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ZollrechtIst das Zollrecht eine Steuerfalle?
| Bitzer führt in seinem Beitrag in der PStR 24, 68, aus, dass der Incoterm „DDP“ ein steuerstrafrechtliches Risiko darstelle, und zeigt seinen Lösungsansatz auf. Das Thema animiert zu weiteren Ausführungen. |
Inhaltsverzeichnis
1. Incoterm „DDP“
Die International Commercial Terms (Incoterms) regeln die internationale Standardisierung von Käufer- und Verkäuferpflichten beim Abschluss von Verträgen und stellen die empfohlenen Geschäftsbedingungen dar. Zwingendes Recht und davon abweichende individuelle Absprachen gehen den Incoterms vor. Mit ihnen kann auch festgelegt werden, welche Vertragspartei den Zoll anmelden und die Einfuhrabgaben zahlen muss. Der vertraglich vereinbarte Incoterm legt auch entsprechende Pflichten fest. Bei „delivered duty paid“ („DDP“) ist dies auch die Zollanmeldung für den Export und Import. Werden waren in das Zollgebiet der Europäischen Union (EU) verbracht, erledigt der Verkäufer die Zollformalitäten und zahlt die Einfuhrabgaben (Zoll, Steuern). Mit dem Incoterm „DDP“ hat der Käufer für Lieferungen in das Zollgebiet der EU die Lieferung einer Unionsware vertraglich vereinbart.
2. Zollanmeldung
Die Einfuhrzollanmeldung, um Nichtunionswaren in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr zu überführen, kann in jedem Mitgliedstaat erfolgen. Oft werden diese nach der Ankunft im Zollgebiet der EU im Unionsversand aus einem anderen Mitgliedstaat nach Deutschland befördert, um dort in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr angemeldet zu werden. Die Nichtunionswaren können aber auch in dem anderen Mitgliedstaat angemeldet werden.
Nach dem europäischen Zollrecht erfordert die Abgabe einer Einfuhrzollanmeldung, dass der Verkäufer im Zollgebiet der EU ansässig ist, was bei einem drittländischen Verkäufer i. d. R. nicht der Fall ist. Die Zollvertretung lässt es aber zu, dass die Einfuhrzollanmeldung für Rechnung eines anderen abgegeben wird. Dieser muss im Zollgebiet der EU ansässig sein. Das Zollrecht unterscheidet eine direkte und eine indirekte Zollvertretung, Art. 18 Unionszollkodex (UZK). Im Fall des drittländischen Verkäufers kommt für ihn aus zollrechtlichen Gründen nur die indirekte Zollvertretung in Betracht, d. h., der Zollvertreter handelt im eigenen Namen, aber für Rechnung des drittländischen Verkäufers. Infolgedessen wird neben der indirekt vertretenen Person (drittländischer Verkäufer) auch der indirekte Zollvertreter (z. B. Speditionsunternehmen) Einfuhrzollschuldner. Dies ist keine steuerrechtliche Haftung, sondern eine originäre Zollschuldnerschaft. Wer ohne Vertretungsmacht handelt, gilt als in eigenem Namen und in eigener Verantwortung handelnd (Art. 19 Abs. 1 S. 2 UZK) mit der Folge der Zollschuldnerschaft.
Überlässt die Zollbehörde die Nichtunionsware in den zollrechtlich freien Verkehr, erfolgt ihr Statuswechsel zur Unionsware, Art. 201 Abs. 3 UKZ. Dieser Status wird für alle im Zollgebiet der EU befindlichen Waren vermutet, Art. 153 Abs. 1 UZK. Die Fälle, für die diese Vermutung nicht gilt (Art. 153 Abs. 2 UZK), sind in Art. 119 UZK-DA abschließend aufgelistet. Nur soweit die Vermutung deswegen nicht gilt, ist bei Aufforderung durch die europäischen Zollbehörden ein Nachweis über den Unionswarenstatus zu erbringen.
Merke | Grundsätzlich wird Unionsware nicht mehr zollamtlich überwacht. |
Die Zollbehörden können nachträglich die zollrechtliche Entscheidung und den Einfuhrabgabenbescheid prüfen sowie, ob die Ware ordnungsgemäß in den zollrechtlich freien Verkehr überführt worden ist (Zollprüfung, d. h. Außenprüfung gem. AO). Bei indirekter Zollvertretung kann auch bei dem gebietsansässigen Zollvertreter geprüft werden. Wird die Einfuhrzollanmeldung in Deutschland abgegeben und werden keine weiteren Anträge gestellt (z. B. Fiskalvertretung gem. § 22a UStG), teilt die Einfuhr-USt gem. § 21 Abs. 2 UStG auch das formale Schicksal des Zollrechts. So wird der Einfuhrzollschuldner auch Einfuhr-USt-Schuldner.
3. Einfuhr über andere Mitgliedstaaten nach Deutschland
Nichtunionswaren können über andere Mitgliedstaaten der EU im Unionsversand nach Deutschland befördert werden. Dort kann die Einfuhrzollanmeldung abgegeben werden. Alternativ können die Waren aber auch in einem anderen Mitgliedstaat zollrechtlich behandelt werden, d. h., sie können, nachdem die Einfuhrabgaben gezahlt worden sind, in den freien Verkehr überführt werden. Wegen der Mehrwertsteuer für die Einfuhr greifen die Regelungen des entsprechenden Mitgliedstaates, d. h. neben dem nationalen USt-Satz auch die in diesem Mitgliedstaat geltenden Regelungen für eine Fiskalvertretung.
4. Einfuhr über Deutschland nach anderen Mitgliedstaaten
Auch in Deutschland können Nichtunionswaren angemeldet werden, um in den freien Verkehr überführt und auch in einen anderen Mitgliedstaat weiterbefördert zu werden. Der Verfahrenscode 42 bei der Einfuhrzollanmeldung für den Antrag gem. § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG auf Befreiung von der Einfuhr-USt wegen einer steuerbefreiten Anschlusslieferung setzt eine tatsächlich folgende innergemeinschaftliche Lieferung voraus. Die Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Anschlusslieferung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 3, § 4 Nr. 1 b), § 6a des UStG kann nur beansprucht werden, wenn die Identität des Erwerbers im Erwerbsmitgliedstaat feststeht. Die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung trägt derjenige, der sich auf die Steuerbefreiung beruft.
5. Einfuhr von Postsendungen
E-Commerce über Shopping-Plattformen und grenzüberschreitende Beförderungen als Postsendungen boomen. Auch Post- oder Kuriersendungen aus einem Drittland müssen zollamtlich behandelt werden. Art und Wert der Einfuhrwaren bestimmen die zollrechtlich erforderlichen Maßnahmen, insbesondere wenn Wertgrenzen für eine Befreiung überschritten werden. Die elektronische Zollanmeldung übernimmt ggf. das Beförderungsunternehmen. Informationen hierzu gibt es i. d. R. in den AGBs des Beförderers bzw. des Verkäufers. Der drittländische Verkäufer kann sich in der EU registrieren lassen und die einzige Anlaufstelle für den Import (IOSS = Import One Stop Shop) für Sendungen mit einem Wert von höchstens 150 EUR verwenden. Die Einfuhrabgaben sind im Rechnungsendbetrag des Verkäufers enthalten und müssen von diesem an den betreffenden Einfuhrmitgliedstaat gezahlt werden. Der Beförderer übernimmt in diesem Fall die Zollanmeldung.
6. Probleme in der Praxis
Die Vereinbarung des Incoterms „DDP“ kann wegen des Zoll- und Steuerregimes problematisch sein, z. B., wenn von den vertraglichen Pflichten abgewichen wird. Das ist z. B. der Fall, wenn der Käufer selbst die Einfuhrzollanmeldung abgibt bzw. sich dafür direkt vertreten lässt und er dessen Einfuhrzollschuldner wird. Als Folge ist er auch potenzieller Adressat einer Zollprüfung.
Meldet jemand einen Einfuhrzoll an und verwendet dabei eine EORI-Nummer des Käufers, handelt er ohne Vertretungsmacht und wird selbst Einfuhrzollschuldner. Für die Einfuhrzollanmeldung gibt es keine Duldungs- oder Anscheinsvollmacht. Auch eine als indirekte Vertreterin ohne Vertretungsmacht aufgetretene Person ist Schuldnerin der Einfuhr-USt. Auch bei einer Zollanmeldung in einem anderen Mitgliedstaat und einem Antrag auf Befreiung von der Einfuhr-MWSt (Verfahrenscode 42) mit anschließender innergemeinschaftlicher Lieferung würde ohne Vertretungsmacht gehandelt. Der mit dem Incoterm „DDP“ einkaufende Deutsche Warenempfänger hat eben keine innergemeinschaftliche Lieferung an ihn mit dem Käufer vertraglich vereinbart.
7. Steuerstrafrechtliche Relevanz
§ 370 AO umfasst jede Art von Steuern, also auch Zölle. Zölle sind als Einfuhrabgaben Steuern i. S. d. AO, § 3 Abs. 1, § 369 Abs. 1 AO. Die Besonderheiten des Zollstrafrechts erschweren es, steuerstrafrechtliche Normen auf die Hinterziehung von Zöllen anzuwenden. Dies gilt insbesondere, seitdem das materielle Steuerrecht im Bereich der Zölle weitestgehend europäisches Recht ist. Ob den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige Angaben gemacht werden bzw. ob sie über solche Tatsachen pflichtwidrig in Unkenntnis gelassen und infolgedessen Steuern verkürzt werden, bestimmt sich weitestgehend nach dem UZK und Durchführungsrechtsakten der EU. Nur in Randbereichen sind die nationalen Zollvorschriften des ZollVG und der ZollV allenfalls noch wegen der Ordnungswidrigkeiten bedeutsam.
Wenn auch die Blankettstrafnorm der „Zollhinterziehung“ weitestgehend durch europäisches Recht auszufüllen ist und die allgemeinen Vorschriften der AO, soweit sie für Zölle anwendbar sind (z. B. wegen der Steuerbescheide, Verjährung, Fälligkeit), erheblich durch den UZK überlagert sind, ist doch das Zollstrafrecht im Wesentlichen nationales Recht. Der Anfangsverdacht für eine Zollhinterziehung erfordert wenig, da bereits zureichende tatsächliche Anhaltspunkte es rechtfertigen, ein Steuerstrafverfahren einzuleiten. Diese können sich aus in Deutschland bekannt gewordenen falschen Angaben in der Einfuhrzollanmeldung (z. B. zum Zollwert) in dem anderen Mitgliedstaat oder einem Verstoß beim Verbringen in dem anderen Mitgliedstaat (z. B. keine abgegebene Einfuhrzollanmeldung) ergeben. Der Einfuhrweg oder der Incoterm „DDP“ allein rechtfertigen den Anfangsverdacht i. d. R. nicht. Die Mitgliedstaaten sind aufgrund von Art. 325 AEUV und der Richtlinie 2017/1371 vom 5.7.17 wegen der strafrechtlichen Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der EU gerichtetem Betrug sowie Art. 42 UZK verpflichtet, Handlungen zum Schaden der finanziellen Interessen der Union wirksam zu sanktionieren.
Merke | Zollhinterziehung ist mit Unionswaren nicht möglich, da es innerhalb der EU keine Binnenzölle oder andere Einfuhrabgaben mehr gibt. |
Für die Täterschaft einer Steuerhinterziehung ist allein entscheidend, wer verpflichtet war, die Nichtunionswaren ordnungsgemäß anzumelden, § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Um den Vorsatz bei der Zollhinterziehung im Einzelfall zu begründen, sind insbesondere die Erfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers zu berücksichtigen sowie die Komplexität der Vorschriften, deren Nichterfüllung die Einfuhrzollschuld begründet (EuGH 11.11.99, C-48/98 Rn. 56; 25.6.15, C-187/14). Dabei ist insbesondere trotz des vereinbarten Incoterm auch zu prüfen, inwieweit der deutsche Käufer gutgläubig ist und darauf vertrauen kann, dass der ausländische Verkäufer die für die Drittlandswareneinfuhr anfallenden Zölle auch tatsächlich entrichtet und zuvor überhaupt die erforderliche Einfuhrzollanmeldung abgegeben hat. Einen Informationsaustausch zu der Zollanmeldung müssen Verkäufer und Käufer vereinbaren. Unterlässt der Käufer eine entsprechende Erkundigung beim Verkäufer, könnte er sich nicht auf Gutgläubigkeit berufen.
8. Steuerhinterziehung von Einfuhrabgaben im Ausland
§ 370 Abs. 6 AO erweitert den Anwendungsbereich des § 370 AO auf bestimmte ausländische Steuern, die sonst aufgrund der Formulierung des § 1 Abs. 1 AO nicht von § 370 AO erfasst würden. Ferner wird durch § 370 Abs. 7 AO die Strafbarkeit nach § 370 AO unabhängig vom Recht des Tatorts auf Straftaten erweitert, die außerhalb des Geltungsbereichs der AO begangen wurden. Insoweit ist es unerheblich, wo der Täter oder Teilnehmer gehandelt hat und wo der Erfolg eingetreten ist. Damit kann die Hinterziehung von Einfuhrabgaben in einem anderen Mitgliedstaat (z. B. durch falsche Einreihung der Einfuhrware in den Zolltarif oder falschen Zollwert) auch von Deutschland aus verfolgt werden. Die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens sowie internationale Rechts- und Amtshilfe sind ein scharfes Schwert.
Fazit | Der Volksmund sagt nicht ohne Grund, das guter Rat teuer ist. Außenhandelsgeschäfte, Zollanmeldungen, Zölle oder Einfuhr-USt sind rechtlich komplex. Wegen ihrer steuerstrafrechtlichen Relevanz sollten die Zollbeteiligten ggf. Auskünfte bei den Zoll-/Steuerbehörden bzw. Rechtsrat einholen. |
AUSGABE: PStR 9/2024, S. 203 · ID: 50048075