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RestwertVersicherer attackiert Restwert aus Gutachten mit örtlichen Überangeboten: Wie sind Erfolgschancen?
| Ein Versicherer, dem bereits das AG Coburg deutliches Fremdeln mit dem Schadenersatzrecht attestiert hat („Das Gericht nimmt aus einer Vielzahl hier geführter ähnlich gelagerter Rechtsstreitigkeiten irritiert zur Kenntnis, dass allgemeine Schadenersatzgrundsätze bei der beklagten Haftpflichtversicherung entweder unbekannt sind oder zulasten eines Unfallgeschädigten negiert werden…“) überrascht mit einer Annäherung an geltendes Recht. Er attackiert die Restwerte nun mit regionalen Überangeboten. Dazu hat UE eine Leseranfrage erreicht. |
Frage: Mir fällt ein neues Vorgehen eines Versicherers auf: Er übersendet nun (jedenfalls halbwegs) regionale höhere Restwertangebote und legt diese der Abrechnung zugrunde. In einem Fall hat die Mandantin das Unfallfahrzeug nicht verkauft, sondern in Eigenregie repariert, sie nutzt es weiter. In solchen Fällen ohne Verkauf des Unfallwagens gilt üblicherweise ja nur der Restwert aus dem Gutachten. Üblicherweise übersendet der Versicherer aber auch keine regionalen Restwertangebote, sodass er schon deshalb scheitert. Aber wie ist das bei einem regionalen Angebot? Der Bieter sitzt im 60 km südlich liegenden Hamburg mit einer Adresse im Hafenumfeld. Nach meinem Wissensstand ist das einer der Afrika-Exporteure. Hat der Versicherer mit dem Überangebot eine Chance?
Antwort: UE hält es für sinnvoll, dieses Vorgehen über Ihre Frage hinaus auch für Verkaufsfälle zu durchdenken.
Amateure und Profis müssen getrennt betrachtet werden
Alle nachfolgenden Ausführungen gelten für Haftpflichtschäden und nur für solche Geschädigten, die nicht gewerblich mit dem An- und Verkauf von Kraftfahrzeugen befasst sind. Denn für die Sonderfallgruppe der eben doch mit dem An- und Verkauf von Kraftfahrzeugen befassten Geschädigten sieht der BGH die Beschränkung auf den örtlichen und allgemeinen Markt nicht als richtig an (BGH, Urteil vom 25.06.2019, Az. VI ZR 358/18, Leitsatz b sowie ab Rz. 15, Abruf-Nr. 210470).
Wie ist es bei den Verkaufsfällen?
In den Fällen, bei denen der Geschädigte das Unfallfahrzeug verkauft, kann der Versicherer mit einem vor der Veräußerung eingehenden Überangebot sogar dann durchdringen, wenn es sich um ein überregionales Angebot eines Unfallwagenspezialisten handelt. Das gilt dann, wenn das Überangebot konkret genug (Der Bieter ist mit seinen Kontaktdaten benannt) und für den Geschädigten so komfortabel ist, dass er nur auf die Abholung und eine sichere Zahlung warten muss. Jedenfalls hat der BGH die Überangebote in allen relevanten Fällen nicht auf regionale Fahrzeughändler beschränkt (Exemplarisch BGH, Urteil vom 01.07.2010, Az. VI ZR 316/09, Abruf-Nr. 102089).
Hat der Geschädigte zum Zeitpunkt des Eingangs des Überangebots den Unfallwagen bereits verkauft, kommt das Überangebot zu spät. Der Geschädigte muss dem Versicherer nicht durch Abwarten Gelegenheit zum Überbieten geben (BGH, Urteil vom 27.09.2016, Az. VI ZR 673/15, dort Leitzsatz b, zweiter Satz, Abruf-Nr. 189462). Das ist also ein Wettlauf: Erst verkauft oder erst überboten?
Kann das Gutachten mit dem lokalen Angebot in Zweifel gezogen werden?
Dann könnte allerdings der Versicherer versuchen, mit dem regionalen Überangebot den Restwert aus dem Schadengutachten in Zweifel zu ziehen: „Seht her, lokal wäre auch mehr drin gewesen!“
Jedoch darf sich der Geschädigte auf die Richtigkeit des Gutachtens verlassen, wenn der Schadengutachter den von ihm ermittelten Restwert mit drei lokalen Angeboten vom allgemeinen Markt untermauert und im Schadengutachten auch benannt hat.
Letzte Chance des Versicherers: Regress gegen den Schadengutachter
Dann bleibt dem Versicherer noch der Versuch des Regresses gegen den Schadengutachter. Denn der Gutachtenvertrag zwischen dem Geschädigten und dem Schadengutachter ist ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (BGH, Urteil vom 13.01.2009, Az. VI ZR 205/08, Abruf-Nr. 090691).
In dem Zusammenhang stellen sich zwei Fragen:
- Was ist ein lokales Angebot?
- Ist „lokal“ das einzige Kriterium? Nein, allgemeiner Markt muss sein.
Was ist ein lokales Angebot?
In dem konkreten Fall mit einem Ort des Geschehens in Schleswig-Holstein und einem Bieter aus dem ca. 60 km entfernten Hamburg kann der lokale Charakter des Angebots ohne weiteres verneint werden. Dazu muss man sich das Motiv des BGH vor Augen halten, für solche Geschädigte, die nicht gewerblich mit dem An- und Verkauf von Kraftfahrzeugen befasst sind, auf den örtlichen Markt abzustellen.
Er sagt: „Vorrangiger Grund für die Entscheidung, bei der Ermittlung des Restwerts grundsätzlich maßgeblich auf den regionalen Markt abzustellen, ist dabei weiterhin die Überlegung, dass es einem Geschädigten möglich sein muss, das Fahrzeug einer ihm vertrauten Vertragswerkstatt oder einem angesehenen Gebrauchtwagenhändler bei dem Erwerb des Ersatzwagens in Zahlung zu geben. Das für den Kauf eines Ersatzfahrzeugs unter Inzahlunggabe des Unfallwagens notwendige persönliche Vertrauen wird der Geschädigte ohne Nachforschungen, zu denen er nicht verpflichtet ist, aber typischerweise nur ortsansässigen Vertragswerkstätten und Gebrauchtwagenhändlern, die er kennt oder über die er gegebenenfalls unschwer Erkundigungen einholen kann, entgegenbringen, nicht aber erst über das Internet gefundenen, jedenfalls ohne weitere Nachforschungen häufig nicht ausschließbar unseriösen Händlern und Aufkäufern.“ (zuletzt in BGH, Urteil vom 25.06.2019, Az. VI ZR 358/18, Abruf-Nr. 210470).
Die meisten kaufen im Umfeld des Wohnortes
Der BGH geht also davon aus, dass der typische Gebrauchtwagenkäufer sein Ersatzfahrzeug in seiner Region, also dort, wo er die Vertrauenswürdigkeit der Autohändler selbst einschätzen kann, erwerben und dabei das Unfallfahrzeug in Zahlung geben möchte. Das gilt generalisiert und unabhängig davon, dass mancher für ein vermeintliches Schnäppchen doch seine eigene Region verlässt. Denn der BGH priorisiert den örtlichen Markt, – so wörtlich – „… unabhängig davon, ob er im Einzelfall nach Einholung des Gutachtens dann auch entsprechend verfährt…“. Soll heißen: Auch wenn der Geschädigte am Ende doch räumlich entfernt das Ersatzfahrzeug kauft (BGH, Urteil vom 27.09.2016, Az. VI ZR 673/15, Rz. 13, Abruf-Nr. 189462).
Das OLG Schleswig hat sogar eine Beschränkung auf das Bundesland für richtig gehalten: „Auch die Beschränkung der Einholung der Restwertangebote auf Schleswig-Holstein, dem Bundesland, wo sich das Fahrzeug nach dem Unfall befand, begegnet keinen Bedenken.“ (OLG Schleswig, Beschluss vom 09.11.2021 Az. 7 U 87/21 (1), Abruf-Nr. 230488).
Wichtig | Eine solche Generalisierung ist jedoch mit gewisser Skepsis zu sehen. Stellt man sich einen Ort des Geschehens in Norderstedt vor, also einem direkt an Hamburg angeflanschten Ort in Schleswig-Holstein, erschiene u. E. Hamburg doch als lokaler Markt.
Mit dem Zirkel auf der Landkarte geht es nicht
Klar ist aber: Der lokale Markt lässt sich nicht pauschal mit einer Kilometerangabe rund um den Standort eingrenzen. Wer in der Provinz wohnt und ein exotisches Fahrzeug fährt, dessen Markenhändler nur in der weit entfernten Stadt zu finden ist, wird diese Entfernung dann auch für das Restwertgebot zu akzeptieren haben.
„Lokal“ nicht einziges Kriterium: Allgemeiner Markt muss sein
In seiner Rechtsprechung differenziert der BGH nach verschiedenen Kriterien. So heißt es in seinen Restwerturteilen stets, der Geschädigte eines Verkehrsunfalls sei in der Regel nicht verpflichtet, bei der Verwertung des beschädigten Fahrzeugs die Angebote räumlich entfernter Interessenten einzuholen, oder einen Sondermarkt für Restwertaufkäufer in Anspruch zu nehmen (zuletzt BGH, Urteil vom 25.06.2019, Az. VI ZR 358/18, Rz. 9, Abruf-Nr. 210470).
„Räumlich entfernt“ und „Sondermarkt“ sind also zwei verschiedene Kriterien. Das ist leicht zu verstehen, wenn man sich noch einmal das oben bereits dargestellte Motiv vor Augen hält. Der Geschädigte soll „…das Fahrzeug einer ihm vertrauten Vertragswerkstatt oder einem angesehenen Gebrauchtwagenhändler bei dem Erwerb des Ersatzwagens in Zahlung…“ geben können.
Bei den spezialisierten Unfallwagenhändlern kann er sein Fahrzeug zwar verkaufen. Doch kann er dort kein adäquates Fahrzeug als Ersatz für sein vor dem Unfall unbeschädigtes Fahrzeug kaufen. Das generalisiert angestrebte „One stop shopping“ ist dort also nicht möglich. Das hat das OLG München bereits herausgearbeitet. Es reiche nicht aus, dass der Bieter für das verunfallte Fahrzeug zwar in der Region des Geschädigten ansässig ist. Er müsse zusätzlich vom „allgemeinen“ Markt stammen und nicht vom Sondermarkt (OLG München, Verfügung vom 14.04.2022, Az. 10 U 516/22, Abruf-Nr. 229778)
Damit liegt das OLG München nach Einschätzung von UE gemessen am dargestellten Motiv des BGH richtig.
Wichtig | So hat also auch der Schadengutachter nichts zu befürchten. Eine Schwachstelle wäre allerdings, wenn er selbst zwar örtliche Angebote, aber nur solche von spezialisierten Unfallwagenhändlern herangezogen hat. Richtig ist es, Angebote von solchen Interessenten zur Grundlage zu machen, die sowohl mit unbeschädigten als auch mit beschädigten Fahrzeugen handeln.
Wie ist es in Fällen der Weiternutzung, also ohne Verkauf?
Richtig ist zunächst einmal, dass in den Fällen der Weiternutzung ggf. in teilreparierten Zustand trotz Totalschadens regelmäßig der Restwert aus dem Gutachten zugrunde gelegt werden kann (BGH, Urteil vom 13.10.2009, Az. VI ZR 318/08, Abruf-Nr. 093553; BGH, Urteil vom 06.03.2007, Az. VI ZR 120/06, Abruf-Nr. 071214; BGH, Urteil vom 10.07.2007, Az. VI ZR 217/06, Abruf-Nr. 072681).
Mangels Verkaufs kann der Wettlauf „erst verkauft oder erst überboten“ nicht stattfinden.
Das begründet der BGH für den Geschädigten so: „Er muss sich nicht an einem Angebot eines Restwerthändlers außerhalb des ihm zugänglichen allgemeinen regionalen Markts festhalten lassen, das vom Versicherer über das Internet recherchiert worden ist. Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass andernfalls der vollständige Schadensausgleich nicht gewährleistet würde. Der Versicherer des Schädigers könnte mit einem entsprechend hohen Angebot den Verkauf des Fahrzeugs erzwingen. Bei Weiternutzung und späterem Verkauf in eigener Regie liefe der Geschädigte jedenfalls Gefahr, wegen eines wesentlich niedrigeren Verkaufspreises für den Kauf des Ersatzfahrzeugs eigene Mittel aufwenden zu müssen. Dies entspricht nicht dem gesetzlichen Bild des Schadensersatzes …“
Wichtig | Am Rande bemerkt: Das gilt nach der Rechtsprechung des BGH auch in Weiternutzungsfällen bei Kaskoschäden (BGH, Urteil vom 14.04.2021, Az. IV ZR 105/20, Abruf-Nr. 222229).
Ist es bei einem lokalen allgemeinen Überangebot anders?
Nun versucht es der Versicherer im Fall des UE-Lesers nicht mit einem Angebot aus der Restwertbörse, sondern mit einem örtlichen Überangebot.
Auch bei dem Angebot gelten für
- „örtlich“ und
- „allgemein“
dieselben Kriterien wie bei den Verkaufsfällen.
Wenn das Überangebot wirklich örtlich und allgemein wäre
Denkt man sich aber nun ein Überangebot, das den Kriterien „örtlich“ und „allgemein“ standhielte, stellt sich die Frage, ob das Überangebot dann den Restwert aus dem Schadengutachten ins Wanken bringen kann.
Das ist jedenfalls nicht abwegig. Denn das Argument „zu spät, schon verkauft“ zieht in den Weiternutzungsfällen nicht.
In einer Weiternutzungsfall-Entscheidung des BGH findet sich folgender Satz unter Rz. 11: „Da die Beklagten die Schätzung des Sachverständigen für den regionalen Markt des Klägers nicht in Zweifel gezogen haben ...“ (BGH, Urteil vom 06.03.2007, Az. VI ZR 120/06, Rz. 11, Abruf-Nr. 071214).
Im Umkehrschluss heißt das, dass mit einem den Kriterien standhaltenden Überangebot der Wert auf dem regionalen Markt aus dem Gutachten in Zweifel gezogen werden könnte.
In einem vom Sachverhalt her nicht ganz vergleichbaren Fall findet sich ein ähnlicher Hinweis. Da hatte der Geschädigte sein Unfallfahrzeug freihändig ganz ohne Gutachten verkauft. Der Leitsatz des Urteils deutet an, dass der tatsächlich erzielte Betrag mit einem regionalen Angebot hätte ins Wanken gebracht werden können (BGH, Urteil vom 12.07.2005, Az. VI ZR 132/04, Abruf-Nr. 052785).
Allerdings lässt sich dann auch argumentieren, dass ein einzelnes Angebot nicht bedeutet, dass der niedrigere Restwert falsch ist. Auch da lässt sich aus dem soeben zitierten BGH-Urteil Honig saugen: Freihändig verkauft hatte der Geschädigte für 300 Euro. Das Berufungsgericht kam mit Hilfe eines von ihm eingesetzten Gutachters zum Ergebnis, es seien auf dem maßgeblichen regionalen Markt Restwerte von 300 Euro bis 1.500 Euro zu realisieren gewesen. Die Bandbreite war also groß. Und deshalb entschied der BGH, der vom Kläger erzielte Preis liege somit im Rahmen der vom gerichtlichen Sachverständigengutachten ermittelten Restwertangebote und sei von daher nicht zu beanstanden.
Wichtig | Genauso müsste man es sehen, wenn schon für den Geschädigten ein von ihm beauftragter Gutachter tätig gewesen wäre und der Versicherer den nun im Wege des Regresses belangen wollte.
- Textbaustein 547: Restwert: Bieter ist zwar vom Ort, aber vom Sondermarkt. Das Angebot ist damit ohne Relevanz (H/K)“ → Abruf-Nr. 48421805
- Beitrag „BGH zum Restwert: Geschädigter Profi muss auch den Restwertmarkt im Internet nutzen“, UE 9/2019, Seite 7 → Abruf-Nr. 46072587
AUSGABE: UE 2/2024, S. 6 · ID: 49867335