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InsolvenzrechtRestschuldbefreiung und Steuerstraftaten: Das sind die rechtlichen Rahmenbedingungen
| Die Tatsachen, aus denen sich nach Ansicht des Gläubigers ergibt, dass der zur Insolvenztabelle festgestellten Forderung eine Steuerstraftat des Schuldners zugrunde liegt, können nachträglich angemeldet werden. Das FA darf durch Bescheid feststellen, dass ein Steuerpflichtiger im Zusammenhang mit Verbindlichkeiten aus einem Steuerschuldverhältnis wegen einer Steuerstraftat rechtskräftig verurteilt worden ist, wenn er diesem Umstand isoliert widersprochen hat. Das hat der BFH entschieden. |
Sachverhalt
Über das Vermögen des Klägers (K) wurde 2015 das Insolvenzverfahren eröffnet. Dem lag ein Eigenantrag nebst Antrag auf Restschuldbefreiung zugrunde. Vor dem für 10/2015 anberaumten Prüfungstermin meldete das beklagte FA Abgabenforderungen i. H. v. mehr als 116.000 EUR an, ohne auf einen Zusammenhang mit einer Steuerstraftat hinzuweisen. Den Abgabenforderungen lagen u. a. ESt- und US-Bescheide für die Jahre 2007 und 2009 bis 2011 zugrunde. Letztlich wurden die Forderungen, ohne dass K als Schuldner widersprochen hatte, am 5.11.15 im Wesentlichen wie angemeldet zur Insolvenztabelle festgestellt. Mit Strafbefehl vom 6.4.16 wurde K rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe verurteilt. Dabei ging es um einen Betrag i. H. v. mehr als 65.000 EUR aus ESt 2007 und 2009 bis 2011 sowie USt 2009 bis 2011. Im Anschluss beantragte das FA, die Insolvenztabelle dahin gehend zu ergänzen, dass es sich bei den o. a. Abgabenforderungen i. H. e. Teilbetrags von 68.472,95 EUR um Forderungen aus einer Steuerstraftat nach § 370 AO handele, für die gem. § 302 Nr. 1 InsO die Restschuldbefreiung ausgeschlossen sei. K legte nach einem Hinweis des Insolvenzgerichts gem. § 175 Abs. 2 InsO Widerspruch gegen die Anmeldung ein. Im Klageverfahren blieb K erfolglos.
Entscheidungsgründe
Die Revision des K blieb ebenfalls erfolglos (BFH 28.6.11, VII R 23/21, Abruf-Nr. 231273). Nach Ansicht des BFH hat das FG zutreffend entschieden, dass der streitgegenständliche Feststellungsbescheid rechtmäßig ist. Das FA ist berechtigt gewesen, auf den gem. § 184 Abs. 1 InsO isoliert erhobenen Widerspruch des K gegen die Anmeldung der ESt- und USt-Forderungen (einschließlich Nebenleistungen) zur Insolvenztabelle hin nach § 251 Abs. 3 AO festzustellen, dass es sich dabei um Forderungen i. S. d. § 174 Abs. 2, § 302 Nr. 1 Alt. 3 InsO handelt.
Merke | Die Finanzbehörde stellt nach § 251 Abs. 3 AO Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, die sie im Insolvenzverfahren als Insolvenzforderung geltend macht, erforderlichenfalls durch schriftlichen Verwaltungsakt fest. Ansprüche aus dem Steuerverhältnis sind nach § 37 Abs. 1 AO der Steueranspruch, der Steuervergütungsanspruch, der Haftungsanspruch, der Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung (§ 3 Abs. 4 AO), der Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO sowie die in Einzelsteuergesetzen geregelten Steuererstattungsansprüche. |
. 223101
Ob eine Insolvenzforderung vorliegt, richtet sich danach, wann der Rechtsgrund für den streitigen Anspruch gelegt worden ist (BFH 19.1.21, VII R 38/19, BFH/NV 21, 1057, Abruf-Nr. 223101). Der Rechtsgrund für Steueransprüche ist gelegt, wenn der gesetzliche (Besteuerungs-)Tatbestand verwirklicht wird (BFH 16.5.13, IV R 23/11, BStBl II 13, 759).
Relevanz für die Praxis
Der Umstand einer Steuerstraftat ist überaus relevant. Denn in § 302 InsO ist geregelt, welche Forderungen von der Erteilung der Restschuldbefreiung ausgeschlossen sind. Nr. 1 der Vorschrift umfasst Forderungen aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, aus rückständigem gesetzlichen Unterhalt, den der Schuldner vorsätzlich pflichtwidrig nicht gewährt hat, oder aus einem Steuerschuldverhältnis, sofern der Schuldner im Zusammenhang damit wegen einer Steuerstraftat nach den §§ 370, 373 oder § 374 AO rechtskräftig verurteilt worden ist.
Der Gläubiger muss die entsprechende Forderung unter Angabe dieses Rechtsgrundes nach § 174 Abs. 2 InsO anmelden. Das FA macht eine Insolvenzforderung geltend, indem es diese nach § 174 Abs. 1 InsO zur Tabelle anmeldet. Bei der Anmeldung sind nach § 174 Abs. 2 InsO der Grund und der Betrag der Forderung anzugeben sowie die Tatsachen, aus denen sich nach Einschätzung des Gläubigers ergibt, dass ihr eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung, eine vorsätzliche pflichtwidrige Verletzung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht oder eine Steuerstraftat des Schuldners nach den §§ 370, 373 oder § 374 AO zugrunde liegt.
Merke | Nach dem Wortlaut des § 174 Abs. 2 InsO ist nicht die Tatsache der rechtskräftigen Verurteilung wegen einer Steuerstraftat anzumelden; anzugeben sind vielmehr jene Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass der Forderung nach Einschätzung des Gläubigers eine Steuerstraftat zugrunde liegt. Insoweit unterscheiden sich § 174 Abs. 2 und § 302 Nr. 1 Alt. 3 InsO (der Verbindlichkeiten aus einem Steuerschuldverhältnis von der Restschuldbefreiung ausnimmt, s. o.), sofern der Schuldner im Zusammenhang damit wegen einer Steuerstraftat nach den §§ 370, 373 oder § 374 AO rechtskräftig verurteilt worden ist. |
Nach der Begründung des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte (BT-Drucksache 17/11268, 32) soll bei der Anmeldung zur Tabelle unbeachtlich sein, wann die Verurteilung tatsächlich erfolgt.
Forderungen können auch nachträglich, d. h. nach Ablauf der Anmeldefrist, angemeldet werden, § 177 Abs. 1 InsO. Die gem. § 28 Abs. 1 InsO im Eröffnungsbeschluss zu bestimmende Anmeldefrist stellt keine Ausschlussfrist dar.
Praxistipp | Treffen den Mandanten verschiedene strafrechtliche Vorwürfe, sollte aus der Perspektive der Verteidigung stets versucht werden, jene Tatbestände „wegzubeschränken“ (§§ 154 ff. StPO), die noch anderweitig finanzielles Ungemach bringen können (also etwa auch nach § 290 InsO). Das Einziehungsrecht (§§ 73 ff. StPO) macht dies allerdings in der Praxis nicht unbedingt einfacher. |
AUSGABE: PStR 9/2024, S. 196 · ID: 48691630