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FreibetragErbverzicht: Freibetrag für das Kind eines zivilrechtlich als verstorben geltenden Elternteils
| Der zivilrechtliche Verzicht eines Kindes gegenüber seinen Eltern auf den gesetzlichen Erbteil bewirkt nicht, dass seinem Kind, dem Enkel des Erblassers, der Freibetrag zu gewähren ist, der im Falle des Versterbens des Kindes zu gewähren wäre. Das Erbschaftsteuerrecht folgt insoweit nicht der Fiktion des Zivilrechts. Dies ist nach einer Entscheidung des BFH vom 31.7.24 (II R 13/22) verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. |
Sachverhalt
Kläger K wurde von seinem im Jahr 2019 verstorbenen Großvater (Erblasser E) testamentarisch als Erbe zu einem Viertel eingesetzt. Der Vater des K verzichtete im Jahr 2013 – notariell beurkundet – gegenüber dem E auf sein gesetzliches Erbrecht einschließlich seines Pflichtteilsrechts. Die Erstreckung des Erbverzichts auf weitere Abkömmlinge wurde ausgeschlossen (§ 2349 BGB). K beantragte die Gewährung eines Freibetrags von 400.000 EUR gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 ErbStG. Er trug vor, dass er wegen der in § 2346 Abs. 1 S. 2 BGB angeordneten Vorversterbensfiktion, nach der der verzichtende Vater so behandelt wird, als würde er zur Zeit des Erbfalls nach dem Tod des E nicht mehr leben, als Kind eines verstorbenen Kindes i. S. d. § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 ErbStG gelte.
Nach Ansicht des FA steht dem K als Enkel des E gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG nur ein Freibetrag von 200.000 EUR zu. Das FG Niedersachsen (28.2.22, 3 K 176/21, EFG 22, 1118) bestätigte dies und wies die Klage ab.
Entscheidungsgründe
Dem K steht nur ein Freibetrag gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG von 200.000 EUR zu. Der Wortlaut in § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG „… und der Kinder verstorbener Kinder …“ ist so zu verstehen, dass die Kinder des Erblassers tatsächlich verstorben sind. Die zivilrechtliche Vorversterbensfiktion des § 2346 Abs. 1 S. 2 BGB bewirkt nicht, dass das erbverzichtende Kind als „verstorbenes Kind“ i. S. d. § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 ErbStG gilt und dessen Abkömmlinge den Freibetrag von 400.000 EUR erhalten. § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 ErbStG spricht von „verstorbenen Kindern“ und nicht von „als verstorben geltenden Kindern“ (BFH 31.7.24, II R 13/22, Abruf-Nr. 244795).
Der Aufbau des § 16 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 ErbStG spricht dafür, dass durch die Gewährung höherer Freibeträge zunächst die Kinder des Erblassers begünstigt werden sollen, da der Gesetzgeber die familiäre Verbundenheit zu den Abkömmlingen der ersten Generation als am stärksten ansieht. Erbt der Enkel des Erblassers und leben noch die direkten Abkömmlinge des Erblassers, sieht der Gesetzgeber die familiäre Verbindung als nicht mehr so eng an. Es wird aus diesem Grund ein geringerer Freibetrag gewährt.
Die Staffelung des Freibetrags in § 16 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 ErbStG zeigt, dass erst dann, wenn die direkt vorangehende Generation tatsächlich verstorben ist, die Verantwortung für das Auskommen der zweiten Generation dem Erblasser zukommt. Dem wird durch den auf 400.000 EUR erhöhten Freibetrag für „verwaiste Enkel“ nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 ErbStG Rechnung getragen. Eine analoge Anwendung des höheren Freibetrags wegen der Fiktion des § 2346 Abs. 1 S. 2 BGB scheidet aus, da es an einer Regelungslücke fehlt. Sinn und Zweck der Regelung des § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 ErbStG ist die Begünstigung des Enkels, wenn das Vermögen wegen des vorzeitigen Todes des Kindes des Erblassers auf den Enkel übergeht.
Die Erbausschlagung nach § 1953 BGB oder die Erklärung der Erbunwürdigkeit gemäß § 2344 Abs. 1 BGB führen ebenfalls zur Vorversterbensfiktion. Jedoch erfolgt bei jeder Norm eine eigene erbschaftsteuerrechtliche Auslegung. Die erbschaftsteuerrechtliche Behandlung weicht hier teilweise von der Systematik des Zivilrechts ab. Dies ist zulässig und entspricht dem gesetzgeberischen Willen (BFH 28.6.23, II B 79/22, BFH/NV 23, 1069, Rn. 13).
§ 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden:
- Bei einem über den Freibetrag hinausgehenden Vermögenszuwachs ist der erbschaftsteuerliche Zugriff so zu beschränken, dass eine im Erbrecht angelegte Mitberechtigung der Kinder am Familiengut nicht verloren geht (BVerfG 22.6.95, 2 BvR 552/91, BStBl II 95, 671). Die Auslegung, dass der Freibetrag gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 ErbStG von 400.000 EUR dem Enkel bei einem Erbverzicht des Kindes des Erblassers trotz der Fiktion des § 2346 Abs. 1 S. 2 BGB nicht zusteht, verstößt nicht gegen die Erbrechtsgarantie nach Art. 14 Abs. 1 GG. Es wird erbschaftsteuerlich nicht schlechter gestellt, als wenn das Kind des Erblassers, wie es tatsächlich der Fall ist, noch lebte.Kein Verstoß gegen Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG
- Es liegt kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz Art. 3 Abs. 1 GG vor. „Kinder tatsächlich verstorbener Kinder“ und „Kinder von als fiktiv verstorben geltenden Kindern“ können nicht gleichgesetzt werden.
Relevanz für die Praxis
Ein Kind des Erblassers kann trotz seines Verzichts nach § 2346 Abs. 1 S. 1 BGB, der sich nur auf das gesetzliche Erbrecht erstreckt, aufgrund gewillkürter Erbfolge vom Erblasser zum Erben berufen werden. Der BFH betont, dass eine analoge Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 ErbStG zugunsten des Kindes eines zivilrechtlich als verstorben geltenden Elternteils eine Steuerumgehungsmöglichkeit schaffen würde, die geeignet wäre, dass sowohl das Kind als auch der Enkel des Erblassers jeweils den Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG i. H. v. 400.000 EUR in Anspruch nehmen könnten. Auch aus diesem Grund lehnt der BFH eine Analogie ab.
Ein weiteres Beispiel für ein Abweichen des Erbschaftsteuerrechts vom Zivilrecht ist die Nacherbschaft. Zivilrechtlich erben nach §§ 2100, 2139 BGB der Vorerbe und der Nacherbe nacheinander, aber beide vom ursprünglichen Erblasser. Erbschaftsteuerrechtlich (§ 6 ErbStG) haben bei Eintritt der Nacherbfolge diejenigen, auf die das Vermögen übergeht, den Erwerb als vom Vorerben stammend zu versteuern. Allerdings kann der Versteuerung auf Antrag das Verhältnis des Nacherben zum Erblasser zugrunde gelegt werden.
AUSGABE: ErbBstg 1/2025, S. 8 · ID: 50251238