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CME-Beitrag„Ernährungsberatung gehört unbedingt in die zahnärztliche Praxis!“
| Die Themen Ernährungstherapie und -beratung sind in der Zahnmedizin angekommen, denn Ernährung hat auch Einfluss auf die Zahn- und parodontale Gesundheit. Prof. Dr. med. dent. Johan Wölber erläutert im ZR-Fachgespräch mit Dr. med. dent. Ulrike Oßwald-Dame die entsprechenden Zusammenhänge und welche Empfehlungen sich für die Zahnarztpraxis sowie ihre Patientinnen und Patienten daraus ableiten lassen. |
Frage: Herr Professor Wölber, was haben orale Erkrankungen mit der Ernährung zu tun?
Wölber: So einiges. Grundsätzlich beeinflusst Ernährung sowohl die Zusammensetzung und die Stoffwechselprodukte des Biofilms (bzw. der Plaque) als auch die Immunologie und damit einhergehend Entzündungseigenschaften der Gingiva und natürlich des gesamten Körpers. Da wir im Schnitt dreimal täglich essen, bedeutet dies auch, dass diese zwei Faktoren (Biofilm und Immunsystem) dreimal täglich beeinflusst werden – in welcher Richtung, das liegt an uns.
In Bezug auf die häufigste Erkrankung der Menschheit, nämlich die Karies, sind die Zusammenhänge sehr deutlich: Der Prozess der Karies benötigt fermentierbare Kohlenhydrate, sprich Zucker. Da seit der Industrialisierung vor ungefähr 200 Jahren der Zuckerkonsum quasi explodiert ist (von unter 1 kg/Kopf/Jahr auf 36 kg/Kopf/Jahr), ist es nicht verwunderlich, dass wir so viele Zahnärztinnen und Zahnärzte benötigen. Wir haben viele Wege erforscht, Karies symptomatisch vorzubeugen, wie z. B. durch lokale Fluoridsupplementationen, was auch einigermaßen funktioniert. Allerdings machen es die weiteren Effekte, die regelmäßiger Zuckerkonsum im Köper verursacht (wie Übergewicht, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen), sehr sinnhaft, auch die Vermeidung von Zucker wieder in den Mittelpunkt zu stellen. So schlägt man mit einer Intervention viele Erkrankungen auf einmal.
Frage: Karies, Erosionen und Halitosis sind Krankheitsbilder, die wir „instinktiver“ oder mit entsprechendem Vorwissen mit der Ernährung aufgrund von Zucker, Säuren etc. in Verbindung bringen. Wie stellen wir uns das bei der Parodontitis vor?
Wölber: Bei der Parodontitis ist es in der Tat komplexer, aber dafür auch umso spannender. Auch hier haben wir eine lokale Wirkung von Ernährung auf das Zahnfleisch. Beispielsweise wird Zucker durch das dentale Mikrobiom zu entzündungsfördernden Carboxylsäuren verstoffwechselt. Aber auch andere entzündungshemmende Stoffe wirken direkt an der Gingiva, wie zum Beispiel Kurkuma oder Nitrate aus grünem Salat.
Was es sehr spannend macht, ist, dass Ernährung aber eben auch auf einer systemischen Ebene Einfluss auf das Zahnfleisch ausübt. Beim Zucker sorgt die freie Glukose für starke proentzündliche Blutzuckerspitzen, die Fruktose wird – bei hohem regelmäßigem Konsum – in der Leber unter anderem zu LDL-Cholesterin verstoffwechselt. Chronisch erhöhter Blutzucker (wie in Form des Diabetes mellitus) und erhöhte Blutfette sind, gut untersucht, mit mehr Gingivitis und Parodontitis assoziiert.
Ebenso haben viele andere Nährstoffe wie Omega-3-Fettsäuren, Vitamine, Mineralien, Polyphenole, sekundäre Pflanzenstoffe und Nitrate einen nachgewiesenen antientzündlichen Einfluss.
Frage: Haben auch orale Neoplasien Bezüge zur Ernährung?
Wölber: Ja, neben klassischen Risikofaktoren wie Alkohol und Tabakkonsum, scheint Ernährung ebenso einen Einfluss auf orale Tumore zu haben. Zum einen konnte nachgewiesen werden, dass eine proentzündliche Ernährung einen solchen Einfluss ausübt. Zum anderen sind auch für spezifische Lebensmittelgruppen Assoziationen festgestellt worden. Während für Frucht- und Gemüsekonsum, Kurkuma und Grünen Tee protektive Eigenschaften gefunden werden konnten, scheinen rotes Tierfleisch und frittierte Stoffe einen karzinogenen Einfluss auszuüben.
Frage: Also gehört Ernährungsberatung unbedingt in die zahnärztliche Praxis?!
Wölber: Ja, und nicht nur in die zahnärztliche Praxis, sondern in jede medizinische Praxis. Die schützenden und gesundheitsfördernden Wirkstoffe machen nicht vor Organgrenzen halt, sondern wirken vom kleinen Zeh bis zur Haarwurzel. Gesunde Lebensmittel haben in der Regel eine Reihe von positiven Nebenwirkungen. Wenn man sich vorstellt, welchen Impact es haben würde, wenn jede Zahnarztpraxis in Deutschland grundlegend auch Ernährung thematisieren würde: Das hätte unter anderem deutlichen Einfluss auf die Pandemie des Übergewichts in Deutschland.
Frage: Wie könnte diese Ernährungsberatung aussehen – sprich, wer kann und darf sie durchführen, wie lässt sie sich abrechnen?
Wölber: Im Prinzip könnten alle Mitarbeiterinnen einer Zahnarztpraxis Ernährungsberatungen durchführen. Es ist immer gut, wenn auch Zahnärzte das Thema aufgreifen (dann ist das auch „Chefsache“). Das Thema kann dann aber auch weiter delegiert werden. Viele Kammern und Anbieter bieten mittlerweile qualifizierende Mitarbeiterkurse zu diesem Thema an.
Bezüglich der Abrechnung sind an verschiedenen Stellen der BEMA und GOZ Ernährungsinhalte aufgeführt (FU, IP – bei Kindern, GOZ 1000). Die Analogleistung Nr. 3 GOÄ kann nach Aufklärung der Patienten auch genutzt werden.
Prinzipiell können auch Ernährungsinhalte unter der ATG in der Parodontitistherapie erbracht werden. Aber fest steht auch: Ernährung ist noch nicht gut in den Leistungskatalogen untergebracht, wohingegen invasive Maßnahmen viel besser honoriert werden. Da offenbart sich eine gewisse Schieflage zwischen präventiver, kausaler Medizin und Reparaturmedizin.
Frage: Wo holt sich das zahnärztliche Team idealerweise sein Wissen zu den Ernährungsfaktoren?
Wölber: Idealerweise würde das Thema grundlegend an Universitäten und Berufsschulen unterrichtet werden, sodass das Team zum Berufsstart schon informiert und trainiert ist. Da das ja leider nicht immer der Fall ist, hilft nur Eigeninitiative. Es gibt mittlerweile ein Fachbuch im zahnmedizinischen Bereich (J.P. Wölber/C. Tennert: Ernährungszahnmedizin, Quintessenz) und mehrere im generell medizinischen Bereich. Ansonsten bieten viele Kammern und Anbieter das Thema mittlerweile in Kursen und Vorträgen an.
Frage: Wenn wir es einmal herunterbrechen, welche Kost sollte unseren Patienten grundsätzlich empfohlen werden?
Wölber: Da Geschmack bekannterweise verschieden ist, gibt es auch nicht die Einheitsernährung für jeden Menschen. Aber in der Tat kann eine sehr gute allgemeine Richtung formuliert werden, die sowohl gegen orale als auch allgemeine Erkrankungen funktioniert: eine hauptsächlich pflanzenbasierte Vollwertkost (unter Beachtung von Vitamin B12, marinen Omega-Fettsäuren und Vitamin D). Hauptsächlich pflanzenbasiert heißt: vegan, vegetarisch oder kaum tierisch (<300g Fleisch die Woche). Wenn es vegetarisch oder vegan wird, sollte auf jeden Fall Vitamin B12 und Algenöl (EPA/DHA) supplementiert werden. Ein- bis zweimal die Woche sollte Fisch gegessen oder Algenöl supplementiert werden (für die aktiven, marinen Omega-3-Fettsäuren).
Vollwertkost heißt: prinzipiell kaum oder wenig verarbeitet. Entsprechend wird hier statt Zucker oder Saft das ganze Obst (mit allen intakten Fasern und Antioxidantien) konsumiert. Statt Weißmehl wird Vollkorn genommen und so weiter. Wir sind seit Jahrtausenden an „natürliche“ Lebensmittel mit allen intakten Bestandteilen durch die Evolution angepasst worden. Also Obst, Gemüse, Nüsse, Samen, Hülsenfrüchte und entsprechend wenig Fisch/Fleisch.
Was nicht damit nicht automatisch einhergeht, ist Vitamin D. Viele Personengruppen sollen vor allem im Winter Vitamin D supplementieren, wie Übergewichtige, Nachschichtarbeiter, Personen über 60 Jahre, stark Bekleidete oder dunklere Hauttypen. Diese Angabe ist aber nur eine grobe und gute Richtung, die im Patientengespräch gemeinsam entwickelt werden muss.
Frage: Kann man in der Ernährungsberatung auch etwas falsch machen? Eine Ernährungsumstellung kann ja z. B. Einfluss auf eine laufende Medikation haben.
Wölber: Ja, wobei das bei natürlichen Lebensmitteln kaum relevant wird. Wichtige Beispiele sind aber Grapefruits oder Grapefruitsaft, die das Darm-Enzym CYP3A4 hemmen und dadurch die Wirkung von vielen Medikamenten verändern können, wie Blutdrucksenker, Benzodiazepine, Statine. Bei hochdosiertem Vitamin D (was aber nicht durch die Zahnarztpraxis verordnet werden sollte) sollte auf die gleichzeitige Calcium-Einnahme geachtet werden, um Hyperkalziämie vorzubeugen. Nitrate sollten über Pflanzen konsumiert werden, da dort immer Antioxidantien dabei sind, die die Nitrosamin-Bildung hemmen. Bei gepökeltem Fleisch ist dies nicht der Fall und daher wirkt dieses kanzerogen.
AUSGABE: ZR 5/2023, S. 18 · ID: 49263962