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WerkstattrechtBGH-Urteil zu Desinfektionskosten: Das müssen Autohäuser und Werkstätten wissen

Top-BeitragAbo-Inhalt21.02.20232260 Min. LesedauerVon Rechtsanwältin Stefanie Moser, Fachanwältin für Verkehrsrecht, Bad Wörishofen

| Es ist eine der Entscheidungen, die von Autohäusern, Werkstätten, Sachverständigen und Versicherern gleichermaßen mit Spannung erwartet wurde: Die Entscheidung des BGH zu den Kosten für Desinfektionsmaßnahmen. Zuvor hatten sich viele Gerichte damit befasst, ob die Kosten für Desinfektionsmaßnahmen im Rahmen der Reparatur während der Corona-Pandemie erstattet werden müssen. Das große Aber: Alle waren sich uneins. Jetzt hat der BGH entschieden. ASR macht Sie mit der Entscheidung vertraut. |

Worum ging es vor Gericht?

Das Urteil des BGH bezieht sich auf Desinfektionskosten, die ein Sachverständiger im Rahmen seiner Begutachtung dem Geschädigten berechnet hatte. Es enthält aber auch wichtige Aussagen zu den von Autohäusern und Werkstätten in Rechnung gestellten Desinfektionsmaßnahmen.

Geschädigter machte Schadenersatz für Desinfektionskosten geltend

Im Fall vor dem BGH machte der Geschädigte nach einem Verkehrsunfall restlichen Schadenersatz in Höhe von 15 Euro netto, also 17,85 Euro brutto, für Desinfektion geltend. Diese Kosten waren ihm von dem Sachverständigenbüro in Rechnung gestellt worden. Dieses hatte im Rahmen der Begutachtung bei Hereinnahme des Fahrzeugs und vor Rückgabe des Fahrzeugs an den Geschädigten alle Fahrzeugteile, die kurzfristig berührt wurden, desinfiziert. Der Arbeitsaufwand betrug jeweils mehrere Minuten. Der Geschädigte hatte die Rechnung des Sachverständigen nicht bezahlt und klagte auf Freistellung von der Honorarforderung.

Vorinstanz verurteilte Geschädigten zu Zahlung der Kosten vor Rückgabe

Das LG Stuttgart hatte die gegnerische Haftpflichtversicherung in der Berufungsinstanz in Höhe von 8,93 Euro (brutto) zur Zahlung der Desinfektionsmaßnahmen, die vor der Rückgabe des Fahrzeugs durchgeführt worden sind, verurteilt. Die Kosten für die Desinfektion bei Hereinnahme des Fahrzeugs sah das Landgericht nicht als erstattungsfähig an. Es sei zweifelhaft, ob der Sachverständige dem Kunden allgemeine Arbeitsschutzmaßnahmen in Rechnung stellen könne. Gegen dieses Urteil legte der Geschädigte Revision ein.

So hat der BGH entschieden

Der BGH hat das Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Nach Auffassung des BGH hat der Geschädigte einen Anspruch auf Ersatz der Kosten des eingeholten Sachverständigengutachtens. Die Höhe richtet sich nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB. Danach kann der Geschädigte als erforderlichen Herstellungsaufwand die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen.

Desinfektionskosten müssen werkvertraglich geschuldet sein

Verlangt der Geschädigte wie hier Freistellung von der Honorarforderung des Sachverständigen, ist maßgebend, ob und in welcher Höhe er mit der Verbindlichkeit, die er gegenüber dem Sachverständigen eingegangen ist, beschwert ist. Es ist dann auch für die schadensrechtliche Betrachtung des Verhältnisses zwischen Geschädigtem und Schädiger die werkvertragliche Beziehung zwischen Geschädigtem und Sachverständigem maßgeblich. Wenn also kein Auswahl- und Überwachungsverschulden des Geschädigten in Bezug auf den Sachverständigen vorliegt, kommt es darauf an, ob und in welcher Höhe der Geschädigte dem Sachverständigen die Vergütung der Desinfektionsmaßnahmen nach werkvertraglichen Grundsätzen schuldet. Nicht relevant ist dagegen, ob die in Rechnung gestellten Desinfektionsmaßnahmen nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB objektiv erforderlich waren. Lange Rede, kurzer Sinn – das heißt konkret: Es kommt nicht darauf an, ob die Desinfektionsmaßnahmen nach § 249 BGB erforderlich waren, sondern nur darauf, ob sie werkvertraglich geschuldet sind.

Ohne Vergütungsvereinbarung gilt übliche Vergütung als vereinbart

In diesem Fall hatte der Geschädigte keine Vergütungsvereinbarung mit dem Sachverständigen geschlossen, sodass nach § 632 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen ist. Da Desinfektionskosten im Rahmen der Begutachtung selten berechnet werden, hat sich eine Üblichkeit der Höhe der Kosten noch nicht herausgebildet. Das LG Stuttgart muss nunmehr prüfen, ob sich deren Höhe durch ergänzende Vertragsauslegung ermitteln lässt. Falls dem nicht so ist, kommt eine einseitige Bestimmung der Gegenleistung durch den Sachverständigen in Betracht. Darüber hinaus stellt der BGH fest, dass sowohl die Wahl eines individuellen Hygienekonzepts als auch die Berechnung der Desinfektionskosten als gesonderter Rechnungsposten allein dem Sachverständigen als Unternehmer zustehen (BGH, Urteil vom 13.12.2022, Az. VI ZR 324/21, Abruf-Nr. 233276).

Was bedeutet das Urteil für das Autohaus?

Obwohl der BGH nicht zur Frage der Erstattungsfähigkeit von Desinfektionskosten der Autohäuser und Werkstätten Stellung genommen hat, sind hier die Grundsätze des Urteils ebenso anzuwenden. Welche Kosten üblich sind, dürfte leicht festzustellen sein, da Desinfektionsmaßnahmen fast von allen Werkstätten berechnet worden sind. Zudem dürften hier die Grundsätze des Werkstattrisikos greifen und die Kosten damit nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlich sein. Wichtig sind deshalb vor allem zwei Aussagen:

  • Die Berechnung von Desinfektionskosten und die Art der Durchführung der Desinfektion ist allein Entscheidung des Autohauses.
  • Es können auch Desinfektionskosten, die bei Hereinnahme des Fahrzeugs zum Schutz der Mitarbeiten entstehen, erstattungsfähig sein.

Wichtig | Die Gerichte werden keine Desinfektionskosten aus Unfällen, die sich ab Sommer 2022 bzw. spätestens ab diesem Jahr ereignen, mehr zusprechen (AG Sonthofen, Verfügung vom 05.10.2022, Az. 2 C 374/22; Abruf-Nr. 231691; AG Coburg, Verfügung vom 08.12.2022, Az. 14 C 4568/22, Abruf-Nr. 232785; AG München, Verfügung vom 08.12.2022, Az. 332 C 16113/22, Abruf-Nr. 232805).

AUSGABE: ASR 3/2023, S. 8 · ID: 49035481

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