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InsolvenzanfechtungSozialversicherungsträger müssen sich am Prozesskostenrisiko beteiligen

Abo-Inhalt04.12.20249 Min. Lesedauer

| Insolvenzanfechtungen sind nicht nur für den betroffenen Anfechtungsgegner, sondern auch für den Insolvenzverwalter und die hinter der Insolvenzmasse stehenden Gläubiger mit Risiken behaftet. Insoweit versuchen Insolvenzverwalter immer wieder, Anfechtungsprozesse unter Inanspruchnahme von PKH zu führen. Nach Auffassung der Rechtsprechung müssen sich allerdings leistungsfähige Großgläubiger, die von einer erfolgreichen Anfechtungsklage profitieren, an den Kosten der Prozessführung beteiligen oder diese tragen. Zu klären war nun, ob dies auch gilt, wenn sich der Großgläubiger – hier die Bundesagentur für Arbeit – aus öffentlichen Mitteln finanziert oder jedenfalls gemeinnützig tätig ist. Die Antwort auf diese Frage bestimmt u. a., wie häufig solche Prozesse geführt werden. Das OLG Frankfurt musste hierzu jetzt eine Antwort finden. |

Sachverhalt

Der Insolvenzverwalter begehrt PKH für die Inanspruchnahme der Beschwerdegegnerin aus Insolvenzanfechtung. Das LG hat den Antrag auf Bewilligung von PKH mangels des Vorliegens der Voraussetzungen von § 116 S. 1 Nr. 1 ZPO zurückgewiesen. Es existierten mehrere Kleingläubiger, welche für die Prozesskosten nicht aufkommen müssten. Daneben bestehe allerdings auch ein Anspruch der Bundesagentur für Arbeit (Großgläubiger) von 3.121.211,72 EUR. Vorzufinanzieren seien Prozesskosten von 23.340,20 EUR. Bei einem Klageerfolg entfielen auf diesen Gläubiger – unter Berücksichtigung eines 50-prozentigen Prozess- und Vollstreckungsrisikos – 74.645,55 EUR.

Der Großgläubiger sei von der Kostentragung nicht befreit. Insofern schließe sich das LG dem KG an, welches ausgeführt hatte, eine Unzumutbarkeit lasse sich nicht losgelöst vom Einzelfall damit begründen, dass der Großgläubiger im Interesse sozial schwächerer Gläubiger ohne Gewinnstreben öffentliche Mittel verwalte. Auch stünden womöglich bei dem Großgläubiger fehlende Haushaltsmittel der Zumutbarkeit nicht entgegen (KG 17.12.20, 7 W 1021/20). Es werde nicht mehr – wie noch in § 61 KO – zwischen bevorrechtigten und nicht bevorrechtigten Gläubigern unterschieden. Vielmehr seien sämtliche Gläubiger gleichgestellt. Es erschließe sich nicht, weshalb der Großgläubiger als besonders vom Prozessausgang profitierende Hauptgläubigerin nicht zur Prozessfinanzierung beitragen solle.

Gegen den Zurückweisungsbeschluss des LG richtet sich die sofortige Beschwerde der Großgläubigerin, die erfolglos blieb, sodass über ihre Freistellung von der Kostenerbringung nun das OLG entscheiden musste.

Entscheidungsgründe

Das OLG folgt im Ergebnis dem LG und schließt sich damit der Rechtsprechung des KG an.

Leitsatz: OLG Frankfurt 5.7.24, 4 W 13/24

Der Bundesagentur für Arbeit als Insolvenzgläubigerin ist die Kostenaufbringung gemäß § 116 S. 1 Nr. 1 ZPO nicht grundsätzlich unzumutbar (Abruf-Nr. 244903).

Das LG hat den Antrag auf Gewährung von PKH zu Recht und mit zutreffender Begründung zurückgewiesen. Der Bundesagentur für Arbeit als Insolvenzgläubigerin ist die Aufbringung der Kosten zuzumuten.

Vorschüsse auf die Prozesskosten sind solchen Beteiligten zuzumuten, die die erforderlichen Mittel unschwer aufbringen können und für die der zu erwartende Nutzen bei vernünftiger, auch das Eigeninteresse sowie das Prozesskostenrisiko angemessen berücksichtigender Betrachtungsweise bei einem Erfolg der Rechtsverfolgung deutlich größer sein wird als die von ihnen als Vorschuss aufzubringenden Kosten. Es verbietet sich, für die zu erwartende Verbesserung eine Mindestquote festzulegen, mag auch regelmäßig erst bei einem im Falle des Prozesserfolgs erzielbaren Ertrag von deutlich mehr als dem Doppelten des aufzubringenden Vorschusses eine Vorschusspflicht in Betracht kommen (BGH 26.4.18, IX ZB 29/17).

Die Rechtsanwaltskosten der Gegenseite sind nicht zu den aufzubringenden Verfahrenskosten hinzuzurechnen. Denn diese werden gemäß § 123 ZPO von der Gewährung der Prozesskostenhilfe nicht umfasst (Zöller/Schultzky, ZPO, 35. Aufl., § 116, Rn. 15 und § 114, Rn. 12). Die Insolvenzgläubiger müssen auch keinen Vorschuss zur Abdeckung der außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners leisten. Die Kosten des beabsichtigten Prozesses gehören vielmehr zu den Masseverbindlichkeiten im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (KG 30.12.02, 2 W 256/02). Die etwaige spätere Belastung der Masse damit ist folglich bei der Prüfung der Zumutbarkeit der Vorschussleistung nicht zu berücksichtigen.

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Aufbringung der Kosten bestimmten Insolvenzgläubigern losgelöst vom Einzelfall unzumutbar ist, ist es neuerdings umstritten, ob eine solche Unzumutbarkeit bei der Bundesagentur für Arbeit anzunehmen ist: Zu Zeiten der Geltung von § 61 KO (in Kraft bis zum 31.12.98), wonach bestimmte Gläubiger mit ihren Forderungen privilegiert waren (insbesondere Sozialversicherungsträger und die damals so bezeichnete „Bundesagentur für Arbeit in zweiter Linie auch der Fiskus), entwickelte der BGH eine Rechtsprechung, der zufolge die Prozessfinanzierung für Sozialversicherungsträger nicht zumutbar sei. Dabei führte er an, dass die Bundesagentur für Arbeit „zu den bevorrechtigten Gläubigern nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO“ zähle und im Interesse der sozial schwächeren Gläubiger ohne eigenes Gewinnstreben zweckgebundene öffentliche Mittel verwalte (BGH 8.10.92, VII ZB 3/92; so auch bereits zuvor mit dem zusätzlichen Argument, das Vorhalten von Mitteln zur Finanzierung solcher Prozesse im Haushalt sei unzumutbar: BGH 27.9.90, IX ZR 250/89).

Als der Wegfall der Privilegierung bestimmter Insolvenzgläubiger kurz vor Inkrafttreten der InsO absehbar war, entschied der BGH, dass nun dem in § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO (noch) privilegierten Fiskus die Kostenaufbringung zumutbar sei. Für die in § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO (noch) privilegierten Sozialversicherungsträger könne diese Frage offenbleiben. Durch § 116 ZPO sei „keineswegs“ die Gewährung von PKH zur Regel und die Nichtgewährung zur Ausnahme gemacht worden. Aus dem Wortlaut des § 116 S. 1 Nr. 1 ZPO und der Stellung der Vorschrift im Gesamtzusammenhang des PKH-Rechts ergebe sich vielmehr eindeutig, dass die allgemeinen Grundsätze dieses Rechtsgebiets auch für Parteien kraft Amtes gälten. Zu diesen Grundsätzen gehöre die Regel, dass jede Partei ihre Aufwendungen für die Prozessführung grundsätzlich selbst zu tragen habe. Die Bevorzugung, die der Steuerfiskus durch seine Aufnahme in die Rangklasse des § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO vor anderen Konkursgläubigern erfahren habe und die vor der Abschaffung stehe, rechtfertige es nicht, ihn darüber hinaus auch noch dadurch zu privilegieren, dass man ihn im Rahmen des § 116 S. 1 Nr. 1 ZPO unter Verzicht auf die grundsätzlich gebotene einzelfallbezogene Zumutbarkeitsprüfung von vorneherein von jeder Kostenaufbringungslast freistelle. Auch das Erfordernis von Haushaltsansätzen bei öffentlichen Stellen vermöge die Befreiung des Fiskus nicht zu rechtfertigen. Es könne offenbleiben, ob tatsächlich keine Haushaltstitel zur Verfügung stünden, denn jedenfalls könne es dem Fiskus abverlangt werden, insoweit Vorsorge zu treffen (BGH 24.3.98, XI ZR 4/98). Offengelassen hat der BGH die Frage der Zumutbarkeit für die Bundesagentur für Arbeit auch in einer weiteren Entscheidung (BGH 6.3.06, II ZB 11/05).

Die Obergerichte haben in dieser Frage in der Folgezeit zumeist die Auffassung vertreten, die Prozessfinanzierung sei der Bundesagentur für Arbeit nicht zumutbar. Sie haben dabei – wenn sie überhaupt eine Begründung angeführt haben – die früheren Argumente des BGH wiedergegeben, die Bundesagentur für Arbeit sei ein Sachwalter fremder Interessen, habe besondere Aufgaben beziehungsweise agiere für sozial schwächere Gläubiger. Auch im Schrifttum wurde diese Auffassung vertreten (Auflistung bei: KG 17.12.20, 7 W 1021/20).

Demgegenüber hat das KG (17.12.20, 7 W 1021/20) in jüngerer Zeit entschieden, die Kostenaufbringung sei jedenfalls nicht grundsätzlich und ohne weitere Prüfung unzumutbar. Es hat sich der Entscheidung des BGH von 1998 insoweit angeschlossen, dass die Gewährung von PKH keineswegs die Regel sein solle, sondern dass vielmehr grundsätzlich jede Partei ihre Aufwendungen selbst tragen müsse. Der Umstand, dass im Interesse der sozial schwächeren Gläubiger ohne eigenes Gewinnstreben zweckgebundene öffentliche Mittel verwaltet würden, könne nicht die Unzumutbarkeit der Kostenaufbringung losgelöst von der Einzelfallprüfung begründen. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb dann die Kostenaufbringung dem ebenfalls im öffentlichen Interesse tätigen Fiskus zumutbar sein solle. Auch womöglich fehlende Haushaltsmittel seien kein durchschlagendes Gegenargument, denn es sei – wie Verfahren, an denen man unmittelbar beteiligt sei, zeigten – jedenfalls möglich, Vorsorge zu treffen. Der Grundsatz der gegenüber der PKH vorrangigen Kostenaufbringung durch die wirtschaftlich Beteiligten würde praktisch leerlaufen, wenn man auch anderen Gläubigern – bei Wahrung des Gleichheitssatzes – ein Berufen auf die Unzumutbarkeit der Kostenaufbringung gestatten würde.

Das OLG Frankfurt folgt nun der Auffassung des KG. Mit den Entscheidungen des BGH aus dem Jahr 1998 und des KG aus dem Jahr 2020 ist das OLG der Auffassung, dass die Gewährung von PKH nach der gesetzlichen Konzeption nicht die Regel sein soll, sondern dass vielmehr grundsätzlich jede Partei ihre Aufwendungen selbst zu tragen hat. Gemäß § 116 S. 1 Nr. 1 ZPO erhält eine Partei kraft Amtes (nur dann) PKH, wenn (u. a.) den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten ist, die Kosten aufzubringen.

Diese Regelung ist erkennbar von dem Gedanken getragen, dass es Insolvenzgläubigern oder sonstigen wirtschaftlich Beteiligten zumutbar ist, die Kosten eines Rechtsstreits aufzubringen, wenn sie auch wirtschaftlich von dessen Ergebnis maßgeblich profitieren. Alleine der Umstand, dass – im Unterschied zu einer formalen Beteiligung als Partei – „lediglich“ eine wirtschaftliche Beteiligung vorliegt, soll nicht (zulasten der Staatskasse, welche die PKH zumindest vorfinanziert) davor schützen, wie eine Partei wirtschaftlich in Vorleistung gehen zu müssen. Davon ausgehend müsste es Gründe von erheblichem Gewicht geben, damit die Zumutbarkeit im Einzelfall entfällt – etwa, dass sich die Investition für einen Gläubiger im Einzelfall nicht hinreichend lohnt oder dass der Rechtsstreit gegen den Gläubiger selbst geführt werden soll.

Ein solches erhebliches Gewicht ist hingegen nicht bereits – pauschal und ohne jede Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls – anzunehmen, wenn der Gläubiger „sinnvolle“ Zwecke im öffentlichen Interesse verfolgt. Das KG hat bereits darauf hingewiesen, dass der Fiskus in einem solchen Fall ebenfalls privilegiert werden müsste. Eine solche Grenzziehung würde jedoch noch weitere Probleme aufwerfen. So könnte sich der Insolvenzverwalter etwa darauf berufen, auch einem eingetragenen Verein, der gemeinnützig und ohne Gewinnerzielungsabsicht agiert, sei eine Prozessfinanzierung unzumutbar. Dies würde das Regel-Ausnahme-Verhältnis bereits erheblich aufweichen. Auch ist zu bezweifeln, ob es tunlich erscheint, die Frage der Prüfung der Gemeinnützigkeit (die durchaus komplex sein kann; siehe BFH 10.1.19, V R 60/17) in das PKH-Verfahren zu verlagern. Das wäre aber erforderlich, um einen sachlichen Grund zu identifizieren, der eine Ungleichbehandlung gegenüber sämtlichen nicht im öffentlichen Interesse tätigen Gläubigern rechtfertigen könnte.

Vor allem aber kann es nicht die Aufgabe der Regelungen zur Gewährung von PKH sein, grundsätzlich „erwünschte“ oder sonst „förderungswürdige“ Tätigkeiten unterschiedlicher Akteure zu privilegieren. Dem Gesetzgeber stehen mannigfaltige andere Fördermöglichkeiten zur Verfügung, deren Gebrauch weniger systemfremd wäre. Er könnte, wenn dies gewollt sein sollte, auch einzelne Gläubiger alleine wegen ihrer Identität oder ihrer Aufgaben ausdrücklich privilegieren. Diesen Ansatz hat er indes mit dem Inkrafttreten der InsO gerade aufgegeben.

Ferner erschließt sich nicht, weshalb der Umstand, dass die Bundesagentur für Arbeit ein Sachwalter fremder Interessen ist, die Unzumutbarkeit begründen können sollte. Von einem die fremden Interessen kompetent und rational vertretenden Sachwalter sollte doch – ebenso wie von einem in eigener Sache tätigen Gläubiger – erwartet werden können, diese Interessen in einer Weise zu vertreten, dass ein kalkulierbares Risiko eingegangen wird, wenn es lohnend erscheint. Ist – nach Einbeziehung des Verfahrens- und Vollstreckungsrisikos – ein erheblicher Gewinn zu erwarten, so wäre eine Prozessfinanzierung durchaus im Sinne der fremden Interessen, was einen zusätzlichen Schutz dieser Interessen obsolet erscheinen lässt.

Auch mit möglichen Schwierigkeiten, im Haushalt Vorsorge für die wirtschaftliche Beteiligung an Rechtsstreitigkeiten zu tragen, lässt sich eine Unzumutbarkeit nicht begründen. Der BGH und das KG haben überzeugend begründet, dass sehr wohl Vorsorge getroffen werden kann, wie sich anschaulich daran zeigt, dass dies für Rechtsstreitigkeiten, an denen die Bundesagentur für Arbeit unmittelbar als Partei beteiligt ist, offenbar ebenfalls gelingt. Es erscheint im Übrigen auch nur schwer nachvollziehbar, eine trotz bestehender Möglichkeiten fehlende Vorsorge (gleichsam infolge der „normativen Kraft des Faktischen“) mit einer zu gewährenden Privilegierung zu „belohnen“.

Relevanz für die Praxis

Nach diesem Maßstab ist hier der Bundesagentur für Arbeit die Prozessfinanzierung zumutbar. Nach den insoweit nicht angegriffenen Ausführungen des LG ist diese hier der einzige Großgläubiger und würde von einem Prozesserfolg in erheblichem Umfang profitieren. Unter Berücksichtigung eines 50-prozentigen Prozess- und Vollstreckungsrisikos würde sie das 3,2-fache der eingesetzten Kosten erhalten.

Die Entscheidung des OLG Frankfurt weicht von Entscheidungen anderer OLG zur Zumutbarkeit der Kostenaufbringung durch die Bundesagentur für Arbeit und Träger der Sozialversicherung ab. Das OLG hat deshalb die Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 S. 1 ZPO zugelassen. Soweit zu ersehen, wurde diese aber nicht eingelegt.

AUSGABE: FMP 12/2024, S. 212 · ID: 50225610

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