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RechtsprechungsübersichtDas sind die wichtigsten BGH-Entscheidungen zum Steuerstrafrecht aus 2023

Abo-Inhalt14.10.20242191 Min. LesedauerVon Oberstaatsanwalt Dr. Jost Schützeberg, Köln

| Der Beitrag gibt einen Überblick über die in 2023 veröffentlichte praxisrelevante Rechtsprechung des BGH zum Steuerstrafrecht. |

1. Grundsätzliches

Der BGH hat zu einigen grundsätzlichen Punkten Stellung genommen:

a) Pflichten des Verfügungsberechtigten

Nach § 35 AO kann auch ein Verfügungsberechtigter Steuerschuldner sein, falls er in der Lage ist, eine Erklärung abzugeben (BGH 3.5.22, 1 StR 10/22). Voraussetzung ist nach dem Wortlaut der Norm, dass die Person „im eigenen oder fremden Namen auftritt“, was nach dem BGH der Fall ist, wenn die Person am Wirtschafts- und Rechtsverkehr teilnimmt und dies über die Beziehungen zum Rechtsinhaber hinausgeht (BGH 27.6.23, 1 StR 374/22). Dabei kann es genügen, wenn der faktische Geschäftsführer gegenüber einer begrenzten Öffentlichkeit zu erkennen gibt, dass er als solcher über ein Vermögen verfügen kann. Ausreichen kann, wenn der wichtigste Vertragspartner eingeweiht ist. Keine Voraussetzung ist hingegen ein Auftreten gerade gegenüber den Finanzbehörden oder in steuerlichen Angelegenheiten.

b) Schätzung

Zur Zulässigkeit der Schätzung gab es folgende wichtige Entscheidung:

Liegen keine tragfähigen Erkenntnisse über die tatsächlich gezahlten Löhne und Gehälter sowie die schwarz beschäftigten Arbeitnehmer vor, steht aber nach der Überzeugung des Tatrichters ein strafbares Verhalten des Angeklagten fest, kann – wie auch sonst bei Vermögensdelikten – der Schuldumfang im Wege der Schätzung bestimmt werden. Die Grundsätze, die die Rechtsprechung bei Taten nach § 370 AO entwickelt hat, um die Berechnungsgrundlagen der verkürzten Steuern darzulegen, gelten auch für § 266a StGB (BGH 13.6.23, 1 StR 126/23). Danach steht die Schätzung insbesondere unter dem Gebot, dass sich unüberwindbare Zweifel zugunsten des Angeklagten auswirken müssen. Erforderlichenfalls muss der Tatrichter einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang feststellen. Im Rahmen der Gesamtwürdigung des Schätzergebnisses ist der Zweifelssatz zu beachten. Bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung müssen die steuerlich erheblichen Tatsachen festgestellt sein. Dazu gehören insbesondere diejenigen Parameter, die maßgebliche Grundlage für die Steuerberechnung sind (Besteuerungsgrundlagen). Die auf den festgestellten Besteuerungsgrundlagen aufbauende Steuerberechnung ist Rechtsanwendung und Aufgabe des Tatgerichts. Entsprechendes gilt bei einer Verurteilung wegen Verstoßes gegen § 266a StGB (BGH 20.4.23, 1 StR 101/23).

c) Aussetzung des Verfahrens nach § 396 AO

Nach § 396 Abs. 1 AO kann das Strafverfahren ausgesetzt werden, bis das Besteuerungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist, wenn die Beurteilung der Tat als Steuerhinterziehung davon abhängt, ob ein Steueranspruch besteht, ob Steuern verkürzt oder ob nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt worden sind. Die Entscheidung steht im Ermessen des Gerichts. Abzuwägen sind alle Umstände, die im konkreten Fall dafür und dagegen sprechen, das Strafverfahren auszusetzen, namentlich das Ziel, im Interesse einer einheitlichen Rechtsprechung und der Rechtssicherheit divergierende Entscheidungen im Straf- und Besteuerungsverfahren möglichst zu vermeiden, und das Gebot, das Verfahren zügig durchzuführen. Jedenfalls wenn eine längere Aussetzung erforderlich wäre, gebührt dem in Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK verankerten Anspruch des Angeklagten, dass binnen einer angemessenen Frist entschieden wird, i. d. R. der Vorrang vor dem Interesse an einer einheitlichen Rechtsanwendung; Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK setzt der Zulässigkeit einer Verfahrensaussetzung enge Grenzen (BGH 10.8.23, 1 StR 116/23). Einen Anspruch darauf, dass das Verfahren ausgesetzt wird, hat der Angeklagte nicht. Dass er die Aussetzung selbst beantragt und möglicherweise kein Interesse daran hat, dass das Strafverfahren fortgesetzt wird, lässt seinen Anspruch darauf, dass dieses zügig durchgeführt wird, unberührt.

d) Konkurrenzen

Die Erklärungen zur einheitlichen und gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen sowie die nachfolgende ESt-Erklärung sind eine einzige materiell-rechtliche Tat, was aus der Bindungswirkung der vom Betriebsstätten-FA festgestellten gewerblichen Einkünfte (§ 171 Abs. 10, § 180 Abs. 1 Nr. 2a, § 182 Abs. 1 S. 1 AO) für die Festsetzung der ESt folgt (BGH 13.6.23, 1 StR 53/23). Als materiell-rechtliche Tat sind die Erklärungen auch prozessual eine Tat i. S. d. § 264 Abs. 1 StPO (BGH 24.1.24, 1 StR 218/23).

2. USt

Im Bereich der USt gab es folgende wichtige Entscheidungen:

a) Einfuhr-USt und Anlagegold

Gem. § 25c Abs. 1 S. 1 UStG sind die Lieferung, die Einfuhr und der innergemeinschaftliche Erwerb von Anlagegold steuerfrei. Das ist Gold in Barren- oder Plättchenform mit einem von den Goldmärkten akzeptierten Gewicht und einem Feingehalt von mindestens 995 Tausendstel (§ 25c Abs. 2 Nr. 1 UStG). Der BGH hat nun erstmals entschieden, dass das Merkmal „mit einem von den Goldmärkten akzeptierten Gewicht“ bedingt, dass in die Barren oder Plättchen Angaben des Herstellers, des Gewichts und des Goldfeingehalts eingestanzt sind (17.10.23, 1 StR 151/23, dazu ausführlich Spatscheck/Spilker, PStR 24, 81 ff.). Die Steuerbefreiung für Anlagegold soll die Lieferung von Anlagegold steuerbefreiten Finanzanlagen gleichstellen; sie zielt daher nur auf Gold, das zu Anlagezwecken gehandelt wird, während Industriegold gerade nicht steuerbefreit sein soll. Die intendierte Gleichstellung mit anderen steuerbefreiten Finanzanlagen bedingt, dass das Anlagegold auch ähnlich leicht handelbar wie diese sein muss. Eine vergleichbare Handelsvolatilität kann jedoch nur dadurch erreicht werden, dass sich aus den Goldbarren und -plättchen selbst – wie auch bei anderen Finanzanlagen – ohne weitere Prüfung deren Werthaltigkeit ergibt. Dafür können wiederum nur entsprechende Prägungen zertifizierter Scheideanstalten garantieren.

b) Erschleichen eines Verwaltungsakts

Die vom FA erschlichene Befreiung von der Pflicht, (monatliche) USt-Voranmeldungen abzugeben (und als GmbH als „Jahreszahler“ eingestuft zu werden) ist formell wirksam (BGH 22.3.23, 1 StR 440/22). Es spielt insofern keine Rolle, dass die Befreiung erschlichen wurde. Vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgrundsatzes entfaltet bei verwaltungsakzessorischen Straftatbeständen die Verwaltungsentscheidung Tatbestandswirkung. Aus § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO ergibt sich, dass auch ein Verwaltungsakt, der durch unlautere Mittel wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist, wirksam ist. Eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung dadurch, dass die Abgabe von (monatlichen) USt-Voranmeldungen unterlassen wurde, war daher nicht gegeben. Inwieweit die erschlichene Befreiung von der Pflicht, USt-Voranmeldungen abzugeben, ein strafrechtlich relevanter Steuervorteil ist (§ 370 Abs. 1 Alt. 2 AO), konnte der Senat offenlassen.

3. ESt/Lohnsteuer

Der BGH hat klargestellt, unter welchen Voraussetzungen bei Schwarzarbeit eine Person als Arbeitgeber anzusehen und verpflichtet ist, eine LSt-Anmeldung gem. § 149 AO i. V. m. § 41a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG abzugeben (14.6.23, 1 StR 74/22). Arbeitgeber i. S. d. LSt-Rechts ist derjenige, dem der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung schuldet, unter dessen Leitung er tätig wird oder dessen Weisung er befolgen muss. Dies ist regelmäßig der Vertragspartner des Arbeitnehmers aus dem Dienstvertrag. Dass der Angeklagte gegenüber den Arbeitern als unmittelbarer Chef auftrat, genügte dem Senat alleine nicht.

Gewinneinkünfte (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG) werden nach § 4 Abs. 1 S. 1 EStG aufgrund des (bilanziellen) Bestandsvergleichs ermittelt. Allerdings konnte der Angeklagte, der nicht aufgrund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet war, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen, seinen Gewinn gem. § 4 Abs. 3 S. 1 EStG wahlweise auch durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermitteln. Wählt ein nicht buchführungs- und abschlusspflichtiger Steuerpflichtiger nicht, verbleibt es dabei, dass der Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt wird. Maßgeblich dafür, das Wahlrecht auszuüben, ist, wie die Gewinnermittlung tatsächlich gehandhabt wird.

Das Gewinnermittlungssubjekt hat sein Wahlrecht ausgeübt, indem es die Einnahmen-Überschuss-Rechnung oder den Betriebsvermögensvergleich fertiggestellt hat und diese Gewinnermittlung als endgültig ansieht (BGH 5.9.23, 1 StR 207/23). Alleine dadurch, dass eine Buchführung eingerichtet wird, wird das Wahlrecht jedoch noch nicht zugunsten des Betriebsvermögensvergleichs ausgeübt. Das Wahlrecht zugunsten dieser Gewinnermittlung kann nicht getroffen werden, bevor ein Abschluss nach Ablauf des Wirtschaftsjahres endgültig erstellt worden ist. Das LG hatte in der Vorinstanz die Feststellung unterlassen, auf welche Art der Angeklagte seinen Gewinn (§ 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG, § 7 S. 1 GewStG) ermittelte. Die Wahl der Gewinnermittlungsart kann steuerstrafrechtlich nicht dahinstehen. Denn sie ist infolge der Auswirkung der hinterzogenen USt auf die Höhe der Gewinne und damit auf den Schuldumfang bei der Hinterziehung von ESt und GewSt unmittelbar ergebnisrelevant. So ist bei einem bilanzierenden Unternehmer die USt, losgelöst davon, ob er sie beim FA anmeldet oder hinterzieht, bereits bei Bilanzierung eine gewinnmindernde Zahlungspflicht, anderenfalls erst bei tatsächlicher Zahlung, § 11 Abs. 2 EStG.

Der BGH hat Folgendes entschieden: Eine einkommensteuerpflichtige Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften i. S. d. § 17 EStG ist anzunehmen, wenn die zivilrechtliche Inhaberschaft (§ 39 Abs. 1 AO) oder zumindest das sog. wirtschaftliche Eigentum (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO) an den Anteilen auf den Erwerber übergeht (14.6.23, 1 StR 209/22). Zu diesem Zeitpunkt entsteht der Veräußerungsgewinn; auf den Zufluss des Entgelts kommt es nicht an. Wirtschaftlicher Eigentümer eines Wirtschaftsguts ist, wer die tatsächliche Sachherrschaft darüber so ausübt, dass er den zivilrechtlichen Eigentümer i. d. R. auf Dauer davon ausschließen kann, auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich einzuwirken.

Ausgehend hiervon ist der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums von Anteilen an Kapitalgesellschaften i. d. R. anzunehmen, wenn der Käufer aufgrund eines (bürgerlich-rechtlichen) Rechtsgeschäfts eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann, und die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen Rechte sowie das Risiko einer Wertminderung und die Chance einer Wertsteigerung auf ihn übergegangen sind. Ausschlaggebend ist nicht das formal Erklärte oder formal-rechtlich Vereinbarte, sondern das wirtschaftlich Gewollte und das tatsächlich Bewirkte. So kann selbst, wenn das Kausalgeschäft – etwa weil die Formvorschrift des § 15 Abs. 4 GmbHG (vgl. § 125 BGB) nicht beachtet wurde – formunwirksam ist, wirtschaftliches Eigentum an Kapitalgesellschaftsanteilen erworben werden, wenn einander nicht nahestehende Vertragsparteien die im formunwirksamen schuldrechtlichen Vertrag getroffenen Vereinbarungen durchführen, vgl. § 41 Abs. 1 S. 1 AO.

4. Gewerbesteuer

Der Angeklagte hatte eine in den Vereinigten Arabischen Emiraten von einem Strohgeschäftsführer repräsentierte Gesellschaft von Deutschland aus tatsächlich geleitet und die wirtschaftlichen Entscheidungen wesentlich mitbestimmt. Er gab als faktischer Geschäftsführer (§ 35 AO) keine GewSt- Erklärungen ab. Um die hinterzogene Gewerbesteuer zu berechnen, ist der Teil des Gewerbeertrags, der auf eine ausländische Betriebsstätte entfällt, nicht zu beachten und somit nur der nach § 9 Nr. 3 GewStG gekürzte Gewinn zugrunde zu legen (BGH 1.8.23, 1 StR 116/23). Lässt sich das aus der ausländischen Betriebsstätte entfallende Ergebnis nicht genau ermitteln, ist der Kürzungsbetrag über eine indirekte Methode im Wege der Schätzung zu bestimmen.

5. Strafzumessung

Gem. § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 5 AO liegt ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung vor, wenn der Täter als Mitglied einer Bande, die sich verbunden hat, um fortgesetzt Taten nach Abs. 1 zu begehen, USt oder Verbrauchssteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte USt- oder Verbrauchssteuervorteile erlangt. Zum Bandenbegriff hat der BGH (14.6.23, 1 StR 304/22) ausgeführt: Eine Bande setzt den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbstständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten des im Gesetz genannten Deliktstyps (hier: fortgesetzte Hinterziehung der USt) zu begehen.

Ein gefestigter Bandenwille oder ein Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse ist ebenso wenig erforderlich wie ein Mindestmaß an konkreter Organisation oder festgelegten Strukturen. Erforderlich ist eine ausdrücklich oder konkludent getroffene Bandenabrede, bei der das einzelne Mitglied den Willen hat, sich mit mindestens zwei anderen Personen zusammenzutun, um künftig für eine gewisse Dauer Straftaten zu begehen.

Als Bandenmitglied ist anzusehen, wer in die Organisation der Bande eingebunden ist, die dort geltenden Regeln akzeptiert, zum Fortbestand der Bande beiträgt und sich an den Straftaten als Täter oder Teilnehmer beteiligt. Nicht erforderlich ist hingegen, dass sich alle Bandenmitglieder persönlich miteinander verabreden oder einander kennen.

Eine Bandenabrede setzt auch nicht voraus, dass sich die Bandenmitglieder gleichzeitig absprechen. Sie kann etwa durch aufeinander folgende Vereinbarungen entstehen, die eine bereits bestehende Vereinigung von Mittätern zu einer Bande werden lassen, oder dadurch zustande kommen, dass sich zwei Täter einig sind, künftig Straftaten mit zumindest einem weiteren Beteiligten zu begehen, und der Dritte, der durch einen dieser beiden Täter über ihr Vorhaben informiert wird, sich der deliktischen Vereinbarung – sei es im Wege einer gemeinsamen Übereinkunft, gegenüber einem Beteiligten ausdrücklich, gegenüber dem anderen durch sein Verhalten oder nur durch seine tatsächliche Beteiligung – anschließt. Dabei kann es sich um den Anschluss an eine bereits bestehende Bande handeln; ebenso kann durch den Beitritt erst die für eine Bandentat erforderliche Mindestzahl von Mitgliedern erreicht werden. Es genügt, dass sich jeder bewusst ist, dass neben ihm noch andere mitwirken und diese vom gleichen Bewusstsein erfüllt sind.

Das LG hatte die Voraussetzungen an eine Bande überspannt, da eine konkrete Bandenstruktur i. S. e. Über- und Unterordnungsverhältnisses ebenso wenig erforderlich ist wie ein Tätigwerden im übergeordneten Bandeninteresse.

6. Einziehung

Der BGH bestätigt seine Rechtsprechung, nach der die Einziehung des Werts der Ersparnis an Steueraufwendungen nur möglich ist, soweit sie sich messbar im Vermögen des Steuerpflichtigen niedergeschlagen hat (8.3.23, 1 StR 22/23; 2.5.23, 1 StR 77/23; 12.12.23, 1 StR 359/23). Daher ist bei der Hinterziehung von USt die Einziehung nicht auf einen etwaigen Vorsteuerüberhang begrenzt, sondern erstreckt sich auch auf die infolge ungerechtfertigter Saldierung ersparte Steuer (16.5.23, 1 StR 472/22).

Die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73 Abs. 1 Alt. 1, § 73c S. 1 StGB i. V. m. § 369 Abs. 2 AO setzt in den Fällen der Steuerhinterziehung voraus, dass der Umfang der Steuerverkürzungen exakt festgestellt wird (BGH 8.3.23, 1 StR 188/22). Wenn im Urteil weder der Inhalt der ESt-Erklärungen festgestellt worden ist noch alle weiteren Parameter, die für die zutreffende Festsetzung der ESt relevant sind, kann der Urteilsausspruch über die Einziehung keinen Bestand haben (BGH 13.6.23, 1 StR 53/23).

Merke | Liegt eine Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO vor, setzt die Einziehung die Tatvollendung, namentlich den Erlass eines Schätzungsbescheids oder den allgemeinen Abschluss der Veranlagungsarbeiten, voraus (BGH 6.4.23, 1 StR 36/23). Im Fall einer bloß versuchten Steuerhinterziehung (§ 369 Abs. 2, § 370 Abs. 1 und 2 AO, § 23 Abs. 1 StGB) kommt eine Einziehung von Taterträgen bzw. des Werts von Taterträgen nicht in Betracht. Denn das Abschöpfen der ersparten Steueraufwendungen setzt den Taterfolg voraus. Vor Eintritt des Taterfolgs kann der gegen die steuerliche Erklärungspflicht Verstoßende noch nicht frei über die Ersparnis verfügen.

Wer als faktischer Geschäftsführer einer sog. Servicefirma auftragsgemäß Scheinrechnungen erstellt, um Schwarzlohnzahlungen für nicht erbrachte Subunternehmerleistungen und Schwarzlohnzahlungen durch die jeweiligen Rechnungskäufer zu ermöglichen, schuldet die ausgewiesene USt nach § 14c Abs. 2 S. 2 UStG. Zwar kann bei der Steuerhinterziehung die verkürzte Steuer „erlangtes Etwas“ i. S. v. § 73 Abs. 1 StGB sein, weil sich der Täter die Aufwendungen für die jeweiligen Steuern erspart. Der Steuervorteil muss sich aber im Vermögen des Täters auch widerspiegeln. Denn nur dann hat er durch die ersparten (steuerlichen) Aufwendungen wirtschaftlich etwas erlangt.

In Fällen, in denen die geschuldete USt nicht aus einer Lieferung oder sonstigen Leistung resultiert, sondern ein unberechtigter Steuerausweis i. S. d. § 14c Abs. 2 S. 2 UStG ohne zugrunde liegende Leistung vorliegt, ist dies mit Blick auf die Sonderstellung des § 14c Abs. 2 S. 2 UStG im Steuersystem nicht der Fall, weshalb eine Einziehung des Wertes von Taterträgen in Form ersparter Aufwendungen hier nicht in Betracht kommt (BGH 2.5.23, 1 StR 77/23).

Unversteuerte Zigaretten unterfallen bei der Tatvariante der Erwerbshehlerei („Sichverschaffen“, § 374 Abs. 1 Var. 1 AO, mit der Untervariante des „Ankaufens“) dem Tatertrag nach § 73 Abs. 1 Alt. 1 StGB. In dem zugrunde liegenden Fall hatte der Angeklagte unversteuerte Zigaretten erlangt, um diese gewinnbringend weiterzuveräußern und damit seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Das LG ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei den Zigaretten um Tatertrag gehandelt hat. Zwischen Tatertrag und Tatobjekt ist im Wege einer tatbestandsspezifischen Wertung nach Maßgabe des geschützten Rechtsguts der einschlägigen Strafvorschrift zu differenzieren (1 StR 142/23).

„Ertrag“ i. S. d. §§ 73 ff. StGB ist der „wirtschaftlich messbare“, mithin geldwerte Vorteil, den der Täter durch die Straftat seinem Vermögen – und sei es nur vorübergehend – einverleibt. Nach diesen Grundsätzen sind die Zigaretten ohne Steuerzeichen für den Erwerbshehler – anders als etwa für den diese in das deutsche Steuergebiet verbringenden Steuerhinterzieher – Tatertrag.

Sind die Zigaretten – aus welchem Grund auch immer – nicht mehr gegenständlich vorhanden, ist deren Wert nach § 73c S. 1 Var. 2 StGB einzuziehen; der Wert ist anhand der Einkaufs- oder Verkaufspreise zu bestimmen und regelmäßig nach § 73d Abs. 2 StGB zu schätzen (st. Rechtsprechung).

Ist das vom Steuerhehler als Kaufpreis vereinnahmte Bargeld oder ein sonstiger als Gegenleistung erlangter Vermögensgegenstand sichergestellt worden, kann das Tatgericht diesen im Rahmen einer Ermessensentscheidung als Surrogat einziehen, § 73 Abs. 3 Nr. 1 StGB.

Ist das Bargeld oder der sonstige Vermögensgegenstand nicht mehr „vorhanden“, ist eine Einziehung des entsprechenden Nominalbetrags als Wertersatz ausgeschlossen, da das Gesetz eine Einziehung des Wertes des Surrogats nicht vorsieht, vgl. § 73c S. 1 Var. 3 StGB: „oder wird von der Einziehung eines Ersatzgegenstandes nach § 73 Abs. 3 StGB (…) abgesehen“.

Merke | Ist das Bargeld oder der sonstige Vermögensgegenstand nicht mehr vorhanden, kommt ausschließlich die Einziehung des Werts des ursprünglich Erlangten in Betracht, dessen Wert nach den Grundsätzen des § 73d Abs. 2 StGB zu schätzen und nicht in jedem Fall identisch mit dem Wert des Surrogats ist.

Anders ist die Rechtslage bei dem Verbringer: Bei diesem sind die Zigaretten Tatobjekt. Denn der Steuerhinterzieher erlangt aus seiner Tat die Steuerersparnis. Gegen ihn ist die Einziehung des Wertes von Taterträgen i. H. d. verkürzten Verbrauchsteuer anzuordnen, wenn sich die Tabaksteuerersparnis in seinem Vermögen niederschlägt, § 370 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 S. 1 AO, § 23 Abs. 1 TabStG a. F.

Diese Grundsätze gelten für alle Verbrauch- und Warensteuern, mithin auch für die Branntweinsteuer und für die Alkoholsteuer, vgl. § 130 Abs. 1 S. 3 Branntweinmonopolgesetz (BranntwMonG), § 1 Abs. 1 S. 3 Alkoholsteuergesetz (AlkStG). Hintergrund dafür ist die bei Verbrauchsteuern bestehende Korrelation zwischen dem Besitz und Inverkehrbringen der Ware sowie der Steuer (BGH 22.10.19, 1 StR 199/19). Denn Verbrauchsteuern werden auf (verbrauchsteuerpflichtige) Waren erhoben, die im Steuergebiet in den Wirtschaftskreislauf treten und ver- oder gebraucht werden. Die beim Verbringer sichergestellten Zigaretten können der Einziehung nach § 74 Abs. 2 StGB i. V. m. § 375 Abs. 2 S. 1 Var. 1 Nr. 1 AO unterliegen.

Weiterführende Hinweise
  • Sievert/Wenzel, Wann ist es gut mit dem Suchen der richtigen Schätzungsmethode?, PStR 24, 164 f.
  • Wengenroth, Unversteuerte Zigaretten sind Tatertrag, PStR 24, 124 ff.
  • Spatscheck/Spilker, Unregelmäßigkeiten bei der Einfuhr-USt: BGH verneint Relevanz des Vorsteuerabzugs, PStR 24, 81 ff.
  • Roth, Goldschmuggel: EinfuhrUSt entsteht ausnahmsweise in BRD, PStR 24, 25

AUSGABE: PStR 11/2024, S. 250 · ID: 50155310

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