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ProvisionsanspruchDas Recht auf Bucheinsicht von A bis Z und die neuere Rechtsprechung im Überblick

Top-BeitragAbo-Inhalt20.04.20234392 Min. LesedauerVon Rechtsanwalt Mathias Effenberger, Anwaltskanzlei Küstner, v. Manteuffel Partnerschaft mbB, Göttingen

| Das Recht auf Bucheinsicht ist das am weitesten gehende Provisionskontrollrecht des Vertreters. In den letzten Jahren sind einige Entscheidungen ergangen, die sich mit den Voraussetzungen und Folgen des Bucheinsichtsrechts befassen. Der folgende Beitrag ordnet diese Entscheidungen systematisch ein. |

Das Recht auf Bucheinsicht

In der Stufenfolge der Absätze 1 bis 4 des § 87c HGB stellt die Bucheinsicht das am weitesten gehende Provisionskontrollrecht dar: Dem Handelsvertreter wird unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht, direkt Einsicht in die Geschäftsbücher des Unternehmers zu nehmen bzw. durch einen Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchsachverständigen nehmen zu lassen. So kann er sich Gewissheit verschaffen, ob das, was in erteilten Provisionsabrechnungen und einem Buchauszug an Verprovisionierungsgrundlagen enthalten ist, zumindest nach den Geschäftsbüchern des Unternehmers richtig und vollständig ist (OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.04.2022, Az. 26 Sch 1/22, Abruf-Nr. 234490; OLG Hamm, Urteil vom 10.11.2022, Az. I-18 U 138/18, Abruf-Nr. 234491).

Das Bucheinsichtsrecht des § 87c Abs. 4 HGB ist gesetzlich zwingend, kann also vertraglich weder ausgeschlossen noch beschränkt werden (§ 87c Abs. 5 HGB). Es steht Waren- und Dienstleistungshandelsvertretern ebenso zu wie Versicherungs- und Bausparkassenvertretern (§ 92 Abs. 2 HGB). Auch Arbeitnehmer haben prinzipiell Anspruch auf Bucheinsicht, wenn und soweit sie für ihre Tätigkeit Provisionen erhalten (§ 65 HGB). Für Versicherungsmakler gilt § 84c Abs. 4 HGB hingegen nicht.

Der Anspruch richtet sich – wie alle anderen Provisionskontrollrechte – stets nur gegen den unmittelbaren Partner des Vermittlervertrags, im Falle echter Haupt- und Untervertretervertragsverhältnisse also gegen den Hauptvertreter, nicht gegen die vertretenen Unternehmen/Produktpartner, mit denen kein direktes Vertragsverhältnis besteht (LG Hamburg, Urteil vom 07.04.2021, Az. 401 HKO 23/16, Abruf-Nr. 234492 zum Handelsvertreter eines Versicherungsmaklers).

Tatbestandsvoraussetzungen für Anspruch auf Bucheinsicht

Anders als im Rahmen des Buchauszugsrechts genügt es nicht, dass der Handelsvertreter einen Anspruch auf Bucheinsicht geltend macht. Es müssen vielmehr bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Recht des Handelsvertreters auf Einsicht in die Bücher entsteht.

Bucheinsicht kann nur verlangt werden, wenn

  • der Buchauszug verweigert wird oder
  • begründete Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit
    • der Abrechnung oder
    • des Buchauszugs bestehen.

Nach dem Wortlaut der Norm genügen bereits begründete Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit einer Provisionsabrechnung, um das Bucheinsichtsrecht auszulösen. Der Vertreter muss in einem solchen Fall keinen Buchauszug verlangen, sondern kann sogleich zur Bucheinsicht übergehen. Gleichwohl dürfte der praktisch häufigste Fall die vorherige Geltendmachung eines Buchauszugsanspruchs sein, da der Buchauszugsanspruch mehrere Vorteile hat, zu denen unter anderem die konzentrierte Darstellung der Verprovisionierungsgrundlagen über einen längeren Zeitraum gehört. Diese Darstellung ist vom Unternehmer auf seine Kosten zu leisten, während die Kosten der Bucheinsicht zunächst einmal der Handelsvertreter zu tragen hat.

Begründete Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit

Nach ständiger Rechtsprechung genügen begründete Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Abrechnung bzw. des Buchauszugs in nur einer Position, um das Bucheinsichtsrecht auszulösen. Die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit muss dabei nicht feststehen – sie soll ja gerade mit Hilfe der Einsicht überprüft werden –, die begründeten Zweifel müssen aber objektivierbar und nicht vollkommen unerheblich sein. Das bedeutet, dass die Zweifel für einen Dritten objektiv nachvollziehbar sein müssen; nur subjektive Zweifel des Vertreters genügen nicht (LAG Düsseldorf, Urteil vom 09.06.2020, Az. 3 Sa 114/20, Abruf-Nr. 221063; OLG Frankfurt, Urteil vom 25.09.2014, Az. 16 U 124/13, Abruf-Nr. 234493; OLG Hamm, Urteil vom 10.11.2022, Az. I-18 U 138/18, Abruf-Nr. 234491; OLG Karlsruhe, Urteil vom 16.06.2021, Az. 15 U 12/20, Abruf-Nr. 234488; OLG München, Urteil vom 10.03.2021, Az. 7 U 1711/19, Abruf-Nr. 234494; LG Hamburg, Urteil vom 07.04.2021, Az. 401 HKO 23/16, Abruf-Nr. 234492). Auf ein Verschulden des Unternehmers kommt es dabei nicht an (LAG Düsseldorf, Urteil vom 09.06.2020, Az. 3 Sa 114/20, Abruf-Nr. 221063).

Begründete Zweifel können sich beispielsweise daraus ergeben, dass

  • ein Buchauszug unter Berufung auf eine unwirksame Verjährungsabkürzungsregelung nur für einen bestimmten Zeitraum erteilt wird, für einen weiter zurück-, aber noch innerhalb der gesetzlichen Verjährung liegenden Zeitraum jedoch nicht (LG Hamburg, Urteil vom 07.04.2021, Az. 401 HKO 23/16, Abruf-Nr. 234492),
  • inhaltliche Abweichungen zwischen mehreren Versionen erteilter Buchauszüge festzustellen sind (OLG Hamm, Urteil vom 10.11.2022, Az. I-18 U 138/18, Abruf-Nr. 234491),
  • bestimmte, nach Auslegung des Handelsvertretervertrags provisionsrelevante Daten (OLG Frankfurt, Urteil vom 25.09.2014, Az. 16 U 124/13, Abruf-Nr. 234493; OLG Karlsruhe, Urteil vom 16.06.2021, Az. 15 U 12/20, Abruf-Nr. 234488) oder möglicherweise provisionspflichtige Verträge (OLG München, Urteil vom 10.03.2021, Az. 7 U 1711/19, Abruf-Nr. 234494) bzw. Kundenbeziehungen (LAG Düsseldorf, Urteil vom 09.06.2020, Az. 3 Sa 114/20, Abruf-Nr. 221063) im Buchauszug fehlen,
  • hinsichtlich einzelner, im Buchauszug abgebildeter Verträge Angaben zu Rechnungen fehlen, obwohl die Entgeltlichkeit der Leistungen zumindest erwartbar erscheint und das Unternehmen nach den gesetzlichen Maßgaben zur Rechnungsstellung verpflichtet wäre (OLG München, Urteil vom 10.03.2021, Az. 7 U 1711/19, Abruf-Nr. 234494),
  • der Buchauszug mit schwarzer Schrift auf dunkelgrauem Grund erteilt wird (LG Hamburg, Urteil vom 07.04.2021, Az. 401 HKO 23/16, Abruf-Nr. 234492).

Begründete Zweifel ergeben sich hingegen nicht daraus, dass

  • der Unternehmer an sich mehrere überarbeitete Buchauszugsversionen zur Verfügung gestellt hat (OLG Hamm, Urteil vom 10.11.2022, Az. I-18 U 138/18, Abruf-Nr. 234491: auf deren Inhalte kommt es an),
  • Angaben zwar unplausibel wirken mögen, aber schon aus zeitlichen Gründen keine Provisionsrelevanz haben (OLG Hamm, Urteil vom 10.11.2022, Az. I-18 U 138/18, Abruf-Nr. 234491),
  • provisionsrelevante Angaben zwar im Buchauszug fehlen, aber auch in den Büchern des Unternehmers nicht mehr vorhanden sind (OLG Karlsruhe, Urteil vom 16.06.2021, Az. 15 U 12/20, Abruf-Nr. 234488; auch OLG Hamm, Urteil vom 10.11.2022, Az. I-18 U 138/18, Abruf-Nr. 234491 zu unbekannten Angaben), oder
  • im Buchauszug nicht geschuldete Angaben zu Provisionssätzen fehlen (OLG Karlsruhe, Urteil vom 16.06.2021, Az.15 U 12/20, Abruf-Nr. 234488).

Je nach Art und Bezugspunkt der Zweifel können sich diese auf den gesamten Buchauszug erstrecken (vgl. etwa LAG Düsseldorf im Urteil vom 09.06.2020, Az. 3 Sa 114/20, Abruf-Nr. 221063; OLG Karlsruhe, Urteil vom 16.06.2021, Az. 15 U 12/20, Abruf-Nr. 234488; LG Hamburg, Urteil vom 07.04.2021, Az. 401 HKO 23/16, Abruf-Nr. 234492) oder nur einzelne Teile bzw. Fehlstellen betreffen (vgl. OLG München, Urteil vom 10.03.2021, Az. 7 U 1711/19, Abruf-Nr. 234494).

Nachträgliche Korrekturen an Buchauszug

Nachträgliche Korrekturen, etwa die Ergänzung fehlender Zeiträume oder eine drucktechnisch bessere Darstellung, vermögen nicht, die einmal geweckten Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit wieder zu beseitigen: Das Recht auf Bucheinsicht entsteht in dem Moment, in dem der Buchauszug verweigert wird oder begründete Zweifel hervorruft.

Es kann den Unternehmer grundsätzlich nicht entlasten, wenn er einen neuen Buchauszug vorlegt und meint, nunmehr sei der Anspruch auf Bucheinsicht nicht mehr gerechtfertigt. Dies würde es dem Unternehmer ermöglichen, stets beschränkte bzw. unzumutbare Buchauszüge vorzulegen und abhängig vom Verlauf eines Verfahrens seine Buchauszüge ggf. zu erweitern (LG Hamburg, Urteil vom 07.04.2021, Az. 401 HKO 23/16, Abruf-Nr. 234492; offen gelassen vom LAG Düsseldorf im Urteil vom 09.06.2020, Az. 3 Sa 114/20, Abruf-Nr. 221063, vom OLG Karlsruhe im Urteil vom 16.06.2021, Az. 15 U 12/20, Abruf-Nr. 234488 und vom OLG München im Urteil vom 10.03.2021, Az. 7 U 1711/19, Abruf-Nr. 234494; tendenziell anders OLG Hamm, Urteil vom 10.11.2022, Az. I-18 U 138/18, Abruf-Nr. 234491 bei plausiblen Erklärungen für die Fehlerhaftigkeit älterer Buchauszüge, bei Flüchtigkeitsfehlern oder nebensächlichen Unrichtigkeiten/Unklarheiten).

Inhalt und Umfang der Bucheinsicht

Der Gesetzeswortlaut verschafft dem eigentlichen Inhalt und Umfang des Bucheinsichtsrechts nur wenige Konturen.

Details zur Bucheinsicht

Einsichtsberechtigte Personen – Wahlrecht des Unternehmers

  • Am deutlichsten ist noch geregelt, wem die Einsicht zustehen soll,
    • entweder dem Handelsvertreter oder
    • einem von ihm beauftragten Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchsachverständigen.
  • Die Wahl zwischen beiden Alternativen steht dem Unternehmer zu. Das Wahlrecht dient allerdings nur dazu, den Handelsvertreter persönlich ggf. von einer Bucheinsicht auszuschließen, etwa im Hinblick auf eine ausgeübte Wettbewerbstätigkeit (vgl. LAG Düsseldorf im Urteil vom 09.06.2020, Az. 3 Sa 114/20, Abruf-Nr. 221063; OLG Stuttgart, Beschluss vom 31.07.2019, Az. 5 W 23/19, Abruf-Nr. 234495: Verschwiegenheitspflicht des Wirtschaftsprüfers über zur Kenntnis gelangte, für Provisionsansprüche des Handelsvertreters irrelevante Informationen gegenüber dem Handelsvertreter). Der Handelsvertreter ist daher nicht gehindert, im Falle einer Wahl seiner Person einen Wirtschaftsprüfer als Hilfsperson hinzuziehen. Dies wird in aller Regel auch für erforderlich gehalten und entsprechend von den Gerichten gebilligt.
  • Der Titel „vereidigter Buchsachverständiger“ wird nicht mehr neu vergeben, er ist im Berufsbild des Wirtschaftsprüfers aufgegangen. Klageanträge können sich daher auf die Nennung des Wirtschaftsprüfers beschränken.
  • Der Unternehmer ist nicht verpflichtet, das Wahlrecht auszuüben, kann dazu also auch nicht verurteilt werden. Der Handelsvertreter kann im Fall der Nichtausübung nach § 264 BGB vorgehen. Das bedeutet grundsätzlich, dass das Wahlrecht nach Ablauf einer gesetzten Frist auf ihn übergeht. (OLG Hamm, Urteil vom 10.11.2022, Az. I-18 U 138/18, Abruf-Nr. 234491).

Gegenstand der Einsicht

  • Gegenstand des Einsichtsrechts sind grundsätzlich sämtliche Geschäftsbücher und Unterlagen des Unternehmers. Dazu gehören die gesamten, auch elektronisch geführten Geschäftsunterlagen einschließlich der technischen Hilfsmittel, die genutzt werden, um geschäftliche Vorgänge zu dokumentieren und festzuhalten, also insbesondere Computer- und EDV-Systeme (LAG Düsseldorf, Urteil vom 09.06.2020, Az. 3 Sa 114/20, Abruf-Nr. 221063; OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.04.2022, Az. 26 Sch 1/22, Abruf-Nr. 234490; OLG Hamm, Urteil vom 10.11.2022, Az. I-18 U 138/18, Abruf-Nr. 234491; OLG Karlsruhe, Urteil vom 16.06.2021, Az. 15 U 12/20, Abruf-Nr. 234488; OLG Stuttgart, Beschluss vom 31.07.2019, Az. 5 W 23/19, Abruf-Nr. 234495, LG Hamburg, Urteil vom 07.04.2021, Az. 401 HKO 23/16, Abruf-Nr. 234492).
  • Der Anspruch beschränkt sich jedoch nur auf das, was in den Büchern des Unternehmers steht. Er erstreckt sich nicht auf etwas, was dort hätte stehen müssen oder möglicherweise von Dritten zu beschaffen wäre (OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.04.2022, Az. 26 Sch 1/22, Abruf-Nr. 234490; LG Hamburg, Urteil vom 07.04.2021, Az. 401 HKO 23/16, Abruf-Nr. 234492).

Ort der Einsicht

  • Die Einsicht hat grds. im Geschäftslokal des Unternehmers zu erfolgen, ohne dass die Überlassung zur Einsichtnahme an einem anderen Ort verlangt werden kann. Ausgehend hiervon ist der Unternehmer auch befugt, die Unterlagen für die Bucheinsicht zusammenzuführen und an einem Ort innerhalb seiner Geschäftsräume zu konzentrieren. Die Unterlagen bleiben in seiner Verfügungsbefugnis, daher steht ihm auch ein Bestimmungsrecht über deren Aufbewahrungsort zu. Er muss nur den ungehinderten Zugang zu den von der Bucheinsicht erfassten relevanten Unterlagen sicherstellen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 31.07.2019, Az. 5 W 23/19, Abruf-Nr. 234495).
  • Für das OLG Hamm (Urteil vom 10.11.2022, Az. I-18 U 138/18, Abruf-Nr. 234491) folgt daraus, dass der Unternehmer die Unterlagen auch an einem anderen gut zugänglichen Ort bereithalten kann; entsprechend sei ein Anspruch auf Zutritt zum Geschäftslokal nicht Bestandteil des Einsichtsgewährungsanspruchs.

Zutrittsgewährungs- und Duldungspflicht des Unternehmers

  • Der Unternehmer ist nach § 87c Abs. 4 HGB im Kern „nur“ dazu verpflichtet, dem Einsichtnehmenden den Zutritt zu sämtlichen Räumen zu gestatten, in denen sich für das Einsichtsrecht bedeutsame Unterlagen befinden können, sowie die Einsicht in die Unterlagen zu dulden (OLG Stuttgart, Beschluss vom 31.07.2019, Az. 5 W 23/19, Abruf-Nr. 234495; nach OLG Hamm, Urteil vom 10.11.2022, Az. I-18 U 138/18, Abruf-Nr. 234491 stehen Handlungspflichten des Unternehmers im Zentrum und die Duldungspflicht ist nur untergeordnet).

Zutrittsgewährungs- und Duldungspflicht des Unternehmers

  • Das Einsichtsrecht umfasst bei unvollständigen Büchern grundsätzlich auch die Befugnis zur Suche nach fehlenden Unterlagen. Ein solches Recht zur Nachschau ist jedoch nur anzuerkennen, wenn es konkrete Hinweise dafür gibt, dass der Unternehmer nicht alle verlangten Unterlagen vorlegt, sondern relevante Unterlagen in seinem Geschäftslokal oder an einem anderen Ort verbirgt (OLG Stuttgart, Beschluss vom 31.07.2019, Az. 5 W 23/19, Abruf-Nr. 234495).
  • Das Maß des Zugriffs auf Räume des Unternehmens ist verhältnismäßig zu gestalten und fällt intensiver aus, wenn es Anhaltspunkte für das gezielte Beiseiteschaffen von Unterlagen gibt, als wenn nur einzelne Ungenauigkeiten aufgetreten sind. Im zweiten Fall ist es dem Handelsvertreter bzw. einem beauftragten Wirtschaftsprüfer zunächst zumutbar, den Unternehmer um eine Erklärung und Vervollständigung zu bitten, gerade wenn viele Unterlagen eingesehen werden sollen. Auch eine punktuelle Nachschau am Arbeitsplatz zuständiger Sachbearbeiter kann nach der Eingriffsintensität zur Ausräumung aufgetretener Unstimmigkeiten noch zumutbar sein. Ohne konkrete Verdachtsmomente verstößt es aber gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dem Handelsvertreter eine unbeschränkte Suchmöglichkeit im kompletten Unter-lagenbestand des Unternehmers zuzugestehen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 31.07.2019, Az. 5 W 23/19, Abruf-Nr. 234495).

Kontrollzweck und daraus abgeleitete Grenzen der Einsicht

  • Das Bucheinsichtsrecht wird nach dem Gesetzeswortlaut nur so weit gewährt, wie dies zur Feststellung der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Abrechnung oder des Buchauszugs erforderlich ist. Das Informationsinteresse des Vertreters ist folglich nur insoweit geschützt, als die Einsichtnahme für den Zweck notwendig ist, den Provisionsanspruch zu verifizieren. Der Bucheinsicht kommt damit in erster Linie eine Kontrollfunktion zu (OLG Hamm, Urteil vom 10.11.2022, Az. I-18 U 138/18, Abruf-Nr. 234491; OLG Karlsruhe, Urteil vom 16.06.2021, Az. 15 U 12/20, Abruf-Nr. 234488; OLG Stuttgart, Beschluss vom 31.07.2019, Az. 5 W 23/19, Abruf-Nr. 234495).
  • Sie wird durch diese Zwecksetzung begrenzt und bildet demnach keine Grundlage für die Einsichtnahme in alle Geschäftsbücher und sonstigen Unterlagen im Geschäftsbetrieb „schlechthin“, sondern erlaubt nur eine Einsicht zu Provisionskontrollzwecken. In den einzusehenden Geschäftsbüchern oder Unterlagen müssen sich also Anhaltspunkte für die konkret zu treffenden Feststellungen finden können (OLG Hamm, Urteil vom 10.11.2022, Az. I-18 U 138/18, Abruf-Nr. 234491; OLG Stuttgart, Beschluss vom 31.07.2019, Az. 5 W 23/19, Abruf-Nr. 234495).
  • Der auf eine konkrete Handelsvertreterbeziehung begrenzte Kontrollzweck der Bucheinsicht ist nicht mehr gewahrt, wenn der Handelsvertreter auch in nicht vom Auskunftsrecht des Handelsvertreters umfasste Unterlagen ohne jede Kontrolle seitens des Unternehmers Einsicht nehmen will, um auszuschließen, dass sich dort relevante Informationen befinden. Eine solch umfassende „Negativkontrolle“ ist nicht ohne weiteres zulässig (OLG Stuttgart, Beschluss vom 31.07.2019, Az. 5 W 23/19, Abruf-Nr. 234495). Jedenfalls ohne konkrete Anhaltspunkte für ein Verbergen von Unterlagen steht dem Handelsvertreter daher auch kein begleitender Auskunftsanspruch zu Aufbewahrungsorten von Unterlagen zu (OLG Stuttgart, Beschluss vom 31.07.2019, Az. 5 W 23/19, Abruf-Nr. 234495).
  • Der Grundsatz der Erforderlichkeit gebietet darüber hinaus nicht ohne weiteres, dass dem Handelsvertreter oder einem von ihm beauftragten Wirtschaftsprüfer ein eigenständiger Zugriff auf das gesamte EDV-System des Unternehmers gewährt wird, erst recht nicht für eine umfassende „Negativkontrolle“ oder gar mit Administratorrechten versehen. Vielmehr genügt im Regelfall ein begleitender Lese-Zugriff (OLG Stuttgart, Beschluss vom 31.07.2019, Az. 5 W 23/19, Abruf-Nr. 234495).
  • Gleichfalls ermöglicht es die Zwecksetzung des Bucheinsichtsrechts dem Handelsvertreter grundsätzlich nicht, einen neuen, eigenen Buchauszug zu erstellen, sondern lediglich, einen vorhandenen Buchauszug zu überprüfen. Mit Hilfe der Bucheinsicht kann insbesondere keine „Soll-Beschaffenheit“ eines Buchauszuges erstellt werden, die mit der „Ist-Beschaffenheit“ abgeglichen werden soll (OLG Karlsruhe, Urteil vom 16.06.2021, Az. 15 U 12/20, Abruf-Nr. 234488).
  • Wichtig | Dies dürfte anders zu beurteilen sein, wenn die Bucheinsicht darauf gestützt wird, dass ein Buchauszug insgesamt verweigert wird (zu einem solchen Fall vgl. etwa OLG Stuttgart, Urteil vom 19.01.2015, Az. 5 U 18/14, Abruf-Nr. 234496).

Verjährung des Anspruchs auf Bucheinsicht

Der Anspruch auf Bucheinsicht verjährt – wie die anderen Provisionskontrollrechte auch – binnen einer selbstständigen Verjährungsfrist (BGH, Beschluss vom 23.02.2016, Az. VII ZR 28/15, Abruf-Nr. 184476), allerdings erst ab Entstehung des Anspruchs. Hat der Handelsvertreter die Erteilung eines Buchauszugs begehrt und diesen Anspruch auch durchgesetzt, so entsteht der Anspruch nach § 87c Abs. 4 HGB erst, wenn der Buchauszug erteilt wurde und Zweifel an dessen Richtigkeit und Vollständigkeit bestehen (OLG München, Urteil vom 10.03.2021, Az. 7 U 1711/19, Abruf-Nr. 234494).

Kosten der Bucheinsicht

Die Kosten der Bucheinsicht, in der Praxis insbesondere diejenigen der Beauftragung eines Wirtschaftsprüfers, treffen zunächst den Handelsvertreter. Allerdings kommt nach der Rechtsprechung des BGH ein Schadenersatzanspruch in Betracht, wenn die Bucheinsicht ein für den Vertreter „positives Ergebnis“ hat.

Was darunter konkret zu verstehen ist (bloße Ermittlung fehlender/unrichtiger Daten oder Bestehen von Provisionsnachforderungsansprüchen infolge der Bucheinsicht?), wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt. Das OLG Karlsruhe vertritt dabei im Grundsatz eine weite Linie, nach der der Unternehmer bereits dann wegen Verletzung seiner Abrechnungspflicht bzw. seiner Pflicht auf Erteilung eines Buchauszugs schadenersatzpflichtig wird, wenn sich im Rahmen der Bucheinsicht die Unrichtigkeit der Abrechnung oder des Auszugs ergibt (OLG Karlsruhe, Urteil vom 16.06.2021, Az. 15 U 12/20, Abruf-Nr. 234488).

Allerdings gehört zur Schadenersatzpflicht auch, dass sich der Wirtschaftsprüfer konkret mit den Abrechnungen und dem Buchauszug sowie den insoweit vorgebrachten begründeten Zweifeln befasst. Allgemeine Prüfungen, etwa auf Basis einer vom Handelsvertreter vorgelegten Kundenliste, sind hingegen nicht vom Einsichtsrecht gedeckt und damit auch nicht ersatzpflichtig, denn die Einsicht im Sinne des § 87c Abs. 4 HGB ist die umfassende Vergewisserung gegenüber dem Buchauszug. Sie ist daher nicht ohne vertiefte Beschäftigung mit diesem selbst ordnungsgemäß durchführbar (OLG Karlsruhe, Urteil vom 16.06.2021, Az. 15 U 12/20, Abruf-Nr. 234488).

Wichtig | Nachträgliche Korrekturen oder Ergänzungen des Buchauszugs durch den Unternehmer dürften vor dem Hintergrund des drohenden Schadenersatzanspruchs deshalb nicht sinnlos sein: Sie können ggf. die Bucheinsicht erleichtern bzw. vereinfachen und somit im Rahmen der Schadenminderungsobliegenheit des Handelsvertreters berücksichtigungsfähig sein.

Klageantrag

Wie konkret ein Klageantrag auf Bucheinsicht formuliert werden muss, ist in der Rechtsprechung noch nicht eindeutig geklärt:

Praxistipp | Empfehlenswert ist es in jedem Fall, in einem Klageantrag mögliche Konkretisierungen mit Blick auf die Erforderlichkeit der Bucheinsicht auch vorzunehmen (gebilligt haben die Konkretisierungen im konkreten Einzelfall das LAG Düsseldorf im Urteil vom 09.06.2020, Az. 3 Sa 114/20, Abruf-Nr. 221063 sowie das OLG Frankfurt im Urteil vom 25.09.2014, Az. 16 U 124/13, Abruf-Nr. 234493).

  • Nach einer Ansicht genügt es, die im Gesetzeswortlaut vorgesehene Beschränkung des Bucheinsichtsrechts („… so weit gewährt wird, wie dies zur Feststellung der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Abrechnung oder des Buchauszugs erforderlich ist“) sinngemäß im Klageantrag zu wiederholen (LG Hamburg, Urteil vom 07.04.2021, Az. 401 HKO 23/16, Abruf-Nr. 234492; vgl. auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 16.06.2021, Az. 15 U 12/20, Abruf-Nr. 234488 zu einem Feststellungsantrag auf Kostenerstattung; nach Ansicht des OLG Stuttgart im Beschluss vom 31.07.2019, Az. 5 W 23/19, Abruf-Nr. 234495 sogar im Nachhinein in einen Bucheinsichtstitel hineinlesbar, ebenso OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.04.2022, Az. 26 Sch 1/22, Abruf-Nr. 234490).
  • Nach anderer Ansicht sind die Kundenbeziehungen bzw. Geschäftsvorgänge, auf die sich die Bucheinsicht erstrecken soll, im Antrag möglichst konkret zu bezeichnen (OLG München, Urteil vom 10.03.2021, Az. 7 U 1711/19, Abruf-Nr. 234494). In dieser Richtung formuliert auch das OLG Hamm, dass der Antrag auf Bucheinsicht den Umfang der begehrten Bucheinsicht genau bezeichnen und klarstellen muss, zu welchem Zweck (konkret) eingesehen werden soll; es sind insbesondere die Provisionstatbestände und der betroffene Zeitraum zu benennen. Der Gegenstand der Bucheinsicht braucht hingegen nur abstrakt und nicht in allen möglichen Einzelheiten umschrieben zu werden (OLG Hamm, Urteil vom 10.11.2022, Az. I-18 U 138/18, Abruf-Nr. 234491).

Bucheinsichtstitel in der Zwangsvollstreckung

Bei der Zwangsvollstreckung ist Grundlage der vom Handelsvertreter erstrittene Bucheinsichtstitel; dessen Berechtigung ist im Zwangsvollstreckungsverfahren nicht mehr zu überprüfen. Inhalt und Umfang des Titels können aber im Wege der Auslegung im Zwangsvollstreckungsverfahren verdeutlicht werden (OLG Stuttgart, Beschluss vom 31.07.2019, Az. 5 W 23/19, Abruf-Nr. 234495).

Grundsätzlich wird ein titulierter Anspruch auf Bucheinsicht gemäß § 887 ZPO vollstreckt; dabei kann die vorübergehende Überlassung der Geschäftsunterlagen im Geschäftslokal des Unternehmers nach § 883 ZPO durchgesetzt werden (OLG Hamm, Urteil vom 10.11.2022, Az. I-18 U 138/18, Abruf-Nr. 234491; OLG Stuttgart, Beschluss vom 31.07.2019, Az. 5 W 23/19, Abruf-Nr. 234495 m. w. N.).

Werden im Rahmen der Zwangsvollstreckung aber spezielle Handlungen verlangt, etwa den genauen Aufbewahrungsort von Unterlagen zu nennen oder den Zugriff auf die EDV-Systeme des Unternehmers zu gewähren, handelt es sich um unvertretbare Handlungen; diese können grundsätzlich nur über § 888 ZPO vollstreckt werden (OLG Hamm, Urteil vom 10.11.2022, Az. I-18 U 138/18, Abruf-Nr. 234491; OLG Stuttgart, Beschluss vom 31.07.2019, Az. 5 W 23/19, Abruf-Nr. 234495).

AUSGABE: VVP 5/2023, S. 5 · ID: 49314837

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