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UmsatzsteuerSteuerermäßigung für Zweckbetriebe: Gesetzgeber hat im WCG nachgebessert
| Die Steuerermäßigung für Zweckbetriebe nach der Regelung des § 12 Abs. 2 Nr. 8a UStG ist vom BFH wiederholt problematisiert worden. Das war für den Gesetzgeber Anlass, im Wachstumschancengesetz (WCG) nachzubessern. VB bringt Sie auf den Stand der Dinge. |
Die Klarstellungen durch das WCG
Konkret hat der Gesetzgeber im WCG (vom 27.03.2024 → Abruf-Nr. 240514) auf die restriktive Auslegung von § 12 Abs. 2 Nr. 8a UStG durch den BFH reagiert. Er hat zwei Dinge klargestellt, die rückwirkend zum 01.01.2024 in Kraft getreten sind:
- 1. Die Ausnahmen vom ermäßigten Steuersatz betreffen nur die besonderen Zweckbetriebe nach §§ 66 bis 68 AO.
- 2. Es soll nicht darauf ankommen, wer Begünstigter der Leistung ist.
Die Regelung des § 12 Abs. 2 Nr. 8a UStG
§ 12 Abs. 2 Nr. 8a UStG sieht für Leistungen im Rahmen von Zweckbetrieben grundsätzlich den ermäßigten Steuersatz vor. Es muss dafür aber eine von zwei Voraussetzungen erfüllt sein:
- Der Zweckbetrieb darf nicht in erster Linie der Erzielung zusätzlicher Einnahmen durch die Ausführung von Umsätzen dient, die in unmittelbarem Wettbewerb mit den, dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen anderer Unternehmer ausgeführt werden.... reicht allein noch nicht für die Inanspruchnahme ...
- Oder die Körperschaft muss mit diesen Leistungen ihrer in §§ 66 bis 68 AO bezeichneten Zweckbetriebe ihre steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke selbst verwirklichen.
Es genügt also nicht, wenn der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb ertragsteuerlich als Zweckbetrieb behandelt wird. Es muss zusätzlich eine der beiden Voraussetzungen erfüllt sein.
Die unionsrechtlichen Vorgaben
Die unionsrechtliche Grundlage für die Steuerermäßigung von Zweckbetriebsumsätzen findet sich in Art. 98 Abs. 1 MwStSystRL. Danach können die Mitgliedstaaten auf die Lieferungen und Dienstleistungen der im Anhang III genannten Kategorien den ermäßigten Steuersatz anwenden. Anhang III Nr. 15 MwStSystRL ist zuletzt am 05.04.2022 geändert worden. Danach können die Mitgliedstaaten eine Steuersatzermäßigung auch schaffen für die „Lieferung von Gegenständen und Erbringung von Dienstleistungen durch gemeinnützige Organisationen, die sich für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit wie von den Mitgliedstaaten definiert einsetzen und die von den Mitgliedstaaten als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannt werden, soweit sie nicht gemäß den Artikeln 132, 135 und 136 von der Steuer befreit sind“.
Diese Änderung soll nach Ziffer 19 der Erwägungsgründe dazu führen, dass es im Fall von Einrichtungen mit sozialem Charakter bei der Bewertung der Anforderungen für die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes auf die allgemeine Tätigkeit und die Ziele der Einrichtung als Ganzes ankommt, unabhängig davon, wer letztendlich Begünstigter der Leistung ist.
Die Rechtsprechung hat diese Änderung noch nicht aufgenommen, weil die bisherigen Urteile frühere Fälle betrafen. Hier greift der Gesetzgeber vor und legt die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben entsprechend aus.
Änderung 1: Allgemeine Zweckbetriebe
Der BFH hat in seiner engen Auslegung der Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 8a UStG auch die Begünstigung für allgemeine Zweckbetrieb nach § 65 AO in Frage gestellt (BFH, Urteil vom 08.03.2012, Az. V R 14/11). Er war damit von der Auffassung der Finanzverwaltung abgewichen. Darauf zielt die erste der o.g. Änderungen im WCG ab.
Die Auffassung der Finanzverwaltung
Schon bisher war die Finanzverwaltung der Auffassung, dass die allgemeinen Zweckbetriebe nach § 65 AO von den Einschränkungen nicht betroffen sind (UStAE, Abschn. 12.9 Abs. 9). Begründung: § 65 AO enthält bereits ein Wettbewerbsverbot. Nach dieser Regelung dürfen Zweckbetriebe zu nicht begünstigten Betrieben derselben oder ähnlicher Art nicht in größerem Umfang in Wettbewerb treten, als es bei Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar ist.
Die Finanzverwaltung geht dabei davon aus, dass das Wettbewerbsverbot des § 65 AO mit dem des § 12 Abs. 2 Nr. 8a UStG identisch ist.
Die enge Auslegung durch den BFH
Hier hatte der BFH widersprochen. Die umsatzsteuerliche Konkurrenzklausel müsse in Bezug auf das EU-Recht enger ausgelegt werden als die ertragsteuerliche für Zweckbetriebe. Die Wettbewerbsklausel des § 65 Nr. 3 AO spreche von einem zulässigen „unvermeidbaren“ Wettbewerb. Hier sei deshalb eine Abwägung im Sinne eines Interessenausgleichs zwischen steuerbelasteten Konkurrenten und gemeinnützigen Körperschaften erforderlich.
Die Regelung des § 12 Abs. 2 Nr. 8a S. 3 Alt. 1 UStG müsse dagegen strenger ausgelegt werden. Der ermäßigte Steuersatz sei bereits dann ausgeschlossen, wenn der Zweckbetrieb in erster Linie der Erzielung zusätzlicher Einnahmen diene und dadurch in unmittelbarem Wettbewerb zu Unternehmern tritt, die mit ihren Leistungen dem allgemeinen Steuersatz unterliegen. Der ermäßigte Steuersatz – so der BFH – dürfe nur angewendet werden, wenn dadurch keine oder nur eine geringe Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung bestünde (BFH, Urteil vom 08.03.2012, Az. V R 14/11, Abruf-Nr. 121803).
Beispiel |
Der BFH hat individuelle Versicherungsberatungen durch einen Verbraucherschutzverein als Zweckbetrieb nach § 65 AO bewertet. Zwar sah er eine Konkurrenz zu vergleichbaren Anbietern wie Versicherungsportalen, Versicherungsmaklern und Versicherungsberatern. Dieser Wettbewerb sei aber unvermeidbar, weil das Interesse der Allgemeinheit an der Förderung des steuerbegünstigten Zwecks überwiegt. Die Begründung: Weil die Verbraucherschutzorganisation kein wirtschaftliches Interesse am Abschluss eines Versicherungsvertrags habe, gewährleisten nur ihre Finanzanalysen einen unabhängigen Marktüberblick. Gesetzgeber will Einschränkungen beim ermäßigten Steuersatz ... Die Voraussetzungen für den ermäßigten Steuersatz sah der BFH aber nicht. Der Verbraucherschutzverein erzielte mit den Beratungsleistungen nämlich „zusätzliche Einnahmen“ nach § 12 Abs. 2 Nr. 8a UStG (Alternative 1). Der ermäßigte Steuersatz dürfe nur angewendet werden, wenn er zu keiner oder einer nur geringen Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung führt. Ein solcher Wettbewerb bestand aber zu Versicherungsmaklern und -beratern. Dass dieser Wettbewerb unvermeidbar war, ist – so der BFH – für § 12 Abs. 2 Nr. 8 S. 3 Alt. 1 UStG ohne Bedeutung (BFH, Urteil vom 26.08.2021, Az. V R 5/19, Abruf-Nr. 226276). |
So hat der Gesetzgeber auf die BFH-Rechtsprechung reagiert
Hier trifft die Änderung durch das WCG eine Klarstellung: Die Einschränkungen beim ermäßigten Steuersatz sollen ausschließlich für die besonderen Zweckbetriebe der §§ 66 bis 68 der AO gelten. Die enge Auslegung durch die BFH-Rechtsprechung führt – so die Gesetzesbegründung im Referentenentwurf – dazu, dass Leistungen von Zweckbetrieben nach § 65 AO regelmäßig dem Regelsteuersatz unterliegen. Sachverhalte, bei denen Zweckbetriebe nicht zu herkömmlichen Unternehmen in Wettbewerb treten, seien nämlich kaum denkbar.
Änderung 2: Ermäßigung für besondere Zweckbetriebe
Die zweite Änderung in § 12 Abs. 2 Nr. 8a UStG betrifft die besonderen Zweckbetriebe der §§ 66 bis 68 AO. Auch hier reagiert der Gesetzgeber auf die restriktive Auslegung der Regelung durch den BFH. Diese hatte aber die Änderung der MwStSystRL noch nicht berücksichtigt. Deswegen war unklar, ob sich mit Bezug darauf eine andere rechtliche Bewertung ergeben hätte. Im WCG hat der Gesetzgeber die neue unionsrechtliche Vorgabe jetzt in Richtung einer weitgefassten Begünstigung ausgelegt.
Gesetzgeber arbeitet Änderung der unionsrechtlichen Vorgaben ein
Konkret bezieht sich die Änderung auf die o. g. Änderung des Anhang III Nr. 15 MwStSystRL. § 12 Abs. 2 Nr. 8a UStG wurde dazu um folgenden S. 4 ergänzt: „Körperschaften verwirklichen mit ihren in den §§ 66 bis 68 der Abgabenordnung bezeichneten Zweckbetrieben ihre steuerbegünstigten satzungsgemäßen Zwecke selbst, wenn die Leistungsempfänger oder an der Leistungserbringung beteiligte Personen vom steuerbegünstigten Zweck der Einrichtung erfasst werden“.
Die Regelung soll klarstellen, dass nach § 12 Abs. 2 Nr. 8a UStG begünstigte Leistungen auch dann vorliegen, wenn die von dem jeweiligen gemeinnützigen Zweck erfassten Personen entweder Empfänger der Leistung sind oder, wie z. B. bei Inklusionsbetrieben, bei der Leistungserbringung mitwirken. Diese Klarstellung bezieht sich einerseits auf die Änderung des Anhang III Nr. 15 MwStSystRL und andererseits auf ein BFH-Urteil (vom 23.07.2019, Az. XI R 2/17, Abruf-Nr. 212364).
BFH hatte Steuerermäßigung eng auf den Satzungszweck beschränkt
Der BFH hatte dort entschieden, dass die Umsätze, die ein gemeinnütziger Verein zur Förderung des Wohlfahrtswesens aus Gastronomieleistungen und der Zurverfügungstellung einer öffentlichen Toilette erzielt, selbst dann nicht ermäßigt besteuert werden, wenn diese Leistungen der Verwirklichung satzungsmäßiger Zwecke dienen.
Die Begründung des BFH: Die einzelnen Gastronomieleistungen des Bistros wie auch die Zurverfügungstellung der öffentlichen Toilette dienten in erster Linie den Zwecken der Besucher und der Nutzer. Sie waren aber nicht vom gemeinnützigen Zweck der Einrichtung erfasst. Der satzungsmäßige Zweck des Vereins war die Unterstützung von Personen, die infolge ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustands der Hilfe bedürfen. Mit den Gastronomieleistungen und der Zurverfügungstellung der öffentlichen Toilette wurden aber nicht die satzungsmäßigen Zwecke des Klägers „selbst verwirklicht“. Die Leistungen dienten nämlich in erster Linie den Zwecken der Besucher, die nicht vom gemeinnützigen Zweck des Vereins erfasst werden. Es waren also keine originär gemeinnützigen Leistungen i. S. v. Art. 98 Abs. 2 und 3 i. V. m. Anhang III Nr. 15 MwStSystRL.
So begründet der Gesetzgeber die Änderung
Nach Auffassung des Gesetzgebers ist mit der Änderung des Anhang III Nr. 15 MwStSystRL mittlerweile unionsrechtlich klargestellt, dass bei der Beantwortung der Frage, ob eine nach den §§ 66 bis 68 AO gemeinnützige Einrichtung mit ihren Leistungen ihre steuerbegünstigten satzungsgemäßen Zwecke selbst verwirklicht, nicht nur auf den Leistungsempfänger abgestellt werden darf.
Erforderlich sei vielmehr eine Gesamtschau, in die die allgemeine Tätigkeit und die Ziele der Einrichtung als Ganzes einbezogen werden müssen – unabhängig vom letztendlichen Begünstigten der Leistung. Zudem gäben die Richtlinie den Mitgliedstaaten in der neugefassten Nr. 15 des Anhangs III Gestaltungsfreiheit bei der Definition des Umfangs der steuerbegünstigten Zwecke.
Fazit | Mit der Änderung der Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 8a UStG will der Gesetzgeber sicherstellen, dass der ermäßigte Steuersatz für Zweckbetriebe der Regelfall ist. Das hatte die BFH-Rechtsprechung in Frage gestellt. Offen bleibt, ob der BFH das für unionsrechtskonform hält, d. h. die Mitgliedstaaten den hier genutzten Auslegungsspieltraum tatsächlich haben. Diese Frage wird die Rechtsprechung sicher weiter beschäftigen. |
AUSGABE: VB 5/2024, S. 15 · ID: 50008653