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SchätzungErlöse hinzuschätzen bei einem Taxibetrieb

Abo-Inhalt12.08.2024502 Min. LesedauerVon RA Prof. Dr. Carsten Wegner, Berlin

| Taxiunternehmer müssen die Schichtzettel physisch gem. § 147 Abs. 1 AO aufbewahren, um ihrer Buchführungspflicht zu genügen. Die sich aus dem USt-Recht ergebende Pflicht zur Einzelaufzeichnung wirkt unmittelbar auch hinsichtlich der Besteuerung nach dem EStG. Taxiunternehmer müssen ihre Bareinnahmen also einzeln aufzeichnen. Die Schichtzettel i. V. m. den Angaben, die sich auf dem Kilometerzähler und dem Taxameter ablesen lassen, erfüllen die sich aus der Einzelaufzeichnungspflicht ergebenden Mindestanforderungen. Das hat das FG Sachsen-Anhalt entschieden. |

Sachverhalt

Streitig sind die infolge einer Betriebsprüfung (BP) und Steuerfahndungsprüfung vom Antragsgegner (FA) vorgenommenen Erlöshinzuschätzungen bei dem vom Antragsteller (A) betriebenen Taxi- und Mietwagenunternehmen. Nach den Feststellungen der BP bestanden in den Streitjahren formelle Buchführungsmängel in den Einnahmeursprungsaufzeichnungen des A. Dieser habe weder Schichtzettel vorgelegt noch nach Auszählung der Tageskasse die Tageseinnahmen täglich in ein Kassenbuch übertragen. A habe stattdessen seine Barerlöse monatlich in einer EXCEL-Tabelle erfasst, die ihm als Kassenbuch diente. Weitere Abrechnungen oder Fahrtenbücher habe A ebenfalls nicht vorgelegt. Im Rahmen einer Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume seien für die Kalenderjahre 2012 und 2013 unvollständige Tagesaufzeichnungen der Fahrer des Taxiverkehrs aufgefunden worden. Ein Abgleich dieser aufgezeichneten Barerlöse mit den von A gebuchten Bareinnahmen ergaben nach Ansicht des FA erhebliche Mehrerlöse. Diese Buchführungsmängel veranlassten die Prüferin zu einer Erlöshinzuschätzung.

Ein Strafverfahren wurde später nach § 153a StPO gegen Zahlung von 5.000 EUR eingestellt. Der Einspruch führte im Steuerstreitverfahren zu einer hälftigen Reduktion. A ist auch weiterhin der Ansicht, dass ausreichende Einnahmeursprungsaufzeichnungen vorliegen. Die Höhe der Schätzung sei vollkommen willkürlich, falsch und liege außerhalb der wirtschaftlichen Realitäten des Unternehmens.

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) war teilweise erfolgreich (FG Sachsen-Anhalt 11.7.22, 5 V 319/21, Abruf-Nr. 231794). Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Beurteilung des Sachverhalts anhand der vorliegenden Akten und präsenten Beweismittel bestehen keine Bedenken gegen die Annahme einer Schätzungsbefugnis dem Grunde nach. A hat sowohl die Aufbewahrungspflichten als auch die Aufzeichnungspflichten verletzt. Jedoch hat der Senat ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Schätzung der Höhe nach und hat daher eine eigene Schätzung vorgenommen.

Merke | Eine AdV soll gem. § 69 Abs. 1 S. 2 i. V. m. Abs. 3 S. 1 Hs. 2 FGO angeordnet werden, wenn und soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn die Prüfung ergibt, dass neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken.

Relevanz für die Praxis

Die Gewährung von AdV setzt jedoch nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts sprechenden Gründe überwiegen. Vielmehr genügt es, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist wie ein Misserfolg (BFH 23.8.07, VI B 42/07, BStBl II 07, 799). Dagegen begründet eine vage Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs noch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts (BFH 11.6.68, VI B 94/67, BStBl II 68, 657).

Im gerichtlichen Verfahren über einen Antrag auf AdV beschränkt sich der Prozessstoff wegen der Eilbedürftigkeit des Verfahrens auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere auf die Akten der Behörde und andere präsente Beweismittel. Das Gericht muss den Sachverhalt in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht weiter aufklären (BFH 14.2.89, IV B 33/88, BStBl II 89, 516), was in der Praxis dazu führt, dass ein AdV-Verfahren regelmäßig nicht „schweigend“ bzw. sonst passiv geführt werden kann. Gibt es z. B. keine Zeugenaussagen aus einem parallel geführten Steuerstrafverfahren, sollten schriftliche Aussagen Dritter, die die eigene Position unterlegen, beigezogen und eingereicht werden. Bei juristischen Personen kann auch über einen Wechsel der Geschäftsführung nachgedacht werden, um so einen Zeugen zu kreieren (den Alt-Geschäftsführer), der sich ggf. ebenfalls schriftlich erklärt.

Hinsichtlich des Ergebnisses einer Schätzung bleibt festzuhalten, dass bei Beachtung der Umstände des Einzelfalls ein vernünftiges und der Wirklichkeit entsprechendes bzw. nahekommendes Schätzungsergebnis auch im Rahmen eines AdV-Verfahrens einzufordern ist (vgl. BFH 14.8.18, XI B 2/18, Abruf-Nr. 205478). Der Betroffene muss sich insoweit allerdings bewusst sein, dass er dabei bei besonders gravierenden Buchführungsverstößen auch etwaige Ungenauigkeiten einer vergröbernden Schätzung hinnehmen muss.

Ein letzter Rettungsanker für den erstrebten Vollstreckungsschutz kann darin liegen, wenn die Vollziehung eines Bescheids für den Antragsteller eine unbillige Härte zur Folge hätte. Die Vollziehung eines – noch nicht bestandskräftigen – Steuerbescheides ist für den Steuerpflichtigen unbillig hart, wenn ihm dadurch wirtschaftliche Nachteile drohen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und die nicht oder nur sehr schwer wiedergutzumachen wären, oder wenn sogar die wirtschaftliche Existenz gefährdet wäre. Dies muss substanziell dargelegt und sollte ggf. auch durch eine eidesstattliche Versicherung unterlegt werden.

AUSGABE: PStR 9/2024, S. 198 · ID: 48709853

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