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Kfz-KaskoversicherungErsatzanspruch des VN unter dem Aspekt des Rettungskostenersatzes

Abo-Inhalt30.01.2024118 Min. Lesedauer

| Ein Klassiker im Straßenverkehr: Der VN versucht einem Wildtier auszuweichen. Er kommt dabei von der Straße ab. Das Fahrzeug wird beschädigt oder gar zerstört. Der Kfz-VR hält sich nicht für eintrittspflichtig, da keine Vollkaskoversicherung besteht. Der in der Teilkasko versicherte Versicherungsfall „Zusammenstoß mit Tieren“ greift nicht, da es nicht zu einem Zusammenstoß gekommen ist. Der Beitrag zeigt, wie der VN gleichwohl Ersatz vom VR erlangen kann. |

1. Der Rettungskostenersatz

Ein Anspruch des VN auf – teilweise – Erstattung unfallbedingt entstandener Schäden kann in solchen Fällen unter dem Aspekt des Rettungskostenersatzes bestehen (§§ 83, 82, 90 VVG).

2. Die Voraussetzungen

Gemäß § 83 Abs. 1 VVG muss der Kfz-VR Aufwendungen des VN nach § 82 Abs. 1 und 2 VVG, die dieser zur Schadensabwendung oder -minderung tätigt, insoweit erstatten, als der VN sie den Umständen nach für geboten halten durfte.

Merke | Der Anspruch besteht auch, wenn der Rettungsversuch des VN erfolglos geblieben ist.

§ 90 VVG erklärt diese Vorschriften im Bereich der Sachversicherung für entsprechend anwendbar auf solche Aufwendungen, die zeitlich vor dem Eintritt eines unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfalls gemacht wurden, um ihn abzuwenden oder in seinen Auswirkungen zu mindern (sog. „Vorerstreckung“; vgl. OLG Saarbrücken 26.1.11, 5 U 356/10-57, VersR 12, 55; Beckmann, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl., § 15 Rn. 88a).

„Aufwendung“ meint hierbei jede – auch unfreiwillige – Vermögensminderung, die adäquate Folge einer Maßnahme ist, die der VN zur Schadensabwehr oder -minderung gemacht hat. Grundsätzlich kommen hierfür auch Vermögensminderungen wegen der Beschädigung von Sachen in Betracht (OLG Saarbrücken, a. a. O.).

Merke | Ersatzfähig sind danach insbesondere die Folgen von Fahrmanövern, die der jeweilige Fahrer nach den Umständen, insbesondere zur Vermeidung des Versicherungsfalls „Zusammenstoß mit Tieren“, für erforderlich halten durfte (OLG Koblenz VersR 12, 54; Klimke, in: Prölss/Martin, VVG 31. Aufl., A.2.2.1 AKB Rn. 70).

Der Erstattungsanspruch des VN setzt voraus, dass die Aufwendungen entweder schon objektiv erforderlich gewesen sind, oder dass der VN den Umständen nach jedenfalls von der Gebotenheit ausgehen durfte (§ 83 Abs. 1 S. 1 VVG). Dabei schadet ein Irrtum über die Gebotenheit nach herrschender Meinung nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit (OLG Koblenz VersR 12, 54; vgl. Beckmann in: Beckmann/Matusche-Beckmann, a. a. O., § 15 Rn. 89). Zur Rettung geboten ist eine Handlung nur, wenn die damit verbundenen Aufwendungen in einem vernünftigen Verhältnis zum angestrebten Erfolg stehen, nicht aber, wenn sie unverhältnismäßige Kosten verursachen.

Merke | Droht ein Fahrzeugschaden durch den Zusammenstoß mit einem Tier, ist dieser versicherte Sachschaden gegen die durch ein Brems- und Ausweichmanöver drohenden möglicherweise mehrfachen Fahrzeug- und Personenschäden abzuwägen, die der VR erstatten muss, falls das Ausweichen geboten war. Dabei kommt es auch auf die Größe des Tieres an (vgl. BGH 25.6.03, IV ZR 276/02, VersR 03, 1250; OLG Saarbrücken 26.1.11, 5 U 356/10-57, VersR 12, 55).

3. Darlegungs- und Beweislast

Dafür, dass die entstandenen Schäden im Zusammenhang mit der Abwendung eines unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfalls im Sinne des § 90 VVG entstanden sind, trägt der VN die Darlegungs- und Beweislast (OLG Saarbrücken 23.11.22, 5 U 120/21; OLG Köln RuS 05, 457; OLG Jena NVersZ 00, 33; OLG Düsseldorf, ZfS 00, 493).

Für diesen Nachweis gilt der Maßstab des § 286 ZPO; Beweiserleichterungen, wie sie etwa für Fälle der Entwendung eines Kraftfahrzeugs anerkannt sind, kommen dem VN nicht zugute (OLG Saarbrücken, a. a. O.; OLG Hamm VersR 21, 898; Klimke, in: Prölss/Martin, a. a. O., A.2.2.1 AKB Rn. 71). Der danach erforderliche Nachweis erfordert die Überzeugung des Richters von der zu beweisenden Tatsache im Sinne eines für das praktische Leben brauchbaren Grades von Gewissheit, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGH 8.7.08, VI ZR 274/07, VersR 08, 1126).

Merke | Bloße Wahrscheinlichkeiten genügen nicht (BGH 1.10.19, VI ZR 164/18, VersR 20, 784; OLG Rostock, Schaden-Praxis 16, 312).

4. Umfang der Darlegungslast

In einem Fall vor dem OLG Saarbrücken (23.11.22, 5 U 120/21) hatte der VN erklärt, beim Einfahren in eine leichte Rechtskurve am rechten Straßenrand einen Busch oder Baum gesehen zu haben. In diesem Bereich habe er aus geringer Entfernung – „ca. 15 Meter vorher“ – eine Bewegung wahrgenommen, vor der er ausgewichen sei. Hinter dem Baum hätten etwas verdeckt Rehe gestanden. In welche Richtung sich die Rehe bewegt hätten, habe er in der Kürze der Zeit, die von ihm eine Reaktion abverlangt habe, nicht erkannt.

Damit hat der VN einen Ablauf beschrieben, der aus objektiver Sicht einen Versicherungsfall in der Teilkaskoversicherung – hier: den drohenden Zusammenstoß mit Tieren – als unmittelbar bevorstehend erscheinen lassen mussten. Denn unter den von ihm geschilderten, für jeden durchschnittlichen Straßenverkehrsteilnehmer nachvollziehbaren Umständen bestand aus objektiver Sicht die Befürchtung, dass die Rehe, deren Verhalten nicht vorhersehbar ist, auf die Fahrbahn laufen und einen Zusammenstoß mit dem Motorrad des VN provozieren könnten. Unter diesen Umständen stellte sich das Ausweichen vor der drohenden Gefahr als Rettungshandlung dar. Dass die Tiere auch sicher auf die Fahrbahn laufen würden, war nicht erforderlich.

Merke | Vom VN kann nicht verlangt werden, einen unfallbedingten Verletzungsvorgang in allen Einzelheiten korrekt zu schildern. Dieser ist regelmäßig ein rasch ablaufendes Ereignis, von dem der Betroffene überrascht wird. Daher mögen sich ihm Einzelheiten nicht zuverlässig eingeprägt haben oder sogar nicht einmal zu Bewusstsein gekommen sein (vgl. BGH 17.4.91, IV ZR 61/90, RuS 91, 285). Deshalb verbietet es sich, den VN in solchen Fällen an Einzelheiten seiner Schilderung, insbesondere an – ersichtlich – geschätzten Entfernungs- oder Geschwindigkeitsangaben festzuhalten und daraus (vermeintliche) Widersprüche abzuleiten, solange die Schilderung in ihrer Gesamtheit ein stimmiges, glaub-haftes Gesamtbild eines fassbaren Geschehensablaufs ergibt.

5. Subjektiver Rettungswille ist nicht erforderlich

Der VR kann sich auch nicht darauf berufen, dass der VN mit dem geschilderten Ablauf keine „bewusste“ Rettungshandlung umschrieben, sondern lediglich „reflexartig“ gehandelt habe, sodass die Voraussetzungen des § 83 VVG nicht erfüllt seien.

Für die Annahme einer Rettungshandlung genügt vielmehr, dass diese objektiv darauf abzielte, den versicherten Schaden abzuwenden oder zu mindern. Ein subjektiver „Rettungswille“ ist darüber hinaus nicht erforderlich (BGH 18.12.96, IV ZR 321/95, VersR 97, 351; OLG Saarbrücken 26.1.11, 5 U 356/10-57, VersR 12, 55; Looschelders, in: MünchKomm-VVG 3. Aufl., § 83 Rn. 15). Unter diesen Voraussetzungen kann deshalb auch eine „Reflexhandlung“ eine Rettungshandlung darstellen (OLG Köln RuS 06, 147; OLG Oldenburg ZfS 05, 24).

Anders läge es erst dann, wenn die Abwendung des Versicherungsschadens lediglich „Reflexwirkung“ einer Handlung des VN gewesen wäre. Das gilt insbesondere, weil die Rettung eines – nicht versicherten – „Hauptinteresses“ die Rettung eines – versicherten – Nebeninteresses als Reflexwirkung notwendig nach sich zieht (BGH 13.7.94, IV ZR 250/93, VersR 94, 1181).

Merke | Davon kann im Fallbeispiel auf Grundlage der Darstellung des VN aber nicht ausgegangen werden. Vielmehr ist unzweifelhaft, dass das Ausweichen vor dem Reh, mag es auch – wie sehr viele Handlungen eines Straßenverkehrsteilnehmers – eine eher „maschinelle“, gleichwohl aber bewusste und willensgesteuerte Reaktion auf ein rasch ablaufendes und nur beiläufig erfasstes äußeres Geschehen gewesen sein, objektiv eine Rettungshandlung darstellte, weil dadurch eine objektiv zu befürchtende Kollision und ein dadurch zu erwartender Schaden an dem versicherten Fahrzeug vermieden werden sollten.

AUSGABE: VK 2/2024, S. 34 · ID: 49856457

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