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HonorarrechtBauzeitverzögerung: OLG Köln etabliert neue Berechnungsmethode für Zusatzhonorar

Top-BeitragAbo-Inhalt30.11.202210146 Min. LesedauerVon Thomas Ryll, Syndikusrechtsanwalt, Prokurist und Gl. Vertragsmanagement bei a|sh sander.hofrichter architekten GmbH, Ludwigshafen

| Steht dem Planer im Falle einer Bauzeitverzögerung ein zusätzliches Honorar zu? Diese Frage gewinnt in Zeiten von Kriegen und Krisen, die die Bauwirtschaft unter Druck setzen und deren Auswirkungen zu handfesten Bauablaufstörungen führen, weiter an Bedeutung. Das OLG Köln hat in einer jüngst veröffentlichten Entscheidung einen Honoraranpassungsanspruch bejaht – und bei der Honorarermittlung neue Wege beschritten. PBP arbeitet für Sie heraus, wie die Entscheidung Ihnen bei der Durchsetzung Ihrer Verzögerungsnachträge helfen kann. |

Darum ging es im konkreten Projektverzögerungsfall

Im konkreten Fall hatte der Bauherr den Planer mit Leistungen der Objektüberwachung (Lph 8) zu einem Pauschalhonorar von rd. 157.000 Euro brutto beauftragt. In der Präambel des Vertrags wurde als Vertragsziel u. a. die Einhaltung des Übergabetermins „am 06.02.2015 bis 19.02.2015“ genannt. Der Vertrag regelte weiter, dass eine „terminliche Verlängerung der Projektlaufzeit über einen Zeitraum von 3 Monaten“ mit der vereinbarten Vergütung abgegolten sei.

Die tatsächliche Übergabe verzögerte sich um knapp 18 Monate. Der Objektüberwacher vertrat die Auffassung, diese Bauzeitverzögerung sei insbesondere auf Mängel in der Planung des Planers zurückzuführen, der für die Lph 1 bis 7 beauftragt war. Er verlangt vom Bauherrn ein Zusatzhonorar in Höhe des tatsächlichen Aufwands, der ihm im Verzögerungszeitraum ab dem 20.05.2015 entstanden sei und wollte diesen mit dem vertraglich vereinbarten Verrechnungsstundensatz von 75 Euro vergütet haben.

OLG bejaht Anspruch auf Zusatzhonorar

Das OLG Köln gab der Honorarklage statt und sprach dem Planer einen (zusätzlichen) Vergütungsanspruch in Höhe von rd. 79.000 Euro (brutto) nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) zu.

Das Gericht führt zunächst aus, dass die Bauzeit als Geschäftsgrundlage anzusehen sei und dem Planer nach Ablauf der Karenzzeit von drei Monaten gemäß der vertraglichen Vereinbarung ein Zusatzhonorar zustehe. Es handele sich auch nicht nur um eine bloße Aufwandsverlagerung, da die Objektüberwachung in Ermangelung von Stillständen unvermindert für Präsenz auf der Baustelle zu sorgen hatte (OLG Köln, Urteil vom 15.01.2021, Az. 19 U 15/20, Abruf-Nr. 231862, rechtskräftig durch Zurückweisung der NZB, BGH, Beschluss vom 04.05.2022, Az. VII ZR 87/21).

Praxistipp | Im Falle eines Baustillstands sind Sie aus Gründen der Schadensminimierung grundsätzlich gehalten, das Personal abzuziehen und anderweitig einzusetzen. Da nicht jede kurzzeitige Unterbrechung die Obliegenheit auslöst, das Personal (produktivitätsmindernd) umzudisponieren, muss der Stillstand allerdings eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschreiten. Etwaige Stillstandskosten wegen unproduktiver Vorhaltung von Überwachungspersonal und sonstige Produktivitätsverluste, die Ihnen infolge derartiger Stillstände entstehen, können unter den Voraussetzungen von § 642 BGB geltend gemacht werden. Demgegenüber ist es nicht möglich, derartige Stillstandszeiten als „Bauzeitverzögerung“ im Wege eines Verzögerungsnachtrags honorarwirksam zu aktivieren. Das bedeutet schlussendlich, dass Sie im äußersten Fall mit mehreren Anspruchsgrundlagen operieren müssen, um sich schadlos zu halten.

Die Berechnungsmethode des OLG Köln

Das Neue an der Entscheidung des OLG Köln ist, das das Gericht den Weg für eine aufwandsbezogene Honorarermittlung geebnet hat. Diese sieht so aus, dass die im Verzögerungszeitraum tatsächlich entstandenen und nachgewiesenen Stundenaufwände mit dem Vertragsstundensatz multipliziert werden können. Dabei handelt es sich – soweit ersichtlich – um die erste veröffentlichte obergerichtliche Entscheidung, die dieses Modell zur Honorarermittlung heranzieht.

Potente Alternative zur „Dreisatzberechnung“ von PBP

Die aufwandsbezogene Honorarermittlung ist eine Alternative zur „Dreisatzberechnung“, die PBP in zwei Beiträgen vorgestellt und die sich in der Gerichts- und Nachtragspraxis seit geraumer Zeit bewährt hat (PBP, 12/2020, Seite 7 → Abruf-Nr. 46994137 und 5/2019, Seite 6 → Abruf-Nr. 45867684).

Bei dieser Berechnung wird das Honorar linear im Verhältnis zur Bauzeitverzögerung fortgeschrieben. Dabei werden nur die bauzeitabhängigen Grundleistungen angesetzt und vergütet. Diese charakterisieren sich dadurch, dass die Bauzeitverzögerung hier zu einem „echten“ verzögerungsbedingten Mehraufwand bei der Leistungserbringung führt (z. B. die Dokumentation des Bauablaufs, die aufgrund der Verzögerung über einen längeren Zeitraum zu erfolgen hat). Davon zu unterscheiden sind die punktuellen, nicht bauzeitabhängigen, Grundleistungen, die infolge der Bauzeitverzögerung lediglich zu einem späteren Zeitpunkt erbracht werden müssen, ohne dass ein verzögerungsbedingter Mehraufwand entsteht (z. B. die Kostenfeststellung).

Praxistipp | Die folgende Tabelle zeigt die kalkulatorische Herleitung im Leistungsbild Objektplanung Gebäude. Die bauzeitabhängigen Grundleistungen sind in der rechten Spalte mit ihren jeweiligen Bewertungen in Prozent vom Gesamthonorar abgebildet. Für jede Teilleistung wird festgelegt, ob sie sich über einen längeren Zeitraum erstreckt (= bauzeitabhängig) oder ob sie nur verschoben wird (= nicht bauzeitabhängig).

Herleitung des Zusatzhonorars im Leistungsbild Objektplanung Gebäude

Grundleistungen in der Lph 8

Gesamt

Verzögert

  • a) Überwachen der Ausführung des Objekts auf Übereinstimmung mit der öffentlich-rechtlichen Genehmigung oder Zustimmung, den Verträgen mit ausführenden Unternehmen, den Ausführungsunterlagen, den einschlägigen Vorschriften sowie mit den allgemein anerkannten Regeln der Technik

18,00 %

18,00 %

  • b) Überwachen der Ausführung von Tragwerken mit sehr geringen und geringen Planungsanforderungen auf Übereinstimmung mit Standsicherheitsnachweis

0,10 %

0,10 %

  • c) Koordinieren der an der Objektüberwachung fachlich Beteiligten

1,50 %

1,50 %

  • d) Aufstellen, Fortschreiben und Überwachen eines Terminplans (Balkendiagramm)

1,60 %

1,60 %

  • e) Dokumentation des Bauablaufs (z. B. Bautagebuch)

0,75 %

0,75 %

  • f) Gemeinsames Aufmaß mit den ausführenden Unternehmen

1,00 %

  • g) Rechnungsprüfung einschl. Prüfen der Aufmaße der bauausführenden Unternehmen

3,75 %

  • h) Vergleich der Ergebnisse der Rechnungsprüfungen mit den Auftragssummen einschl. Nachträgen

0,25 %

0,25 %

  • i) Kostenkontrolle durch Überprüfen der Leistungsabrechnung der bauausführenden Unternehmen im Vergleich zu den Vertragspreisen

0,85 %

0,85 %

  • j) Kostenfeststellung, z. B. nach DIN 276

1,00 %

  • k) Organisation der Abnahme der Bauleistungen unter Mitwirkung anderer an der Planung und Objektüberwachung fachlich Beteiligter, Feststellung von Mängeln, Abnahmeempfehlung für den Auftraggeber

1,50 %

  • l) Antrag auf öffentlich-rechtliche Abnahmen und Teilnahme daran

0,10 %

  • m) Systematische Zusammenstellung der Dokumentation, zeichnerischen Darstellungen und rechnerischen Ergebnisse des Objekts

0,25 %

  • n) Übergabe des Objekts

0,25 %

  • o) Auflisten der Verjährungsfristen für Mängelansprüche

0,10 %

  • p) Überwachen der Beseitigung der bei der Abnahme festgestellten Mängel

1,00 %

1,00 %

Gesamtbetrachtung über alle Lph

32,00 %

24,05 %

Gesamtbetrachtung für Lph 8

100,00 %

75,16 %

Auch das OLG Köln-Berechnungsmodell ermöglicht Differenzierung

Die Differenzierung zwischen bauzeitabhängigen und nicht bauzeitabhängigen Grundleistungen ist grundsätzlich auch im aufwandsbezogenen Modell des OLG Köln möglich, auch wenn das Gericht diese Differenzierung nicht vorgenommen hat.

Denn typischerweise fällt ein verhältnismäßig großer Teil der nicht bauzeitabhängigen Grundleistungen – gewissermaßen als Schlusspunkt der Lph 8 – in den Verzögerungszeitraum. Da nur bauzeitabhängige Grundleistungen mehrvergütungsfähig sind, müssen nicht bauzeitabhängige Grundleistungen „herausgerechnet“ werden.

Wichtig | Unterbleibt diese Differenzierung, besteht die Gefahr einer nicht zu rechtfertigenden Doppelhonorierung. Fällt z. B. das Aufstellen der Kostenfeststellung in den Verzögerungszeitraum, wird der darauf entfallende Zeitaufwand gemäß der Lösung des OLG Köln nach tatsächlichem Aufwand vergütet, obwohl das Aufstellen der Kostenfeststellung bereits über das auf die Lph 8 entfallende Grundhonorar in Höhe von 32 Prozent vergütet wird. Aus diesem Grund ist es grundsätzlich erforderlich, die Kostenfeststellung aus der Aufwandshonorierung zu exkludieren, da die Leistung andernfalls doppelt honoriert werden würde.

Zeiterfassung im Verzögerungszeitraum der Lph 8 ausdifferenzieren

Da die Zeiterfassung heutzutage überwiegend EDV-gestützt erfolgt, ist es zunächst denkbar, spätestens bei Eintritt in den Verzögerungszeitraum eine differenzierte Zeiterfassung vorzunehmen. D. h., dass bauzeitabhängige und nicht bauzeitabhängige Grundleistungen faktisch auf zwei verschiedenen Zeitkonten getrennt erfasst werden. Als verzögerungsbedingter Mehraufwand wären schlussendlich nur die erfassten und über entsprechende Stundenaufstellungen nachgewiesenen bauzeitabhängigen Grundleistungen vergütungsfähig.

Eine solcherart differenzierte Zeiterfassung wäre sicherlich das Mittel der Wahl, ist in der Praxis indes selten anzutreffen. Behelfen könnten Sie sich dadurch, dass Sie

  • in einem ersten Schritt die Gesamtaufwände im Verzögerungszeitraum in Ansatz bringen und
  • davon in einem zweiten Schritt wiederum den Honoraranteil in Abzug bringen, der gemäß obiger Tabelle auf die nicht bauzeitabhängigen Grundleistungen entfällt.

Auf diese Weise ließen sich die bauzeitabhängigen Grundleistungen zwar nicht tatsächlich, aber kalkulatorisch-fiktiv isolieren.

Empfehlungen für Ihr Tagesgeschäft

Nutzen Sie die Tatsache, dass nunmehr beide Modelle Anerkennung in der Rechtsprechung finden. Bei der Vorbereitung Ihres Verzögerungsnachtrags empfiehlt es sich, das Verzögerungshonorar nach beiden Modellen zu ermitteln.

Fördert ein Modell wesentlich mehr Honorar zu Tage und erweist es sich im konkreten Einzelfall auch im Übrigen als sachgemäß, liegt es nahe, den Verzögerungsnachtrag danach auszurichten und das andere Modell als „Plan B“ in der Hinterhand zu behalten.

Führen indes beide Modelle der Höhe nach zu vergleichbaren Honorarsummen, kann es sich anbieten, „zweigleisig“ zu fahren und in der Nachtragsbegründung das nach einem Modell ermittelte Honorar mit dem jeweils anderen Modell gegenzuverproben und auf diese Weise zu plausibilisieren – das angebotene Verzögerungshonorar wird so gewissermaßen auf zwei Standbeine gestellt und gewinnt an Substanz.

Weiterführende Hinweise
  • Beitrag „Zusatzhonorar wegen Bauverzögerung: BGH spricht Machtwort zugunsten der Planer“, PBP 12/2020, Seite 7 → Abruf-Nr. 46994137
  • Beitrag: Bauzeitverlängerung: Honorar für Mehraufwand in der Lph 8 richtig kalkulieren und abrechnen, PBP 5/2019, Seite 6 → Abruf-Nr. 45867684

AUSGABE: PBP 12/2022, S. 4 · ID: 48733858

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