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GutachterkostenHebebühnenbenutzungsgebühr: Goethes Zauberlehrling ist Gutachter und Werkstätten zaubern mit

Top-BeitragAbo-Inhalt26.07.2024889 Min. Lesedauer

| „Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister Werd’ ich nun nicht los“. So plagt sich Goethes Zauberlehrling, der den Besen zu seinem Vorteil in einen Wasserträger verwandelte. Und als immer mehr Wasser kam, fiel ihm das Zauberwort nicht mehr ein, das den Spuk beenden konnte. Was hat das mit der Situation des Schadengutachters zu tun? Viel, wenn man die inflationären „Hebebühnenbenutzungskosten“ betrachtet. UE bringt Sie auf den Stand und diskutiert Lösungsansätze. |

BGH: Laienerkennbare Überhöhung der Desinfektionskosten

In der Ausgabe 7/2024 hat UE über die BGH-Entscheidung zu den 157,99 Euro Desinfektionskosten berichtet. Die hat der BGH als laienerkennbar evident überhöht bezeichnet. Daher gilt das „Werkstattrisiko“ von vornherein nicht. Die vom Landgericht dagegengehalten 33,28 Euro hat der BGH akzeptiert. In dem Beitrag hat UE darauf aufmerksam gemacht, dass die inflationären „Hebebühnenbenutzungskosten“ dasselbe Schicksal haben werden. Und zwar schon bei den Amtsgerichten, die sie einerseits bisher nur widerwillig zugesprochen haben und andererseits das BGH-Urteil kennen.

Hebebühnenbenutzungsgebühr und strategische Zwickmühle

Auch wenn manche Sachverständige es ungern lesen: Vor zwanzig Jahren wäre keine Werkstatt auf die Idee gekommen, für die Benutzung der Hebebühne vom Gutachter Geld zu verlangen. Wer lange genug im Thema ist, weiß, dass es andersherum war: Ein Gutachter hat Geld dafür geboten, um ins Geschäft zu kommen. Nach und nach wurden dann die Gutachter von den Werkstätten gegeneinander ausgespielt. Und der Überbietungswettbewerb untereinander entfaltete extreme Wirkung. „Von Gutachter xy bekommen wir 50 Euro für die Benutzung der Hebebühne. Wenn Du hier was werden willst, musst Du mehr geben.“ „Na gut, mache ich…“. Und so finden wir schon Rechnungen, in denen diese Position bald 200 Euro übersteigen. Dabei reden wir nicht von echter Mitarbeit der Werkstatt, weil das Fahrzeug nicht mehr rollfähig war und auf Radrollern zur Hebebühne gewuchtet werden musste, und auch nicht von Mithilfe in Form von Demontagearbeiten. Es geht um die pure Benutzung von Raum und Hebebühne. Irgendwann wird ein Gericht „20 Euro sind auch genug“ sagen, und dann ist es, siehe oben, passiert.

Das ist der Maßstab für Laienerkennbarkeit der Überhöhung

In den aktuellen Schulungen halten Gutachter dagegen (und da mag mit Christian Morgenstern, Die unmögliche Tatsache, ein weiterer Dichter zitiert werden: „Weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf.“): Woher soll denn der Laie wissen, was eine Nutzung der Hebebühne wert ist? Die Antwort liegt auf der Hand: Wenn der gesamte Vorgang „Sommerräder aus dem Lager holen, Auto auf Hebebühne setzen, Winterräder abschrauben, Sommerräder anschrauben, Auto von Hebebühne nehmen, Luftdruck prüfen, Luftdrucksensoren kalibrieren, Winterräder ins Lager bringen“ um die 60 oder auch 80 Euro kostet, kann der Anteil der Hebebühnennutzung daran nicht sehr hoch sein.

Es steht außer Frage, dass es für eine Rechnung für die Zurverfügungstellung des Equipments gute und sinnvolle Gründe gibt. Eine Hebebühne kostet Geld, deren regelmäßige Wartung und turnusgemäße amtliche Prüfungen sind auch nicht kostenlos. In der Zeit, in der der Schadengutachter die Hebebühne nutzt, ist sie für andere renditeträchtige Arbeiten nicht verfügbar. So lässt sich diese Position aus dem unangenehmen Geruch (der entwicklungsgeschichtlich durchaus seine Ursache hat), eine Provision für die Gutachtenvermittlung zu sein, zahlbar durch den Versicherer, herausargumentieren.

Wichtig | Aber das geht eben nicht in beliebiger durch einen Überbietungswettbewerb entstandener Höhe.

Die Abwicklung der Kosten und die logische Folge

Sinnvollerweise berechnet die Werkstatt die Kosten an den Schadengutachter. Denn für den erbringt sie ja die Leistung. Der zahlt und nimmt den Betrag als Fremdkosten zu seiner Rechnung.

Wo tanzen die Besen denn jetzt? Gehen wir für die weiteren Überlegungen mal von einer laienerkennbaren Überhöhung der Hebebühnenbenutzungskosten aus, die ja, siehe das Räderwechselbeispiel, durchaus früh erreicht sein kann. Der Schadengutachter hat diesen Betrag an die Werkstatt bezahlt. Der Versicherer erstattet ihn nicht.

Wer nun den hohen Betrag einklagt, riskiert, dass er vom Amtsgericht, dem die 157,99 Euro-Desinfektionskostenentscheidung nicht verborgen geblieben ist, nur einen Bruchteil davon zugesprochen bekommt. Das AG lässt die Berufung zu, der Geschädigte oder aus abgetretenem Recht der Gutachter nutzt die Möglichkeit. Das Berufungsgericht bestätigt.

Dann wird ab sofort (man mag sich an die 30 Euro Desinfektionskosten im Raum Stuttgart erinnern) noch nicht einmal der heute durchaus gängige Betrag von um die 50 Euro durchsetzbar sein. Dann reden wir vielleicht (siehe Räderwechsel-Beispiel) noch von zehn oder 20 Euro. Jedes Mal bleibt der Gutachter auf der Differenz sitzen. Dann sind die Hebebühnen-Benutzungskosten zu dem geworden, was sie trotz des leichten G’schmäckles nie sein sollten: Ein schlichtes Kickback des Schadengutachters an die Werkstatt.

Und hier muss man nun entscheiden: Wird die volle Differenz eingeklagt? Macht man sich sehenden Auges zum Totengräber dieser Position? Oder klagt man nur einen Teil ein, damit der Kickback-Effekt kleiner wird? Wird das einen Nutzen haben? Spätestens wenn ein anderer Gutachter weniger vernünftig agiert, ist es ohnehin zu Ende damit. Sollte man dann nicht bis dahin versuchen, alles zu bekommen? Fragen über Fragen. UE hat keine Antwort darauf.

Lösung: Vertretbare Preise mit Werkstätten verhandeln

Vernünftig wäre, dass die Gutachter mit den Werkstätten sprechen, damit sich das alles wieder auf einem vertretbaren Preisniveau einpendelt. Das wird oft Erfolg haben.

Manchmal aber auch nicht. Denn der Controller im Großbetrieb hat sich an die tausend mal 150 Euro gewöhnt. Warum soll der nun nachgeben? Denn er wird einen Schadengutachter finden, der den Betrag als echtes Kickback bezahlt. Die ich rief, die Geister Werd’ ich nun nicht los! Und die zu treffende Entscheidung lautet: Aufträge weg oder Geld weg?

Kickback und die Neutralität des Schadengutachters

Dann stellt sich die nächste Frage: Ist der Schadengutachter neutral, wenn er die Gutachtenvermittlung kauft? Man kann mit guten Gründen einwenden, dass die Werkstatt den Gutachter nicht empfiehlt, weil sie ihn im Interesse des Kunden für gut hält, sondern weil sie dafür bezahlt wird. Abwegig ist der Gedanke nicht.

Dem kann man entgegenhalten, dass der Gutachter die Werkstatt nicht für die Vermittlung des Auftrags bezahlt, sondern für die Zurverfügungstellung der Hebebühne. Dann muss man nur noch einen Richter finden, der nicht annimmt, dass in den extrem hohen Kosten für die Hebebühnennutzung nicht ein üppiger Betrag für die Auftragsvermittlung integriert ist.

Keine Lösung: Werkstatt berechnet direkt an Geschädigten

Man kann darüber nachdenken, dass sich die Werkstatt vom Kunden beauftragen lässt, den Gutachter zu unterstützen, und deshalb den Betrag an den Kunden berechnet. Doch der ist bei offensichtlicher Überhöhung (von der für diese Überlegungen ja ausgegangen wird) nicht vom subjektbezogenen Schadenbegriff geschützt. Also wird auch in diesem Verhältnis der Betrag vom Gericht auf den Bruchteil heruntergekürzt.

Dann aber belastet das den Schadengutachter nicht, könnte man meinen. Es ist nach aller Erfahrung jedoch nicht realistisch, dass die Werkstatt die Differenz vom Kunden einfordert. Also wird der Controller aus obigem Beispiel merken: Da kommt ja kaum noch was. Spätestens dann ist die Kickback-Frage auf dem Tisch.

Fazit | Entweder, die Werkstätten können ins Boot geholt werden, was nur gelingt, wenn die Schadengutachter sich nicht mehr gegeneinander ausspielen lassen. Oder die Besen werden weiter tanzen.

Weiterführender Hinweis
  • Beitrag „BGH bestätigt Pflicht des Geschädigten zur Plausibilitätskontrolle der Werkstattrechnung“, UE 7/2024, Seite 6 → Abruf-Nr. 50059707

AUSGABE: UE 8/2024, S. 6 · ID: 50094469

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