Sie sind auf dem neuesten Stand
Sie haben die Ausgabe Juni 2023 abgeschlossen.
Bilanz Rückstellungen (Teil 1): Grundlagen, steuerlicher Rahmen, Bildung, Auflösung sowie Vorteile
| Viele Vermittler stehen vor Bilanzierungsfragen. Sind Rückstellungen zu bilden? Wofür? In welcher Höhe? Und worin besteht eigentlich der Vorteil? VVP nimmt das zum Anlass, die wichtigsten Rückstellungen für Vermittler in einer Serie grundlegend zu analysieren und praxisgerecht mit Berechnungsbeispielen aufzubereiten. In diesem ersten Teil geht es um die Frage, worin der Vorteil von Rückstellungen besteht und wie diese zu bilden und aufzulösen sind. |
Grundlagen für Rückstellungen
Mit Ablauf eines Geschäftsjahrs ist der Jahresabschluss und damit die Bilanz nebst Gewinn- und Verlustrechnung zu fertigen. Dabei ist der Gewinn zu ermitteln, der auf das abgelaufene Geschäftsjahr entfällt. Auf den tatsächlichen Zeitpunkt der Zahlung kommt es gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 5 HGB anders als bei einer Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung nicht an. Zudem sind nach § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB alle vorhersehbaren Risiken und Verluste, die bis zum Abschlussstichtag entstanden sind, zu berücksichtigen. Deshalb muss jeder Vermittler diese Risiken durch die Bildung von Rückstellungen in der Bilanz abbilden. Bei einer Rückstellung handelt es sich also um einen passiven Bilanzposten, der das Kapital des Vermittlers wie eine laufende Ausgabe mindert. Wird eine Rückstellung gebildet, reduziert sich daher auch der ausgewiesene Gewinn; die Steuerbelastung sinkt.
Wichtig | Durch Rückstellungen werden künftig erwartete Ausgaben einem bereits abgelaufenen Wirtschaftsjahr gewinnmindernd zugeordnet. Sie belasten also das Jahr, in dem die Zahlungspflicht dem Grunde nach entstanden ist. Auf den genauen Zahlungszeitpunkt kommt es nicht an.
Rückstellungen in der Handels- und Steuerbilanz
Der Ansatz von Rückstellungen richtet sich handelsrechtlich nach § 249 Abs. 1 HGB und die Bewertung der Rückstellung (die konkrete Höhe) nach § 253 Abs. 1 S. 2 HGB. Danach sind Rückstellungen nur in Höhe des Betrags anzusetzen, der nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung für die Erfüllung der erwarteten Verpflichtung notwendig ist. Deren Bildung ist deshalb kein Freifahrtschein zur Gewinnreduzierung, sondern an konkrete Regelungen und Grenzen gebunden. Nur tatsächlich erwartete Risiken sind abzubilden – keine fiktiven. Zudem kann eine Rückstellung nur gebildet werden, wenn auch eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme besteht.
Für Zwecke der Besteuerung ist grundsätzlich die Handelsbilanz maßgeblich (§ 5 Abs. 1 EStG). Die handelsrechtlichen Grundsätze zur Bildung von Rückstellungen haben damit unmittelbare Bedeutung für das Steuerrecht. Allerdings gibt es bei vielen Rückstellungen steuerliche Besonderheiten zu beachten. Insbesondere § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG enthält für Rückstellungen Bewertungsbesonderheiten. Z. B. sind bei der Bewertung der Rückstellung alleine die Wertverhältnisse am Bilanzstichtag maßgebend (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. f EStG). Künftige Preis- und Kostensteigerungen dürfen damit nicht berücksichtigt werden – obwohl diese innerhalb der Handelsbilanz als fixes Risiko sehr wohl einzubeziehen sind.
Beispiel 1 |
So werden Urlaubsrückstellungen angesetzt Ein Versicherungsvermittler möchte für zum 31.12. noch nicht genommene Urlaubstage seiner Mitarbeiter eine Rückstellung bilden. Am 15.01. des Folgejahrs hat er seinen Mitarbeitern eine Lohnerhöhung von zehn Prozent zugesagt. Lösung: Handelsrechtlich ist für die Höhe der Rückstellung die Lohnerhöhung zu berücksichtigen. Für steuerliche Zwecke muss die Rückstellung auf Basis der Lohnaufwendungen bemessen werden, die am 31.12. galten. |
Bildung und Auflösung von Rückstellungen
Soll eine Rückstellung gebildet werden, so geschieht das durch Einstellung eines passiven Bilanzpostens. Der Gewinn mindert sich, weil durch die Rückstellung Aufwand generiert wird. Effektiv kommt es jedoch lediglich zu einer Verschiebung des Gewinns. Denn wenn in späteren Jahren der Aufwand, für den die Rückstellung gebildet wurde, bezahlt wird, mindert diese Ausgabe nicht mehr den Gewinn, weil in entsprechender Höhe die Rückstellung aufzulösen ist. Der Grund für die bisherige Bildung ist infolge der Zahlung entfallen.
Beispiel 2 |
Bei Bezahlung ist Rückstellung gewinnneutral aufzulösen Ein Vermittler hat für 2022 erstmals eine Rückstellung in Höhe von 50.000 Euro ermittelt. Diese passiviert er in seiner Bilanz. Im Jahr 2024 leistet er die Zahlung in Höhe von 50.000 Euro und löst die Rückstellung entsprechend auf. Lösung: Ohne Bildung einer Rückstellung würde sich der Gewinn des Jahres 2024 infolge der Zahlung um 50.000 Euro mindern (Buchung: Aufwandskonto 50.000 Euro an Bank 50.000 Euro). Durch die Bildung der Rückstellung hat sich jedoch bereits der Gewinn des Jahres 2022 um 50.000 Euro gemindert (Buchung: Aufwandskonto 50.000 Euro an Rückstellung 50.000 Euro). Im Jahr 2024 ergibt sich bei der Zahlung kein erneuter Aufwand, da die Rückstellung insoweit aufzulösen ist (Buchung: Rückstellung 50.000 Euro an Bank 50.000 Euro). |
Da die Rückstellung nur in den seltensten Fällen exakt in der Höhe der später tatsächlich anfallenden Ausgabe gebildet wird, können sich jedoch im Jahr der Bezahlung geringfügige Gewinnauswirkungen ergeben. Das ist immer der Fall, wenn die Zahlung höher oder niedriger als die Rückstellung ausfällt:
Beispiel 3 |
So wirken sich Auflösungen auf den Gewinn aus Wie Beispiel 2. Allerdings beläuft sich die Zahlung im Jahr 2024 auf: Variante a) 48.000 Euro bzw. Variante b) 55.000 Euro Lösung: Durch die Bildung der Rückstellung im Jahr 2022 reduziert sich der Gewinn für 2022 um 50.000 Euro. Die tatsächliche Höhe der späteren Zahlung spielt für 2022 keine Rolle.
|
So profitieren Sie von Rückstellungen
Die Bildung von Rückstellungen ist nicht in jedem Fall einfach, aber langfristig lohnt sich dieser (verpflichtende) Arbeitsaufwand. Zunächst einmal ist zu beachten, dass sich die Rückstellungen von Jahr zu Jahr nach einem immer gleichbleibenden Schema ermitteln. Wenn Sie sich also z. B. konkret mit der Ermittlung einer Urlaubsrückstellung beschäftigt haben, können Sie die Rückstellung auch in den Folgejahren nach diesem Schema ermitteln. Es lohnt sich also, für die Berechnungen Excel-Arbeitsblätter und Vorlagen anzulegen.
Der zweite Vorteil ist finanzieller Natur. Da Rückstellungen passive Bilanzposten darstellen, mindern diese bei der Bildung Ihren Gewinn – sofort und in voller Höhe. Sie sparen also Steuern, und das ohne eine Zahlung leisten zu müssen. Natürlich ist diese Gewinnminderung nur von kurzer Dauer, weil Sie ja – wie oben dargestellt – bei erfolgter Zahlung die Rückstellung gewinnneutral auflösen müssen. Aber Sie gewinnen dadurch einerseits kurzfristig zinslose Liquidität, die Sie anderweitig zinsbringend anlegen bzw. investieren können. Zudem ist nicht zu verkennen, dass infolge der hohen Inflation der effektive Wert der später zu leistenden Zahlung ein anderer ist als heute:
Beispiel 4 |
Ein Versicherungsvermittler (Steuersatz 35 Prozent) bildet 2023 eine Rückstellung von 30.000 Euro, die er aufgrund einer Zahlung im Jahr 2028 auflösen muss. Lösung: Durch den Aufwand von 30.000 Euro ergibt sich eine steuerliche Ersparnis von 10.500 Euro (35 Prozent). Diese würde der Vermittler eigentlich erst in fünf Jahren mit der Zahlung erhalten, aber durch die Bildung der Rückstellung erhält er sie bereits gleich. Das bedeutet, dass er die 10.500 Euro fünf Jahre lang zinslos verwenden kann. Dadurch generiert er sowohl Zins- als auch Inflationsgewinne. |
- In den weiteren Teilen der Serie widmet sich VVP den einzelnen Rückstellungsarten, z. B. für Vertragsnachbetreuung, Storno, Urlaub, Aufbewahrung etc.
AUSGABE: VVP 6/2023, S. 12 · ID: 49329201