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CBChefärzteBrief

KodierungWas ist eine „angeborene Infektion“? LSG erteilt Auslegung des Krankenhauses eine Absage

Abo-Inhalt18.02.20252501 Min. LesedauerVon RA Malte Brinkmann, armedis Rechtsanwälte, Seesen

| Seit einigen Jahren streiten Geburtskliniken und Kostenträger über die Auslegung des Begriffs „angeborene Infektion“. Denn das Vorliegen einer solchen ist Voraussetzung für die Kodierung des ICD-Codes P37.9. Nun hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen entschieden: Eine Infektion ist „angeboren“ im Sinne des ICD-Codes P37.9, wenn sie nachweislich bei Vollendung der Geburt bereits vorhanden war. Eine Neugeboreneninfektion binnen der ersten 72 Lebensstunden dagegen rechtfertigt die Kodierung des ICD-Codes P37.9 nicht. Ist der Infektionszeitpunkt eines Neugeborenen unklar, ist der ICD-Kode P39.9 zu kodieren (Urteil vom 19.11.2024, Az. L 16 KR 485/23). Gegen das Urteil hat der Krankenhausträger Revision zum Bundessozialgericht (BSG) eingelegt (Az. B 1 KR 39/24 R). |

Kostenträger zahlt nicht und korrigiert die Abrechnung

Im Krankenhaus der Klägerin wurde das bei der Beklagten versicherte Neugeborene per Kaiserschnitt geboren und danach stationär behandelt. Das Kind wog bei der Geburt 2.670 g, sein Allgemeinzustand war stark reduziert (blasses Hautkolorit, Akrozyanose, Tachydyspnoe sowie subkostale Einziehungen) und die Atmung war stöhnend. Der Leukozytenwert lag direkt nach der Geburt bei 14,1 c/nl (Normalwert 6 bis 15 c/nl), der CRP-Wert betrug am Geburtstag (Tag 1) 0 mg/l (Normalwert 0 bis 5 mg/l). An Tag 2 lag der CRP-Wert bei 15 mg/l und stieg an Tag 3 auf 40 mg/l. Das Krankenhaus diagnostizierte eine Neugeboreneninfektion und leitete an Tag 2 eine Antibiotikatherapie mit Ampicillin und Gentamicin ein. Bei steigenden Entzündungszeichen im Blut wurde die Therapie auf Meropenem und Gentamicin umgestellt fortgeführt. Der CRP-Wert sank ab und es konnte kein Keimnachweis gelingen.

Das Krankenhaus rechnete die erbrachten Leistungen mit Diagnose P37.9 ab. Der Kostenträger korrigierte die Diagnose in der Abrechnung in P 39.9. Begründung: Es sei kein Keimnachweis für eine angeborene Infektion gelungen. Das Krankenhaus hielt jedoch an der Nebendiagnose P37.9 fest. Eine angeborene Infektion liege vor, wenn sich diese innerhalb von 72 Stunden nach der Entbindung offenbart habe (erhöhte Infektionsparameter im Blut, Fieber, Keimnachweis oder sonstige Symptome). Das Krankenhaus verwies auf die fachliche Äußerung des RKI zum Epidemiologisches Bulletin 42/2013, Seite 13). Vorliegend hätten die Leukozyten bei der Geburt bei 14,1 c/nl gelegen und der CRP-Wert sei innerhalb von 72 Stunden auf 40 mg/l gestiegen.

SG Stade weist Klage des Krankenhauses ab

Da der Kostenträger nicht zahlte, klagte das Krankenhaus beim Sozialgericht (SG) Stade. Das SG wies die Klage ab (Urteil vom 06.09.2023, Az. S 1 KR 303/20). Eine für den ICD-Code P37.9 erforderliche angeborene infektiöse oder parasitäre Krankheit sei nicht belegt. Eine Erkrankung sei nur dann „angeboren“ im Sinne des ICD-Kodes P37.9, wenn sie nachweisbar bei Vollendung der Geburt vorgelegen habe. Seinem reinen Wortsinn nach beziehe sich der Begriff „angeboren“ auf einen bestimmten Zeitpunkt, nämlich dem Abschluss der Geburt. Zu diesem Zeitpunkt müsse der Infekt nachweislich schon vorhanden/erworben gewesen sein, um als „angeboren“ bezeichnet zu werden.

Die Infektion des Neugeborenen sei nicht nachweisbar bei Abschluss der Geburt vorhanden gewesen. Etwas anderes ergebe sich nicht aus dem Leukozyten- und CRP-Wert. Unabhängig davon, ob insoweit bei Geburt erhöhte Werte überhaupt aussagekräftig seien, sei dies vorliegend aber auch nicht der Fall gewesen. Der Leukozytenwert habe mit 14,1 c/nl (bzw. gemäß Entlassungsbericht 13,9 c/nl) am Tag der Geburt noch innerhalb des natürlichen Rahmens von 6 bis 15 c/nl gelegen. Ein CRP-Wert sei an Tag 1 nicht ermittelt worden. Der ab Tag 2 erhöhte Wert lasse keinen Rückschluss auf das CRP am Tag der Geburt zu. Gegen diese Entscheidung legte das Krankenhaus Berufung ein.

LSG Niedersachsen-Bremen bestätigt Urteil der Vorinstanz

Das LSG bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung und lehnte die Abrechnung des ICD-Codes P37.9 ab. Für den mehrfach im Kapitel XVI „Bestimmte Zustände, die ihren Ursprung in der Perinatalperiode haben (P00-P96)“ verwendeten Begriff „angeboren“ existiere weder in der ICD selbst noch an anderer Stelle ein normativ-determiniertes Begriffsverständnis. Auch eine klare medizinisch-wissenschaftliche Übereinkunft darüber, wann von einer „angeborenen“ Krankheit gesprochen wird, existiert jedenfalls in dem vom Krankenhaus angenommenen Sinn einer bloßen Abgrenzung nach dem zeitlichen Auftreten nach der Geburt nicht. Damit sei auf den allgemeinen Begriffskern des Wortes „angeboren“ zurückzugreifen. Nach dem allgemeinen Wortverständnis würden als „angeboren“ alle Eigenschaften von Lebewesen bezeichnet, die bereits bei ihrer Geburt angelegt sind. Nach dem medizinischen Wörterbuch Pschyrembel bedeute „angeboren“: „zum Zeitpunkt der Geburt vorhanden“.

Dass vorliegend nicht feststehe, dass die Infektion des Neugeborenen bereits bei der Geburt bestand, habe das erstinstanzliche Gericht zutreffend herausgearbeitet. Die Leukozyten lagen an Tag 1 mit 14,1c /nl noch im Normalbereich von 6 bis 15 c/nl. Der CRP- Wert lag an Tag 1 bei 0 mg/l, war damit gänzlich unauffällig und stieg erst am Folgetag mit 15 mg/l über den Normalbereich von 0 bis 5 mg/l. Ein Keimnachweis konnte nicht erbracht werden.

Fazit | Das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen hat die Kodierung der angeborenen Infektion P37.9 erheblich erschwert. Das Gericht hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die 72-Stunden-Grenze zwischen Geburt und Infektzeichen für die bakterielle Infektion nicht maßgebend sein könne, sondern dass die tatsächlichen Umstände bereits zum Zeitpunkt der Geburt auf eine angeborene Infektion hindeuten müssen. Dies war zumindest im zu entscheidenden Sachverhalt nicht festzustellen. Das LSG Niedersachsen-Bremen hat jedoch insoweit verkannt, als dass bei hoher Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer angeborenen Infektion die Kodierung einer Verdachtsdiagnose in Betracht käme. Wie sich das BSG hierzu im Revisionsverfahren positionieren wird, ist noch offen.

AUSGABE: CB 5/2025, S. 18 · ID: 50291444

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