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GemeinnützigkeitFG Berlin-Brandenburg zur Prüfungstiefe des § 60a Abs. 6 AO bei Versagung des Freistellungsbescheids
| Bei der satzungsmäßigen Feststellung der Gemeinnützigkeit kann das Finanzamt Erkenntnisse heranziehen, die über die bloße Satzungsprüfung hinausgehen. Es kann die Freistellung ablehnen, wenn bis zum Zeitpunkt des Erlasses des ersten Körperschaftsteuer- oder Freistellungsbescheids Erkenntnisse vorliegen, dass die tatsächliche Geschäftsführung gegen die satzungsmäßigen Voraussetzungen verstößt. Das FG Berlin-Brandenburg hat sich jetzt mit der dabei zulässigen Prüftiefe befasst. Sein Ergebnis ist für gemeinnützige Einrichtungen problematisch. |
Um diesen Fall ging es beim FG Berlin-Brandenburg
Der Fall betraf einen Verein mit dem Satzungszweck der Förderung des demokratischen Staatswesens. Der Satzungszweck sollte u. a. erfüllt werden durch die öffentliche Diskussion rechtlicher, insbesondere verfassungsrechtlicher Fragen und die Veröffentlichung von Erklärungen, mit denen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gestärkt werden. Der Verein beantragte beim Finanzamt die Anerkennung der Gemeinnützigkeit nach § 60a AO.
Auf seiner Internetseite hatte der Verein Beiträge veröffentlicht, bei denen das Finanzamt keinen Satzungsbezug sah. Weil sich der Verein nach seiner Auffassung seit seiner Gründung fast ausschließlich mit solchen Themen beschäftigte und zudem einseitig, verweigerte das Finanzamt die Anerkennung der Gemeinnützigkeit. Dagegen reichte der Verein Klage ein. Er vertrat die Auffassung, das Finanzamt dürfe nur die Geldmittelverwendung prüfen und ggf. wegen verfassungswidriger Bestrebungen die Anerkennung ablehnen. Eine inhaltliche Prüfung der Tätigkeit sei aber gesetzlich nicht vorgesehen.
FG: Feststellung ist nach § 60a Abs. 6 AO gesperrt
Das FG widersprach dieser Auffassung. Es hat die Klage abgewiesen (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.11.2023, Az. 8 K 8012/23, Abruf-Nr. 239256).
Prüfung geht regelmäßig nicht über die Satzung hinaus
Nach Auffassung des FG regelt § 60a Abs. 6 AO einen Ausnahmefall. Regelmäßig ist im Rahmen der Satzungsprüfung das Einbeziehen der „tatsächlichen Geschäftsführung“ ohne konkreten Anlass nicht erforderlich.
Die Vorschrift ziele darauf, Rechtsmissbrauch zu verhindern. Das dürfe aber nicht eng ausgelegt werden. § 60a Abs. 6 AO – so das FG – knüpfe allein an die Nichterfüllung der tatsächlichen Geschäftsführung an. Es genüge deswegen ein einziger Grund, der die Steuerbegünstigung ausschließt, um die Feststellung zu versagen. Die Finanzbehörde müsse nach dem ausdrücklichen Wortlaut auch keine Missbrauchsabsicht nachweisen bzw. sonst darlegen, wie sie die aus ihrer Sicht relevanten Kenntnisse ermittelt hat.
Keine eingeschränkte Prüftiefe
Aus § 60a Abs. 6 S. 1 AO ergibt sich nach Ansicht des FG keine eingeschränkte Prüfungstiefe. Deswegen sind Prüfungsmaßstab für die „tatsächliche Geschäftsführung“ keineswegs nur „ordnungsmäßige Aufzeichnungen über ihre Einnahmen und Ausgaben“. § 63 Abs. 1 AO – so das FG – koppelt die tatsächliche Geschäftsführung an die Satzung. Die Körperschaft muss durch ihre Geschäftsführung deshalb insbesondere die in der Satzung bestimmten steuerbegünstigten Zwecke tatsächlich verfolgen.
Erkenntnisse des Finanzamts waren hinreichend
Das FG hielt die genannten Erkenntnisse des Finanzamts zur tatsächlichen Geschäftsführung des Vereins für hinreichend. Der Verein verfolgte den Zweck der Förderung des demokratischen Staatswesens nämlich nicht ausschließlich. Dieser Satzungszweck gebe keinen Raum, konkrete Problemfelder der Tagespolitik durchsetzen zu wollen. Damit lagen gerade Anhaltspunkte i. S. v. § 60a Abs. 6 AO vor, dass keinerlei besondere Förderungstätigkeit in Bezug auf das demokratische Staatswesen verfolgt wurde.
Prüfung wird auf die Steuerveranlagung verschoben
Dabei argumentiert das FG, dass der Feststellungsbescheid keine abschließende Entscheidung über die Freistellung bedeutet. Er hat nur eine vorläufige Vertrauensschutzwirkung. Die eigentliche Entscheidung über die Gemeinnützigkeit erfolgt allein im Veranlagungsverfahren.
Das sind die Handlungsempfehlungen für neue Organisationen
Das Gericht verkennt hier, dass der Feststellungsbescheid für den Spendenabzug wichtig ist. Nicht selten ist der Einrichtung dann in der Aufbauphase nach Gründung eine wichtige Finanzierungsquelle verschlossen. Diese Auffassung des FG ist um so problematischer, als es keine Pflicht des Finanzamts sieht, eine abschließende Amtsermittlung durchzuführen.
Auch das Gericht – so das FG – kann lediglich prüfen, ob die vorliegenden finanzbehördlichen Erkenntnisse über die tatsächliche Geschäftsführung so substantiiert sind, dass sie einen eindeutigen Rückschluss auf eine Verletzung der materiellen Gemeinnützigkeit zulassen. Praktisch heißt das, dass das Finanzamt ohne Rücksicht auf die Gesamttätigkeit die satzungsmäßige Feststellung der Gemeinnützigkeit verweigern kann, wenn einzelne Tätigkeiten nicht satzungskonform sind. Die Einrichtung hat dann erst mit der ersten Steuererklärung erneut die Möglichkeit, gemeinnützig zu werden.
Praxistipp | Die Auffassung des FG ist für neu gegründete Organisationen problematisch. Danach könnte die Anerkennung der Gemeinnützigkeit schon dann verweigert werden, wenn irgendwie erkennbar ist, dass die Einrichtung (auch) satzungsfremde Zwecke betreibt. Wie schon in anderen Fällen waren es auch hier Veröffentlichungen auf der Website, die das Finanzamt heranzog. Einrichtungen im Errichtungs-/Gründungstadium sollten deswegen sehr vorsichtig mit derartigen Publikationen sein. Das FG hat die Revision ausdrücklich zugelassen, weil insbesondere die Anforderungen an die „vorliegenden Erkenntnisse“ nicht höchstrichterlich geklärt sind. Es ist zu hoffen, dass der BFH die Anforderungen an die Prüfung durch das Finanzamt erhöht. |
AUSGABE: SB 4/2024, S. 73 · ID: 49885380