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VergütungsrechtSchulmedizinische Behandlung erfolglos: PKV muss Kosten der Alternativtherapie tragen!
| Eine private Krankenversicherung (PKV) muss die Kosten einer dendritischen Zelltherapie übernehmen, wenn schulmedizinische Behandlungen zu keinem Behandlungserfolg geführt haben (Oberlandesgericht [OLG] Frankfurt/Main, Urteil vom 29.06.2022, Az. 7 U 140/21). Die Entscheidung verdeutlicht, dass Behandlungskosten für Alternativtherapien bei ausgebliebenem Behandlungserfolg der Schulmedizin und dem Vorliegen lebensbedrohlicher Erkrankungen gesichert sind. Für die Fachabteilungen der Krankenhäuser folgt daraus, dass diese Behandlungen bei „austherapierten“ Patienten angewandt werden können. |
Sachverhalt
Die Ehefrau des Patienten klagte gegen die PKV Ihres Mannes. Bei diesem war ein Tumor an der Bauchspeicheldrüse diagnostiziert worden. Auch nach einer Chemotherapie war der Tumor als nicht operabel eingestuft worden. Da die Chemotherapie keinen Behandlungserfolg gebracht hatte, war eine kombinierte Immuntherapie mit dendritischen Zellen durchgeführt worden. Die PKV hatte die volle Kostenübernahme hierfür abgelehnt, aber die Hälfte der Kosten übernommen. Das Gericht gab der Zahlungsklage statt und bestätigte damit die Entscheidung der Vorinstanz.
Entscheidungsgründe
Das Gericht betrachtete die dendritische Zelltherapie als Heilbehandlung i. S. d. Krankheitskostenbedingungen der privaten Krankenversicherungen (MB/KK 2009; online unter iww.de/s7048). Führe eine schulmedizinische Erstlinientherapie (hier: Chemotherapie) bei einer lebenszerstörend und unheilbar an einem Tumor erkrankten Person nicht zum gewünschten Behandlungserfolg, müsse sich die versicherte Person nicht auf eine Zweitlinientherapie mit prognostisch noch geringerer Wirksamkeit verweisen lassen. Sie könne vielmehr unmittelbar die Übernahme der Kosten einer neuartigen, wissenschaftlich fundierten Alternativtherapie verlangen, wenn diese im Zeitpunkt der Behandlung die nicht ganz entfernte Aussicht begründe, einen über die palliative Standardtherapie hinausreichenden Erfolg zu erbringen. Ein im Rahmen der ersten Instanz eingeholtes Sachverständigengutachten hatte die medizinische Notwendigkeit einer dendritischen Zelltherapie bestätigt.
Darüber hinaus wies das Gericht zutreffend darauf hin, dass bei einer lebenszerstörenden, unheilbaren Krankheit nicht mehr darauf abgestellt werden kann, ob sich die gewünschte Behandlung zur Erreichung des vorgegebenen Behandlungsziels tatsächlich eignet. Es genüge vielmehr bereits, wenn die Behandlung nach medizinischen Erkenntnissen im Zeitpunkt ihrer Vornahme wahrscheinlich auf eine Verhinderung der Verschlimmerung der Erkrankung oder zumindest auf ihre Verlangsamung hinwirke, wofür eine hinreichende wissenschaftliche Evidenz für die Effektivität nicht erforderlich sei.
AUSGABE: CB 11/2022, S. 14 · ID: 48613128