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CBChefärzteBrief

ArzthaftungMutter eines verstorbenen Patienten hat keinen Anspruch auf Nachzahlung von Schadenersatz

Abo-Inhalt05.06.202564 Min. LesedauerVon RAin, FAin MedR Dr. Christina Thissen, Münster, voss-medizinrecht.de

| In bestimmten Arzthaftungsprozessen kann der geschädigte Patient zum Zeitpunkt der Klage seine materiellen Schäden noch nicht beziffern, weil der weitere Verlauf seiner Erkrankung ungewiss ist. In diesem Fall kann er die Feststellung beantragen, dass die Beklagten alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden ebenfalls zu ersetzen haben, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte (z. B. Haftpflichtversicherung) übergehen. Haftpflichtversicherungen schließen bei solchen sogenannten Feststellungsurteilen gern einen Vergleich, der den Schaden für sie kalkulierbar macht. Ist ein solcher Vergleich unwirksam und klagen die Hinterbliebenen auf eine Nachzahlung, haben die Gerichte darüber zu entscheiden, ob die Nachforderung angemessen ist. Die Mutter eines verstorbenen Patienten scheiterte mit ihrer Klage: Das Gericht hielt die ursprünglich vereinbarte Vergleichssumme für ausreichend (Oberlandesgericht [OLG] Köln (Urteil vom 13.11.2024, Az. 5 U 88/22). |

Junger Patient wird durch Behandlungsfehler zum Pflegefall

Ein junger Patient erlitt im Rahmen eines stationären Aufenthaltes im Jahr 2005 durch einen Behandlungsfehler u. a. einen hypoxischen Hirnschaden, ein apallisches Syndrom, eine hochgradige spastische Tetraparese und Schluckstörung. Bis zu seinem Tod im Jahr 2018 war er auf eine PEG-Versorgung angewiesen, sein Sprachvermögen war vollständig aufgehoben und er litt an einer Globalinkontinenz, wodurch er in der Pflegestufe III als Härtefall eingestuft wurde. Der Patient verklagte die behandelnden Ärzte erfolgreich auf 200.000 Euro Schmerzensgeld. Da seine materiellen Schäden im Zeitpunkt der Klage aufgrund des ungewissen weiteren Verlaufs nicht bezifferbar waren, beantragte er lediglich erfolgreich die Feststellung, dass alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden ebenfalls von den beklagten Ärzten zu ersetzen sind, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Eltern schließen (unwirksamen) Vergleich, Haftpflichtversicherung fordert gezahlte 1,65 Mio. Euro nicht zurück

Im Nachgang zum Gerichtsverfahren schlossen die Eltern mit der zuständigen Haftpflichtversicherung einen Abfindungsvergleich über 1,65 Mio Euro zur Abgeltung aller bekannten und unbekannten Schadenersatzpositionen. Der Versicherer zahlte die vereinbarte Summe aus. Die Eltern des geschäftsunfähigen Patienten konnten diesen Vergleich aber ohne Zustimmung des Betreuungsgerichts gar nicht wirksam schließen. Das in diesem Rahmen zuständige Landgericht (LG) Bonn versagte die nachträgliche Genehmigung und stellte die Unwirksamkeit des Vergleichs fest. Die Haftpflichtversicherung forderte den bereits gezahlten Betrag nicht zurück.

Mutter klagt als Erbin erfolglos auf Nachzahlung

Nachdem der Patient verstorben war, erhob seine Mutter als Erbin Klage auf Zahlung von weiteren ca. 1,6 Mio. Euro Schadenersatz.

Die Mutter begründete ihre Nachforderung u. a. mit diesen Kostenpositionen

  • Bau eines behindertengerechten Hauses: Die Mutter trug im Verfahren vor, dass im Rahmen der Erstellung eines behindertengerechten Hauses ca. 400.000 Euro an Kosten angefallen seien. Es sei auf dem regulären Markt keine bedarfsgerechte Immobilie vorhanden gewesen, sodass der Ankauf eines Rohbaus mit Spezialanpassungen erforderlich gewesen sei.
  • Anschaffung eines behindertengerechten Fahrzeugs: Das behindertengerechte Fahrzeug sei für ca. 60.000 Euro angeschafft worden und hätte nach dem Tod ihres Sohnes für lediglich 23.000 Euro verkauft werden können, sodass insoweit ein Differenzschaden von ca. 40.000 Euro verblieben sei.
  • Fremdpflege und eigener Pflegeaufwand: Den schädigungsbedingten Pflegeaufwand bezifferte die Mutter mit ca. 2,4 Mio. Euro. Darin seien in den Jahren 2007–2017 nach ihrer Berechnung, ausgehend von einem Stundensatz von 12,50 Euro ca. 1,1 Mio. Euro an familiärer Eigenleistung enthalten. Die Pflege und der erforderliche Bereitschaftsbedarf hätten über professionelle Pflegedienste nicht im vollen Umfang abgedeckt werden können. Ihr (inzwischen ebenfalls verstorbener) Mann und sie hätten ihre Erwerbstätigkeit einstellen und mit im Haus des Sohnes wohnen müssen.
  • Erwerbsschaden des Sohnes: Der Sohn hatte bereits das Fachabitur und plante ein Architekturstudium. Aus Sicht der Mutter sei daher davon auszugehen gewesen, dass er ohne den Behandlungsfehler ab seinem 28. Lebensjahr ein jährliches Nettoeinkommen von ca. 26.000 Euro gehabt hätte.

Die beklagte Versicherung entgegnete, dass der Mutter über die bereits erfolgte Vergleichszahlung in Höhe von 1,65 Mio. Euro keine weiteren Zahlungen zustünden. Die Zusammensetzung der Klageforderung sei nicht schlüssig und die einzelnen aufgerufenen Beträge im Übrigen zu hoch angesetzt. Zudem drohe den Beklagten eine doppelte Inanspruchnahme bezüglich derjenigen Posten, die von Sozialversicherungsträgern bereits erbracht wurden.

Nachdem die Klage in erster Instanz abgewiesen wurde (LG Bonn, Urteil vom 06.05.2022, Az. 9 O 265/20), unterlag die Klägerin auch vor dem OLG Köln.

Darum lehnte das OLG einen Anspruch auf Nachzahlung ab

Das OLG Köln stellte die Berechnungen der Mutter ebenfalls weitgehend infrage. Nach Auffassung der Richter war die Schadenersatzforderung wegen fehlerhafter Behandlung durch die von der Haftpflichtversicherung bereits gezahlte Vergleichssumme bereits überzahlt.

So rechnete das OLG

  • Nur die Kosten des behindertengerechten Fahrzeugs wurden vollumfänglich anerkannt.
  • Die Pflegeaufwendungen der Angehörigen wurden auf ca. 730.000 Euro gekürzt.
  • Die Klägerin musste sich das mietfreie Wohnen anrechnen lassen und der von ihr angegebene Stundenaufwand und -satz wurde erheblich reduziert. Die erstinstanzliche Kostenschätzung für das behindertengerechte Wohnen lag bei nur knapp einem Drittel der von der Klägerin aufgerufenen Summe. Das OLG Köln bestätigte diese deutlich reduzierte Schätzung als ermessensfehlerfrei.
  • Bezüglich des geltend gemachten Erwerbsausfalls seien nicht ausreichend tragfähige Anknüpfungspunkte vorgetragen worden.
  • Berücksichtigungsfähige Freistellungsansprüche gegen Sozialhilfeträger wurden ebenfalls weitgehend verneint.

AUSGABE: CB 9/2025, S. 16 · ID: 50401787

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