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AkteneinsichtAkteneinsicht vs. Geheimhaltung: Das gilt beim Zeugenschutz

Abo-Inhalt30.09.2024487 Min. LesedauerVon RD a. D. Dr. Henning Wenzel, Tremsbüttel

| Das Akteneinsichtsrecht ist besonders wichtig für den Strafverteidiger. Teil 1 der Beitragsserie erläutert dieses Recht. Teil 2 befasst sich mit der Ermittlungsakte. Teil 3 informiert darüber, was bezüglich Beiakten und Sonderbänden zu beachten ist. Teil 4 geht auf Handakten ein. Teil 5 zeigt, welche Einschränkungen das Akteneinsichtsrecht gem. § 68 StPO erfährt. |

1. Schutz des Anzeigenerstatters als Zeugen durch § 68 StPO

Der Anzeigenerstatter wird im strafprozessualen Hauptverfahren zum Zeugen. Er wird über § 68 StPO abgesichert, der dem Schutzgedanken des Art. 2 Abs. 2 GG entspringt: Der Staat muss die körperliche Integrität und das Leben schützen. Rechtsmethodisch geht § 68 StPO dem Steuergeheimnis nach § 30 AO vor.

2. Voraussetzungen des § 68 Abs. 5 S. 2 StPO

Im Wirtschaftsstrafrecht werden vornehmlich die Zeugen erfasst, die eine Anzeige erstattet oder Hinweise, wie z. B. Bons, gegeben haben, zu Geschäftspraktiken aussagen oder einen direkten Einblick in die Unternehmens- oder Lebensumstände haben. Der Anzeigenerstatter ist regelmäßig keine Vertrauensperson oder Hinweisgeber. Vielmehr wird er als Informant tätig (Kirkpartrick, wistra 19, 264, 269 f.). § 68 Abs. 5 StPO schützt ihn als Zeugen, sodass eine Akteneinsicht des Strafverteidigers partiell beschränkt werden kann, wenn die Voraussetzungen der § 68 Abs. 2 bis 4 StPO vorliegen:

  • Nach § 68 Abs. 3 StPO ist die Identität (Name, Zuname) i. S. d. § 68 Abs. 1 StPO des Zeugen inklusive seines Wohn- oder Aufenthaltsorts geheimzuhalten, wenn ein begründeter Anlass besteht, dass Leib, Leben oder die Freiheit des Zeugen oder einer anderen Person (Haushaltsangehörige, Freunde, Arbeitskollegen usw.) gefährdet sind. Erfasst sind auch frühere Identitäten.
  • Nach § 68 Abs. 2 StPO kann der Zeuge nur eine andere ladungsfähige Anschrift angeben, wenn ein begründeter Anlass besteht, dass die Rechtsgüter (Eigentum, Besitz) einer zu schützenden Person gefährdet sind oder auf eine zu schützende Person in unlauterer Weise (Hausfrieden, Stalking, Zeugenbeeinflussung, vgl. auch § 112 Abs. 2 Nr. 3b StPO) eingewirkt wird. Die Identität darf nicht geheim gehalten werden. Gesperrt sind aber neben der ladungsfähigen Anschrift Kontaktmöglichkeiten wie E-Mail, Telefon, Fax usw.

3. Vertraulichkeitszusicherung durch berechtigte Dienststelle

Liegen die Voraussetzungen nach § 68 Abs. 2 oder 3 StPO vor, kann z. B. das zuständige Gericht (Schmidt, StPO, 66. Aufl., § 68 Rn. 11), im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft (StA) bzw. Strafsachen- und Bußgeldstelle (StraBu) Vertraulichkeit zusichern, § 68 Abs. 4 StPO (Kirkpartrick, a. a. O.).

Beachten Sie | Die Zusage kann nicht durch die Polizei oder die Steuerfahndung (Steufa) erteilt werden. Die sachlich zuständige Stelle muss vor der Zeugenaussage entscheiden und diese Ermessensentscheidung in der Ermittlungsakte vermerken (Lehmann, StraFo 16, 326, 328). Dies gilt auch, wenn die Ermittlungsbehörde einen Sonderband Zeugenvernehmung angelegt hat. Es kann aber auch geboten sein, nach der Zeugenaussage eine Vertraulichkeitszusicherung zu erteilen. Die Ermittlungsbehörden müssen wegen des Schutzgedanken des § 68 Abs. 2 bis 4 StPO auch bei einer nachträglich eintretenden Gefährdung unverzüglich reagieren; sie müssen zum Schutz des Zeugen das weitere Verfahren mit diesem abstimmen (BR-Drs. 178/09, 21). Wird eine Anzeige mündlich erstattet, ist vor der Anzeige über ein Gefährdungspotenzial zu sprechen. Hierdurch wird der zuständigen Stelle ermöglicht, rechtzeitig eine Entscheidung zu § 68 StPO zu treffen.

Merke | Die Polizei und die Steufa müssen mit der StA Kontakt aufnehmen, wenn der Zeuge oder eine andere zu schützende Person gefährdet sein könnte. Schätzt die Polizei bzw. Steufa erst im Nachgang zur Zeugenvernehmung (Erstatten der Anzeige) ein, dass ein Gefahrenpotenzial i. S. d. § 68 Abs. 2 oder 3 StPO vorliegen könnte, muss sie dies unverzüglich mit dem betroffenen Zeugen erörtern. Im Einvernehmen mit diesem ist ggf. anschließend eine Entscheidung von der sachlich zuständigen Stelle einzuholen.

4. Einschätzung bei steuerstrafrechtlichen Anzeigen

Im Steuerstrafverfahren werden die Anzeigen regelmäßig unaufgefordert, schriftlich erstattet. Diesen ist fast nie zu entnehmen, ob eine Situation i. S. d. § 68 Abs. 2 oder 3 StPO erfüllt sein könnte. In anonymen Anzeigen oder steuerlichen Hinweisen wird oft pauschal darauf hingewiesen, dass sie anonym erfolgen müssten, weil sonst der Angezeigte sich rächen könne. Erst in dem Augenblick, wenn der Zeuge konkret vorträgt, gefährdet zu sein, oder sich die Gefahr aus anderen Erkenntnisquellen ergibt, kann die zuständige Stelle eine Zusicherung erteilen. Dafür muss jedoch der anonyme Zeuge für die Ermittlungsbehörde identifizierbar sein, was praktisch selten der Fall ist.

Namentliche Anzeigen werden zumeist schriftlich eingereicht. Wenn in solchen Fällen der Anzeigenerstatter selbst auf eine Gefährdung substanziiert hinweist oder diese sich aufgrund vorhandener Ermittlungserkenntnisse ergibt, ist dem nachzugehen. Ein pauschaler Hinweis des Hinweisgebers, man möge die Anzeige wegen des Beschuldigten vertraulich behandeln, reicht indes nicht. Vielmehr sind konkrete, nachvollziehbare Hinweise, Erkenntnisse oder Tatsachen notwendig.

Beispiel

Die A zeigt den B wegen Steuerhinterziehung an. A ist eine entlassene Mitarbeiterin des B. A schildert, dass sie Angst vor B habe, weil dieser in der Vergangenheit seinen Ehemann C mehrfach geschlagen habe. Dieser Hinweis wird durch in Datenbanken vermerkte Ermittlungsverfahren gestützt.

Erst wenn droht, dass ein Rechtsgut des Zeugen verletzt wird, kann eine Vertraulichkeitszusage erteilt werden (Franke, in: Satzger/Schluckebier/Wirdmaier, 5. Aufl., § 68 StPO Rn. 12). Die Gefährdungen müssen plausibilisierbar sein (Kirkpartrick, wistra 19, 264, 269). Dabei können kriminalistische Erfahrungen herangezogen werden (Schmitt, a. a. O., Rn. 12). Allgemeine, pauschalierende Vermutungen oder Annahmen reichen nicht. Aus dem konkreten Sachverhalt müssen sich verifizierbare Rückschlüsse ziehen lassen, die eine Gefährdung i. S. d. § 68 Abs. 2 oder 3 StPO vermuten lassen; eine Rechtsgutsverletzung muss aber nicht unmittelbar bevorstehen. Es reicht z. B., dass bei dem Verdacht einer Bedrohung der Angezeigte wegen Körperverletzung bekannt ist. Die Tatsachen sind sorgfältig zu prüfen und mit dem Akteneinsichtsrecht abzuwägen.

5. Folgen der Vertraulichkeitszusicherung

Wurde eine Vertraulichkeitszusage erteilt, muss die StA gem. § 68 Abs. 4 S. 3 StPO die originale Aussage besonders gesichert verwahren, wohingegen eine an § 68 Abs. 2 oder 3 StPO angepasste, anonymisierte Aktenausfertigung zur Ermittlungsakte oder dem Sonderband Zeugenvernehmung zu nehmen ist.

Merke | Die Ermittlungsbehörden haben nicht das Recht, Informationen, Urkunden, Dokumente, Verfügungen, Vermerke oder andere Papiere nachträglich aus den Akten vollständig zu entfernen, um einen Informanten zu schützen (Lehmann, StraFo 16, 326, 328). Erfolgte die Zusicherung der StA erst nachträglich oder waren vor der Zusicherung bereits Daten des Zeugen aktenkundig, sind diese aber gem. § 68 Abs. 4 S. 4 StPO auch nachträglich in der Ermittlungsakte, Sonderbänden und ggf. Beiakten unkenntlich zu machen, wenn dies erforderlich ist (BR-Drs. 178/09, 21); sensible Daten sollen nur in begründeten Ausnahmefällen geschwärzt werden (BT-Drs. 16/13671, 21 li. Sp.).

Die Originalaktenbestandteile sind ungeschwärzt so lange gesichert bei der StA in einer eigenen Akte zu verwahren, bis die Gefahr nicht mehr besteht. Danach sind diese wieder in die Ermittlungsakte zu überführen. Das Gericht hat i. d. R. ein Akteneinsichtsrecht in die Originalaktenbestandteile, auch wenn diese gesondert verwahrt werden.

Der Zeugenschutz aus § 68 Abs. 5 S. 2 StPO ist insoweit nicht geeignet, die Identität eines Zeugen bei namentlichen, aber auch mittelbar bei anonymen Anzeigen pauschal zu verschleiern. Der Zeugenschutz ist nur in besonderen, einzelfallbezogenen Sachverhaltskonstellationen anwendbar. Die Staatsanwaltschaft bzw. StraBu hat den Einzelfall sorgfältig abzuwägen und eine nachvollziehbare Ermessensentscheidung zu treffen.

Weiterführende Hinweise
  • Wenzel, Akteneinsicht vs. Steuergeheimnis bietet ein ungeahntes Verteidigungspotenzial, PStR 24, 158 ff.
  • derselbe, Akteneinsicht vs. Steuergeheimnis: Das sind die Anforderungen an die Ermittlungsakte, PStR 24, 181 ff.
  • derselbe, Akteneinsicht vs. Steuergeheimnis: Das ist bei Beiakten und Sonderbänden zu beachten, PStR 24, 207 ff.
  • derselbe, Akteneinsicht vs. Steuergeheimnis: So gehen Sie mit Problemen bezüglich der Handakte um, PStR 24, 236 f.

AUSGABE: PStR 11/2024, S. 257 · ID: 50052977

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