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Prozessführung Echte Detektivarbeit: Zeugen suchen und Aussagen verifizieren
| In entscheidenden Momenten vor Gericht mit einem oder mehreren Zeugen aufzutrumpfen, gehört zu den angenehmsten Momenten für Anwälte. Zeugen sind aber häufig nicht nur das Zünglein an der Waage, sondern mitunter auch schwer zu finden. Viele Detektive arbeiten Arbeitsrechtlern zu, ihre professionelle und gerichtsverwertbare Arbeit hat schon manchen Prozessverlauf noch einmal gewendet. |
Raoul Classen ist seit rund 25 Jahren als Detektiv tätig. Er arbeitet vor allem mit Juristen eng und gern zusammen. Er organisiert abhörsichere Konferenzräume und sucht Zeugen für unterschiedlichste Vorgänge. Der eine Anwalt sucht händeringend Personen, die einen Unfall beobachtet haben, der andere will nachweisen, dass sein Mandant (Unternehmer) von Mitarbeitern betrogen wird. Manchmal geht Classens Puzzlearbeit für ArbeitG sogar Jahrzehnte zurück. Wie Detektive im Einzelnen vorgehen und Anwälte professionelle Ermittler finden, erklärt er im Interview.
Frage: Wann melden sich Anwälte bei Ihnen, die Zeugen brauchen?
ANTWORT: Der Klassiker sind natürlich Strafrechtler, die Entlastendes suchen für ihre Mandanten. Es geht darum, Alibis zu belegen, Menschen zu finden, die Geschehnisse beobachtet haben, aber nicht von der Polizei befragt wurden. Oder der Anwalt wünscht sich, dass vielleicht unentdeckte Film- oder Videoaufnahmen vorhanden sind.
Frage: Das müssen Sie erklären.
ANTWORT: Es gibt ja „Hobbydetektive“, die Fotos und Videos von allem Möglichen machen. Woher soll jemand wissen, wer vielleicht zum Unfallzeitpunkt gerade vor Ort war und Fotomaterial gemacht oder den Unfallhergang genau beobachtet hat.
Frage: Die bleiben da aber auch nicht stehen, bis ein Detektiv aufkreuzt.
ANTWORT: Hier beginnt meine Arbeit. Ich schaue, welche Geschäfte, Imbisse oder kleine Läden rundherum sind. Hat da vielleicht jemand gegessen, eingekauft, sich länger mit jemandem unterhalten und dann den Unfall gesehen? Kann er bestätigen, dass der Mandant tatsächlich so ausfällig geworden ist, wie es später in der Anklageschrift stand? War die Straße gesperrt oder standen noch Fahrzeuge herum, die beim Eintreffen der Polizei nicht mehr da waren? Und natürlich gilt es „Klinken zu putzen“. Das ist immer eine hohe Kunst, überzeugend und glaubhaft aufzutreten und Anwohner zu fragen, die vielleicht später eine entscheidende Aussage machen.
Frage: Geht es manchmal auch in die andere Richtung, dass Anwälte sie beauftragen, vorhandene Angaben von Zeugen zu prüfen?
ANTWORT: Dies geschieht gar nicht selten. Bleiben wir beim Beispiel eines Verkehrsunfalls. Meine Aufgabe kann sein, zu ermitteln, wo sich der Zeuge am Unfalltag aufgehalten hat. Stellt sich heraus, dass er nachweisbar an einem anderen Ort war, z. B. weil sein Fahrzeug mit ihm hinter dem Steuer in einer anderen Stadt unterwegs war oder er an einem beruflichen Meeting teilgenommen hat, kann eine Falschaussage bewiesen werden. Oder plötzlich kommt heraus, dass sich Zeuge und Prozesspartei aus dem Fußballclub oder einem ehemaligen Job kennen. Oder man erfährt, dass der Fahrer, der zwingend eine Brille tragen muss, diese am Unfalltag nicht trug. Meine Aufgabe ist daher, sowohl Zeugen zu finden, als auch vorhandene Aussagen oder Beweise zu erschüttern.
Frage: Warum hat die Polizei diese Aussagen nicht?
Antwort: Nicht jeder, der einen Unfall oder sonstigen Vorgang beobachtet hat, bleibt an Ort und Stelle stehen oder geht zur Polizei. Wenn ich bei meinen Recherchen auf Personen stoße, die einen Vorgang genau beobachtet haben, bekomme ich Antworten wie: „Mich hat ja keiner gefragt“ oder „Endlich spricht mich jemand darauf an“.
Frage: Und warum zieht es sie für Recherchen ausgerechnet auch in Gerichtsgebäude?
Antwort: Das sind einfach ideale Informationsorte. Häufig sprechen sich nervöse Zeugen vor einer Verhandlung direkt vor dem Sitzungssaal oder in den Raucherzonen ab. Das OLG Hamburg kenne ich zum Beispiel gut. Es ist ein altes Gebäude mit langen Fluren, hat eine gute Akustik. Diese Bedingungen haben sie auch in vielen anderen Gerichtsgebäuden. Prozessbeteiligte tauschen sich hier untereinander oder mit ihren Anwälten aus. Wenn man da in Hörweite ist, erhält man wertvolle Informationen, die man noch direkt in die Verhandlung einbringen kann und die das Blatt wenden können.
Frage: Einmal sind Sie bei der Zeugensuche glatt zum Historiker geworden.
ANTWORT: Das war ein Fall, bei dem ich tatsächlich zeitlich bis in die vierziger, fünfziger Jahre zurückgehen musste. Ein Deutscher hatte damals während des zweiten Weltkriegs in Hamburg gewohnt, zog dann in die USA und arbeitete dort bei einem Autohersteller. Später wurde bei ihm eine Asbestose diagnostiziert. Er verklagte den Autohersteller, weil dort damals auch mit asbesthaltigen Teilen gearbeitet wurde. Die US-Anwälte, die den Konzern vertraten, hatten nun die Idee: Die Asbestbelastung könnte sich der Kläger auch während des Kriegs in Deutschland zugezogen haben. Die Anwälte beauftragten mich, die Wohngegend des Klägers hier in Hamburg zu rekonstruieren.
Frage: Ein Wohnumfeld von vor sechzig, siebzig Jahren ermitteln. Wie macht man das bitte?
ANTWORT: Alte Baupläne recherchieren, Fotos und Luftbilder finden, über Nachbarn und Anwohner Personen finden, die damals hier wohnten, sofern sie noch leben. Hier kommt auch mein Hobby ins Spiel: Ich sammle Telefonbücher. Mein erstes Telefonbuch stammte aus 1925, man kann sehen, welche Namen wohnten unter welcher Adresse, welche Straßen gab es schon usw. Das war hier nicht ganz entscheidend, hat aber geholfen. In Hamburg finden sich an Häusern, die nach 1945 entstanden, Hinweise, dass sie wieder aufgebaut wurden. Tatsächlich war auch das Haus des Klägers ausgebombt worden. In der Nähe lag damals eine große metallverarbeitende Fabrik. Ich konnte dokumentieren, dass es durchaus denkbar war, dass während der Bombenzerstörungen Asbest in größeren Mengen freigesetzt und in die Lunge des Klägers gekommen war. Wie der Prozess in den USA ausging, habe ich leider nie erfahren.
Frage: Greifen Sie erfolgreich auf Foto- und Videomaterial von Kameras zu?
ANTWORT: Das hatte ich gerade vor ein paar Wochen auf dem Gelände eines Getränkemarkts. Mir fielen mehrere Hinweisschilder auf Videoüberwachung auf. Der Inhaber erlaubte mir, die Aufnahmen anzuschauen. Anschließend habe ich viele Arbeitsstunden damit zugebracht, das Material zu sichten, mit hochinteressanten Erkenntnissen, die der Polizei damals nicht vorlagen. Manchmal hat man Glück und kann auch private Aufnahmen sichten. Staatliche Überwachungsaufzeichnungen wie U-Bahn- oder Gebäudeüberwachung, die der Anwalt im Rahmen des Ermittlungsverfahrens erhält, kann ich ebenfalls sichten, wobei dies häufig eine aufwendige, zeitintensive Arbeit ist.
Frage: Häufig werden auch Arbeitgeber vertreten, die ahnen, dass in ihrem Unternehmen nicht alles richtig läuft.
Antwort: Wenn sich Mitarbeiter beschweren, dass im Außendienst wohl nicht nur gearbeitet wird, hat der ArbG einen Verdacht und ein berechtigtes Interesse an Aufklärung. Hier führen die Recherchen oft zu allen möglichen Ergebnissen: Außendienstler fahren regelmäßig während der Arbeitszeit einkaufen oder ins Fitnesscenter, Arbeitszeitbetrug und Krankschreibungen werden missbraucht.
Frage: Wie finden Anwälte professionell arbeitende Detektive für ihre Mandate?
Antwort: Die vorher existierenden beiden Fachverbände sind 2023 zum BUDEG, dem BUNDESVERBAND des Detektiv- und Ermittlungsgewerbes e. V., verschmolzen (https://budeg.de). Über den Verband kann der Branchenfremde den passenden Ermittler suchen. Ich rate auch zur vorherigen klaren Abstimmung von Budget- und Honorarfragen.
- Privatfahrzeug beim ArbG unerlaubt aufgeladen, AA 24, 24
- Dann muss der Arbeitnehmer entstandene Detektivkosten erstatten, Abruf-Nr. 46684507
- ArbN muss 66.500 EUR Ermittlungskosten einer Kanzlei gegen sich selbst an ArbG zurückzahlen, AA 20, 155
AUSGABE: AA 2/2024, S. 28 · ID: 49875826