was wann und wie regeln?“, Abruf-Nr. 49695197
  • „Ordnungsgemäße Unterrichtung der ArbN vom Betriebsübergang nach § 613a Abs. 5 BGB“, Abruf-Nr. 47619806
  • „Kündigung/Beendigung von Arbeitsverhältnissen im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang“, Abruf-Nr. 48390918
  • „Die Rechtsstellung des Erwerbers gegenüber dem ArbN nach dem Betriebsübergang“, Abruf-Nr. 48088810

AUSGABE: AA 11/2024, S. 195 · ID: 50207257

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