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MitbestimmungBetriebsrat hat keinen Anspruch auf Papierform der Bewerbungsunterlagen, wenn digital reicht

Abo-Inhalt25.04.2024417 Min. Lesedauer

| Ein ArbG, der den Bewerbungsprozess mithilfe eines Softwareprogramms digital durchführt, genügt seiner Pflicht zur Vorlage der Bewerbungsunterlagen an den Betriebsrat (BR), wenn er ein auf die im Programm hinterlegten Bewerbungsunterlagen bezogenes – mithilfe von zur Verfügung gestellten Laptops jederzeit nutzbares – Einsichtsrecht gewährt und die Möglichkeit besteht, Notizen anzufertigen. |

Sachverhalt

Der ArbG verwendet eine Software zum „Recruiting“. Das Programm verwaltet u. a. Stellenausschreibungen und enthält ein internes und externes Bewerberportal. Gemäß der Rahmen-Konzernbetriebsvereinbarung müssen sich externe Bewerber einen Account anlegen, um am Bewerbungsprozess teilzunehmen. Bewerbungen, die dennoch in Papierform eingehen, werden zuvor manuell erfasst. Die weitere Bearbeitung erfolgt, nachdem der jeweilige Nutzer seine Zustimmung zur Datenverarbeitung erteilt hat. Die BR-Mitglieder verfügen über Laptops, die sie für ihre BR-Tätigkeit nutzen können. Ihnen steht ein Einsichtsrecht in die „Datenfelder“ des Programms zu. Sie enthalten u. a. die persönlichen Angaben des Bewerbers, sein „Anschreiben“ und seinen Lebenslauf sowie etwaige Zeugnisse und Zertifikate.

Auf eine Stellenausschreibung gingen 33 externe Bewerbungen ein. Die „Bewerbungsunterlagen“ wurden im Programm hinterlegt. Der ArbG bat den BR um Zustimmung zu der beabsichtigten Einstellung von Herrn G. Als „geplantes Eintrittsdatum“ war der 1.10.21 angegeben. Nachdem dem BR auf seine Bitte hin die Protokolle der Bewerbungsgespräche und die Stellenbeschreibung nachgereicht worden waren, verweigerte er die Zustimmung.

Der ArbG beantragte daraufhin die gerichtliche Zustimmungsersetzung. Das Arbeitsgericht entschied hierüber am 10.11.21. Fünf Tage später teilte der ArbG dem BR mit, er werde Herrn G ab dem 1.12.21 vorläufig einstellen. Nachdem der BR die Dringlichkeit der Maßnahme bestritt, leitete der ArbG ein weiteres, auf eine Feststellung gerichtetes Beschlussverfahren ein. Beide Verfahren wurden in der Beschwerdeinstanz vom LAG verbunden. Der ArbG meinte, der BR sei ordnungsgemäß unterrichtet worden. § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG verlange nicht, dass ihm die „Bewerbungsunterlagen“ in Papierform vorgelegt werden müssten.

Das Arbeitsgericht wies den Antrag des ArbG auf Feststellung, dass die Zustimmung des BR als erteilt gilt, ab. Dem als Hilfsantrag angebrachten Zustimmungsersetzungsantrag gab es statt. Hiergegen legte der BR Beschwerde ein. Dem Feststellungsantrag nach § 100 Abs. 2 S. 3 BetrVG entsprach das Arbeitsgericht. Gegen diesen Beschluss legten beide Parteien Anschlussbeschwerde ein. Das LAG wies beide Beschwerden des BR zurück. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt dieser sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

Das BAG (13.12.23, 1 ABR 28/22, Abruf-Nr. 240997) hielt die Rechtsbeschwerde für unbegründet. Der Zustimmungsersetzungsantrag war erfolgreich.

Der ArbG sei seiner Verpflichtung nach § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG nachgekommen, dem BR die erforderlichen „Bewerbungsunterlagen“ vorzulegen. Den Mitgliedern habe ein Einsichtsrecht in die dort näher aufgeführten „Datenfelder“ des Programms „Recruiting“ zugestanden. Mithilfe der Laptops hätten sie jederzeit die im Programm hinterlegten Anschreiben und Lebensläufe sowie Zeugnisse und Zertifikate der 33 externen Bewerber um die Stelle einsehen können. Anders als der BR meint, sei der ArbG nicht gehalten gewesen, ihm die „Bewerbungsunterlagen“ der Interessenten in Papierform vorzulegen. Dies ergebe die Auslegung von § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG. Die sprachliche Fassung der Norm stehe der Annahme, ein ArbG könne seine Vorlagepflicht gegenüber dem BR durch die Gewährung eines jederzeitigen digitalen Leserechts erfüllen, nicht entgegen.

Zudem gehe das Gesetz – wie der in § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG verwendete bestimmte Artikel („die“) zeige – davon aus, der ArbG müsse dem BR grundsätzlich auch nur die ihm selbst übermittelten „Original“-Unterlagen zur Verfügung stellen. Dies lasse den Schluss zu, dass er nicht gehalten sei, dem BR digital über ein Bewerberportal eingegangene „Bewerbungsunterlagen“ in Papierform zu überlassen. Die Unterrichtungs- und Vorlagepflicht nach § 99 Abs. 1 S 1 BetrVG solle dem BR diejenigen Informationen verschaffen, die er benötige, um sein Recht zur Stellungnahme sachgerecht ausüben zu können.

Diesen Vorgaben sei genügt, wenn der ArbG den BR-Mitgliedern für die Dauer des Zustimmungsverfahrens nach § 99 BetrVG ein auf die digital vorhandenen „Bewerbungsunterlagen“ aller Interessenten bezogenes Einsichts- und Leserecht gewähre. Damit habe der BR die Möglichkeit, sich diejenigen Informationen zu verschaffen, die er benötige, um eine Stellungnahme nach § 99 Abs. 2 BetrVG abgeben zu können. Der jederzeit mögliche Zugriff auf die hinterlegten Bewerberdaten mithilfe der vorhandenen Laptops erlaube es ihm, eigene Vorschläge für eine Auswahl zu unterbreiten oder auf Umstände hinzuweisen, die nach seiner Auffassung für einen anderen Bewerber sprechen. Darüber hinaus sei sichergestellt, dass die „Unterlagen“ den BR-Mitgliedern auch während der Sitzung, in der der Beschluss gefasst werde, ohne Weiteres zur Verfügung ständen. Sie haben damit die Möglichkeit, sich mit den Personalien aller Bewerber vertraut zu machen und darüber zu diskutieren.

Relevanz für die Praxis

Datenschutzrechtliche Erwägungen führten ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Das digitale Einsichtsrecht des BR beschränke sich hier auf diejenigen Unterlagen, die – wenn sie physisch vorhanden wären – dem BR in dieser Form hätten überlassen werden müssen. Die darin liegende Datenverarbeitung ist nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. c und Abs. 3 DSGVO in Verbindung mit § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG erforderlich, weil sie der Erfüllung einer in § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG vorgesehenen Pflicht des ArbG diene (BAG 9.5.23, 1 ABR 14/22, Abruf-Nr. 237759). Zudem sind die BR-Mitglieder in jedem Fall verpflichtet, über die ihnen in diesem Zusammenhang bekannt gewordenen persönlichen Verhältnisse und Angelegenheiten der ArbN Stillschweigen zu bewahren.

AUSGABE: AA 5/2024, S. 81 · ID: 49999627

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