Sie sind auf dem neuesten Stand
Sie haben die Ausgabe Jan. 2025 abgeschlossen.
Der Steuerberater fragt, der Strafverteidiger antwortetFehlerhafte Einmal-Steuerermäßigung: Steuerberater haftet für Aufklärungsfehler
| Ein Steuerberater handelt pflichtwidrig, wenn er seinen Mandanten nicht auf einen von ihm erkannten Fehler des Finanzamts hinweist, bei dem das Risiko nachteiliger Folgewirkungen für den Mandanten besteht. Das ist z. B. der Fall, wenn das Finanzamt § 34 EStG fehlerhaft anwendet und dadurch der nach § 34 Abs. 3 EStG erhaltene Steuervorteil verbraucht ist, da er vom Steuerpflichtigen „nur einmal im Leben“ beansprucht werden kann. |
FRAGE DES STEUERBERATERS: Mein Mandant M, ein 58-jähriger Arzt mit einer eigenen orthopädischen Praxis, hat mir seinen aktuellen Einkommensteuerbescheid überlassen, um diesen zu prüfen. Ich habe festgestellt, dass das Finanzamt (FA) fehlerhaft eine Zahlung von rund 20.000 EUR als Veräußerungsgewinn des M mit dem ermäßigten Steuersatz des § 34 Abs. 3 EStG angesetzt hat. Bei der Zahlung handelt es sich nicht um einen Veräußerungsgewinn i. S. d. § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG. M hatte zudem die Steuervergünstigung auch gar nicht beantragt, wie § 34 Abs. 3 S. 1 EStG es vorsieht. Wenn er keinen Einspruch einlegt, wird sich seine Nachzahlungspflicht verringern. Kann ich ihm daher ohne Weiteres empfehlen, von einem Einspruch abzusehen?
ANTWORT DES STRAFVERTEIDIGERS: Nein. Dieser isolierte Rat könnte zu einem Haftungsfall führen. Dem M könnte ein Schadenersatzanspruch wegen Pflichtverletzung eines Steuerberatervertrags aus §§ 675, 611 BGB i. V. m. § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB entstehen (so OLG Schleswig 11.10.24, 17 U 4/24, Juris Rn. 70). Im Rahmen des vereinbarten Mandatsumfangs gehört es zu Ihren Pflichten, den M umfassend zu beraten und ungefragt über alle bedeutsamen steuerlichen Einzelheiten und deren Folgen zu unterrichten.
Merke | Um seinen Mandanten vor Schaden zu bewahren, muss der Steuerberater den sichersten Weg zu dem erstrebten steuerlichen Ziel aufzeigen und sachgerechte Vorschläge für dessen Verwirklichung unterbreiten (BGH 19.5.09, IX ZR 43/08, juris, Rn. 11; BGHZ 129, 386, 396). |
Ihr Auftrag, den Steuerbescheid des M auf seine inhaltliche Richtigkeit zu prüfen, umfasst auch Ihre Pflicht, ihn darüber zu unterrichten, dass das FA den ermäßigten Steuersatz gem. § 34 Abs. 3 EStG fehlerhaft angewendet hat. Sie müssen ihn über die sich daraus ergebenden möglichen Konsequenzen informieren, dass der M den begünstigten Steuersatz später nicht mehr nutzen kann, wie im Fall des OLG Schleswig (a. a. O.). Darin ging es um einen bereits bestandskräftigen Steuerbescheid. Die Steuerberaterpartnerschaft konnte sich nicht damit enthaften, dass seinerzeit keine einschlägige Rechtsprechung existierte, weil sich nach Ansicht des Senats die Konsequenzen für den Mandanten bereits aufgrund des Wortlauts des § 34 Abs. 3 S. 4 EStG ergeben hätten (OLG Schleswig, a. a. O. Rn. 74). Nach dieser Norm kann der Steuerpflichtige die Ermäßigung nur einmal im Leben beanspruchen. Entscheidend sei, dass sich die Vergünstigung auf die frühere Steuerfestsetzung ausgewirkt habe und sie dort nicht mehr rückgängig gemacht werden könne. Für den Fall, dass der Steuerpflichtige beabsichtige, die Vergünstigung des § 34 Abs. 3 S. 1 EStG zu einem späteren Zeitpunkt in Anspruch zu nehmen, müsse er die Steuerfestsetzung anfechten (BFH 28.9.21, VIII R 2/19).
Beachten Sie | Übersieht der Berater die Rechtsfolgen einer steuerlichen Norm oder deutet er sie fehl, kann dies im Einzelfall eine grobe Fahrlässigkeit im haftungsrechtlichen Sinne begründen.
Da Sie wissen, dass M freiberuflich als Arzt tätig ist, müssen Sie damit rechnen, dass sich für ihn später hohe Veräußerungsgewinne bei einer altersbedingten Praxisaufgabe ergeben könnten. Es droht also ein möglicher „Verbrauch“ der Steuervergünstigung für eine vergleichsweise geringere Einnahme.
Der BFH hat wiederholt zum sog. „Objektverbrauch“ Folgendes vertreten: Eine Steuerermäßigung ist auch „verbraucht“, wenn sie gewährt worden ist, ohne dass die tatbestandlichen Voraussetzungen gegeben waren (vgl. nur BFH 8.3.94, IX R 12/90, juris, Rn. 13). Danach ist es für den „Objektverbrauch“ unerheblich, dass die Steuerermäßigung ohne entsprechenden Antrag gewährt worden ist. Die Rechtsprechung des BFH bietet Anlass zu besonderer Vorsicht. Sie müssen Ihren Mandanten darauf hinweisen.
Der Hinweis, mit dem allein die fehlerhafte Anwendung des ermäßigten Steuersatzes durch das FA bewertet wird, reicht nicht aus. Erforderlich ist der Hinweis darauf, dass diese Steuerermäßigung gem. § 34 Abs. 3 S. 4 EStG nur einmal im Leben in Anspruch genommen werden kann.
Musterformulierung / Verbrauch der Steuerermäßigung |
Sehr geehrte/r …, nach Durchsicht Ihres Steuerbescheids möchte ich Sie auf ein Risiko aufmerksam machen: Die angewandte Steuerermäßigung gem. § 34 Abs. 3 EStG kann nur einmalig im Leben beansprucht werden. Da das Finanzamt diese Ermäßigung aktuell berücksichtigt hat, ist diese Möglichkeit bei künftigen Veräußerungsgewinnen nicht mehr verfügbar. Wie ein Gericht den Verbrauch der Steuerermäßigung bewerten wird, ist fraglich. In die Risikobetrachtung müssen jedoch die Entscheidungen des Bundesfinanzhofs hierzu und zum sog. „Objektverbrauch“ einfließen. Diese legen nahe, dass eine Steuerermäßigung auch als „verbraucht“ gilt, wenn sie gewährt wurde, ohne dass die gesetzlichen Voraussetzungen vorlagen. Dabei ist es unerheblich, dass die Steuerermäßigung ohne entsprechenden Antrag gewährt wurde. Ich empfehle Ihnen daher, zu prüfen, ob ein Einspruch sinnvoll ist, um diese Ermäßigung für einen späteren Zeitpunkt zu erhalten. Gern berate ich Sie ausführlicher zu den möglichen steuerlichen Konsequenzen und der bestmöglichen Vorgehensweise für Ihre Situation. Mit freundlichen Grüßen, ... [Steuerberater] |
AUSGABE: PStR 1/2025, S. 23 · ID: 50229420