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WerkvertragsrechtKampfmittel: Besteht eine generelle Prüfpflicht in Lph 1 oder 2?
| Die Dinge sind manchmal unerklärbar. Während das Thema „Kampfmittel“ lange Jahre „unter dem Radar“ lief, ist es gerade in diesen besonderen Zeiten plötzlich wieder auf die Tagesordnung gerückt. Gesorgt dafür haben ein Beitrag des Rechtsanwalts Dr. Andreas Neumann in der Fachzeitschrift „NZBau“ und kurz danach eine Entscheidung des OLG Hamm. PBP bringt beides für Sie zusammen. |
Darum geht es
Als Architekt oder Ingenieur sind Sie nicht nur Planer und Bauüberwacher, sondern auch Berater Ihres Bauherrn. Verletzen Sie eine der vertraglich vereinbarten, gesetzlichen und auch ungeschriebenen Pflichten, können Sie dem Auftraggeber zivilrechtlich haften, für Schäden öffentlich-rechtlich verantwortlich sein und es drohen sogar Maßnahmen des Strafrechts. Gerade bei der Pflicht zur Antragstellung auf Überprüfung des Baugrundstücks nach Kampfmitteln stehen alle drei Risiken im Fokus.
Der Fachartikel des Dr. Neumann in der NZBAu
Rechtsanwalt Dr. Andreas Neumann hat in der NZBau (Ausgabe 1/2022, Seite 7 bis 11) dabei eine für die planenden Berufe sehr harte Auffassung vertreten. Diese wird aus dem nachfolgend zitierten „Fazit“ seines Beitrags deutlich: „Die Planungsleistung ... ist nach alledem mangelhaft, wenn eine Kampfmittelanfrage und infolge dessen etwa nötige Kampfmittelsondierungen unterbleiben oder die einschlägige Aufklärung und Beratung hierzu trotz Fehlens einer kampfmittelrechtlichen Freigabe unterlassen werden. Sind lediglich höhere Lph vereinbart, so ergibt sich die Pflicht zur Klärung der Frage aus der allgemeinen werkvertraglichen Prüfungs- und Hinweispflicht. Kausal ist eine solche Pflichtverletzung, wenn die Anfrage an den zuständigen Kampfmittelbeseitigungsdienst bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des Architektenvertrags zur Bejahung des Kampfmittelverdachts geführt hätte.
Die Mehrkosten einer erforderlichen Nachholung der Kampfmittelüberprüfung sind nach §§ 280, 634 Nr. 4 BGB oder unter besonderen Umständen sogar §§ 823 II BGB i. V. m. § 319 StGB zu erstatten. Diese Mehrkosten sind insbesondere dann drastisch, wenn die neuen Gebäudeteile und auch das Erdreich auf die Geländeoberkante vom 08.05.1945 abgetragen werden und die Gebäudeteile neu errichtet werden müssen.“
Die Entscheidung des OLG Hamm
Wenige Wochen, nachdem dieser Beitrag veröffentlicht worden war, ist eine Entscheidung des OLG Hamm bekannt geworden (OLG Hamm, Urteil vom 18.05.2021, Az. 24 U 48/20, Abruf-Nr. 227919). Auch sie lässt aufhorchen: Die Richter haben nämlich klargestellt, dass ein planender Architekt auch ohne ausdrückliche Vereinbarung im Hinblick auf die Kampfmittelfreiheit des Baugrundstücks verpflichtet ist, das Problem der Kampfmittelüberprüfung rechtzeitig zu berücksichtigen. Die Klärung der Kampfmittelfreiheit stelle keine Standortanalyse (= Besondere Leistung) dar, sondern sei Teil der Lph 2. Ein Architekt, der den Bauherrn darauf nicht hingewiesen habe, habe offensichtlich einen Beratungsmangel (= Pflichtverletzung) begangen.
Die Konsequenz für Ihre Beratungsaufgaben bzw. -leistungen
Ziehen Sie aus dieser neuen Gemengelage die richtigen Konsequenzen, um diese Anforderungen zu erfüllen und gleichermaßen Haftungsrisiken möglichst zu minimieren.
Landesdienststellen frühzeitig kontaktieren
Die Kampfmittelerkundung und ggf. -beseitigung ist den Landesdienststellen der jeweiligen Bundesländer übertragen und dort gesetzlich geregelt. Diese Behörden verfügen über sog. Verdachtsfallkataster (meistens: Luftbildarchive von 1945-1947), anhand derer sie Fragen zu etwaigen Kampfmitteln in einem ersten Schritt beantworten können.
Diese Anfragen können formlos gestellt werden, dauern aber in der Bearbeitung evtl. länger. PBP empfiehlt deshalb, die Anfrage bereits in der Lph 1 zu stellen. Ist es als Ergebnis dieser Anfrage wahrscheinlich, dass das Grundstück belastet ist, werden die Behörden Ihnen empfehlen, was weiter ansteht. Im Zweifel müssen Sie nach einer Handlungsempfehlung anfragen. Denn vom Verdachtsfall bis zur örtlichen Untersuchung des Baugrunds sind noch einige Entscheidungen zu treffen. Dazu gehören z. B. Beauftragungen der Spezialisten zur konkreten Untersuchung oder schlimmstenfalls zur Bergung.
Auftraggeber mustergültig beraten
Sie müssen entsprechende Maßnahmen nicht planen oder gar überwachen. Dafür gibt es Spezialisten. Sie müssen aber Ihrer Beratungspflicht nachkommen und den Auftraggeber für das Thema sensibilisieren. Nutzen Sie das folgende Musterschreiben und passen Sie es an den konkreten Fall an.
Stattet der Auftraggeber Sie mit entsprechender Vollmacht aus, können Sie auch im Auftrag des Auftraggebers bei der Landesdienststelle anfragen. Das wäre jedoch alles zwischen Ihnen und Ihrem Auftraggeber zu vereinbaren.
Musterschreiben / Planung Baumaßnahme – Kampfmittelprüfung |
So kommunizieren Sie mit dem Auftraggeber Sehr geehrte Damen und Herren, wir planen auf dem Grundstück …. die o. g. Baumaßnahme. Da sich das Grundstück in einem Bereich befindet, bei dem nicht auszuschließen ist, dass die Frage der Kampfmittelfreiheit noch ungeklärt ist (z. B.: erstmalige Bebauung seit 1945), empfehlen wir Ihnen, die Frage der Kampfmittelfreiheit überprüfen zu lassen. Ihr Ansprechpartner ist die zuständige Landesbehörde (je Bundesland unterschiedlich). Sie kann Ihnen nähere Auskünfte hinsichtlich von Verdachtsflächen geben. |
Unsere Empfehlung geht deshalb dahin, bei der Landesbehörde schon jetzt (vor der weiteren Planungsvertiefung) unter Angabe der genauen Grundstücksbezeichnung eine entsprechende Anfrage hinsichtlich der Kampfmittelfreiheit zu stellen. Wir halten dies für sinnvoll und erforderlich, damit wir die so gewonnenen Erkenntnisse in unsere Planung (auch im Hinblick auf zu erwartende Baukosten und Termine), einbeziehen können. Nachstehend haben wir Ihnen den Sitz und die Bezeichnung der zuständigen Landesdienststelle genannt, sodass Sie sich dort erkundigen können. Optional: Planungsbüro stellt Anfrage Sie können sich vom Bauherrn auch bevollmächtigen lassen Wenn Sie uns beauftragen, können auch wir – in ihrem Namen und auf Ihre Rechnung – Kontakt mit der Dienststelle aufnehmen. Das wäre gesondert festzulegen (z. B. Vollmacht, Kostentragung durch Sie). Beachten Sie, dass die damit zusammenhängenden Kosten ohnehin von Ihnen zu tragen sind. Wichtig ist, dass bevor die Planung weiter vertieft wird, hier entsprechende verlässliche Ergebnisse zugrunde gelegt werden können. Da die Landesbehörde über Katasterunterlagen verfügt, ist es möglich, erste Auskünfte mit angemessenem Aufwand zu erreichen. Wir halten es für erforderlich, diese Anfrage schon jetzt zu stellen. Nur mit diesen Auskünften besteht im Hinblick auf die Kostenschätzung und die Ausführungstermine hinreichende Planungssicherheit. Beachten Sie, dass wir nur eine Initialberatung durchführen können. Die Beauftragung der entsprechenden Fachspezialisten zur konkreten Prüfung und ggf. zur Bergung obliegt Ihnen. Wir schlagen Ihnen vor, sich eng mit den zuständigen Behörden abzustimmen. Sollte sich nämlich erst später herausstellen, dass dort Handlungsbedarf besteht, wären Planungsänderungen, Terminverschiebungen und zusätzliche Kosten zu verkraften. Um hier zum richtigen Zeitpunkt verlässliche Planungsgrundlagen zu erhalten, bitten wir Sie um kurzfristige Entscheidung und entsprechende Mitteilung. Um Terminverzögerungen zu vermeiden, bitten wir um Erledigung bis zum …. Mit freundlichen Grüßen |
Fachliche Auswirkungen sollten in Lph 2 einfließen
Die fachlichen Auswirkungen können sehr bedeutsam sein. Insbesondere in Innenstadtbereichen, bei denen Baulücken erstmals seit 1945 geschlossen werden, dürfte eine solche Untersuchung von hoher Bedeutung sein. Betroffen sind vor allem
- Baugrubenaushübe,
- Baugrubenumschließungen, Tiefgründungen,
- Freianlagen, Verkehrsanlagen.
Frühes Handeln ist besonders wichtig. Kommen die Erkenntnisse erst später, können Planungsänderungen z. B. im Bereich der Tiefgründung, anfallen. Dann stellt sich die Frage, ob diese Zusatzleistungen bzw. Zusatzkosten oder Terminverzögerungen bei rechtzeitiger Kampfmittelerkundung hätten vermieden werden können. Deshalb ist die Beratungshinwirkung so wichtig. Legt der Bauherr durch verzögerte oder fehlende Mitwirkung die Ursache für Mehrkosten, muss er sie auch tragen.
AUSGABE: PBP 4/2022, S. 11 · ID: 48082340