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AusfallschadenNutzungsausfallentschädigung nach oben durch Mietwagenhinweis gedeckelt?
| Das verunfallte Fahrzeug gehört in eine Gruppe der Nutzungsausfallentschädigung, die einen hohen täglichen Betrag nach sich zieht. Der Versicherer gibt dem Geschädigten in seiner ersten Reaktion einen Hinweis darauf, wo er für 99 EUR einen Mietwagen bekomme. Als dann die Nutzungsausfallentschädigung auf der Basis der gängigen Liste geltend gemacht wird, reduziert die VHV den Betrag auf 98 EUR täglich. |
Zur Begründung erklärt sie: „Im Schreiben vom ... haben wir Ihnen zusammen mit der Reparaturkostenübernahme Informationen über die günstige Möglichkeit einer Mietwagenanmietung bereitgestellt. Mietwagenkosten sowie Nutzungsausfall sind im Rahmen des Ausfallschadens gleichgestellt. Dementsprechend haben wir bei unserer Berechnung des täglichen Nutzungsausfalls den Nettopreis von 98 EUR pro Tag zugrunde gelegt.“
Und so stellt sich die Frage: Hat dieser Ansatz des Versicherers eine Chance oder ist er zum Scheitern verurteilt? Dazu muss beantwortet werden:
- Geht das im Grundsatz?
- Ist das Mietwagenangebot tragfähig?
1. Schlägt das Mietwagengebot des VR die NA-Tabelle?
Dass ein vor der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs unterbreitetes ausreichend konkretes Mietwagenangebot des Versicherers die Mietwagenkosten deckeln kann, und das sogar, wenn das Angebot auf einem Versicherer-Sonderpreis basiert, ist vom BGH geklärt (BGH 26.4.16, VI ZR 563/15, Abruf-Nr. 186849; 12.2.19, VI ZR 141/18, Abruf-Nr. 207382).
Aber wird durch das Mietwagenangebot, dessen ausreichende Konkretheit unterstellt, auch die Nutzungsausfallentschädigung gedeckelt? Der erste Abwehrreflex „Aber der Geschädigte muss doch keinen Mietwagen nehmen“ liegt neben der Sache. Es geht nämlich nur um die Frage, ob der gedachte Betrag für die gedachte Anmietung als Alternative die Ausfallpauschale nach oben begrenzt.
2. Früher lag die NA-Entschädigung unter Mietwagenkosten
Historisch, und das kann man in den alten Erläuterungen der Autoren zur Nutzungsausfallentschädigungstabelle von Sanden/Danner/Küppersbusch nachlesen, war die Nutzungsausfallentschädigung so konzipiert, dass sie deutlich unter den Mietwagenkosten lag. Das ist auch nachvollziehbar. Inzwischen hat sich der Markt aber sehr verändert. Bei längerer Anmietungsdauer mit Langzeittarif wird die Rechtsfrage aufgeworfen, ob der Geschädigte trotz der Mietwageninanspruchnahme auf die höhere Nutzungsausfallentschädigung ausweichen kann. Wie man einem früheren Vorwort der Tabelle entnehmen kann, wird bei den Verfassern bereits über sinkende Pauschalen wegen gesunkener Mietwagenkosten nachgedacht.
3. Keine Automatik, aber § 287 ZPO
Eine quasi automatische Deckelung der Nutzungsausfallentschädigung durch den vom Versicherer genannten Mietwagenpreis wird es nicht geben. Doch hat ein Gericht nach Auffassung von VA die „revisionsrechtlich nicht zu beanstandende“ Möglichkeit, die Nutzungsausfallentschädigung in dieser Höhe zu schätzen. In der „Nutzungsausfallentschädigung übersteigt WBW“-Entscheidung BGH (25.1.05, VI ZR 112/04, Abruf-Nr. 050823 auf Seite 4 unten und 5 oben) hat der Senat Ausführungen dazu gemacht, wie der Tatrichter deren Höhe gemäß § 287 ZPO ermitteln kann. Dort liest man:
„Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht nicht verkannt, dass eine Schadensschätzung auf der Grundlage der Tabellen von Sanden/Danner/Küppersbusch eine zwar mögliche, aber keine verbindliche Methode der Schadensermittlung ist.“ Und: „Vielmehr darf er im Rahmen des ihm nach § 287 ZPO bei der Schadensschätzung eingeräumten Ermessens aus Gründen der Praktikabilität und der gleichmäßigen Handhabung typischer Fälle auch bei älteren Fahrzeugen mit den in der Praxis anerkannten Tabellen arbeiten.“
Das heißt: Er muss nicht, darf aber die Tabellen nutzen. Und wenn er die Tabelle nutzt, darf er darin auch Anpassungen vornehmen, denn: „Aus Rechtsgründen ist auch nichts dagegen zu erinnern, dass das Berufungsgericht dem Alter des Fahrzeugs durch eine Herabstufung um eine Gruppe Rechnung getragen hat.“
Das alles zusammengenommen bedeutet, dass das Gericht dem Gedanken der Deckelung auf die vom Versicherer genannten Mietwagenkosten folgen darf, aber nicht muss. Bei Licht besehen ist es auch schwer zu erklären, warum der „Wert der Nutzung“ eines Fahrzeugs die Kosten einer Anmietung eines Ersatzfahrzeugs übersteigen soll. Seit Jahrzehnten wurde er unterhalb der Mietwagenkosten angesiedelt.
4. Die Gegenwehr: Das Mietwagenangebot genau prüfen
Wenn allerdings das Mietwagenangebot – wie fast immer – fadenscheinig ist, kann es keine tragfähige Schätzgrundlage für die Höhe der Nutzungsausfallentschädigung sein. Da gibt es verschiedene Angriffspunkte.
a) Die Gruppe 11-Lücke
Je höher der tägliche Betrag der Nutzungsausfallentschädigung ist, desto eher kann der Versicherer ein darunter liegendes Mietwagenangebot präsentieren. Im Ausgangsfall ging es um einen unfallbeschädigten sehr teuren Porsche. Der ist in der Mietwagengruppe 11 einsortiert. Die von der VHV vorgelegte Tabelle zu den Preisen ihres Mietwagenpartners endet aber bei der Gruppe 10. Dieser Gruppe ist der Betrag von 98 EUR netto entnommen. Der Mietwagen ist also nicht gleichwertig. Die Erfahrung lehrt, dass Porsche für Porsche nahezu in jeder Stadt nur bei Porsche gemietet werden kann.
Aber Vorsicht: Bei Fahrzeugen dieser und ähnlicher Kategorie ist der Zweitwageneinwand mehr als naheliegend. Wenn der greift, gibt es nichts (BGH 11.10.22, VI ZR 35/22, Abruf-Nr. 232504), vorausgesetzt das Gericht sieht im Rechtsstreit darin kein venire contra factum proprium, wenn der Versicherer vorgerichtlich den reduzierten Betrag gezahlt hat, ohne den Zweitwageneinwand erhoben zu haben.
b) Wird ein konkreter Vermieter genannt, oder ein „üblicher Preis“?
Im VHV-Konzept wird die 0800-Nummer einer zwar bundesweit, aber doch nur lückenhaft antretenden Autovermietung benannt. Wenn der Versicherer nur auf „übliche erzielbare Preise“ ohne Benennung von Ross und Reiter abstellt, wird er darauf nicht erfolgreich bauen können.
c) Der nicht wirklich flächendeckend operierende Vermieter im Angebot
Bei Vorgängen „aus der Provinz“ gibt es eine große Wahrscheinlichkeit, dass die nächste Station des von der VHV benannten Vermieters unzumutbar weit entfernt ist. Ein kostenloser Zustellservice ist in deren Schreiben nicht offeriert. Zumindest wäre es also eine Maßnahme, die Zustell- und Abholkosten zu erfragen und diese Kosten auf den genannten Tagespreis umzulegen und aufzuschlagen.
Ein Urteil des im Erzgebirge lokalisierten AG Hohenstein-Ernstthal zeigt sehr deutlich, dass die Alternativangebote der Versicherer jedenfalls in der Region nur heiße Luft sind. Eine dort aktive Anwältin geht regelmäßig für die Mandantschaft darauf ein. Geliefert wurde bisher praktisch nie. Den dadurch entstehenden Mehraufwand in der anwaltlichen Bearbeitung sieht das Gericht als ausreichend an, eine 1,6-Gebühr für die anwaltliche Vertretung zuzusprechen (AG Hohenstein-Ernstthal 27.9.23, 4 C 341/23, Abruf-Nr. 237657).
So weit muss man ja gar nicht gehen. Ohne offerierten Zustell- und Abholservice ist jedenfalls für die Fälle auf dem Land bereits die Entfernung unzumutbar.
d) Die Nebenleistungen
In dem Schreiben der VHV wird auf „inklusive Vollkasko“ hingewiesen. Die Selbstbeteiligung wird nicht benannt. Man kann mit auch nur einem Hauch von Marktkenntnis ausschließen, dass bei dem Preis die SB Null ist. Auf SB Null hat der Geschädigte jedoch in der Regel Anspruch (BGH 15.2.05, VI ZR 74/04, Abruf-Nr. 050809, Seite 9 oben). Insbesondere bei hochwertigen Fahrzeugen ist der Aufpreis dafür üppig. Mindestens müsste also auch der noch aufgeschlagen werden.
5. VA Muster-Archiv
Wir haben für Sie den Textbaustein „Nutzungsausfallentschädigung statt Mietwagen“ vorbereitet. Sie finden ihn unter iww.de/va bei den Downloads und unter Abruf-Nr. 50388598.
AUSGABE: VA 5/2025, S. 81 · ID: 50372366