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Privates VeräußerungsgeschäftStetige Neujahrsfalle beim Verkauf einer geerbten Immobilie?
| Wird eine Immobilie nach dem Erbfall vom Gesamtrechtsnachfolger verkauft, sind diesem die Vorbesitzzeit und die eventuelle Selbstnutzung des Erblassers zuzurechnen. Prinzipiell muss beim Verkauf also keine Steuerpflicht nach § 23 EStG befürchtet werden, wenn der Erblasser die Immobilie länger als zehn Jahre in seinem Eigentum hatte oder er diese selbst genutzt hat. Allerdings scheinen die Finanzämter nun – wieder – die sogenannte Neujahrsfalle beim Verkauf eines Eigenheims durch den Erben innerhalb der Zehn-Jahres-Frist entdeckt zu haben. |
1. Hintergrund
Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken sind steuerpflichtig, wenn der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt. Ausgenommen sind Objekte, die im Zeitraum zwischen Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken (1. Alternative) oder im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren (2. Alternative) zu eigenen Wohnzwecken genutzt wurden.
Der BFH hat entschieden, dass die 2. Alternative – anders als die 1. Alternative – keine Ausschließlichkeit der Eigennutzung voraussetzt. Auf den zeitlichen Umfang der Eigennutzung im ersten und dritten Jahr kommt es nicht an. Nur im zweiten Jahr muss die Eigennutzung dauerhaft gewesen sein. Eine kurzzeitige Vermietung vor dem Verkauf einer langjährig selbst genutzten Eigentumswohnung ist folglich in der Regel unschädlich (BFH 3.9.19, IX R 10/19).
Der Fall
Der Kläger erwarb 2006 eine Eigentumswohnung, die er bis einschließlich April 2014 durchgehend zu eigenen Wohnzwecken nutzte und mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 17.12.14 wieder veräußerte. Im Zeitraum von Mai 2014 – seinem Auszug – bis zur Veräußerung im Dezember 2014 hatte der Kläger die Wohnung an Dritte vermietet. Das Finanzamt ermittelte einen steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn in Höhe von 44.338 EUR. Hiergegen wandte sich der Kläger. Seiner Ansicht nach war die Veräußerung nicht steuerbar, da er die Wohnung im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorausgegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken genutzt habe (2. Alternative). Der BFH hat dem Kläger Recht gegeben.
Bei der 2. Alternative muss die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken im Jahr der Veräußerung und im zweiten Jahr vor der Veräußerung – wie oben dargelegt – nicht während des gesamten Kalenderjahrs vorgelegen haben; vielmehr genügt ein zusammenhängender Zeitraum der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken, der sich über drei Kalenderjahre erstreckt, ohne sie – mit Ausnahme des „mittleren Kalenderjahres“ – voll auszufüllen. Das bedeutet also: Ausreichend für die Anwendung der Ausnahmevorschrift ist eine zusammenhängende Nutzung von einem Jahr und zwei Tagen – wobei sich die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken auf das gesamte mittlere Kalenderjahr erstrecken muss, während die eigene Wohnnutzung im zweiten Jahr vor der Veräußerung und im Veräußerungsjahr nur jeweils einen Tag zu umfassen braucht.
2. Das Problem des Leerstands
Da beim Verkauf einer Immobilie nahezu immer Leerstandszeiten eintreten, sind diese bei der Beurteilung der Eigennutzung zu Wohnzwecken unschädlich. Das gilt für einen Leerstand
- zwischen Anschaffung und Beginn der Eigennutzung, sofern er mit der Eigennutzung zusammenhängt, z. B. wegen Renovierung,
- zwischen Beendigung der Eigennutzung und Veräußerung, wenn die Veräußerungsabsicht nachgewiesen wird (BMF 5.10.00, BStBl I 00, 1383).
Was aber gilt, wenn die Eigennutzung bereits im Jahr vor dem Verkauf beendet und die Wohnung erst im Folgejahr verkauft wird? Damit liegt streng genommen im Jahr des Verkaufs keine Eigennutzung vor, nicht einmal für einen Tag, und die Veräußerung wäre steuerpflichtig. Das ist die sogenannte Neujahrsfalle.
Lange Zeit wertete die Finanzverwaltung die Leerstandszeit als unschädlich. Es gab also hier keine Neujahrsfalle (BMF 5.10.00, BStBl I 00, 1383, Tz. 25)! Allerdings wurde seinerzeit – vor dem BFH-Urteil aus 2019 – davon ausgegangen, dass bei der 2. Alternative des § 23 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG ein zusammenhängender Zeitraum von drei Kalenderjahren vorgelegen haben muss. Ein Zeitraum von einem Jahr und zwei Tagen reichte also per se nicht aus. Aufgrund des BFH-Urteils wurde die besagte Fundstelle in dem BMF-Schreiben zwischenzeitlich – teilweise – aufgehoben (BMF-Schreiben vom 17.6.20, BStBl I 20, 576). Es heißt nun u. a.: Wird das Wirtschaftsgut im Vorjahr der Veräußerung kurzfristig zu anderen Zwecken genutzt (z. B. vorübergehende Vermietung) oder kommt es im Vorjahr der Veräußerung zu einem vorübergehenden Leerstand, ist der Veräußerungsgewinn zu versteuern.
Dazu ein – selbst gebildetes – Beispiel |
In der Zeit vom Tod des Erblassers bis zum Verkauf stand die Immobilie leer Dem Erblasser gehörte eine eigen genutzte Immobilie fünf Jahre, bevor er plötzlich am 1.12.24 verstarb. Zwischen Erwerb und Tod hat der Erblasser die Immobilie ausschließlich und ununterbrochen zu eigenen Wohnzwecken genutzt. Am 1.4.25 wird die Immobilie durch den einzigen Erben veräußert. In der Zeit vom Tod des Erblassers bis zum Verkauf stand die Immobilie leer. Ausgehend von dem neueren BMF-Schreiben vom 17.6.20 würde der Fall wie folgt zu werten sein:
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3. Ist die Auffassung der Finanzverwaltung korrekt?
Vorweg sei darauf hingewiesen, dass dem Verfasser Fälle bekannt sind, in denen das jeweilige Finanzamt im obigen Sinne argumentiert hat, alle Fälle aber noch offen sind. M. E. ist die Auffassung der Finanzämter jedoch nicht korrekt. Die Finanzämter argumentieren damit, dass mit dem BMF-Schreiben vom 17.6.20 (a. a. O.) die besagte Tz. 25 des ursprünglichen BMF-Schreibens aufgehoben wurde, wonach Leerstandszeiten unschädlich waren. Leerstandszeiten seien nun also schädlich, das heißt, sie sollen nicht als begünstigte Selbstnutzung gelten, selbst wenn sie dem Verkauf des Objekts dienen.
Den Finanzämtern ist aber entgegenzuhalten, dass sich das neuere BMF-Schreiben nur auf die 2. Alternative des § 23 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG bezieht. Nach meinem Dafürhalten haben wir im obigen Beispiel aber einen Fall der 1. Alternative des § 23 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG. Das heißt: Die Immobilie ist vom Erwerb bis zum Verkauf selbst genutzt worden; genauer gesagt „gilt“ sie als selbst genutzt, denn ein Leerstand zur Veräußerungsvorbereitung ist unerheblich. Bei genauerem Lesen des BMF-Schreibens jüngeren Datums ist nämlich nur der zweite Aufzählungspunkt der Tz. 25 aufgehoben worden. Folgende Aussagen (zur 1. Alternative) haben nach wie vor Gültigkeit:
- Ein Leerstand vor Beginn der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken ist unschädlich, wenn er mit der beabsichtigten Nutzung des Wirtschaftsguts zu eigenen Wohnzwecken in Zusammenhang steht. Dies gilt auch für einen Leerstand zwischen Beendigung der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken und Veräußerung des Gebäudes, wenn der Steuerpflichtige die Veräußerungsabsicht nachweist.
- Bei unentgeltlichem Erwerb (Gesamtrechtsnachfolge, unentgeltliche Einzelrechtsnachfolge) ist die Nutzung des Wirtschaftsguts zu eigenen Wohnzwecken durch den Rechtsvorgänger dem Rechtsnachfolger zuzurechnen.
Eine Leerstandszeit, die zur „Veräußerungsvorbereitung“ (und eventuell zur Klärung der Erbverhältnisse) dient, muss daher auch den Erben zuzurechnen sein – jedenfalls dann, wenn der Erblasser die Immobilie zwischen Erwerb und seinem Tod ununterbrochen selbst genutzt hat.
Im ESt-Kommentar „Korn“ heißt es im Übrigen: „§ 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 Alt. 1 EStG ist mithin dahingehend auszulegen, dass eine ausschließliche Nutzung zu eigenen Wohnzwecken stets dann gegeben ist, wenn das Wirtschaftsgut nach dem Erwerb und vor der Selbstnutzung sowie nach der Selbstnutzung und vor der Veräußerung nicht fremdgenutzt wird.“
Von Anfang an bestehende Veräußerungsabsicht ist nachzuweisen Praxistipp | Wichtig ist aber, dass die – von Anfang an bestehende – Veräußerungsvorbereitung tatsächlich nachgewiesen wird. Sollten sich die Erben erst nach einer längeren Zeit des Überlegens zu einer Veräußerung entschieden haben, würde die besagte Neujahrsfalle wohl tatsächlich „zuschnappen“. Die Beweislast dürfte insoweit bei den Erben liegen. Soweit ersichtlich gibt es bis heute keine höchstrichterliche Entscheidung zu der hier vorgestellten Neujahrsfalle bei geerbten Immobilien. Es bestehen zwar gute Argumente, um der Auffassung der Finanzämter entgegenzutreten. Doch bis auf Weiteres ist die Lage sehr unsicher. |
AUSGABE: GStB 9/2025, S. 306 · ID: 50402754