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Autohandel/VertriebAgenturgeschäft: Wie der Status quo ist und was den Kfz-Handel in naher Zukunft erwartet

Top-BeitragAbo-Inhalt19.07.2024727 Min. LesedauerVon Werner Koller, LL.M., Geschäftsführer der TCJG, München

| Agentur – der Begriff ist im Kfz-Vertrieb in aller Munde. Schließlich wollen immer mehr Hersteller und Importeure ihre Vertriebssysteme auf Agenturbasis umstellen. Während die einen die echte Agentur einführen wollen, setzen die anderen auf die unechte Agentur. Doch was heißt das eigentlich? Und wie ist der Stand auf dem deutschen Kfz-Markt? Was sind die Vor- und Nachteile der Agentur? Was kommt in naher Zukunft auf den Handel zu? ASR bringt Sie auf den aktuellen Stand. |

So sieht die Vertriebslandschaft in Deutschland aus

Franchise, Lizenzvertrieb, Agentur & Co. – je nachdem, wie stark ein Anbieter seine Absatzmittler führen und auf den Vertrieb Einfluss nehmen will, kommen verschiedene Vertriebssysteme in Frage. Die Grenzen sind teilweise fließend. Der Kfz-Handel in Deutschland und Europa ist in Sachen Vertrieb traditionell geprägt durch eine Dreiteilung:

  • 1. Zum einen verkaufen Hersteller im Flottengeschäft direkt an große Abnehmer wie z. B. Behörden oder Fahrzeugvermieter.
  • 2. Zum anderen betreiben Hersteller bei manchen Marken auch für das Einzelkundengeschäft zuständige eigene Niederlassungen.
  • 3. Die dritte Säule bildet der unternehmerisch selbstständige Vertragshandel, der Fahrzeuge und Originalteile einkauft, um diese dann in eigenem Namen und auf eigene Rechnung an Endkunden weiterzuverkaufen.

GVO und markenindividuelle Händlerverträge bilden rechtlichen Rahmen

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für den Kfz-Handel in Deutschland sind die EU-weit von Seiten des Kartellrechts den vertikalen Vertrieb regelnde Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) und die markenindividuellen Händlerverträge. Letztere enthalten aus Gründen der Effizienz in der Geschäftsbeziehung typischerweise wettbewerbsbeschränkende Regelungen, wie z. B. das Verbot des Vertriebs an Wiederverkäufer von Neuwagen, sodass für sie eine Freistellung durch die GVO geschaffen werden muss. Die Regelungen der GVO sind zum Teil sehr komplex. Sie bestimmen z. B., dass Hersteller bestimmte Werkstätten akzeptieren müssen (Kontrahierungszwang) und legen fest, ob ein Händler in einem bestimmten Gebiet der einzige sein darf. Außerdem regeln sie den wechselseitigen Datenaustausch. Hinzu kommen nationale Regelungen aus dem Handelsrecht wie z. B. der in § 89b HGB geregelte Anspruch auf Ausgleichszahlung für Handelsvertreter, wenn deren Vertrag gekündigt wird.

Hersteller setzen verstärkt auf Agentursystem

Auf diese Gemengelage trifft nun verstärkt der wirtschaftliche Druck seitens der Hersteller und Importeure, die – um wettbewerbsfähig zu bleiben – ihren Vertriebskostenanteil an der Wertschöpfung senken müssen. Eher kosmetische Maßnahmen wie z. B. das Zusammenlegen von Vertriebsregionen oder die Reduzierung der Betreuung durch Außendienstmitarbeiter haben bisher nämlich nicht ausgereicht. Folglich geht es nun mit Wucht ans Eingemachte: Viele Hersteller wollen die Vertragsbeziehung mit dem Handel über ein oder mehrere Agenturmodelle komplett neu ausrichten.

Was ist überhaupt eine Agentur?

Im Agenturmodell ist der Vertragshändler ein Agent, sprich ein Vermittler. Er erhält vom Hersteller eine Provision für die Vermittlung eines Fahrzeugs. Das Autohaus ist somit zuständig für Kundengewinnung und -betreuung, Probefahrten, Wartungen und Service sowie die Auslieferung der Fahrzeuge. Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung hat sich in der Branche die Unterscheidung zwischen „echter“ und „unechter“ Agentur eingebürgert.

Echte vs. unechte Agentur: Was die beiden Modelle kennzeichnet

Die echte Agentur ist gewissermaßen der Idealtypus unter den Agenturmodellen. Dabei wird der Kaufvertrag zwischen Käufer und Hersteller geschlossen. Folglich obliegen alle Verpflichtungen inkl. Gewährleistungen dem Hersteller. Das umfasst Rabatte und Restwerte, aber auch die Inzahlungnahme von Gebrauchtwagen und deren Vermarktung, bzw. Kostenübernahme für die Bereitstellung von Vorführwagen. Zudem übernimmt der Hersteller jedenfalls teilweise die Ausbildungskosten der Verkäufer sowie die Kosten der IT-Anbindung und Fahrzeugdisposition. So zumindest die Theorie.

Die unechte Agentur ist freier. Dadurch können Sie als Händler z. B. Preisnachlässe gewähren; die schmälern allerdings Ihre Provision. Die Einbußen kompensieren einige Hersteller bisweilen aber durch Ausgleichszahlungen. Auch Kosten und Risiken, z. B. für die wirtschaftliche Abwicklung der Rücknahme von Leasingfahrzeugen oder GW-Inzahlungnahmen, bleiben bei der unechten Agentur ebenfalls zum Teil bei den Händlern. Es handelt sich also im Prinzip um eine Art „Mischform“.

In der Praxis scheitert die Agentur – egal ob echt oder unecht – zumeist an der komplexen Realität des Kfz-Handels und den aus Sicht der Hersteller zu hohen Kosten. Letzteres u. a. deswegen, weil Händler erwarten, dass zwecks Kundengewinnung Preisnachlässe aus der Provision getilgt, also vom Hersteller übernommen werden. Tatsächlich verbleibt aber zumindest ein Teil des Preisdurchsetzungsrisikos beim Händler. Und auch bei den Restwertrisiken werden Händler nicht vollständig freigestellt.

Kunde, Händler oder Hersteller: Wer von der Agentur profitiert

Den größten Vorteil der Agentur genießen die Kunden. Die Preistransparenz führt nämlich dazu, dass sie keine Preise mehr vergleichen müssen, und potenzielle Verhandlungsgespräche bei Festpreisen überflüssig werden.

Händler profitieren insofern, dass sie keine eigene Lagerfläche mehr bereithalten müssen, die dafür etwaig aufzubringenden Finanzierungskosten wegfallen und das Risiko von zu großen Fahrzeugbestellungen mit dann entsprechendem Absatzdruck entfällt. Auch Rabattschlachten und das Überbieten von Preisnachlässen im Kampf um die Kundschaft reduzieren sich. Kurzum: Weniger Risiko, weniger Fahrzeuge, weniger Administration.

Für Hersteller ergibt sich eine einheitlichere Situation zwischen Online-Handel und dem physischen Handel beim Vertriebspartner. Alle sind besser vernetzt und der Hersteller näher beim Endkunden.

Wichtig | Wie sich die Vor- und Nachteile der Agentur im Vergleich zum derzeit (noch) vorherrschenden indirekten Vertrieb auswirken, hängt letztlich allein von der konkreten Ausgestaltung selbiger ab.

Wie ist der Stand in Sachen Agentur derzeit?

Das der Umstellung auf das Vertriebsmodell Agentur ursprünglich zugrunde gelegte Ziel, zehn Prozent der Vertriebskosten einzusparen, hat sich größtenteils als unrealistisch erwiesen. Zumal die Widerstände seitens des Handels und dessen Interessenvertretungen größer sind als gedacht. Etwas plakativ kann man auch sagen, dass nahezu alle Beteiligten die Komplexitäten bei der Einführung von Agentursystemen teilweise massiv unterschätzt haben.

Welche Hersteller wann die Agentur einführen wollen – und welche nicht

Deswegen sind auch einige Händler, wie z. B. Ford, komplett aus der Diskussion um die Agentur ausgestiegen. Sie bleiben – zumindest auf absehbare Zeit – beim indirekten Vertrieb. So gut wie alle anderen haben ihre ursprünglichen Implementierungstermine verschoben. Im Moment sieht der Stand in Sachen Agentur auf dem deutschen Markt wie folgt aus:

  • Dacia, Ford, Hyundai, Jaguar, KIA, LandRover, Mazda, Mitsubishi, Nissan, Porsche, Renault, Subaru und Toyota wollen kein Agentursystem einführen.
  • Alfa Romeo, BMW, Citroën, DS, FIAT, Jeep, MINI, Opel, Peugeot und Volvo wollen noch in diesem Jahr oder in den nächsten Jahren die Agentur einführen.
  • Audi, SEAT/Cupra, Skoda und Volkswagen haben im Bereich der Großkunden sowie für batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) bereits ein Agenturmodell eingeführt oder stehen kurz davor. Die Ausweitung auf den gesamten NW-Vertrieb wird derzeit mit dem Händlerverband verhandelt.
  • Mercedes hat im Jahr 2023 das Vollagentursystem eingeführt.

Systemumstellung wirft vor allem kritische ökonomische Fragen auf

Die Systemumstellung ist primär getrieben von Fragen, die insgesamt durchaus als ökonomische Knackpunkte für deren Sinnhaftigkeit zu sehen sind:

  • Welcher Vertragspartner trägt künftig welche Risiken und Kosten und wie sieht deren Vergütung aus?
  • Wie wird sichergestellt, dass der Agent den Markt hinsichtlich der Volumenziele künftig ebenso bearbeitet wie bisher?
  • Wie lassen sich die Produktionskapazitäten so flexibilisieren, dass Nachfrage- und Bestellschwankungen ausgeglichen werden, wenn es keine Lager- und Vorführwagenverpflichtungen mehr gibt?

Der größte Knackpunkt: An der bisherigen Margenstruktur mit ihrer Aufteilung in fixe und variable Komponenten wird vermutlich insgesamt festgehalten werden. Die künftige Agenturprovision wird im Vergleich zur bisherigen Bruttoertragsmenge nominal allerdings wohl deutlich sinken. Ob und wie sich diese Differenz durch geringere Kosten und eine Eliminierung von Nachlässen auffangen lässt, ist im Moment die große Frage aus Sicht des Handels. Für die Hersteller geht es in erster Linie darum, durch die Agentur, die im Grundsatz nachfragegetrieben agiert, möglichst kein Volumen- und Marktanteilsrisiko entstehen zu lassen. Dass das flächendeckend gelingt, kann man aus guten Gründen bezweifeln.

Wie sieht der Business-Case für den Kfz-Handel konkret aus?

Vor dem Hintergrund dieser ökonomischen Knackpunkte fragt man sich: Wo liegen die Vor- und Nachteile einer Agentur im Vergleich zum indirekten Vertriebssystem? Die Antwort lautet wie so oft: Es kommt darauf an. Und zwar auf die Relation der Gesamtmarge und der beim Handel verbleibenden Kostenpositionen. Eine basierend auf dem Durchschnitt verschiedener Händlerbetriebsvergleiche erstellte Musterrechnung kommt unter Vollkostengesichtspunkten zu folgendem überschlägigen Ergebnis:

GuV-Positionen

Indirekter Vertrieb

Echte Agentur

Unechte Agentur

Agenturprovision

0,0 %

5,5 %

Hersteller

8,0 %

Hersteller

Grundmarge

10,3 %

Hersteller

0,0 %

n/a

0,0 %

n/a

Variable Marge

6,5 %

Hersteller

0,0 %

n/a

0,0 %

n/a

Verkaufshilfen

3,3 %

Hersteller

0,0 %

n/a

0,0 %

n/a

Valuta

0,4 %

Hersteller

0,0 %

n/a

0,0 %

n/a

Finanzdienstleistung

0,5 %

Bank

0,4 %

Bank

0,4 %

Bank

Überführung

0,3 %

Handel

0,3 %

Handel

0,3 %

Handel

Gesamtmarge

21,6 %

6,2 %

8,7 %

Nachlass

12,0 %

Handel

0,0 %

Handel

0,0 %

Handel

Vorführwagen

1,5 %

Handel

0,0 %

Handel

1,0 %

Handel

Lagerwagen

0,4 %

Handel

0,0 %

Handel

0,2 %

Handel

Personal

2,7 %

Handel

2,7 %

Handel

2,7 %

Handel

Immobilie

0,5 %

Handel

0,5 %

Handel

0,5 %

Handel

Markbearbeitung

0,9 %

Handel

0,5 %

Beide

0,9 %

Handel

Restwertrisiko

0,8 %

Handel

0,0 %

Hersteller

0,6 %

Beide

Gemeinkosten

0,8 %

Handel

0,8 %

Handel

0,8 %

Handel

Zinsen

0,5 %

Handel

0,2 %

Beide

0,5 %

Handel

Rendite

1,5 %

1,5 %

1,5 %

Deutlich wird: Der Kfz-Handel benötigt – basierend auf dem herangezogenen Datensatz – zur Erzielung einer identischen Rendite im NW-Geschäft im indirekten Vertrieb eine Gesamtmarge von 21,6 Prozent, bei einer echten Agentur von 6,2 Prozent und bei einer unechten Agentur von 8,7 Prozent. Die Unterschiede des indirekten Vertriebssystems zu beiden Agenturmodellen ergeben sich zum einen aus der Übernahme des Risikos für die Preisdurchsetzung in der bisherigen Form der Nachlassgewährung durch den Hersteller und zum anderen im Gegenzug der deutlichen Reduzierung der Agenturprovision im Vergleich zu den bis dato im Händlervertrag vereinbarten fixen und variablen Margenkomponenten zzgl. der zusätzlichen Bruttoerträge aus Verkaufshilfen. Bei der echten Agentur wiederum übernimmt der Hersteller sämtliche Kosten für die Lagerhaltung, das Restwertrisiko, einen Teil der Kosten für die Marktbearbeitung sowie einen Teil der Zinsen. Bei der unechten Agentur bleiben diese Kosten ganz oder teilweise beim Händler. Das führt – weil die Darstellung davon ausgeht, dass auch bei der unechten Agentur kein Nachlass auf den Händler entfällt – bei einer gleichen Zielrendite konsequenterweise zur Gewährung einer höheren Agenturprovision mit entsprechenden Kompensationsbestandteilen.

Wichtig | In dieser Musterrechnung nicht berücksichtigt sind sich möglicherweise ergebende Effizienzgewinne seitens der Hersteller und Händler durch die Agentur, z. B. durch die verstärkte Nutzung digitaler Vertriebskanäle, sowie potenzielle Veränderungen im Fahrzeugabsatz. Auch Entwicklungen im Vertriebsnetz bezogen auf die Anzahl der Betriebsstätten bzw. der unternehmerischen Einheiten (Investoren) sind in den dargestellten Effekten nicht enthalten.

Und was kommt jetzt kurzfristig auf den Handel zu?

Um Vertriebschancen optimal zu nutzen, neue Antriebstechnologien zu platzieren und Friktionskosten in den Prozessen zu vermindern, ist der verstärkte Schulterschluss zwischen Handel und Hersteller unentbehrlich. Der Veränderungsdruck ist zum einen aufgrund des Markteintritts neuer Wettbewerber und zum anderen aufgrund des veränderten Nachfrageverhaltens bereits jetzt enorm und wird noch weiter zunehmen. Eine entsprechende Reaktion darauf ist unumgänglich – so weit, so richtig.

In den nächsten Jahren werden also die praktizierten Vertriebsformen weiter hybridisiert und optionalisiert werden. Ein Mehrmarken-Händler wird teils unter den Bedingungen des indirekten Vertriebs und teils in einem Agentursystem arbeiten. Differenzierungsfaktoren können hier neben der Marke die Antriebstechnologie (Stichwort: BEV-Agentur), aber auch die Kundenzielgruppe (Stichwort: Großkunden-Agentur) sein.

Fakt ist aber auch: Der ökonomische Business-Case für den Handel muss stimmen, wenn dieser weiterhin in den stationären Point of Sale investieren soll. Das tut er – vor allem im Fall der unechten Agentur – zumeist aber nicht, weil die Margenreduzierung hier typischerweise die Kostenreduzierung überwiegt. Die Erschließung von eher kerngeschäftsfernen Aktivitäten zur Generierung von zusätzlichem Umsatz an den eigenen Standorten – wie sie der Handel mittlerweile verschiedentlich praktiziert – ist zwar ein wirtschaftlicher Notausgang, aber eigentlich nicht im Interesse der Stabilität des Vertriebssystems im Ganzen.

Fazit | Insgesamt gesehen müssen beide Parteien – Hersteller aber auch Händler – noch deutlich nacharbeiten. Denn wenn die beiderseitigen Vorteile im Vergleich zum bisherigen indirekten Vertrieb nicht deutlicher herausgestellt, verbindlich vereinbart und auch fair verteilt werden, ist das letzte Wort in Sachen Akzeptanz der Agentur sicherlich noch nicht gesprochen.

AUSGABE: ASR 8/2024, S. 3 · ID: 50088930

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