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InterviewDie Hürden sind hoch, um Gutachter als befangen abzulehnen
| Markus Erler ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht und seit April 2018 in der Kanzlei Rath Uhlmann (rechtsanwaelte-rath-uhlmann.de) in Leipzig tätig. In seinen baurechtlichen Mandaten hatte er selbst schon einige Male versucht, Gutachter wegen Befangenheit abzulehnen. Warum dies schwierig sein kann und worauf Anwälte achten müssen, erklärt er im Interview. |
Frage: Sind Befangenheitsanträge in baurechtlichen Verfahren häufig?
Antwort: Ich habe als Anwalt noch keinen Fall erlebt und kenne auch keinen von Kollegen, in dem ein solcher Antrag erfolgreich war und ein Gutachter deshalb abgelehnt wurde. Ich selbst habe bisher zwei oder drei Befangenheitsanträge gestellt. Gründe hierfür waren, dass ein Gutachter seinen Auftrag überschritten und eine rechtliche Bewertung vorgenommen hatte, die Zusammenarbeit bei Konferenzen oder unglückliche, eher parteiische Formulierungen im Gutachten.
Frage: Warum ist das aus Ihrer Sicht so?
Antwort: Die Hürden für Befangenheitsanträge im Baurecht sind meiner Meinung nach sehr hoch und man würde das Gericht mit einem offensichtlich unbegründeten Befangenheitsantrag verstimmen. Egal jedoch, ob ein Gutachten inhaltlich umfassend ist oder nur zwei, drei Seiten umfasst: Gründe für eine Befangenheit sind grundsätzlich allein auf die Person des Gutachters bezogen. Und das gilt für jedes Rechtsgebiet, egal ob Bau-, Medizin- oder Kaufrecht.
Frage: Für den Anwalt sind häufig „Nähebeziehungen“ problematisch: Ein Sachverständiger war in der Vergangenheit vielleicht für Unternehmen oder Personen tätig, deren Arbeit er jetzt in einem anderen Rechtsstreit untersuchen muss. Trifft das im Baurecht zu?
Antwort: So viele Nähebeziehungen gibt es bezogen auf das Baurecht nicht. Maximal in sehr speziellen Bereichen, wenn beispielsweise Glasprodukte wie Hausfenster oder Dentalgeräte untersucht werden. Hier gibt es nur wenige Hersteller und wenige Gutachter. In den Bereichen Hausbau bzw. wenn es um Mängel und Schäden an Bauten geht, sieht es anders aus. Hier ist die Zahl an Herstellern und Gutachtern größer.
Zudem rechtfertigen nur freundschaftliche oder private Kontakte eine Ablehnung. Beruflich bedingte Kontakte reichen grundsätzlich nicht aus. Es genügt auch nicht, wenn ein Gutachter bereits einmal in einem anderen Verfahren ein Gutachten verfasst hat, das negativ für den Antragsteller oder günstig für die andere Partei war. Bei einer vorangegangenen Tätigkeit kommt eine mögliche Befangenheit nur in Betracht, wenn der Gutachter bereits als Privatgutachter eines Beteiligten in derselben Angelegenheit tätig war – egal, ob entgeltlich oder unentgeltlich.
Frage: Und wenn ein Gutachter früher als Privatgutachter für die Gegenseite gearbeitet hat?
Antwort: Um diesen erfolgreich abzulehnen, ist eine gewisse Häufigkeit und eine gewisse zeitliche Nähe notwendig. Eine ein- oder zweimalige bzw. gelegentliche Tätigkeit oder eine Tätigkeit vor Jahren ist nicht ausreichend. Erforderlich ist ein regelmäßiger beruflicher Kontakt. Der Sachverständige sollte den Umfang der früheren Tätigkeit als Privatgutachter der anderen Seite offenlegen. Tut er dies nicht, begründet dies die Besorgnis der Befangenheit.
Frage: Warum bleiben Ablehnungsanträge trotzdem häufig ohne Erfolg?
Antwort: Es geht letztlich immer um ein parteiisches Verhalten des Gutachters vor oder während des betreffenden Verfahrens bzw. um die auf die Person bezogene Nähe des Sachverständigen zu einer Partei. Solche Fälle kommen eben in der Praxis eher selten vor. Die Gutachter selbst wissen letztlich: Werden sie erfolgreich abgelehnt, können sie keine Vergütung beanspruchen. Sie geben deshalb schon sehr darauf acht, sich nicht „befangen zu machen“ bzw. der Besorgnis der Befangenheit auszusetzen.
Anwalt muss neue Befangenheitsgründe aktiv einbringen Praxistipp | Es kann geschehen, dass ein Gutachter zu der geforderten Ablehnung Stellung nimmt. Darin kann ein Anwalt möglicherweise weitere, neue Gründe für eine Ablehnung entdecken. Vorsicht: Das Gericht prüft dies dann nicht im Rahmen des laufenden Ablehnungsantrags von Amts wegen selbst. Der Anwalt muss dem Gericht diese neuen Gründe mitteilen und hierauf die Ablehnung stützen (VGH Hessen 3.4.17, 1 E 229/17). |
- Müssen Gutachter ran, wird die Erfolgsaussicht meistens bejaht, AK 24, 2
- Bei mangelhaften Angaben sind Gutachter nicht gleich „befangen“, iww.de/ak, Abruf-Nr. 49523044
- Geht das Gericht korrekt mit medizinischen Gutachten um?, AK 22, 147
AUSGABE: AK 6/2024, S. 100 · ID: 49855451