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Subjektbezogener SchadenbegriffPraxisprobleme rund um die „neue Antragstellung“: Leser fragen, VA antwortet

Abo-Inhalt15.05.202443 Min. Lesedauer

| Die aus der Feinjustierung des subjektbezogenen Schadenbegriffs durch den BGH resultierende Aufforderung an den Versicherer, jeweils direkt an den Rechnungssteller (Werkstatt, Gutachter, Abschleppunternehmer etc.) zu zahlen, Zug um Zug gegen Abtretung der eventuellen Rückforderungsansprüche des Geschädigten gegen den Rechnungssteller an den Schädiger bzw. Versicherer pendelt sich so langsam ein. Dabei tauchen aber immer wieder Aspekte auf, die die Anwälte verunsichern. In diesem Kontext wurden wir mit vielen Fragen konfrontiert, die wir hier beantworten. |

1. Vorgerichtliche Geltendmachung und Vorschussthematik

Frage: Wir haben verstanden, dass grundsätzlich schon vorgerichtlich Zahlung an die Werkstatt verlangt werden muss, um das „Werkstattrisiko“ zu nutzen. Aber manchmal weiß der Geschädigte noch nicht, ob er reparieren lassen wird. Und manchmal ist die Reparatur beauftragt, aber noch längst nicht von der Werkstatt fakturiert. Wir rechnen dann zunächst auf fiktiver Basis ab. Gelingt das, freut sich die Werkstatt über eine schnelle Zahlung in Höhe des Vorschusses gleich nach Rechnungserstellung.

In dieser Situation wollen wir nicht die Zahlung an die Werkstatt verlangen. Wir verlangen dann Zahlung nach wie vor an den Geschädigten zu Händen der Kanzlei. Nach der Rechnungserstellung verlangen wir vom Versicherer den Restbetrag. Was ist denn jetzt zu beachten?

Antwort: Der Geschädigte darf nach wie vor Zahlung an sich selbst oder bei entsprechender Inkassovollmacht an die Kanzlei verlangen. Dann allerdings steht ihm der subjektbezogene Schadenbegriff nicht zur Seite. Das Bestreiten des Schädigers hinsichtlich einzelner Rechnungspositionen ist – ausreichende Substanziierung vorausgesetzt – dann erheblich. Ob es begründet ist, ist eine zweite Frage.

Dass dann in diesem Stadium der subjektbezogene Schadenbegriff in der Ausprägungsform des Werkstattrisikos nicht greift, ist nicht weiter von Bedeutung. Denn wenn es bei der fiktiven Abrechnung bleibt, wird der subjektbezogene Schadenbegriff ohnehin nicht in Reinkultur angewendet. Biegt der Vorgang jedoch auf die Spur „Vorschuss an Werkstatt nach deren Rechnungsstellung“ ein, ist der Vorschuss eben um die Einwendungen reduziert. Aber immer noch wird er der Werkstatt Freude machen.

Im zweiten Arbeitsgang wird nun die Reparaturrechnung vorgelegt. Der Differenzbetrag und ggf. die MwSt. werden nachgefordert. Insoweit wird dabei Zahlung an die Werkstatt verlangt, Zug um Zug gegen Abtretung eventueller Rückforderungsansprüche und unter Nachweis, dass der erste Betrag bereits an die Werkstatt weitergeleitet wurde. Denn wenn der erste Betrag nachweislich bei der Werkstatt eingegangen ist und der Versicherer den Rest dorthin zahlt, kann er ja sicher sein, dass sein Rückforderungsverlangen nicht schon formal am Einwand der Werkstatt scheitert, sie habe das Geld nicht bekommen und müsse schon deshalb nichts zurückzahlen, was sie nicht erhalten habe. Dieser denkbare Einwand hat den BGH ja im Urteil vom 16.1.24, VI ZR 266/22, Abruf-Nr. 239193, umgetrieben.

Kommt es zur Klage, muss auch in der Klage vorgetragen und nachgewiesen werden, dass der erste Betrag an die Werkstatt weitergeleitet wurde. Dann ist der Geschädigte hinsichtlich der Anwendung des Werkstattrisikos geschützt.

2. Variante Privathaftpflichtversicherung

Frage: Der Schädiger hat den Schaden mit dem Fahrrad angerichtet. Wie üblich hat dessen Privathaftpflichtversicherer direkt mit unserer Kanzlei kommuniziert. Er hat die Schadenersatzansprüche des Geschädigten hinsichtlich der tatsächlich durchgeführten Reparatur des beschädigten Autos beschnitten. Nun wird gegen den Fahrradfahrer selbst Klage erhoben, da ja keine Durchgriffshaftung besteht. Wegen der Schadenhöhe wollen wir uns auf das Werkstattrisiko stützen. Unterscheidet sich das von der typischen Situation, in der der Versicherer verklagt wird?

Antwort: Der Unterschied ist minimal: Der eventuelle Rückforderungsanspruch des Geschädigten gegen die Werkstatt wird an den Schädiger in Person abgetreten. Alles andere ist identisch.

3. Muss der Versicherer ein Abtretungsformular übersenden?

Frage: Schon vorgerichtlich verlangen wir nun Zahlung an den jeweiligen Rechnungssteller. Der gegnerische Haftpflichtversicherer fordert uns auf, eine Abtretung der Rückforderungsansprüche zu übermitteln. Wir bitten um Übersendung eines Formulars. Der Versicherer schreibt, das sei nicht seine Aufgabe. Die Abtretung müssten wir schon selbst formulieren. Liegt er damit richtig?

Antwort: Nach unserer Einschätzung liegt er damit richtig. Sie fordern für den Mandanten Schadenersatz nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB. Also ist dieser als Geschädigter vortrags- und beweisbelastet für die „Erforderlichkeit“ der einzelnen Positionen. Dafür möchte er sich im Rahmen der Erforderlichkeit die Beweiserleichterung durch das Prognoserisiko und das Werkstattrisiko zunutze machen. Da es also um die Erforderlichkeit geht, muss der Geschädigte die Voraussetzungen herstellen, dass die Beweiserleichterung angewendet werden kann. Folglich muss er auch die Abtretung vorlegen.

Dass einige Versicherer die Formulare selbst in den Umlauf geben, ist aus deren Sicht durchaus schlau. Denn wenn die anwaltliche Vertretung des Geschädigten selbst frei formuliert, ist es durchaus denkbar, dass es im Hinblick auf die Bestimmbarkeit des abgetretenen Anspruchs Probleme gibt. Wenn ein Versicherer den Bogen raus hat, sind seine Abtretungen wasserfest. Der werkstattregresserprobte Versicherer aus Münster legt Formulare vor, die von den Gerichten nicht beanstandet werden. An denen kann man sich beim Formulieren durchaus orientieren.

Wenn ein Anwalt die Abtretung weniger treffsicher gestaltet, wird kaum ein Sachbearbeiter beurteilen können, ob diese Abtretung im Zweifel die Anspruchsinhaberschaft des regressierenden Versicherers trägt. Zahlt er nach Eingang der Abtretung auf der Grundlage des subjektbezogenen Schadenersatzes, könnte der Versicherer im Regress bereits an fehlender Aktivlegitimation scheitern. Das wollen die Versicherer vermeiden, die lieber selbst formulieren.

Doch einige von denen sind da auch nicht ganz treffsicher. Und manchmal kann man geneigt sein, den Versicherer beim Wort zu nehmen. Man liest gelegentlich (hier mehrfach dokumentiert): „Wir bitten um Übersendung einer Abtretung der Reparaturkosten von Ihrem Mandanten, damit wir beim Reparaturunternehmen einen Regress einleiten können.“ Die wortgetreue Umsetzung wäre dann: „Wunschgemäß trete ich Ihnen hiermit meine Reparaturkosten ab“.

4. Abgetreten und rückabgetreten

Frage: Ursprünglich war der Anspruch auf Erstattung der Reparaturkosten oder der Gutachterkosten an den jeweiligen Leistungserbringer abgetreten. Ob beabsichtigt (Leistungserbringer hat die Abtretung dorthin geschickt) oder manchmal auch versehentlich (Rechnung und Abtretung waren in einem PDF-Dokument zusammengefasst, wir haben nicht aufgepasst) wurde die Abtretung beim Versicherer aktenkundig.

Damit wir die Forderung für den Geschädigten beitreiben können, haben wir die Rückabtretung an ihn veranlasst. Der Versicherer wendet nun ein, der subjektbezogene Schadenbegriff sei mit der Abtretung untergegangen. Dessen Auferstehung durch die Rückabtretung gebe es nicht. Ist das richtig?

Antwort: Hier antworten wir vorsichtig: Nach Einschätzung von VA ist der subjektbezogene Schadenbegriff nicht in das materielle Recht einzusortieren. Dessen Anwendung führt nur in eine Beweiserleichterung.

Damit geht er nicht unter, wenn die Schadenersatzforderung abgetreten wird. Der Zessionar kann sich nur nicht auf die Beweiserleichterung berufen, weil er den funktionsfähigen Vorteilsausgleich nicht ermöglichen kann. Denn der Zessionar ist nicht nur nicht der Inhaber der zum Vorteilsausgleich abzutretenden Forderung. Er ist sogar der Anspruchsgegner.

Geht die Schadenersatzforderung wieder zurück in die Hände des Geschädigten, ist die Möglichkeit zum funktionsfähigen Vorteilsausgleich wieder gegeben. Denn der Geschädigte macht nun den Anspruch aus eigenem Recht geltend. Außerdem er ist Inhaber des für den Vorteilsausgleich abzutretenden Rückforderungsanspruchs gegen die Werkstatt.

Es bleibt abzuwarten, wie die Gerichte das sehen. Eine endgültige Klärung wird es wohl erst durch den VI. Senat des BGH geben.

5. Zug-um-Zug-Urteil: Und was nun?

Frage: Der Versicherer wurde zur Zahlung des offenen Schadenbetrags Zug um Zug gegen Abtretung der Rückforderungsansprüche des Geschädigten verurteilt. Nun sagt er, er müsse erst zahlen, wenn ihm die Abtretung vorliege. Ist das nicht mit dem Urteil erledigt?

Antwort: Nach unserer Auffassung hat der Versicherer mit dieser Forderung recht. Die Abtretung ist die Voraussetzung der Zahlungspflicht. Das Urteil ersetzt die Abtretung nicht, sondern bestätigt ein Zurückbehaltungsrecht des Versicherers, bis ihm die Abtretung vorliegt.

Nun mag ja niemand die Akte nach dem Urteil noch einmal anfassen müssen. Hinzu kommt, dass das Werkstattrisiko bereits vorgerichtlich greifen soll. Deshalb bietet sich der folgende Weg an:

Vorgerichtlich wird die Abtretung dem Versicherer gegenüber erklärt, mit dem Hinweis, sie gelte nur Zug um Zug gegen Zahlung des offenen Schadenbetrags. Dann ist es am Versicherer, die Abtretung anzunehmen. Wenn er sie annimmt, hat der Geschädigte seinen Rückforderungsanspruch noch nicht endgültig hergegeben. Denn erst mit der vollständigen Schadenersatzleistung des Versicherers geht die abgetretene Forderung auf den Versicherer über. Unter Rn. 28 in BGH 16.1.24, VI ZR 253/22, Abruf-Nr. 239194 wird das in etwas anderem Zusammenhang bestätigt: „Mit vom Geschädigten abgetretenen Ansprüchen gegen die Werkstatt, die bei Zug-um-Zug-Verurteilung ohnehin erst mit der Zahlung an die Werkstatt auf den Schädiger übergehen, kann dieser ferner mangels Gegenseitigkeit der Ansprüche nicht gemäß § 387 BGB aufrechnen.“

Kommt es zum Rechtsstreit, wird schriftsätzlich vorgetragen, dass die Abtretung bereits angeboten wurde, der Versicherer sie aber nicht erkennbar angenommen habe. Die Abtretungserklärung kann noch einmal wiederholt werden. Hinzugefügt wird der Hinweis, dass auf eine ausdrückliche Annahmeerklärung verzichtet wird. Zwar ist die Wiederholung eigentlich überflüssig. Und man kann auch der Auffassung sein, dass wegen der angebotenen, aber nicht angenommenen Abtretung eine Zug-um-Zug-Verurteilung nicht mehr in Betracht kommt. Aber das ist ein Streit um des Kaisers Bart mit erheblichem Schriftsatzaufwand.

Im Interesse einer schlanken Bearbeitung im Massengeschäft mit überschaubaren (Rest-)Gegenstandswerten ist eine standardisierte Bearbeitungsmethode sicher der bessere Weg.

6. Ausblick

Sicher werden noch weitere Praxisprobleme rund um die Entscheidungen des BGH auftauchen. VA wird das Ohr am Puls haben und weitere Fragen aufgreifen. Für Erfahrungshinweise sind wir dankbar, denn die werden das Salz in der Suppe sein. Schreiben Sie uns gerne: va@iww.de.

AUSGABE: VA 6/2024, S. 95 · ID: 50023123

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