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VertragsrechtPlanungsstopp: So gehen Sie mit „angeordneten“ Leistungsunterbrechungen richtig um
| Erst Corona, jetzt der Ukraine-Krieg: Historische Preissteigerungen stellen Bauvorhaben vor eine Zerreißprobe. Vermehrt sehen sich auch institutionelle und öffentliche Auftraggeber aus Finanzierungsgründen dazu gezwungen, die laufende Planung oder gar Ausführung zu unterbrechen. Mit einschneidenden Folgen für Planer: Eingesetztes Personal muss produktivitätsmindernd umdisponiert oder gar entlassen werden, eingeplante Liquidität fließt nicht zu, Umsätze können nicht realisiert werden. PBP umreißt für Sie, was Sie in derartigen Fällen unternehmen können. |
Der konkrete Ausgangsfall
Ein Architekt wird stufenweise zunächst mit den Lph 1 bis 4 der Objektplanung Gebäude beauftragt. Der geschlossene Vertrag enthält keine inhaltlichen Abweichungen vom BGB oder der HOAI. Kurz vor dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs ruft der öffentliche Auftraggeber die Lph 5 bis 7 ab. Mitten in der Ausführungsplanung und kurz vor der Aufstellung der ersten Leistungsverzeichnisse weist der Auftraggeber den Architekten an, die Leistungserbringung bis auf Weiteres sofort zu unterbrechen.
Diese Fragen stellen sich
Wenn Ihnen ein solcher Fall widerfährt, harren mehrere Fragen einer Antwort.
Wie ist die Leistungsunterbrechung von einer Kündigung abzugrenzen?
Zunächst stellt sich die Frage, ob es sich bei der Erklärung des Auftraggebers um eine Kündigung des Vertrags handelt. Eine Kündigung charakterisiert sich dadurch, dass sie auf die endgültige Vertragsbeendigung gerichtet ist. Ordnet der Auftraggeber – wie im obigen Ausgangsfall – nur die vorläufige Unterbrechung der Leistungen an, wird damit regelmäßig keine Kündigungserklärung verbunden sein. Eine wirksame Kündigung erfordert zudem die Schriftform (§ 650h BGB).
Wichtig | Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass der Auftraggeber bei einer stufenweisen Beauftragung die Folgestufe nicht abruft und den Vertrag „auslaufen“ lässt. Stufenverträge enthalten regelmäßig Abruffristen, innerhalb derer der Auftraggeber die Folgestufen abrufen kann. Macht er von diesem Recht innerhalb der vereinbarten Frist keinen Gebrauch, stehen Ihnen gemäß den üblichen Vertragsformulierungen in der Regel keine Vergütungs- oder Entschädigungsansprüche zu.
Hat der Auftraggeber ein zeitliches Anordnungsrecht?
Aber besteht überhaupt die Pflicht, der Anweisung des Auftraggebers Folge zu leisten und die Arbeiten sofort einzustellen? Im Grundsatz gilt nämlich: Keine Befolgungspflicht ohne Anordnungsrecht!
Begehrt Ihr Auftraggeber z. B. eine von § 650b Abs. 1 BGB gedeckte Planungsänderung, sind Sie gemäß der ausdrücklichen Regelung in § 650b Abs. 2 BGB verpflichtet, einer entsprechenden Anordnung nachzukommen. Andernfalls würden Sie unberechtigterweise die Erbringung der vertraglichen geschuldeten Leistungen verweigern.
Nach herrschender Rechtsauffassung verschafft § 650b BGB, der für Architekten- und Ingenieurverträge nach § 650q Abs. 1 BGB entsprechend gilt, dem Auftraggeber indes kein sog. zeitliches Anordnungsrecht. Nach den Bestimmungen des BGB kann der Auftraggeber also nicht ohne weiteres die vorläufige Unterbrechung oder – gewissermaßen als anderes Extrem – die Beschleunigung von Arbeiten durch Erhöhung der Personaleinsatzes anordnen. Ein solches zeitliches Anordnungsrecht bedürfte daher einer besonderen vertraglichen Regelung. Besteht weder ein gesetzliches noch ein vertragliches Recht zur Anordnung einer Leistungsunterbrechung, kann eine solche Anordnung auch keine Befolgungspflicht auslösen. Sie stellt vielmehr einen vertragswidrigen Eingriff in die Dispositionsbefugnis des Planers dar.
Steht dem Auftraggeber kein Anordnungsrecht zur Verfügung, könnte der Architekt im Ausgangsfall die Planungsleistungen zunächst fortsetzen, ohne sich vertragswidrig zu verhalten. Setzt der Architekt die Arbeiten demgegenüber fort, obwohl der Vertrag dem Auftraggeber ein entsprechendes Anordnungsrecht verschafft, riskiert er, Vergütungsansprüche für die nach der Anordnung (pflichtwidrig) erbrachten Leistungen zu verlieren.
Auf angewiesenen Planungsstopp richtig reagieren Praxistipp | Vorsicht bei der widerspruchlosen Umsetzung des angewiesenen Planungsstopps! Unter Umständen kann dies zu einer stillschweigenden einvernehmlichen Vertragsänderung führen und die nachträgliche Durchsetzung von Zahlungsansprüchen erschweren oder gar ausschließen. Selbst wenn derartige Rechtsfolgen nicht eintreten, gilt: Ihre Verhandlungsposition ist im Zeitpunkt der „Anordnung“ am stärksten – lassen Sie dieses Momentum nicht ungenutzt. |
Ist ein Planungsstopp eine „Mitwirkungsverweigerung“?
Die Erklärung des Auftraggebers kann aus rechtlicher Sicht als (Ankündigung einer) Mitwirkungsverweigerung angesehen werden. Gerät der Auftraggeber mit der Vornahme einer Mitwirkungshandlung in Annahmeverzug (§§ 293 ff. BGB), werden Sie regelmäßig in Ihrer ordnungsgemäßen Leistungserbringung behindert und können insbesondere für unproduktiv vorgehaltenes Personal eine angemessene Entschädigung verlangen (§ 642 BGB).
Ersparte Aufwendungen und anderweitigen Erwerb müssen Sie allerdings anrechnen. Allen voran dann, wenn Sie das Personal anderweitig produktiv einsetzen können. Mit anderen Worten: Bezogen auf das betroffene Personal sind (nur) die Produktivitätsverluste entschädigungsfähig, die Ihnen infolge und im Zeitraum des Annahmeverzugs bis zur Wiedererreichung der „Vollproduktivität“ in einem anderen Projekt entstehen. Unbedingt zu berücksichtigen ist, dass Sie die behinderungsbedingte (Un-)Tätigkeit der betroffenen Mitarbeiter minutiös dokumentieren müssen, um die Tatsachengrundlage für eine monetäre Bewertung der Produktivitätsausfälle zu schaffen.
Beispiel |
Mitwirkungs-verweigerung mit Behinderungsanzeige dokumentieren Der Architekt im Ausgangsfall setzt sich (berechtigterweise) über die Anweisung des Auftraggebers hinweg und übergibt diesem die zwischenzeitlich aufgestellten Leistungsverzeichnisse und sonstigen Vergabeunterlagen mit der Bitte, diese über die vom Auftraggeber betriebene Vergabeplattform zu veröffentlichen. Verweigert der Auftraggeber dies unter Verweis auf den „angeordneten Planungsstopp“, kann er dadurch in Mitwirkungs- bzw. Annahmeverzug geraten, wenn sämtliche Voraussetzungen von §§ 642 Abs. 1, 293 ff. BGB erfüllt sind. Der Architekt sollte diese konkrete Mitwirkungsverweigerung sicherheitshalber mit einer Behinderungsanzeige – unter Anzeige der Leistungsbereitschaft und ausdrücklichen Angebots der Leistungserbringung – schriftlich dokumentieren. |
Alternativ verschafft Ihnen § 643 BGB ein mögliches „Exit-Szenario“. Hiernach besteht nämlich ein Kündigungsrecht für den Fall, dass der Auftraggeber innerhalb einer angemessenen Nachfrist die Mitwirkungshandlung nicht nachholt. Unbedingt zu beachten ist, dass der Vertrag mit Fristablauf automatisch als aufgehoben gilt – es bedarf keiner gesonderten Kündigungserklärung! Vor einem solchen Schritt sollten Sie aber unbedingt professionellen Rechtsrat einholen.
Vertragsklauseln und HOAI-Altfassungen
In vielen Planerverträgen finden sich Klauseln, nach denen Verzögerungen und/oder Unterbrechungen innerhalb eines bestimmten Zeitraums mit dem vereinbarten Honorar abgegolten sind. Hier gilt es juristisch genau zu prüfen, ob damit die Ansprüche nach § 642 BGB ausgeschlossen werden sollen. Ist dies der Fall und handelt es sich bei einer solchen Klausel um eine Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB), könnte der Ausschluss von gesetzlichen Entschädigungsansprüchen nach § 642 BGB als AGB-rechtlich unwirksam anzusehen sein.
Wichtig | Ordnet der Bauherr einen „Baustopp“ an mit der Folge, dass Sie Leistungen der Lph 8 (Objektüberwachung) unterbrechen müssen, entsteht ebenfalls eine Behinderung zu Ihren Lasten. Denn ohne Bautätigkeit gibt es nichts zu überwachen. Verlassen Sie sich in solchen Fällen nicht auf die geläufigen Klauseln, die bei Eintreten einer Bauzeitverlängerung ein zusätzliches Honorar auslösen. Die Unterbrechung kann nicht ohne Weiteres in vollem Umfang als Bauzeitverzögerung aktiviert werden. Denn längere Baustillstände, in denen Sie Überwachungspersonal abziehen und anderweitig einsetzen können, sind nach der Rechtsprechung auch hier „anzurechnen“.
Bei Altverträgen nach der HOAI 1996 kann der Planungsstopp zudem in den Anwendungsbereich von § 21 HOAI 1996 fallen. Die Folge ist die getrennte Honorarberechnung, wenn ein Auftrag „nicht einheitlich in einem Zuge, sondern abschnittsweise in größeren Zeitabständen ausgeführt [wird]“.
Empfehlung für Ihr Tagesgeschäft
Streben Sie – ganz im Geiste des vertraglichen Kooperationsprinzips – eine einvernehmliche Lösung an. Berücksichtigen Sie bei der Abwägung Ihrer Optionen, dass der Weg über § 642 BGB beschwerlich und mit juristischen Herausforderungen verbunden ist, insbesondere bei der „gerichtsfesten“ Ermittlung der Anspruchshöhe. Führen Sie daher Ihrem Auftraggeber plastisch vor Augen, welche wirtschaftlichen Nachteile mit dem Planungsstopp für Sie verbunden sind – vielen Bauherrn ist das nicht klar.
Versuchen Sie, auf einen geordneten (Zwischen-)Abschluss hinzuwirken, der es ermöglicht, angefangene Leistungen zu einem sinnvollen Abschluss zu bringen und Ihnen so Zeit verschafft, Ihr Personal möglichst produktivitätserhaltend umzudisponieren. Ganz ohne Produktivitätsverluste wird dies indes nicht gelingen, weshalb der Versuch unternommen werden sollte, diese plausibel zu ermitteln als Grundlage für eine Entschädigung.
Diese Punkte sollte eine schriftliche Vereinbarung enthalten Praxistipps | In der schriftlichen Vereinbarung mit Ihrem Auftraggeber sollten Sie regeln, dass
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Fazit | Existiert keine anderslautende vertragliche Regelung, kann Ihr Auftraggeber Sie nicht einseitig im Wege einer Anordnung zur Leistungsunterbrechung zwingen. Er kann Sie zwar „auflaufen lassen“ durch Verweigerung seiner Mitwirkungsobliegenheiten, läuft dann aber Gefahr, sich Ansprüchen nach § 642 BGB oder gar einer Kündigung nach § 643 BGB ausgesetzt zu sehen. |
AUSGABE: PBP 12/2022, S. 8 · ID: 48725242