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LeserforumWiderruflichkeit eines Vertrags und Schadenrecht
| Zunehmend stürzen sich Versicherer auf die Widerruflichkeit von Abschlepp- oder Gutachtenverträgen. Und in der Tat: Oft riecht der Abschleppvertrag mit einem Verbraucher nach einem außerhalb der Geschäftsräume geschlossenen Vertrag (AGV). Zwar ordert die Polizei den Abschlepper an die Unfallstelle, doch der Auftrag wird vom Geschädigten bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit an der Unfallstelle erteilt. Für Gutachtenverträge sieht es oft ähnlich aus, siehe unten. Daraus ergibt sich eine Leserfrage: |
Frage: Gegen eine Abschlepprechnung wird der Einwand erhoben, dass der Abschleppunternehmer nicht über das Widerrufsrecht belehrt habe. Deshalb müsse der Geschädigte die Rechnung nicht bezahlen. Folglich habe er keinen Schaden im Hinblick auf die Abschleppkosten. Ist da was dran?
Antwort: Mindestvoraussetzung dafür, dass kein Anspruch bestünde, wäre, dass ein widerruflicher Vertrag vorläge und der bereits widerrufen wurde, und zwar vom Auftragnehmer, also dem Geschädigten.
Mangels Detailkenntnis über den Ablauf gehen wir hier davon aus, dass der Geschädigte als Verbraucher gehandelt hat. Denn anderenfalls ist das Thema schon zu Ende, weil nur für den Verbraucher ein Widerrufsrecht bestehen kann. Wir gehen weiter davon aus, dass ein AGV (§ 312b BGB) vorliegt. Wenn der Verbraucher dann nicht über sein Widerrufsrecht belehrt wurde, beträgt die Widerrufsfrist 14 Tage plus ein Jahr, § 356 Abs. 3 BGB.
Aber aus der Widerruflichkeit allein ergibt sich gar nichts. Erst, wenn der Geschädigte den Vertrag widerrufen hat, wäre er von der Zahlungspflicht befreit. Wir verstehen Ihre Frage so, dass noch nicht widerrufen wurde. Also ist die vom Versicherer gewähnte Rechtsfolge noch gar nicht eingetreten.
Kann der Versicherer den Geschädigten zum Widerruf verpflichten?
Über die Frage hinaus können weitere Überlegungen angestellt werden, die auch für Gutachtenverträge gelten, wenn sie entweder im Fernabsatz (§ 312c BGB) oder als AGV zustande gekommen ist.
Voraussetzungen für Fernabsatz oder AGV
Voraussetzung ist abermals die Verbrauchereigenschaft des Geschädigten. Wenn ein Mitarbeiter der Werkstatt ein Auftragsformular des Gutachters vorhält, das er mit dem Geschädigten ausfüllt und anschließend mit einem Fernkommunikationsmittel an den Schadengutachter sendet, ist das ein für den Fernabsatz eingerichtetes Vertriebssystem. Da der Werkstattmitarbeiter dabei nur als Bote handelt (anders als im BGH-Fall der Autoverkäufer, der für die Leasinggesellschaft durch Gestaltung der Parameter bis zur Unterschriftsreife verhandeln durfte, BGH 25.9.24, VIII ZR 58/35, Abruf-Nr. 244426), dürfte dessen gleichzeitige Anwesenheit mit dem Verbraucher nicht dem Schadengutachter zuzurechnen sein.
Und wenn der Schadengutachter den Auftrag in den Werkstatträumen direkt vom gleichzeitig anwesenden Geschädigten entgegennimmt, ist ein AGV naheliegend. Eine Ausnahme davon bestünde, wenn der Schadengutachter in dem Autohaus eine Dependance betreibt.
Wenn also nun ein Fernabsatzvertrag oder ein AGV vorliegt, stellt sich auch bei korrekter Belehrung die Frage, ob der Versicherer – dann eben innerhalb der 14 Tage –, erst recht aber bei nicht erfolgter Belehrung innerhalb der verlängerten Frist, den Geschädigten zum Widerruf zwingen kann.
Bei Werkvertrag und korrekter Belehrung ist das bedeutungslos
Wurde der Verbraucher durch den Schadengutachter oder den Abschlepper korrekt belehrt, ist das eine akademische Frage ohne praktischen Wert. Denn eine korrekte an der Musterwiderrufsbelehrung des Gesetzgebers orientierte Belehrung enthält die Passage: „Haben Sie verlangt, dass die Dienstleistungen während der Widerrufsfrist beginnen soll, so haben Sie uns einen angemessenen Betrag zu zahlen, der dem Anteil der bis zu dem Zeitpunkt, zu dem Sie uns von der Ausübung des Widerrufsrechts hinsichtlich dieses Vertrags unterrichten, bereits erbrachten Dienstleistungen im Vergleich zum Gesamtumfang der im Vertrag vorgesehenen Dienstleistungen entspricht.“
Das alleine genügt nicht. Denn der Verbraucher muss das ja auch noch verlangen. Also muss durch eine Linie abgesetzt auf dem Formular noch stehen: „Ich stimme ausdrücklich zu und verlange, dass die Fa. X mit der Dienstleistung sofort beginnt, obwohl die Widerrufsfrist noch nicht abgelaufen ist. Mir ist bekannt, dass mein Widerrufsrecht erlischt, wenn die Dienstleistung vollständig erbracht ist.“ Da die Abschleppleistung oder auch die Erstellung des Schadengutachtens bereits abgeschlossen ist, wenn der Versicherer davon erfährt, ändert der Widerruf nichts an der Zahlungspflicht des Verbrauchers.
Ohne Belehrung gilt die Privilegierung nicht
Ohne eine Belehrung des Verbrauchers über dessen Widerrufsrecht gilt dieser „Zu spät“-Joker nicht. Doch die bereits mehrfach aufgestellte These des Versicherers, dass die Schadenminderungspflicht den Widerruf durch den Geschädigten gebiete, zieht nach Auffassung von VA nicht. Denn die Zielrichtung der Widerrufsrechte ist der Verbraucherschutz, nicht hingegen der Schutz eines Schädigers. Der Versicherer kann sich auch nicht – wie bereits beobachtet – auf die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag berufen und statt des Geschädigten den Widerruf erklären. Denn dazu gibt es keinen Anlass. Der kann ja ganz einfach nach seinem Willen gefragt werden. Dass der Versicherer manchen Geschädigten erfolgreich zum Widerruf überreden kann, ist anzunehmen. Umso wichtiger ist, dass die Beteiligten dringend ihre Belehrungsabläufe optimieren.
Der Widerruf schlägt nicht durch. Doch da ist noch der Regress
Wenn widerrufen wird, greift die Regel, dass Probleme im Grundverhältnis nicht auf das Schadenrecht durchschlagen (z. B. BGH 9.10.07, VI ZR 27/07, Rn. 6). Doch wenn der Versicherer Zug um Zug gegen Abtretung des Rückforderungsanspruchs erstattet, kann er das Geld im Regress zurückverlangen.
AUSGABE: VA 4/2025, S. 64 · ID: 50348480