FeedbackAbschluss-Umfrage

FahrverbotNeue(re) Rechtsprechung zum Fahrverbot

Abo-Inhalt14.04.2025170 Min. LesedauerVon RA Detlef Burhoff, RiOLG a. D., Leer/Augsburg

| Wir haben zuletzt in VA 24, 87 aktuelle Rechtsprechung zum Fahrverbot vorgestellt. Daran schließt dieser Beitrag an. Er stellt die seitdem ergangene bzw. bekannt gewordene Rechtsprechung vor. |

Übersicht 1 / Allgemeines

Umstände des Einzelfalls

Entscheidung

Fundstelle

Der Geschwindigkeitsverstoß wird mit einem privaten Pkw begangen.

Das Regelfahrverbot kann auf sämtliche Fahrzeugarten, mit Ausnahme der Fahrzeuge, die unter Führerscheinklasse C fallen, beschränkt werden (hier: bei einem Müllwagenfahrer). Eine Führerscheinklasse ist eine Fahrzeugart i. S. d. § 25 StVG.

Beachten Sie | Das AG geht unzutreffend davon aus, dass das Ausnehmen einer Fahrzeugart im Rahmen des Fahrverbots kein teilweises Absehen vom Regelfahrverbot ist, sodass § 4 Abs. 4 BKatV in Gestalt einer Erhöhung der Geldbuße deswegen nicht anzuwenden sei.

AG Dortmund

7.3.24,

729 OWi 148/23,

Abruf-Nr. 247449

Bei einem Rotlichtverstoß sind Umstände ersichtlich, die einer abstrakten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer entgegenstehen.

Es muss regelmäßig näher geprüft werden, ob das Regelfahrverbot gleichwohl schuldangemessen ist.

OLG Rostock

24.1.24,

21 ORbs 6/24,

Abruf-Nr. 240280

Übersicht 2 / Beharrlicher Verstoß / Regelfahrverbot nach § 4 Abs. 2 BKatV

Umstände des Einzelfalls

Entscheidung

Fundstelle

Die Voraussetzungen für ein Regelfahrverbot nach der BKatV sind nicht gegeben.

Nur wenn die Beharrlichkeit der Pflichtverletzung von ähnlich starkem Gewicht wie in der ausdrücklich normierten Konstellation des § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV ist, kommt die Anordnung eines Fahrverbots wegen der Vorahndungslage in Betracht. Es bedarf näherer Darlegung zum Zeitmoment (vgl. § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV), zur Anzahl, zur Tatschwere und zu den Rechtsfolgen früherer und noch verwertbarer Verkehrsverstöße und deren Vergleichbarkeit mit der verfahrensgegenständlichen Zuwiderhandlung.

KG

26.6.24,

3 ORbs 93/24,

Abruf-Nr. 244216

Verhängung eines Fahrverbots wegen eines beharrlichen Verstoßes.

Um ein Fahrverbot wegen eines beharrlichen Verstoßes gegen die Pflichten eines Kraftfahrzeugführers gemäß § 25 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StVG zu verhängen, muss die Vorahndungslage zwingend hinreichend aussagekräftig dargestellt werden.

KG

26.6.24,

3 ORbs 93/24,

Abruf-Nr. 244216

Übersicht 3 / Langer Zeitraum zwischen Tat und Urteil

Umstände des Einzelfalls

Entscheidung

Fundstelle

Die zu ahndende Tat liegt mehr als zwei Jahre zurück.

Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung ist der Sinn des Fahrverbots infrage zu stellen, wenn die zu ahndende Tat mehr als zwei Jahre zurückliegt.

OLG Brandenburg

15.7.24,

1 ORbs 134/24,

Abruf-Nr. 243335

Seit dem Tatzeitpunkt sind inzwischen etwa 2,5 Jahre vergangen. 1,5 Jahre dieses Zeitraums entfallen auf die Zeit nach Urteilserlass. Mehr als 1 Jahr fällt dabei in die Zeit nach Beendigung der Rechtsmittelbegründungsfrist.

Entfallen eines Fahrverbots könnte in Betracht kommen.

OLG Hamm

23.1.24,

III-5 ORbs 297/23

Seit der Tat sind inzwischen über 3 Jahre vergangen. 1 Jahr und 4 Monate dieses Zeitraums entfallen auf die Zeit nach Urteilserlass. Mehr als 1 Jahr fällt in die Zeit nach Beendigung der Rechtsmittelbegründungsfrist.

Fahrverbot muss entfallen.

OLG Dresden

20. 1. 25,

ORbs 24 SsBs 192/24,

Abruf-Nr. 246468

Praxistipp | Hinsichtlich der Berechnung der Zweijahresfrist kommt es auf den Zeitraum zwischen Tatbegehung und letzter tatrichterlicher Verhandlung an (OLG Brandenburg 15.7.24, 1 ORbs 134/24, Abruf-Nr. 243335; OLG Dresden 20.1. 25, ORbs 24 SsBs 192/24, Abruf-Nr. 246468). Es führt aber ein Zeitablauf von mehr als zwei Jahren zwischen Tatbegehung und tatrichterlichem Urteil nicht automatisch zu einem Absehen von einem Fahrverbot. Es müssen allerdings besondere Umstände für die Annahme vorliegen, dass ein Fahrverbot noch unbedingt notwendig ist (OLG Brandenburg 15.7.24, 1 ORbs 134/24, Abruf-Nr. 243335).

Übersicht 4 / Augenblicksversagen

Umstände des Einzelfalls

Augenblicksversagen: ja oder nein?

Fundstelle

Der Vorwurf lautet: Unterschreitung des nach § 4 Abs. 1 S. 1 StVO gebotenen Sicherheitsabstands auf der Autobahn. Der Betroffene behauptet, der Verstoß sei durch das gefahrvolle Auffahren des Führers des nachfolgenden Fahrzeugs verursacht worden.

Der Einwand ist regelmäßig unbeachtlich, wenn auf der sog. Beobachtungsstrecke ein plötzliches Abbremsen oder ein unerwarteter Spurwechsel des vorausfahrenden Fahrzeugführers auszuschließen ist.

BayObLG

11.9.24,

202 ObOWi 808/24, Abruf-Nr. 246462

Übersicht 5 / Absehen vom Fahrverbot aus beruflichen Gründen?

Umstände des Einzelfalls

Absehen: ja oder nein?

Fundstelle

Das AG begründete eine „besondere Härte“ damit, dass der Betroffene bei seiner beruflichen Tätigkeit als Kundenberater im Außendienst und im privaten Bereich in einem exorbitanten Maß auf seine Fahrerlaubnis angewiesen ist.

Reicht nicht aus. Nur wenn das Fahrverbot zu einer Härte ganz außergewöhnlicher Art, wie z. B. zum Verlust des Arbeitsplatzes oder dem Existenzverlust eines Selbstständigen, führen würde, kann von der Verhängung des Fahrverbotes unter gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße abgesehen werden.

OLG Brandenburg

15.7.24,

2 ORbs 107/24,

Abruf-Nr. 243337

Der Betroffene war vor dem Antritt einer neuen Stelle ein Jahr lang arbeitslos. Er macht geltend, dass er bei einem Fahrverbot ggf. seine Arbeitsstelle verliert.

Das AG kann vom Fahrverbot nicht mit dem Argument absehen, dass der Betroffene vor dem Antritt der neuen Stelle für ca. ein Jahr arbeitslos gewesen sei und in dieser Zeit das verhängte Fahrverbot gegen sich hätte vollstrecken lassen können.

OLG Naumburg

6.11.24,

1 ORbs 219/24,

Abruf-Nr. 245849

unzutreffend:

AG Landstuhl

9.2.24, 3 OWi 4211 Js 11910/23,

Abruf-Nr. 240779

Der Betroffene macht geltend, dass er aus beruflichen Gründen auf seine Fahrerlaubnis angewiesen ist.

Eine Härte ganz außergewöhnlicher Art, die zum Absehen vom Fahrverbot führen kann, kann gegeben sein, wenn die Maßnahme zum belastbar nachgewiesenen Verlust des Arbeitsplatzes oder zur Existenzgefährdung führen würde und diese Folgen nicht durch zumutbare eigene Kompensationshandlungen vermieden werden können. Dazu gehören neben der Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel, auch unbezahlter Urlaub, die Einstellung eines Fahrers oder die Kreditaufnahme zur Finanzierung derartiger Kompensationen. Sonstige berufliche Nachteile auch schwerwiegender Art sind grundsätzlich als Folge der Tat hinzunehmen.

OLG Frankfurt a. M.

20.1.25,

2 ORbs 4/25,

Abruf-Nr. 247330

Praxistipp | Das Absehen von einem Fahrverbot muss auf einer eingehenden und nachvollziehbaren, auf Tatsachen gestützten Begründung beruhen (OLG Brandenburg 15.7.24, 2 ORbs 107/24, Abruf-Nr. 243337). Möchte der Tatrichter vom Regelfahrverbot absehen, weil dieses den Betroffenen aus familiären und beruflichen Gründen besonders hart trifft, muss er diese Bewertung mit Tatsachen belegen. Gehen diese auf die Einlassung des Betroffenen zurück, muss er diese kritisch würdigen und gegebenenfalls überprüfen (KG 11.9.24, 3 ORbs 165/24, Abruf-Nr. 244222).

Übersicht 6 / Absehen vom Fahrverbot aus sonstigen Gründen

Umstände des Einzelfalls

Absehen: ja oder nein?

Fundstelle

Das AG sieht vom Fahrverbot ab, weil der Betroffene im Straßenverkehr noch nicht auffällig geworden ist.

Das reicht allein für das Absehen nicht aus.

OLG Brandenburg

15.7.24,

2 ORbs 107/24,

Abruf-Nr. 243337

Der Betroffene ist 86 Jahre alt, keine Eintragungen im Register. Tatort war eine innerörtliche Bundesstraße gegen 23:50 Uhr. Der Betroffene musste „dringend ein Krankenhaus aufsuchen“ und litt unter Schmerzen. Er verfügt selbst nur über eine Rente von 312 €. Er kann „nicht gut laufen“.

Das OLG hat das vom AG verhängte Fahrverbot entfallen lassen. Die vom AG aufgezeigte Möglichkeit einer Kreditaufnahme dürfe rein theoretischer Natur sein. Soweit das AG auf ein höheres Einkommen der Ehefrau des Betroffenen abstelle, sei dieses für die gegen ihn zu verhängende Sanktion irrelevant.

OLG Oldenburg

15.8.24,

2 ORbs 114/24,

Abruf-Nr. 247450, NZV 25, 90

Das AG sieht bei einem Rentner nicht von einem Fahrverbot ab.

Rentner sind grundsätzlich nicht auf eine Fahrerlaubnis angewiesen. Sie können dementsprechend auch allein aus der Tatsache, für eine befristete Zeit nicht über eine Fahrerlaubnis verfügen zu können, keinerlei fahrverbotsrelevante Härten für sich geltend machen.

AG Dortmund

11.4.24, 729 OWi-256 Js 414/24-34/24,

Abruf-Nr. 242797

Der Betroffene macht eine notstandsähnliche Situation geltend.

Bei notstandsähnlichen Situationen (z. B. tatrichterlich festgestelltes dringendes Bedürfnis zur Verrichtung einer Notdurft) kann – je nach den Umständen des Einzelfalls – das Handlungsunrecht für die Anordnung eines Fahrverbots fehlen.

OLG Hamm

28.3.24,

5 ORbs 35/24,

Abruf-Nr. 241514

Der Betroffene macht geltend, dass seine Frau nicht zu Arztterminen gelangen könne, wenn ein Fahrverbot verhängt werde.

Nein, wenn nicht dargetan ist, warum es nicht möglich sein soll, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu Arztterminen zu gelangen oder für den überschaubaren Zeitraum des Fahrverbots weitere Angehörige oder Bekannte um kurze Fahrten zu bitten oder sozialrechtliche Ansprüche für Taxifahrten geltend zu machen. Der Einsatz für Dritte kann zudem nur dann zu einer Entlastung auf der Rechtsfolgenseite führen, wenn die Situation wie zu einer für den Betroffenen unzumutbaren Härte führen würde.

AG Landstuhl

2.2.24,

3 OWi 4211 Js 9376/23,

Abruf-Nr. 240778

Praxistipp | Bei der Frage, ob ein grober Verstoß vorliegt, sind die Umstände des Einzelfalls – auch unter Berücksichtigung von Irrtumsaspekten – gegeneinander abzuwägen (OLG Hamm 28.3.24, 5 ORbs 35/24, Abruf-Nr. 241514). Ein Kraftfahrzeugführer, der ein Fahrverbot durch mangelnde Verkehrsdisziplin riskiert, kann aber nicht geltend machen, auf den Führerschein angewiesen zu sein (AG Landstuhl 9.2.24, 3 OWi 4211 Js 11910/23, Abruf-Nr. 240779).

Übersicht 7 / Anforderungen an das tatrichterliche Urteil / Prozessuales

Umstände des Einzelfalls

Entscheidung

Fundstelle

Das AG gibt in den Urteilsgründen die Einlassung des Betroffenen nicht wieder.

Nur in sachlich und rechtlich einfach gelagerten Fällen von geringer Bedeutung kann unter Umständen ohne Verstoß gegen die sachlich rechtliche Begründungspflicht auf die Wiedergabe der Einlassung des Betroffenen verzichtet werden. Dies ist indes dann nicht der Fall, wenn ein Fahrverbot verhängt worden ist.

OLG Düsseldorf

27.8.24,

2 ORbs 83/24,

Abruf-Nr. 243957; ähnlich BayObLG 29.2.24, 202 ObOWi 140/24

Die Voraussetzungen für ein Regelfahrverbot nach der BKatV sind nicht gegeben.

Es bedarf näherer Feststellungen, ob die Anordnung eines Fahrverbots dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Nur wenn die Beharrlichkeit der Pflichtverletzung von ähnlich starkem Gewicht wie in der ausdrücklich normierten Konstellation des § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV ist, kommt die Anordnung eines Fahrverbots wegen der Vorahndungslage in Betracht. Denn nur dann wird es geboten sein, mit der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme auf den Betroffenen gemäß § 25 Abs. 1 S. 1 2. Alt. StVG i. V. m. § 4 Abs. 2 S. 1 BKatV einzuwirken.

KG

26.6.24,

3 ORbs 93/24,

Abruf-Nr. 244216

Die Verteidigervollmacht berechtigt den Verteidiger zur Zurücknahme von Rechtsmitteln.

Die Verteidigervollmacht ist für eine Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch ausreichend.

OLG Oldenburg

15.8.24,

2 ORbs 114/24,

Abruf-Nr. 247450,

Der Bußgeldrichter verhängt eine erhöhte Geldbuße und sieht dabei von der Verhängung eines Fahrverbots ab.

Das verstößt zwar nicht gegen das Verschlechterungsverbot. Ist dieser Rechtsfolgenausspruch aber rechtsfehlerhaft, liegt hierin eine Beschwer des Betroffenen, weil die Erhöhung der Geldbuße innerhalb dieser Sanktionsform eine wirtschaftliche Belastung darstellt, sodass das Urteil zu seinem Nachteil auf diesem Rechtsfehler beruhen kann.

OLG Schleswig

19.6.24,

I ORbs 60/24,

Abruf-Nr. 247451

Der Tatrichter sieht vom Regelfahrverbot ab.

Aus den Urteilsgründen muss sich ergeben, dass sich der Tatrichter der gesetzlichen Indizwirkung der BKatV bewusst war.

KG 11.9.24,

3 ORbs 165/24, Abruf-Nr. 244222

Praxistipp | Die Dauer einer auf polizeirechtlicher Grundlage angeordneten Sicherstellung des Führerscheins eines Betroffenen ist nicht auf ein später gegen diesen wegen der Tat, die den Anlass für die Sicherstellung gegeben hat, angeordnetes Fahrverbot anzurechnen (AG Landstuhl 5.9.24, 2 OWi 157/24, Abruf-Nr. 247452).

AUSGABE: VA 5/2025, S. 89 · ID: 50339768

Favorit
Teilen
Drucken
Zitieren

Beitrag teilen

Hinweis: Abo oder Tagespass benötigt

Link
E-Mail
X
LinkedIn
Xing
Loading...
Loading...
Loading...
Heft-Reader
2025

Bildrechte