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CBChefärzteBrief

ArzthaftungWie umfangreich muss die Aufklärung sein? Zwei Gerichtsurteile stärken die Arztseite!

Abo-Inhalt12.08.202595 Min. LesedauerVon Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Rainer Hellweg
  • Vor jedem operativen Eingriff hat eine präoperative Aufklärung des Patienten zu erfolgen. Rügt der Patient diese als mangelhaft, liegt die Beweislast im Prozess bei der Behandlerseite – und ist somit ein besonders gefahrenträchtiger Bereich im Falle eines Gerichtsprozesses.

| Immer wieder stellen sich im Klinikalltag die Fragen: Über welche Eventualitäten und Details muss der Patient auch ungefragt aufgeklärt werden? Und wer muss bei der sog. Aufklärungsrüge was beweisen? Gerade die Aufklärungsrüge ist in Haftungsprozessen ein beliebtes „Schwert“ der Patientenanwälte. Dass der Vorwurf einer unzureichenden Aufklärung nicht immer zu einer uferlosen Haftung der Arztseite führen muss, belegen zwei gerichtliche Entscheidungen. |

OLG Bamberg: Worüber muss aufgeklärt werden?

Erkrankungen haben bei verschiedenen Patienten unterschiedliche Ausprägungen – soweit eine medizinische Binsenweisheit. Aber was bedeutet dies für den Umfang der erforderlichen Aufklärung? Müssen schwerer erkrankte Patienten wegen erhöhter Operationsrisiken umfangreicher aufgeklärt werden? Das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg legte an dieses Erfordernis strenge Anforderungen an und wies die Haftungsklage eines Patienten ab (Beschluss vom 21.10.2024, Az. 4 U 4/24).

Komplikationen nach Hand-OP – Finger muss amputiert werden

Der Patient litt schon länger an Morbus Dupuytren und war Jahre zuvor an der rechten Hand bereits operiert worden. Nunmehr stellte er sich im Krankenhaus wegen seiner linken Hand vor. Die behandelnden Ärzte erläuterten dem Patienten, dass aufgrund der bestehenden Beugekontrakturen im kleinen Finger der linken Hand neben einer Operation keine sinnvolle Therapiealternative bestehe. Der Patient wurde unter Verwendung eines Aufklärungsformulars über eine operative Versorgung aufgeklärt. Die Operation in der Klinik brachte nicht den gewünschten Erfolg. Vielmehr kam es zu massiven Schwellungen sowie Wundheilungs- und Durchblutungsstörungen. Eine Revisions-OP war erforderlich, wonach sich zudem die OP-Wunde infizierte. Trotz einer weiteren stationären OP und zahlreichen ambulanten Behandlungsansätzen konnte keine Verbesserung erzielt werden. Letztlich musste der linke kleine Finger amputiert werden.

Patient klagt und rügt mangelnde Aufklärung, Gericht weist die Klage ab

Der Patient verlangte vor Gericht Schmerzensgeld und Verdienstausfall in Höhe von rund 140.000 Euro. Er erhob den Vorwurf, er sei über die – allenfalls relative indizierte – Erstoperation an der linken Hand nicht ausreichend aufgeklärt worden. Der Eingriff sei als „ganz normaler Routineeingriff“ bezeichnet worden. Insbesondere rügte der Patient, dass er nicht auf ein deutlich höheres Komplikationsrisiko und auf geringere Erfolgsaussichten wegen der bei ihm bestehenden hochgradigen Beugekontraktur – im Vergleich zu einer weniger ausgeprägten Kontraktur – hingewiesen worden sei. Diese Argumentation gingen die Richter jedoch nicht mit und wiesen die Klage ab.

Aufklärung über erhöhte Risiken wegen besonderer Konstitution des Patienten erforderlich ...

Das Gericht sah die Aufklärung als hinreichend an. Eines gesonderten Hinweises auf das Vorliegen eines höheren Komplikationsrisikos und auf geringere Erfolgsaussichten wegen der im konkreten Behandlungsfall bestehenden hochgradigen Beugekontraktur habe es nicht bedurft.

Es sei zwar anerkannt, dass die Vermittlung eines „allgemeinen Bildes“ über die mit dem Eingriff verbundenen Risiken und Erfolgschancen nicht ausreiche, wenn der Eingriff aufgrund einer besonderen Befindlichkeit des Patienten – etwa aufgrund von Voroperationen im Operationsgebiet oder einer besonderen Konstitution des Patienten – besondere bzw. erhöhte Risiken aufweise. Diese Fallgruppe betreffe aber lediglich solche Risiken, die ihre Ursache in einer besonderen, vom konkreten Beschwerdebild unabhängigen Verfassung des Patienten hätten und zu einer Risikoerhöhung beitrügen. Der vorliegende Fall sei jedoch anders gelagert gewesen: Hier habe die Risikoerhöhung nicht aufgrund einer besonderen Disposition des Patienten, sondern lediglich im Vergleich mit anderen graduellen Ausprägungen der Erkrankung bestanden.

... aber ungefragt keine Risikovergleiche über Schweregrade der Erkrankung

In solchen Fällen könne vom Arzt jedoch nicht erwartet werden, dass er entsprechende Risikovergleiche ziehe. Durch solche Vergleiche würde der Patient im Ergebnis auch keinen erhöhten Erkenntnisgewinn erzielen, da er im Zweifel auch nicht den Risikograd für das Gelingen und die möglichen Schädigungen der „leichteren“ Erkrankung kenne. Daher sei es nicht erforderlich, bei Erkrankungen, die in verschiedenen Stadien oder Ausformungen vorliegen könnten, im Rahmen der Aufklärung eine vergleichende Risikobetrachtung darzustellen und – ungefragt – zu den jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeiten Auskunft zu geben, so die Argumentation der Richter.

Praxistipp | Auf Nachfragen des Patienten muss konkret geantwortet werden! Falls der Patient aber explizit nachfragt, wie hoch Erfolgschancen und Risiken der OP bei seinem Schweregrad zu beurteilen sind, muss der aufklärende Arzt so konkret wie möglich antworten. Dann müssten auch Risikovergleiche betreffend verschiedene Ausprägungsgrade der Erkrankung gezogen werden – allerdings nur, soweit dies nach dem Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft möglich ist.

OLG Dresden: Wer muss im Prozess was beweisen?

Anders als beim Behandlungsfehler – dessen Vorliegen grundsätzlich der Patient zu beweisen hat – gilt beim Aufklärungsfehler: Wenn der Patient die Aufklärung als mangelhaft rügt, trägt die Behandlerseite im Gerichtsverfahren die Beweislast dafür, dass ordnungsgemäß aufgeklärt wurde. Gelingt der Beweis nicht, verliert die Behandlerseite den Prozess. Dass diese für die Behandlerseite ungünstige Beweislastverteilung aber nur für die „klassische“ präoperative oder präinterventionelle Aufklärung gilt, aber nicht für die sogenannte Sicherungsaufklärung, hat das OLG Dresden in seinem aktuell veröffentlichten Urteil vom 20.06.2024 (Az. 4 U 841/22) klargestellt.

Nervverletzung nach Tumorentfernung – Patientin rügt Aufklärung über Revisions-OP

In dem vom OLG Dresden entschiedenen Fall ging es um eine Patientin, bei der ein Tumor im Halsdreieck operativ in der Klinik entfernt wurde. Die Patientin rügte unter anderem die postoperative Versorgung als fehlerhaft, da eine Nervverletzung nicht erkannt worden sei. Sie verklagte den Krankenhausträger auf Schadenersatz und Schmerzensgeld.

Der vom Gericht beauftragte medizinische Sachverständige hatte festgestellt, dass bei der Patientin im Nachgang bei der Physiotherapie ein Cervikobrachialsyndrom diagnostiziert worden sei. Betreffend die postoperative Überwachung und zu der Frage einer möglichen Revisions-OP führte der Gutachter aus, er selbst hätte eine solche Revisions-OP wegen der damit einhergehenden Risiken und der geringen Erfolgsaussicht nicht ausgeführt. Es gebe dafür keine allgemeingültigen Standards und man bewege sich im Rahmen der Einzelfallabwägung. Der Sachverständige bekundete jedoch in seiner Anhörung vor Gericht, „die Entscheidung für oder gegen eine Revisionsoperation solle unter Einbeziehung des entsprechend aufgeklärten Patienten erfolgen“.

Richter sehen Beweislast bei Patientenseite

Daran anknüpfend stellte sich im Gerichtsverfahren die Frage, welche Prozesspartei das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Aufklärung über eine mögliche Revisions-OP zu beweisen hätte. Das OLG Dresden urteilte: Die Patientenseite hätte es zu beweisen gehabt. Die Richter führten zur Begründung an, ein solcher Hinweis auf eine Revisions-OP im Verlaufe der stationären Behandlung sei in den Bereich der therapeutischen Sicherungsaufklärung zu verorten – nicht in den Bereich der präoperativen Aufklärung. Die Folge: Die Beweislast liege bei der Patientenseite. Da der Beweis nicht geführt werden konnte, obsiegte die Behandlerseite im Prozess – die Haftungsklage wurde abgewiesen.

Exkurs: Präoperative Aufklärung vs. Sicherungsaufklärung

  • Bei der Sicherungsaufklärung (oder therapeutischen Aufklärung) hingegen handelt es sich nicht um eine klassische Aufklärungsform, sondern um einen Teil ärztlicher Nachbehandlung. Fehler in diesem Kontext werden als Behandlungs- und nicht als Aufklärungsfehler gewertet – weswegen die Patientenseite hierfür die Beweislast trägt. Hierunter fallen etwa die Beratung und Information des Patienten über eventuelle Unverträglichkeiten, Neben- sowie Wechselwirkungen von Medikamenten, Einschränkungen der Fahrtüchtigkeit, Kontrolle vor Überdosierung sowie weitere Informationen über erforderliche Maßnahmen der Nachbehandlung.
Weiterführende Hinweise
  • BGH: Therapiewahl ist nicht allein Sache des Arztes, binden Sie den Patienten ein! (CB 05/2025, Seite 8 ff.)
  • Wann, wie und worüber? – BGH-Urteil bestätigt die bisherige Rechtslage zur Patientenaufklärung (CB 03/2024, Seite 8 ff.)
  • Rechtssichere Aufklärung und Einwilligung – worüber und wie ist der Patient aufzuklären? (CB 07/2023, Seite 10 ff.)

AUSGABE: CB 9/2025, S. 12 · ID: 50508531

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