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DatenschutzRechtsanwälte dürfen Gläubigerdaten aus Insolvenzakten zur eigenen Akquise nutzen
| Darf ein Rechtsanwalt die durch Akteneinsicht erlangten Daten von Insolvenzgläubigern nutzen, um diese in einem Rundschreiben auf ihre Rechtsschutzmöglichkeiten hinzuweisen, selbst wenn er damit auch Akquisezwecke verfolgt? „Ja“, sagt das OLG Dresden. Das Vorgehen könne im Einzelfall eine datenschutzrechtlich zulässige Zweckänderung darstellen und die Datenverarbeitung sei im Ergebnis nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 Buchst. f DS-GVO gerechtfertigt. |
Inhaltsverzeichnis
Entscheidungsgründe
Der Anwalt habe glaubhaft dargelegt, dass er ein berechtigtes Interesse an der Verwendung von Namen und Anschrift der Gläubiger gehabt habe. Er wollte als ein auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes und damit auch mit Blick auf das Gemeinwohl tätiger Rechtsanwalt für Bank- und Kapital- sowie Versicherungsrecht vor allem insolvenzgeschädigte Kleinanleger auf bestehende rechtliche Möglichkeiten hinweisen (OLG Dresden 9.1.24, 4 U 1274/23, Abruf-Nr. 241547). Die Wahrnehmung von Verbraucherschutzinteressen als Interessenschwerpunkt habe er durch Presseberichte und den Internetauftritt seiner Kanzlei belegt. Daneben sei im Rahmen der Abwägung auch sein wirtschaftliches Interesse an der Datenverarbeitung zu Akquisezwecken als berechtigtes Interesse anzusehen, da das Schreiben zumindest auch darauf abzielte, von den Adressaten mandatiert zu werden.
Den Klägern stehe ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu. Dieses streite gegen die unbefugte Nutzung ihrer Namens- und Adressdaten für Werbezwecke. Außerdem haben sie ein Interesse am Schutz ihrer allgemeinen Persönlichkeitsrechte vor Belästigung durch unerwünschte Werbung und aufgedrängten Informationen. Doch die nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 Buchst. f DS-GVO erforderliche Abwägung ergebe, dass die Verarbeitung durch den Anwalt rechtmäßig sei. Die Interessen, Grundrechte und Grundfreiheiten der Kläger überwiegen nicht.
Relevanz für die Praxis
In dem Erwägungsgrund nach Nr. 47 zur DS-GVO wird ausdrücklich klargestellt, dass die Durchführung von Direktmarketingmaßnahmen ein berechtigtes Interesse sei. Nichts anderes kann für alle sonstigen Werbemaßnahmen gelten. Die Verarbeitung personenbezogener Daten zu Werbezwecken ist damit grundsätzlich nach einer Interessenabwägung nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 Buchst. f DS-GVO möglich (Plath/Struck in: Plath, DSGVO/BDSG/TTDSG, 4. Aufl., Art. 6 EUV 2016/679, Rn. 79, 80 m. w. N.).
Das standardmäßig formulierte, persönliche Schreiben an potenzielle Mandanten in Kenntnis eines konkreten Beratungsbedarfs verstößt auch nicht gegen das Werbeverbot gemäß § 43b BRAO. Ein Verstoß ist jedenfalls ausgeschlossen, wenn der Adressat durch das Schreiben weder belästigt, genötigt oder überrumpelt wird noch seine Interessen beeinträchtigt sind. Dies ist der Fall, wenn er sich in einer Situation befindet, in der er auf Rechtsrat angewiesen ist und eine an seinem Bedarf ausgerichtete sachliche Werbung hilfreich sein kann.
Der Beklagte hat hier darüber hinaus seinen sehr allgemein und sachlich gehaltenen Rechtsrat in den Vordergrund gestellt und nur beiläufig und eher am Rande auf seine besondere Expertise für eine Rechtsverfolgung hingewiesen. Das Schreiben erzeugte zwar wegen des Hinweises auf die drohende Verjährung einen gewissen Entscheidungsdruck. Es war aber insgesamt zurückhaltend formuliert und nur allgemein auf das notleidende Investment bezogen.
Ebenso wenig hat der Rechtsanwalt im vorliegenden Fall gegen das UWG verstoßen. Eine vorherige Einwilligung ist bei der hier gegebenen Briefpostwerbung entbehrlich. Denn § 7 Abs. 2 Abs. 3 UWG und § 7 UWG stellen im Privatkundenbereich auf Werbung per E-Mail ab. Zwar seien die erhobenen Daten nicht öffentlich zugänglich und durch die Kläger nicht zugänglich gemacht worden. Zwischen den Parteien habe auch kein wie immer geartetes persönliches oder wirtschaftliches Verhältnis bestanden. Der Rechtsanwalt habe aber mit der Verarbeitung der Namens- und Adressdaten nur in geringem Umfang und für eine kurze Dauer in Rechte der Kläger eingegriffen.
Die auf §§ 174, 175 InsO beruhende Datenerhebung zur Insolvenztabelle erfolgt zu dem Zweck, festzustellen, welche Ansprüche im Rahmen des Insolvenzverfahrens mit welcher Quote und in welcher Reihenfolge befriedigt werden können. Im vorliegenden Fall hatte der Anwalt die in der Insolvenztabelle aufgeführten personenbezogenen Daten u. a. der Kläger zur Verbraucherinformation und zu Werbezwecken weiterverarbeitet. Ob hierin eine Zweckänderung nach Art. 6 Abs. 4 DS-GVO liegt, kann dahinstehen. Denn eine solche Zweckänderung ist jedenfalls nach Art. 6 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 Buchst. b DS-GVO gerechtfertigt: Diese Verarbeitung ist insbesondere zulässig, wenn sie auf dem Recht eines Mitgliedstaats beruht und eine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme zum Schutz eines der in Art. 23 Abs. 1 DS-GVO genannten wichtigen Ziele des allgemeinen öffentlichen Interesses darstellt (vgl. EuGH 2.3.23, C-268/21; BAG 29.6.23, 2 AZR 296/22). In einer solchen Konstellation bedarf es keiner gesonderten Rechtsgrundlage für die weitere Verarbeitung (Plath/Struck in: Plath, DSGVO/BDSG/ TTDSG, 4. Aufl., Art. 6 EUV 2016/679, Rn. 97).
Den Klägern steht auch kein Unterlassungsanspruch gemäß Art. 82 Abs. 1 DS-GVO oder Art. 17 DS-GVO i. V. m. Art. 79 DS-GVO zu. Es liegt kein Verstoß gegen Art. 6 DS-GVO vor, wenn der Anwalt die Daten nach dem Widerspruch durch die Kläger (Art. 23 DS-GVO) gelöscht hat (vgl. BGH, EuGH-Vorlage 26.9.23, VI ZR 97/22). Mangels Vorliegens einer Wiederholungsgefahr ist das Unterlassungsbegehren auch nicht aus § 823 Abs. 1 i. V. m. § 1004 BGB begründet.
AUSGABE: AK 6/2024, S. 94 · ID: 49967013