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Ausgleichsanspruch – Teil 1Ausgleichsanspruch nach „Grundsätzen Sach“: Darauf müssen Sie bei der Berechnung achten
| Der Ausgleichsanspruch ist für viele Versicherungsvertreter noch immer ein zentraler Teil der Altersversorgung. Berechnungsfehler sind allerdings an der Tagesordnung. Streitigkeiten landen oft vor Gericht. VVP nimmt das zum Anlass, Ihnen die wichtigsten Regeln im Umgang mit dem Ausgleichsanspruch in einer zweiteiligen Serie zu erläutern und Sie mit neuester Rechtsprechung zu versorgen. In diesem ersten Teil geht es um die „Grundsätze Sach“ und die Berechnungsschritte 1 bis 3 beim Ausgleich. |
Die „Grundsätze“ zur Berechnung des Ausgleichs
Die Berechnung des Ausgleichsanspruches von Versicherungsvertretern erfolgt überwiegend nach den von den Spitzenverbänden des Versicherungsvertriebs verfassten „Grundsätze zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruches“ (aufgegliedert in die „Grundsätze Sach“, „Grundsätze Leben“, „Grundsätze Kranken“).
Auch wenn für die Berechnung des Handelsvertreterausgleichsanspruchs die Anwendung der Grundsätze in nahezu allen Versicherungsvertreterverträgen der verschiedene Versicherer ausdrücklich vertraglich vereinbart werden, sind diese Grundsätze keine gesetzliche Regelung. Sie sind nur eine Empfehlung der Spitzenverbände und werden jeweils gesondert vertraglich vereinbart.
In § 89b Abs. 4 S. 1 HGB ist zwingend geregelt, dass der Handelsvertreter-ausgleichsanspruch im Voraus nicht ausgeschlossen oder eingeschränkt werden kann. Somit steht es dem Versicherungsvertreter auch bei der vertraglichen Vereinbarung der Grundsätze grundsätzlich frei, seinen Ausgleichsanspruchs außerhalb der Grundsätze zu berechnen, wenn damit ein höherer Ausgleichsanspruch erreicht werden kann.
Die Grundsätze sind eine sehr praktikable und interessengerechte Regelung, in welcher durch die aus jahrelangen Praxiserfahrungen abgeleiteten Faktoren und Multiplikatoren die Berechnung des Handelsvertreterausgleichsanspruchs vereinfacht wird. Daher wird eine Berechnung außerhalb der Grundsätze wegen des erheblichen Mehraufwands und der Mehrkosten der Festlegung der einzelnen Berechnungsgrundlagen durch Sachverständigengutachten nur in Ausnahmefällen sinnvoll sein.
Die Grundsätze stellen ein ausgewogenes Regelungswerk dar, das die Besonderheiten des Versicherungsvertriebes berücksichtigt und Regelungen sowohl zugunsten als auch zulasten der Versicherungsvertreter und der Versicherer enthalten. Sie können deshalb, selbst wenn sie nicht vertraglich vereinbart worden sind, als Grundlage für die richterliche Schätzung eines Mindestausgleichs herangezogen werden (BGH, Urteil vom 23.11.2011, Az. VIII ZR 203/10, Abruf-Nr. 120027).
„Grundsätze Sach“ und die Angriffe der Versicherer darauf
Der mit Abstand höchste Ausgleichsanspruch ergibt sich dabei für die Sachversicherung nach den „Grundsätzen Sach“. Die Ausgleichsansprüche nach den „Grundsätzen Leben“ und „Grundsätzen Kranken“ sind selbst bei den auf Leben oder Kranken spezialisierten Agenturen deutlich geringer.
Dies dürfte der Grund dafür sein, dass viele Versicherer in den letzten Jahren den Versuch unternommen haben, gerade den hohen Ausgleichsanspruch für Sachversicherungen durch die nachfolgend im Einzelnen geschilderten Modifizierungen der Berechnungsvorgaben der „Grundsätze Sach“ in allen Berechnungsschritten gezielt einzuschränken oder zu reduzieren.
Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs für Sachversicherungen nach den „Grundsätzen Sach“ erfolgt in fünf Berechnungsschritten.
Berechnungsschritte bei den „Grundsätzen Sach“ |
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Die Abrechnungsfehler bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs nach den „Grundsätzen Sach“ werden nachfolgend in den einzelnen der fünf Berechnungsschritte der Ausgleichsberechnung dargestellt.
Schritt 1: Ausgangswert für die Berechnung
Im ersten Berechnungsschritt wird nach den „Grundsätzen“ der Ausgangswert ermittelt.
1. Berücksichtigt werden nur Provisionen
Für die Ausgleichsberechnung werden nur Provisionen berücksichtigt. Sonstige Vergütungen wie z. B. Zuschüsse oder der Ersatz von Aufwendungen werden nach der Ziffer 4 der „Grundsätze Sach“ nicht berücksichtigt.
Konkret heißt es: „Zuschüsse und sonstige zusätzliche Vergütungen des Versicherungsunternehmens (wie z. B. Bürozuschüsse, Ersatz von Porti, Telefon- und Reklameaufwendungen) werden bei der Errechnung des Ausgleichswertes nicht berücksichtigt“.
2. Abschlussprovisionen bleiben unberücksichtigt
Gemäß der Ziffer I 1b) aa) der „Grundsätze Sach“ werden Abschlussprovisionen (AP), die nur einmal bei Beginn des Versicherungsvertrags bezahlt werden, für die Ausgleichsberechnung nicht berücksichtigt, da der Handelsvertreter künftig nach Beendigung seines Agenturvertrags insoweit keinen Verlust erleidet (da die erstjährigen APs bereits bezahlt worden sind).
Konkret heißt es: „Bei der Berechnung sind nicht zu berücksichtigen: Abschlussprovisionen (= erstjährige Provisionen abzüglich der Inkassoprovisionen) ausgenommen die Abschlussprovisionen für Versicherungen mit gleichbleibenden laufenden Provisionen“.
Wichtig I Laufende Provisionen werden bei der Ausgleichsberechnung somit in vollem Umfang berücksichtigt. Da sie fortlaufend bezahlt werden, entsteht dem Versicherungsvertreter nach Beendigung seines Agenturvertrags durch den Wegfall dieser künftigen laufenden Provisionen ein Verlust.
3. Reduzierung der Provisionen für die Ausgleichsberechnung unzulässig
Ein Versicherer in Stuttgart hat bei der Umstellung des Provisionssystems zum 01.01.2009 von AP und Bestandspflegeprovision (BP) auf laufende Provisionen vertraglich unter der Überschrift „Sonderregelung Ausgleichsanspruch“ geregelt, dass für die Berechnung des Ausgleichsanspruchs nicht der höhere Provisionssatz der laufenden Provisionen, sondern der niedrigere Provisionssatz der früheren BP gelten soll. Für die Ausgleichsberechnungen wurden deshalb nicht die tatsächlich bezahlten laufenden Provisionen, sondern eine um ca. 50 Prozent gekürzte fiktive BP zugrunde gelegt.
Hintergrund | Nach der Rechtsprechung des BGH gilt: Für die Ausgleichsberechnung können nur die tatsächlich bezahlten Provisionen und nicht fiktiv gekürzte Provision zugrunde gelegt werden. Eine vertragliche Regelung, deren Zweck und Wirkung ausschließlich darauf abzielt, den Ausgleichsanspruch vor Beendigung des Vertragsverhältnisses zu reduzieren, ist gemäß §§ 89b Abs. 4 HGB, 134 BGB, 307 Abs. 1 BGB unwirksam (BGH, Urteil vom 29.09.2002, Az. VIII ZR 253/99, Abruf-Nr. 021741). Bei einer unwirksamen vertraglichen Regelung können die „Grundsätze“ als Grundlage für die richterliche Schätzung eines Mindestausgleichs herangezogen werden, sodass für die Ausgleichsberechnung die tatsächlich abgerechneten und bezahlten Provisionen zugrunde zu legen sind (BGH, Urteil vom 23.11.2011, Az. VIII ZR 203/10, Abruf-Nr. 120027).
Vor dem Hintergrund hat das LG Stuttgart deshalb diese Klausel für unwirksam erklärt. Auch das OLG Stuttgart hat darauf hingewiesen, dass die „Sonderregelung Ausgleichsanspruch“ unwirksam ist (OLG Stuttgart, Az. 4 U 82/16 – Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16.10.2016).
Schritt 2: Ermittlung des Anteils an Neuverträgen
In einem zweiten Schritt werden aus den gesamten Provisionen die Provisionen aus den vom Vertreter nicht selbst aufgebauten, sondern ihm übertragenen Beständen nach den „Grundsätzen Sach“ herausgerechnet: „Zunächst ist die nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre der Tätigkeit des Vertreters oder – bei kürzerer Vertragsdauer – nach dem Durchschnitt der gesamten Dauer der Tätigkeit des Vertreters zu berechnende Bruttojahresprovision des vom Vertreter aufgebauten Versicherungsbestandes festzustellen“.
Sofern übertragene Bestände nach bestimmten Zeitabläufen nicht abgewandert sind, werden sie den Neuverträgen ganz oder zum Teil gemäß der nachstehenden Ziffer I, 2 der „Grundsätze Sach“ gleichgestellt, und zwar wie folgt.
- Provisionen aus übertragenen Beständen in einem Umfang von 33 1/3 Pro-zent, wenn die Bestandsübertragung vor mehr als zehn Jahren erfolgt ist.Übertragungenwerden gestaffeltberücksichtigt
- Provisionen in einem Umfang von 66 2/3 Prozent, wenn die Bestandsüber-tragung vor mehr als 15 Jahren war.
- Provisionen in vollem Umfang, wenn die Bestandsübertragung vor mehrals 20 Jahren erfolgt ist bzw. im Kfz-Bereich vor mehr als zehn Jahren.
Mit dieser Regelung wird bezweckt, dass durch die gute Bestandspflegeleistung des Versicherungsvertreters Versicherungskunden davon abgehalten werden, Versicherungsverträge zu beenden oder zu einem anderen Versicherer zu wechseln. In der Fortsetzung bestehender Versicherungsverträge ist auch ein werbender Anteil der Tätigkeit des Vertreters für den Erhalt des Vertrags enthalten. Die Bemühung eines Vertreters, einen Versicherungsvertrag über einen langen Zeitraum aufrechtzuerhalten, werden somit bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs nach den Grundsätzen Sach der Werbung eines neuen Versicherungsvertrags ganz oder teilweise gleichgestellt.
1. Keine Berechnung nach der Bruttodifferenzmethode
Über viele Jahre haben praktisch alle Versicherer die Ausgleichsansprüche ihrer Vertreter nach der „Bruttodifferenzmethode“ berechnet. Nach dieser Berechnung wurden von den Durchschnittsprovisionen der letzten fünf Jahre die Provisionen aus Bestandsübertragungen im Umfang des Datums der Bestandsübertragung (und nicht für die in dem Berechnungszeitraum der letzten fünf Jahre noch vorhandenen Verträge!) abgezogen.
Wichtig | Diese Berechnung ist deshalb falsch, da übertragene Bestände im Lauf der Zeit abwandern und nicht dem Umfang der Übertragung über viele Jahre erhalten bleiben. Nur die in dem Berechnungszeitraum der letzten fünf Jahre noch vorhandenen Altverträge können sich ausgleichsmindernd auswirken. Zwischenzeitlich gehen alle einschlägigen Kommentare von der Unrichtigkeit einer Ausgleichsberechnung nach der Bruttodifferenzmethode aus, wobei dies in den letzten Jahren in zahlreichen obergerichtlichen Urteilen bestätigt wurde.
Rechtsprechung zur Darlegungs- und Beweislast schafft Erleichterungen Praxistipp |
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2. Abgrenzung Alt-/Neuverträge bei Erweiterung bestehender Versicherungen
Einige Versicherer erkennen veränderte Versicherungsverträge nicht als Neuverträge an, obwohl diese ausgleichsrechtlich als Neuverträge zu bewerten sind.
Als Neuverträge sind für die Ausgleichsberechnung Versicherungsverträge zu werten, bei denen (selbst bei gleichbleibender Versicherungsnummer)
- ein neuer Versicherungsnehmer eingetreten ist (z. B. Eintritt des neuen Inhabers bei Übernahme einer Firma);
- das versicherte Objekt geändert wurde (z. B. Folge-Fahrzeug bei Kfz-Versicherung; OLG Hamm, Urteil vom 31.05.2012, Az. 18 U 148/05, Abruf-Nr. 190573);
- die versicherten Risiken erweitert wurden, z. B. gebündelte Versicherungen, bei denen zu bestehenden Versicherungsverträgen weitere neue Risiken in einem neuen Tarif zusätzlich mitversichert werden (OLG Stuttgart, Beschluss vom 17.06.2015, Az. 3 U 197/14, Ziff. 3, Abruf-Nr. 247906).
Schritt 3: Ermittlung des Unternehmervorteils
Im dritten Berechnungsschritt wird der Vorteil des Versicherers pauschal mit prozentualen Faktoren für die erwartete Bestandsfestigkeit der bestehenden Versicherungsverträge nach Sparten gemäß der „Grundsätze Sach“ ermittelt.
Prozentsätze nach Sparten | |
| 50 Prozent |
| 35 Prozent |
| 25 Prozent |
| 25 Prozent |
Umstellung des Provisionssystems auf laufende Provisionen
Einige Versicherer haben in den letzten Jahren mit der Umstellung ihres Provisionssystems von AP und BP auf laufende Provisionen vertragliche Regelungen in die Vertreterverträge aufgenommen. Danach sollen für die Ausgleichsberechnung nach den „Grundsätzen Sach“ bei laufenden Provisionen stark reduzierte (zum Teil über 50 Prozent reduzierte) Faktoren angesetzt werden, um den Ausgleichsanspruch der Vertreter erheblich zu verringern.
Wichtig | Auch diese vertraglichen Einschränkungen des Ausgleichsanspruchs müssen – genauso wie der Ansatz reduzierter fiktiver Provisionssätze für die Ausgleichsberechnung – wegen Verstoßes gegen §§ 89b Abs. 4 HGB, 134 BGB und 307 BGB in mehrfacher Hinsicht als unwirksam angesehen werden:
- Die „Grundsätze Sach“ als ausgewogenes Regelungswerk können nur vollständig angewandt werden. Eine teilweise Abbedingung der Grundsätze ist somit grundsätzlich nicht zulässig (OLG München, Urteil vom 21.12.2005, Az. 7 U 2941/05, Abruf-Nr. 062246). Vertragsklauseln, die ausschließlich eine Auswirkung auf die Berechnung des Ausgleichsanspruchs haben, sind unzulässig (BGH, Urteil vom 25.09.2002, Az. VIII ZR 253/99, Abruf-Nr. 021741).
- Die laufenden Provisionen müssen nach den „Grundsätzen Sach“ in vollem Umfang für die Ausgleichsberechnung berücksichtigt werden. Diese Regelung der „Grundsätze Sach“ ist auch sachgerecht. Denn dem Versicherungsvertreter entstehen nach Beendigung seines Agenturvertrags durch den Wegfall dieser laufenden Provisionen Verluste, die ausgeglichen werden sollen. Ein nachvollziehbarer Grund, die Ausgleichsberechnung bei Zahlung einer laufenden Provision zu reduzieren, ist nicht ersichtlich. Bei Zahlung einer laufenden Provision entfällt die Zahlung einer erstjährigen AP. Dafür wird eine – bezogen auf die bisherige BP – höhere laufende Provision bezahlt. Die Versicherer versprechen sich bei Zahlung von laufenden Provisionen eine höhere Qualität bei der Vermittlung von Versicherungsverträgen. Die Zahlung einer höheren laufenden Provision soll dem Versicherer gewährleisten, dass nur Versicherungsverträge mit einer positiven künftigen Prognose vermittelt werden und der Versicherungskunde dauerhaft gut betreut wird, um den Versicherungsvertrag möglichst lange im Bestand zu erhalten.Laufende Provisionen sind in vollem Umfang zu berücksichtigen
Aufgrund der unwirksamen Regelung über die Verwendung reduzierter Faktoren bei der Ausgleichsberechnung können die „Grundsätze Sach“ wieder ungekürzt als Grundlage für die richterliche Schätzung eines Mindestausgleichs herangezogen werden (BGH, Urteil vom 23.11.2011, Az. VIII ZR 203/10, Abruf-Nr. 120027). Der Ausgleich kann in diesem Fall wieder nach den unveränderten „Grundsätzen Sach“ berechnet werden.
Praxistipp | Hinsichtlich der einschränkenden vertraglichen Regelung wird derzeit versucht, eine Grundsatzentscheidung des BGH über die Unwirksamkeit dieser Regelung herbeizuführen. VVP hält Sie dazu auf dem Laufenden. |
- Teil 2 der Serie erläutert die Berechnungsschritte 4 und 5 bei der Ausgleichsberechnung nach den „Grundsätzen Sach“ → Abruf-Nr. 50489940
AUSGABE: VVP 9/2025, S. 7 · ID: 50402891