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AusfallschadenTeilerückstand: Besteht Pflicht zum Gebrauchtteil-Kauf im Internet?

Abo-Inhalt24.01.2024191 Min. Lesedauer

| Die gestörten Lieferketten werden uns vermutlich noch lange begleiten, und rund um den Unfallschaden bedeutet das oft: Lange Ausfallzeiten des unfallbeschädigten Fahrzeugs. Die Versicherer versuchen mit allerlei Argumenten, die daraus entstehenden Kosten von sich fernzuhalten. Dazu hat UE nun folgende Anfrage erreicht. |

Frage: Für einen zwei Jahre alten Dacia Duster war ein Scheinwerfer nicht lieferbar. Auch der Versuch, mit dem Reparatursatz für die abgebrochenen Halter jedenfalls zu überbrücken, scheiterte an auch deren fehlender Lieferbarkeit. Nachweislich hat der Hersteller aber nicht „auf lange Sicht nicht lieferbar“ gemeldet, sondern die Lieferung bei jeder Nachfrage als „in Kürze“ in Aussicht gestellt. Irgendwann kam der Scheinwerfer, nach dessen Einbau der Geschädigte sein Fahrzeug zurückbekam. Mit der Mietwagenrechnung konfrontiert wendet der Versicherer nun ein, die Schadenminderungspflicht hätte erfordert, dass der Geschädigte „im Internet“ einen gebrauchten Scheinwerfer kauft. Die Mietwagenkosten erstattet er nur für die im Gutachten prognostizierte Reparaturdauer. Hat er Recht?

Antwort: Ständige Rechtsprechung ist: Grundsätzlich kann der Geschädigte für den Zeitraum der erforderlichen Reparatur Entschädigung verlangen. Verzögerungen bei der Durchführung der Reparatur, die nicht vom Geschädigten zu vertreten sind, gehen zulasten des Schädigers. (z. B. OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.10.2007, Az. I-1 U 52/07, Abruf-Nr. 073123).

Richtig ist aber auch: Im Grundsatz kann vom Geschädigten schadenminderndes Verhalten verlangt werden (§ 254 Abs. 2 BGB). Und ein qualitätsgesichertes altersangemessenes Gebrauchtteil genügt theoretisch. Immerhin akzeptiert der BGH im Rahmen der 130-Prozent-Reparaturen Gebrauchtteile als fachgerecht. Im Detail allerdings ist in Ihrem Fall für den Versicherer mit seinem Argument kein Blumentopf zu gewinnen. Das hat viele Gründe:

Der Maßstab heißt „ex ante“

Schadenrecht der Höhe nach wird niemals von hinten gedacht, sondern von vorn, oder – wie die Juristen sagen – ex ante. Dass man ex post weiß, dass es furchtbar lange gedauert hat, bedeutet nicht, dass der Geschädigte diese Ausuferung des Ausfallschadens bereits im Vorhinein erkennen konnte.

Hätte der Hersteller von Anfang an gemeldet, das Teil sei auf lange Zeit nicht lieferbar, wären die Pflichten des Geschädigten erhöht. Dann müsste man allerdings immer noch schauen, welche Möglichkeiten er denn tatsächlich und nicht nur theoretisch gehabt hätte.

§ 254 Abs. 2 BGB: Versicherer ist in der Nachweispflicht

Für einen Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht hätte er in einem Rechtsstreit um die Mietwagenkosten die Vortragslast dafür, wo der Geschädigte denn „im Internet“ so einen Scheinwerfer passgenau für sein Fahrzeug qualitätsgesichert und ohne Risiko, gestohlene Ware zu erwerben, hätte kaufen können. Bei einem so jungen Fahrzeug dürfte das Angebot eher dünn oder gar nicht vorhanden sein. Wenn aber auch der Schädiger nicht vorträgt, wie der Geschädigte die Reparatur hätte beschleunigen können, hat der Geschädigte auch bei 113 Tagen Ausfalldauer nichts falsch gemacht (LG Schweinfurt, Urteil vom 20.03.2023, Az. 23 O 846/22, Abruf-Nr. 234883).

Das gilt auch später im Rechtsstreit. Wenn der Versicherer vorgerichtlich einfach nur „Hätte Gebrauchtteil im Internet kaufen müssen“ vorträgt, ohne schon zu diesem Zeitpunkt unaufgefordert eine Lieferquelle zu nennen, wird er im Rechtsstreit rückblickend den Nachweis führen müssen, wo ein solches Teil hätte beschafft werden können. Selbst wenn er dann „heute“ eins auftreibt, obliegt ihm der Nachweis, dass es das damals auch gegeben hätte.

„In Kürze“ führt nicht in Handlungsbedarf des Geschädigten

Hier durfte der Geschädigte allerdings davon ausgehen, dass die – auch wiederholte – Äußerung des Herstellers, „in Kürze“ werde geliefert, zutrifft. Zwar merkt er irgendwann, dass die Angaben nicht sehr zuverlässig sind. Doch er kommt ja dem Ziel jeden Tag einen Tag näher. Da muss er sich nicht auf möglicherweise windige Quellen schwer überschaubarer Zuverlässigkeit einlassen. eBay und Ähnliches bedeutet ja stets Vorkasse. Und schon mancher wartet dann für immer auf die Ware.

Allerdings gibt es in diesem Fall nicht die übliche Kostenabwägung wie bspw. bei der Notreparatur. Denn bei der entstehen ja zusätzliche Kosten, die gegen das ex ante zu beurteilende Risiko erhöhten Ausfallschadens abgewogen werden müssen. Mit einem qualitätsgesicherten gebrauchten Scheinwerfer wäre die Reparatur nämlich endgültig gewesen. Mehrkosten wären durch doppelte Arbeiten oder durch nicht in der endgültigen Reparatur aufgehende Zusatzarbeiten nicht entstanden.

Ohne Lieferquellen-Nachweis zieht Versicherer den Kürzeren

Entscheidend ist nach alledem das Thema der Vortragslast. Würde der Versicherer eine zuverlässige und seriöse Quelle benennen, hätte er eine Chance. Rund um gestohlene Navigationsgeräte wurde das „Gebraucht aus dem Internet“-Argument schon auf den gerichtlichen Prüfstand gestellt. Weil der Versicherer von Anfang an eine Quelle für den Erwerb gebrauchter Navigationsgeräte angegeben hatte, die der gerichtlich bestellte Sachverständige als seriös eingeschätzt hatte, hat das AG Essen dem Versicherer Recht gegeben. Der Diebstahlschaden wurde auf Gebrauchtpreisbasis abgerechnet (AG Essen, Urteil vom 31.08.2007, Az. 20 C 1/07, Abruf-Nr. 072906).

Weiterführender Hinweis
  • Textbaustein 596:Teilerückstand: Pflicht zum Gebrauchtteil-Kauf im Netz nur in eng begrenzten Fällen (H) → Abruf-Nr. 49877679

AUSGABE: UE 2/2024, S. 12 · ID: 49877637

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