Arzneimittel-Abrechnung
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Hygiene in der Apotheke, Teil 1
Anforderungen an die Hygiene: Rechtliches
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WettbewerbsrechtAktueller Stand bei der grenzüberschreitenden Arzneimittelpreisbindung
| Ausländische Internetversender buhlen derzeit immer nachdrücklicher um die Einlösung von E-Rezepten. Im Fokus der niederländischen Arzneimittelversender steht dabei der deutsche Markt. Und sie haben einen entscheidenden Vorteil: Ausländische, nach Deutschland liefernde Versender müssen sich nicht an die deutschen Preisbindungsvorschriften halten, die inländischen Apotheken aber schon. Eine aktuelle Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) München (Urteil vom 07.03.2024, Az. 6 U 1509/14) lässt u. a. hoffen, dass dieses Ungleichgewicht nicht länger bestehen bleibt. |
Inhaltsverzeichnis
Gängige Praxis
Besonderes Aufsehen erregen aktuelle Werbeaktionen im Zusammenhang mit der Neueinführung des sogenannten CardLink-Verfahrens zur Einlösung von E-Rezepten. Hier erhoffen sich die niederländischen Arzneimittelversender einen entscheidenden Zuwachs im Rx-Markt. Zunächst wurde mit einem Zehn-Euro-Gutschein für den ersten Probescan geworben. Diesen Gutschein erhielt man unabhängig davon, ob ein Rezept eingelöst wurde oder nicht. Inzwischen muss die erste Einlösung eines E-Rezepts in der firmeneigenen App tatsächlich erfolgen. An anderer Stelle wird mit einer noch wertvolleren Ersparnis „bei der ersten Einlösung eines E-Rezepts in unserer App“ geworben. Im Kleingedruckten heißt es, dass der Gutschein nur bei digitaler Einlösung eines gültigen Kassenrezepts eingelöst werden kann und die Verrechnung sofort innerhalb der Bestellung erfolgt – und zwar „zuerst mit der gesetzlichen Zuzahlung, bei einem Restbetrag zunächst mit etwaiger Festbetragsdifferenz und danach mit dem Preis von mitbestellten nicht verschreibungspflichtigen Produkten“.
Diese und ähnliche Praktiken des Verzichts auf die gesetzliche Zuzahlung beim digitalen Einlösen von Kassenrezepten und auch Geldgeschenke an Privatversicherte zeigen: Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat die niederländischen Versender wunschgemäß in die Situation versetzt, besser an E-Rezepte aus Deutschland zu kommen. Denn: Im Oktober 2016 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH, Urteil vom 19.10.2016, Az. C‑148/15) entschieden, dass EU-ausländische Versandapotheken, die Arzneimittel nach Deutschland versenden, nicht an die Arzneimittelpreisverordnung gebunden sind, also Rx-Boni gewähren dürfen. Der EuGH hatte EU-Versendern Freiheit im Preiswettbewerb eingeräumt, weil sich die Unternehmen sonst kaum auf dem deutschen Markt behaupten könnten. Schließlich hätten sie keine Möglichkeit, vor Ort individuell zu beraten und eine Notfallversorgung mit Arzneimitteln sicherzustellen. Dies stößt bei den Apothekern in Deutschland zu Recht immer wieder auf großes Unverständnis. Das Stichwort für dieses Dilemma lautet „Inländerdiskriminierung“. Leider ist diese als solche unionsrechtlich gar nicht und auch verfassungsrechtlich kaum erfolgreich angreifbar.
Urteil des OLG München
Vor diesem Hintergrund lässt das Urteil des OLG München (07.03.2024, Az. 6 U 1509/14) in einem älteren Rechtsstreit zwischen dem Bayerischen Apothekerverband (BAV) und der späteren DocMorris-Tochter Wellsana aufhorchen.
Entscheidungsgründe
Dabei ging es um eine Werbung aus dem Jahr 2012, in der ein direkt zu verrechnender Bonus von drei Euro pro bestelltem Rx-Arzneimittel bzw. von bis zu neun Euro für die Teilnahme an einem „Arzneimittelcheck“ versprochen wurde. Nach einem zehnjährigen, in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten Rechtsstreit kommt das OLG zu dem Ergebnis, dass Rx-Boni unzulässig und die Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel in Deutschland unionsrechtskonform sind.
Es lohnt sich, die 64-seitige Urteilsbegründung zu lesen. Auffallend sind die besonders akzentuiert formulierten Kernaussagen der Entscheidung, die insbesondere auf Seite 16 der Urteilsgründe zu finden sind.
Kernaussagen der Entscheidung |
„Die bundesdeutschen Regelungen zur Arzneimittelpreisbindung sind weder nach der zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Werbeaktion maßgeblichen noch auf der Grundlage der zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Rechtslage wegen Verstoßes gegen die gemäß Art. 28 ff. AEUV gewährleistete Warenverkehrsfreiheit unionsrechtswidrig. Infolge des Urteils des Unionsgerichtshofs vom 19.10.2016 […] bestehende Zweifel an der europarechtlichen Wirksamkeit der deutschen Arzneimittelpreisvorschriften sind unter Berücksichtigung des im Rahmen des vorliegenden Verfahrens erfolgten Parteivortrags und der Stellungnahme der Bundesregierung vom 23.12.2021 im Hinblick auf die dem Gesetzgeber zustehende, weite Einschätzungsprärogative ausgeräumt.“ |
In seinem Urteil betont das Münchener OLG den Wertungsspielraum des nationalen Gesetzgebers und nimmt darüber hinaus eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vor. Die Richter kommen dabei zu der Überzeugung, dass von einem Mitgliedstaat, der eine die Warenverkehrsfreiheit einschränkende Maßnahme mit Gesundheitsschutzgründen rechtfertigt, nicht verlangt werden kann, dass er eindeutige Beweise auf der Grundlage umfassender empirischer Daten vorlegt. Ausreichend sei vielmehr die Feststellung, dass tatsächliche Anhaltspunkte die gesetzliche Maßnahme rechtfertigen und diese somit nicht willkürlich ist. Es sei Sache der Mitgliedstaaten zu bestimmen, auf welchem Niveau sie den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten wollen und wie dieses Niveau erreicht werden soll. Dieses Niveau könne sich von einem Mitgliedstaat zum anderen unterscheiden. Es sei bei der Bewertung ein weiter Spielraum zuzuerkennen.
Im Übrigen seien EU-Versandapotheken nicht vom Marktzutritt in Deutschland ausgeschlossen. Der fehlende persönliche Kontakt zu potenziellen Kunden sei ein lediglich mittelbarer Wettbewerbsnachteil. Schließlich könnten diese Anbieter im OTC-Bereich Preisvorteile an die Kunden weitergeben und diese so an sich binden, um entsprechende Marktanteile zu gewinnen und auszubauen.
Aus dem Urteil lässt sich herauslesen, dass das BMG in seiner mit Spannung erwarteten Stellungnahme Ende 2021 die Preisbindung verteidigt hat. Rabatte auf verschreibungspflichtige Arzneimittel könnten zu einem Verdrängungswettbewerb führen und in der Folge die wirtschaftliche Situation der Apotheken und damit die flächendeckende, qualitativ hochwertige und sichere Arzneimittelversorgung gefährden. Auch das Sachleistungs- und das Solidaritätsprinzip werde durch die Preisbindung gestützt – Rabatte kämen schließlich nicht der Solidargemeinschaft zugute. Mit der Einführung des E-Rezepts würden zudem mögliche Benachteiligungen von Versandapotheken beseitigt.
Anmerkungen
Das BMG scheint dies allerdings schon wieder vergessen zu haben, denn es sieht derzeit tatenlos zu, wie die jetzt im Sozialgesetzbuch (SGB) V verankerten Boniverbote tagtäglich unterlaufen werden. Aktiv werden könnten auch die Rahmenvertragspartner, also der Deutsche Apothekerverband (DAV) und der GKV-Spitzenverband: Sie müssten den betroffenen Anbietern kurzfristig die Zulassung zum Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung entziehen. Der Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung sieht eine solche Maßnahme bei Verstößen gegen die sozialrechtliche Preisbindung vor (§ 129 Abs. 4 SGB V). Zunächst wäre eine Vertragsstrafe zu verhängen – solange diese nicht gezahlt wird, kann auch die Versorgungsberechtigung ruhen. Der DAV ist bisher leider nicht aktiv geworden. Er beobachtet und bewertet nach eigenen Angaben das Verhalten einzelner Marktteilnehmer, insbesondere im Hinblick auf ein Unterlaufen der Preisbindung. Seit das OLG München die deutsche Preisbindung noch einmal bestätigt habe, „sollte ausländischen Versandapotheken endlich klar sein, dass deutsches Recht auch für sie gilt“. Dem ist aber offenbar nicht so.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. DocMorris soll die ausdrücklich zugelassene Revision bereits eingelegt haben. Interessanterweise sieht man sich dabei als Interessenvertretung der Patienten, die weiterhin mit notwendigen Rezepten – also mit ihren Krankheiten – eigene Vorteile verdienen wollen. Man geht davon aus, dass die Grundsatzentscheidung des EuGH aus dem Jahr 2016 Bestand haben wird. Ein Rabattverbot bei der Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln verstoße gegen Unionsrecht, weil es EU-ausländische Versandapotheken im Wettbewerb benachteilige.
Das OLG München hat von einer erneuten Vorlage an den EuGH abgesehen. Auch die von DocMorris beantragte Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH im Schadenersatzprozess von DocMorris gegen die Apothekerkammer Nordrhein lehnte das OLG ab. Der Termin zur mündlichen Verhandlung in diesem wichtigen Verfahren in Luxemburg (Az. C-517/23 – Nr. 26 – Apothekerkammer Nordrhein) fand am 27.06.2024 statt. Die Schlussanträge des Generalanwalts werden für den 17.10.2024 erwartet.
Fazit | Die deutsche Apothekenwelt darf bald auf eine wichtige Klärung in Sachen Preisbindung hoffen. Man darf vorsichtig optimistisch sein, dass der EuGH erkennt, wie liberal die deutschen Regeln für einen Markteintritt ausländischer Anbieter – noch dazu in Zeiten zunehmender Digitalisierung – bereits sind, sodass man nicht noch weniger restriktiv sein und gleichzeitig die öffentliche Gesundheit effektiv schützen kann. |
AUSGABE: AH 9/2024, S. 10 · ID: 50070270