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Subjektbezogener SchadenbegriffAuswahlverschulden, weil es eine billigere Werkstatt gebe?
| Die Versuche der Versicherer, den subjektbezogenen Schadenbegriff in der Ausprägungsform des Werkstattrisikos auszuhebeln, reißen nicht ab. Nun probiert es ein Wiesbadener Versicherer bei konkreter Abrechnung nach durchgeführter Reparatur wie folgt: Er verweist im Rechtsstreit auf eine billigere Werkstatt und stellt die steile These auf, die teurere genommen zu haben, sei ein Auswahlverschulden aufseiten des Geschädigten. |
Das AG Wangen folgt dem nicht: „Die Reparaturkosten sind nicht nach § 254 BGB durch den Einwand einer günstigeren Referenzwerkstatt zu kürzen. Denn anders als im Rahmen der fiktiven Abrechnung muss sich der Kläger bei der hier vorgenommenen konkreten Abrechnung von der Beklagten nicht auf eine ggf. zumutbar erreichbare Referenzwerkstatt verweisen lassen. Im Rahmen der konkreten Abrechnung sind nicht die günstigsten Konditionen, sondern grundsätzlich die objektiv erforderlichen Kosten maßgeblich. Zugunsten des Geschädigten sind jedoch die Grundsätze des Werkstattrisikos zu berücksichtigen.“
1. Die Höhe des Stundenverrechnungssatzes
Dass die ausgewählte Werkstatt einen Stundenverrechnungssatz von 222 EUR berechnet und dazu auch UPE-Aufschläge, dass mangels eigener Lackiererei der Werkstatt dort Verbringungskosten anfallen, alles das ist für sich genommen kein Anlass, von einem Auswahlverschulden auszugehen: „Denn es ist nicht ungewöhnlich, dass sich die Preise von Werkstätten hinsichtlich des Stundenlohns, der UPE-Aufschläge, der Fahrzeugverbringung und des angesetzten Lackmaterials unterscheiden. Der Geschädigte muss vor der Auswahl einer Fachwerkstatt zur Durchführung der Reparatur keine Marktrecherche nach der günstigsten Werkstatt betreiben und kann die Werkstatt seines Vertrauens beauftragen. Die Stundensätze der reparierenden Werkstatt liegen zwar deutlich über dem Stundenlohn der angegebenen Referenzwerkstatt, sind aber in der Höhe von 222 EUR vor dem Hintergrund der Preissteigerungen der letzten Jahre nicht so hoch, dass dem Geschädigten diese als überhöht auffallen müssten. Dass Kosten für diese Positionen anfallen, ist nicht unüblich. Die genaue Höhe und die Grenze der objektiven Erforderlichkeit muss der Geschädigte als Laie nicht kennen und auch nicht recherchieren.“ (AG Wangen im Allgäu 25.2.25, 4 C 7/25, Abruf-Nr. 246966, eingesandt von RA Jürgen Hohl, Langenargen).
2. Hier ging es per se nicht um eine zu befolgende Verweisung
Im entschiedenen Fall lautete die Logik des Versicherers nicht, der Geschädigte hätte der Verweisung folgen müssen. Denn die Benennung der Referenzwerkstatt erfolgte erst im Prozess und damit per se zu spät. Die Logik lautete sinngemäß: Die Existenz von Werkstätten mit diesen Preisen zeige, dass die Auswahl der teureren in ein Auswahlverschulden führe.
3. Eine Verweisung vor Beginn der Reparatur. Und nun?
Nun kann man sich den Fall aber auch in einer etwas abgewandelten Version vorstellen: Wie wäre es, wenn der Versicherer noch vor Erteilung des Reparaturauftrags auf die günstigere Werkstatt verwiesen hätte?
a) Die Grundsatzfrage ist noch nicht höchstrichterlich geklärt
Eine noch nicht höchstrichterlich geklärte Frage ist, ob eine solche Verweisung bei der konkreten Abrechnung überhaupt möglich ist. Das AG Wangen im Allgäu verneint, ebenso das LG Bonn 25.4.24, 17 0 102/23, Abruf-Nr. 241543. Damit wäre die Sache dann schon zu Ende. Aber das ist keine sichere Bank. Für die weitere Fragestellung wird daher unterstellt, im Grundsatz sei auch bei beabsichtigter Reparatur und beabsichtigter konkreter Abrechnung danach eine solche Verweisung möglich.
b) Es greifen die allgemeinen Sperren
Da greifen im Grundsatz zunächst die altbekannten Sperren der Unzumutbarkeit, die andere Werkstatt in Anspruch zu nehmen: Keine Verweisung, wenn das Fahrzeug nicht älter als drei Jahre ist, keine Verweisung, wenn das Fahrzeug zwar älter als drei Jahre, jedoch scheckheftgepflegt ist. Aber greifen die nur, wenn der Geschädigte eine Werkstatt seiner Marke gewählt hat? Oder greifen sie auch, wenn er eine freie Werkstatt gewählt hat und der Versicherer auf eine andere freie Werkstatt verweist? Schutzzweck ist nach BGH 20.10.09, VI ZR 53/09, Abruf-Nr. 133712 der Schutz problemloser Geltendmachung von Gewährleistungs- oder Garantieansprüchen und des weiteren Wohlverhaltens gegenüber dem Hersteller, um eventuelle Kulanzmöglichkeiten nicht zu gefährden. Bei den Fahrzeugen älter als drei Jahre ist es der Schutz des Prädikates „scheckheftgepflegt“. Die Entscheidung des Geschädigten zur Inanspruchnahme einer freien Werkstatt gefährdet das alles ja bereits, sodass eine Verweisung des Versicherers auf die Preise einer anderen freien Werkstatt insoweit kein Ungemach anrichtet. Die Verweisung von einer Werkstatt der Marke auf eine andere Werkstatt der Marke ist bei der fiktiven Abrechnung immer möglich, dadurch bleibt der Schutzzweck ja gewahrt.
Und auch darüber hinaus: Keine relevante Verweisung liegt vor, wenn die genannten Preise der Verweisungswerkstatt einer Überprüfung nicht standhalten, weil sie mit der Realität (durchaus sehr häufig) nicht übereinstimmen. Oder weil sie nur gelten, weil die Werkstatt mit dem involvierten Versicherer Sonderpreise vereinbart hat. Zu den Preisen insgesamt und zur Frage der Sonderpreise lohnt die Recherche.
c) Fahrzeug älter als drei Jahre und nicht scheckheftgepflegt
Ob eine Verweisung auf eine andere Werkstatt bei Fahrzeugen, die älter als drei Jahre und nicht scheckheftgepflegt sind, ein Auswahlverschulden auslösen kann, hängt von der großen Frage ab: Gegen eine Verweisungsmöglichkeit bei beabsichtigter Reparatur spricht die Dispositionsfreiheit in Verbindung mit der Ersetzungsbefugnis. Dafür spricht jedoch die BGH-Rechtsprechung zum Mietwagenhinweis des Versicherers, der ja generell zieht. Dass er sogar bei einem Versicherer-Sonderpreis zieht, liegt an der dabei nicht ganz so scharf gesehenen Ersetzungsbefugnis (BGH 12.2.19, VI ZR 141/18, Abruf-Nr. 207382, dort Rn. 24).
AUSGABE: VA 4/2025, S. 62 · ID: 50347087