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Fortführung eines HandelsgeschäftsErwerber eines Unternehmens kann für steuerliche Altverbindlichkeiten haften
| Die Haftung nach § 25 Abs. 1 HGB – z. B. gegenüber dem Steuerfiskus – erfordert unter Einbezug ihres Normzwecks nur, dass der bisherige Unternehmer ein kaufmännisches Handelsgewerbe betrieben hat. Nicht erforderlich ist, dass der Erwerber das Gewebe als Handelsgewerbe i. S. v. § 1 Abs. 2 HGB weiterbetreibt. Das hat das VG Braunschweig entschieden. |
Sachverhalt
Der Antragsteller (A) wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen einen Haftungsbescheid, mit dem er als Erwerber für rückständige Gewerbesteuern der Veräußerin des von ihm erworbenen Unternehmens herangezogen wird. Vorausgegangen war eine Anhörung. Diese ergab, dass die Antragsgegnerin (AG) beabsichtige, A gem. § 25 HGB als Erwerber und § 75 AO als Betriebsübernehmer für steuerliche Verbindlichkeiten in Anspruch zu nehmen. A habe den vormals von einer Frau F geführten Betrieb mit Wirkung zum 15.2.19 an derselben Betriebsstätte fortgeführt. A beantragte bei AG erfolglos, die Vollziehung des Haftungsbescheids auszusetzen. A hat Klage gegen den Haftungsbescheid erhoben und zudem erfolglos um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt, § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO (VG Braunschweig 18.4.24, 8 B 125/24, Abruf-Nr. 244798). Hiernach entfällt die aufschiebende Wirkung, wenn öffentliche Abgaben und Kosten angefordert werden. Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag gem. § 80 Abs. 5 S. 1 Var. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Dazu muss aber eine umfassende Interessenabwägung zwischen dem Vollzugsinteresse der AG und dem Aussetzungsinteresse des A zugunsten des A ausfallen. In diese Interessenabwägung ist der in der Hauptsache streitbefangene Verwaltungsakt einzustellen.
Merke | Der Gesetzgeber hat bereits durch die mit § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO getroffene Wertung im Regelfall dem öffentlichen Interesse an einem stetigen Mittelzufluss den Vorrang vor dem privaten Interesse eingeräumt, bis zur endgültigen rechtlichen Klärung von der Zahlungspflicht verschont zu bleiben. Deshalb besteht regelmäßig kein Grund, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Abgabenbescheid anzuordnen, wenn sich seine Erfolgsaussichten lediglich als offen darstellen. Nur bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Bescheids kommt eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht. Ernstliche Zweifel i. d. S. liegen vor, wenn aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Erfolg des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg (vgl. BayVGH 26.11.18, 6 CS 18.1569). |
Unter Berücksichtigung des derzeitigen Sachstands wird die Klage des A in der Hauptsache erfolglos sein.
Relevanz für die Praxis
Nach § 25 Abs. 1 S. 1 HGB haftet derjenige, der ein unter Lebenden erworbenes Handelsgeschäft unter der bisherigen Firma mit oder ohne Beifügung eines das Nachfolgeverhältnis andeutenden Zusatzes fortführt, für alle im Betrieb des Geschäfts begründeten Verbindlichkeiten des früheren Inhabers. Wesentliche Voraussetzung für die Nachfolgehaftung i. S. d. Vorschrift ist danach die Beibehaltung einer „bisherigen Firma“ und die Fortführung des Handelsgeschäftes als solches.
Merke | Die Haftung des späteren Betriebsinhabers umfasst auch die Steuerschulden des früheren Betriebsinhabers. |
Der tragende Grund dafür, die Haftung für früher im Betrieb des Unternehmens begründete Verbindlichkeiten des Vorgängers auf seinen Nachfolger zu erstrecken, ist die Kontinuität des Unternehmens, die dadurch in Erscheinung tritt, dass die Firma nach einem Inhaberwechsel fortgeführt wird. Die Norm greift danach ein, wenn zwar der Unternehmensträger wechselt, das Unternehmen selbst aus der Sicht des maßgeblichen Verkehrs aber im Wesentlichen unverändert unter der alten Firmenbezeichnung fortgeführt wird.
Erforderlich für den Erwerb eines Handelsgeschäfts unter Lebenden ist zunächst einmal, dass der bisherige Unternehmensträger ein kaufmännisches Handelsgewerbe betrieben hat. Dabei reicht es aus – so das VG –, wenn der Veräußerer zumindest kraft Gesetzes oder kraft Eintragung Kaufmann ist. Die Haftung knüpfe allein an die nach außen hin erkennbare Kontinuität dadurch an, dass das Unternehmen und die Firma fortgeführt werden. Deshalb könne nur maßgeblich sein, ob das Erwerbsobjekt zum Zeitpunkt des Erwerbs ein Handelsgeschäft war. Hingegen sei es unter Einbezug dieses Normzwecks unerheblich, ob der Erwerber Unternehmen und Firma als Kaufmann i. S. v. §§ 1 ff. HGB fortführt.
Merke | Nach § 1 Abs. 2 HGB ist ein Handelsgewerbe jeder Gewerbebetrieb, es sei denn, dass das Unternehmen nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert. Die negative Formulierung hat beweisrechtliche Zwecke und ist so zu verstehen, dass widerleglich vermutet wird, dass ein Gewerbebetrieb ein Handelsgewerbe ist. |
Als kaufmännische Einrichtungen anzusehen sind diejenigen, die aus tatsächlichen, betriebswirtschaftlichen Gründen erforderlich sind, um ein kaufmännisches Unternehmen ordnungsgemäß zu lenken und zu kontrollieren. Die maßgeblichen Kriterien hierfür sind sowohl betriebsintern angesiedelt (Größe, Inventarisierung, Buchführung) als auch im Außenverhältnis (Außendarstellung, Verkehrsschutz). Anhand dieser Kriterien ist eine Gesamtwürdigung anzustellen, die sowohl eine qualitative Betrachtung (konkrete Ausgestaltung des Geschäftsbetriebs, Spektrum der angebotenen Leistungen oder Waren) als auch quantitative Aspekte (z. B. Umsatz, Anzahl der Geschäftsvorfälle, Größe, Anzahl der Mitarbeiter, Vorhandensein einer Lohnbuchhaltung, Werbung) enthalten muss.
Der Haftungstatbestand aus § 25 Abs. 1 HGB setzt sowohl eine Fortführung des Unternehmens als auch eine Kontinuität der Firma voraus.
Merke | Von einer Unternehmensfortführung geht die maßgebliche Verkehrsanschauung aus, wenn ein Betrieb von einem neuen Inhaber in seinem wesentlichen Bestand unverändert weitergeführt wird (VGH Baden-Württemberg 24.10.11, 2 S 1652/11). Anknüpfungspunkte dafür, dass das Unternehmen erkennbar fortgeführt wird, sind z. B.: Es werden Handlungen vorgenommen, die i. d. R. dem Geschäftsinhaber obliegen, es wird eine (im Wesentlichen) gleiche Geschäftstätigkeit entfaltet, es gibt vergleichbare Werbeaussagen, oder es werden dieselben Geschäftsräume genutzt. Eine Fortführung des Handelsgeschäfts liegt dabei bereits vor, wenn der den Schwerpunkt des Unternehmens bildende Kern weitergeführt wird. |
Das übernommene Handelsgeschäft ist vorliegend nach Einschätzung des VG von A auch unter der bisherigen Firma fortgeführt worden. § 25 Abs. 1 S. 1 HGB greift insoweit ein, wenn zwar der Unternehmensträger wechselt, das Unternehmen selbst aus der Sicht des maßgeblichen Verkehrs aber im Wesentlichen unverändert unter der alten Firmenbezeichnung fortgeführt wird. Rechtsformzusätze sollen insoweit ohne Belang sein. Auch soll es nicht erforderlich sein, dass die Firmenbezeichnung vom Nachfolger wort- oder buchstabengetreu übernommen wird (BGH 5.7.12, III ZR 116/11; VGH Baden-Württemberg 15.12.16, 2 S 1501/16).
Beachten Sie | Entscheidend ist vielmehr, ob aus der Sicht der maßgeblichen Verkehrskreise die unter dem bisherigen Inhaber geführte und weiter geführte Firma eine so prägende Kraft besitzt, dass der Verkehr sie mit dem Unternehmen gleichsetzt und in dem Verhalten des Erwerbers eine Fortführung der bisherigen Firma sieht. Dafür genügt es, dass der prägende Teil, der Kern der alten Firma, in der neuen Firma fortgeführt wird, sodass die mit dem Unternehmen in geschäftlichem Kontakt stehenden Kreise des Rechtsverkehrs die neue Firma trotz der vorgenommenen Änderungen noch mit der alten identifizieren. Der Wegfall oder das Hinzufügen einzelner Firmenzusätze außerhalb des Kernbereichs der Firma sind für deren Fortführung demnach unschädlich (vgl. BFH 11.6.12, VII B 198/11).
Allerdings setzt die Haftung nach § 25 Abs. 1 HGB voraus, dass tatsächlich eine Firmenbezeichnung i. S. v. §§ 17, 18 HGB weiterverwendet wird. Nicht jede Bezeichnung, unter der ein Kaufmann auftritt, ist eine Firma.
Merke | Keine Firma sind sog. Geschäfts- bzw. Etablissementbezeichnungen, die Gewerbetreibende und Freiberufler insbesondere häufig aus Werbungsgründen verwenden. |
Diese Geschäfts- bzw. Etablissementbezeichnungen unterscheiden sich von einer Firma dadurch, dass sie nicht auf den Inhaber des Unternehmens, sondern nur auf das Unternehmen hinweisen, und demnach nicht den Zweck haben, den Firmenträger zu individualisieren (vgl. VGH Baden-Württemberg 24.10.11, 2 S 1652/11; FG Münster 23.5.13, 8 K 1782/11).
AUSGABE: PStR 1/2025, S. 7 · ID: 50187868