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Beratung in der ApothekeDas ist beim Umgang mit Blinden und Sehbehinderten in der Apotheke zu beachten
| In Deutschland lebten 2021 rund 66.245 Menschen, die wegen Blindheit oder des Verlusts beider Augen als schwerbehindert anerkannt waren. Eine selbstständige Lebensführung ist mit einer so stark verminderten Sehfähigkeit nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt möglich – und dennoch meistern die Betroffenen ihr Leben oft in bewundernswerter Weise. AH gibt Tipps, wie Sie im Apothekenalltag am besten auf diese besondere Kundengruppe eingehen können. |
Das bedeutet „Sehbehinderung“ und „Blindheit“
Blindheit und Sehbehinderung sind wie folgt definiert (s. www.iww.de/s7652):
- Ein Mensch ist sehbehindert, wenn er auf dem besser sehenden Auge selbst mit Brille oder Kontaktlinsen weniger als 30 Prozent von dem sieht, was ein Mensch mit normalem Sehvermögen erkennt.Es gibt Unterschiede zwischen sehbehindert ...
- Ein Mensch ist hochgradig sehbehindert, wenn sein Sehvermögen nur noch zwischen zwei und fünf Prozent des Sehvermögens eines Gesunden beträgt.... und hochgradig sehbehindert
- Ein blinder Mensch sieht weniger als zwei Prozent dessen, was jemand mit normalem Sehvermögen erkennt, oder sein Gesichtsfeld ist auf fünf Grad oder weniger eines gesunden Gesichtsfelds eingeschränkt. Außerdem gelten alle Menschen als blind, die in Ausbildung und Beruf auf Blindenhilfsmittel angewiesen sind.
So klar diese Definitionen erscheinen, so unterschiedlich gestalten sich die Handicaps individuell: Ein Sehvermögen von unter 5 Prozent kann bei einem Menschen bedeuten, dass er etwas erst aus 5 m erkennt, was ein Gesunder schon aus 100 m Entfernung sieht. Bei einem anderen Menschen bedeutet der gleiche Sehbehinderungsgrad, dass er nur 5 Prozent des normalen Gesichtsfelds wahrnehmen kann, dass er also „wie durch einen Tunnel“ blickt.
Höflichkeitsregeln und allgemeine Umgangsformen
Für blinde Menschen gelten selbstverständlich generell die gleichen Höflichkeitsregeln und Umgangsformen wie für alle anderen. Berücksichtigen Sie aber vor allem die folgenden Punkte:
Praxistipp | In einer Hinsicht machen sich Sehende oft zu viele Gedanken: Sorgen Sie sich nicht, wenn Sie am Anfang des Verkaufsgesprächs „So sieht man sich wieder“, währenddessen „Schauen Sie mal“ oder zum Abschied „Auf Wiedersehen“ gesagt haben, auch wenn diese Wendungen eigentlich nicht zu passen scheinen. Die meisten Sehbehinderten nehmen solche Äußerungen als ganz normale Floskel entspannt hin und verwenden sie sogar selbst. |
- Thematisieren Sie die Sehbehinderung nicht von sich aus und fragen Sie nicht neugierig nach. Mitleidsbekundungen sind unangebracht – schon gar nicht als leise Randbemerkung zur Kollegin wie „Das muss total schrecklich sein, wenn man nichts mehr sehen kann“. Blinde hören ausgesprochen gut!Mitleidsbekundungen sind unangebracht
- Reduzieren Sie Ihre sehbehinderten Kunden nicht auf die Behinderung – es sind genauso vielschichtige Menschen mit Berufen, Hobbys, Familie und reichem Umfeld wie alle anderen Menschen auch. Gut gemeinte Kommentare wie „Ich bewundere Sie, dass Sie trotz Ihrer Blindheit selbst einkaufen“ sind etwa so diskriminierend wie z. B. die Äußerung „Für eine Frau können Sie aber sehr gut einparken“.Reduzieren Sie Ihre Kunden nicht auf die Behinderung
- Falls es dennoch notwendig ist, die Behinderung zu erwähnen, wählen Sie besser präzise Begriffe wie „sehbehindert“ oder „blind“. Die Bezeichnung „behindert“ oder „Behinderte/r“ allgemein wird heute eher als diskriminierend empfunden. Ein Satz wie „Sabine, da vorne ist ein Behinderter, der Schmerzmittel braucht, kannst du den mal übernehmen?“ sollte besser nicht geäußert werden.
- Kommt der Kunde mit einer Begleitperson in die Offizin, sprechen Sie nicht die Begleitperson, sondern den Kunden selbst an. Alles andere (Beispiel: „Kann Ihr Mann selbst bezahlen?“) ist grob unhöflich und bevormundend.Sprechen Sie immer den Kunden selbst an
- Blindenhunde, die Sehbehinderte begleiten, sind Arbeitstiere. Sie dürfen nicht angesprochen, abgelenkt oder berührt werden.
Bieten Sie Hilfe an – aber richtig
Für Außenstehende ist nicht immer leicht zu erkennen, wann ein blinder Mensch Unterstützung benötigt bzw. wünscht und wann nicht. Dies Problem lässt sich ganz einfach lösen, indem Sie Ihre Unterstützung höflich anbieten. Sind Sie unsicher, was zu tun ist, fragen Sie, ob und wie Sie helfen können. Akzeptieren Sie eine eventuelle Ablehnung freundlich – sie ist kein Grund, gekränkt zu sein oder gar schroff zu werden. Selbst falls eine Hilfestellung sinnvoll wäre, kann für den Betroffenen seine Autonomie einen höheren Stellenwert haben.
Es sollte selbstverständlich sein, nicht ohne das Einverständnis sehbehinderter Kunden aktiv zu werden. Greifen Sie also nicht aus lauter Hilfsbereitschaft einfach ins Portemonnaie, um das Bezahlen zu erleichtern! Als noch schlimmer wird ungefragter Körperkontakt empfunden, egal aus welchem Grund. Mit Erlaubnis tatkräftig zupacken können Sie beispielsweise, indem Sie die Ware in die Einkaufstasche Ihrer Kunden einräumen, Kleingeld als Wechselgeld direkt in deren Hand zählen oder den Arm zum Einhaken anbieten, wenn ein Standortwechsel nötig ist, z. B. in einen Nebenraum zur Blutdruckmessung. Fassen Sie Sehbehinderte aber niemals aktiv an den Arm, um sie zu „führen“, dadurch geht Gangsicherheit verloren.
Geduld und gute Reaktionen sind das A und O Praxistipp | Das Wichtigste im Umgang mit sehbehinderten Kunden sind Geduld sowie freundliche und entspannte Reaktionen, falls mal etwas nicht sofort klappt oder falls zusätzliche Erläuterungen nötig sind. |
Ersetzen Sie die Augen durch konkrete Aussagen
Blinde nutzen zwar ihre anderen Sinne viel besser als Sehende, trotzdem sind sie darauf angewiesen, dass man sie über das, was „optisch“ um sie herum vorgeht, informiert – und zwar mit Worten.
So starten Sie das Verkaufsgespräch richtig
Schon bei der Begrüßung müssen Sie kommunizieren, wer da vor dem Kunden steht, und auch Zusatzinformationen über das Umfeld können nötig sein.
Beispiel |
„Guten Tag, warten Sie bitte kurz, ich komme zu Ihnen. Herr Meyer, ich bin es, Kathrin Schulze, ich habe Sie und Ihre Frau schon häufiger bedient. Schön, dass Sie mal wieder da sind. Der Lärm gerade, das ist die Reinigungskraft, die im hinteren Raum saugt. Aber das soll uns nicht stören, nicht wahr?“ Auch wenn Sie hinzutreten, während ein blinder Kunde gerade bedient wird, geben Sie sich kurz zu erkennen: „Darf ich kurz stören, ich habe eine Frage an meine Kollegin …“ |
So helfen Sie, indem Sie sagen, was geschieht
Sagen Sie während des gesamten Gesprächs konkret, was Sie gerade tun.
Beispiele |
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Praxistipp | Bei Barzahlung nennen viele Blinde von sich aus den Wert der übergebenen Banknote. Tut ein Kunde dies nicht, erwähnen Sie selbst, was Sie entgegennehmen: „Sie haben mir einen 50-Euro-Schein gegeben, vielen Dank.“ |
Machen Sie auf Veränderungen aufmerksam
Machen Sie Stammkunden, die Ihre Offizin normalerweise „wie ihre Westentasche kennen“, auf neue Umstände aufmerksam: „Den Aufsteller für die Zeitschriften haben wir jetzt nicht mehr gleich rechts neben der Tür stehen. Wir geben die Zeitschriften nun immer direkt aus, fragen Sie gerne einfach danach.“
Nutzen Sie den Klang Ihrer Stimme
Im Gespräch liegt der Schwerpunkt auf Ihrer Stimme und Ihren Worten, denn Gesichter und Mimik bleiben Blinden verborgen und auch ein noch so nettes Lächeln kann nur am Klang des Gesprochenen erkannt werden. Darum ist es angebracht, lieber einmal mehr mit „Danke“, „Einverstanden“, „Hier ist es schon“ o. Ä. zu bestätigen als einmal zu wenig. Bei Radiomoderatoren kann man sich sehr gut „abhören“, wie man ein Lächeln über die Sprache kommuniziert, auch ohne dass Sichtkontakt besteht.
Einrichtung der Offizin: kleine Veränderungen, große Wirkung
Nicht alle Räumlichkeiten sind ohne Weiteres barrierefrei zu gestalten, auch wenn Barrierefreiheit das oberste Ziel sein sollte. Trotzdem können Sie viel erreichen, z. B. indem Sie
Starten Sie den Selbstversuch, um Verbesserungsbedarf zu erkennen Praxistipp | Sie können sich nicht so recht vorstellen, wie man sich mit einer Sehbehinderung fühlt? Dann probieren Sie einmal den Sehbehinderungs-Simulator des Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenvereins Berlin e. V. aus. Hier können Sie an vier Alltagsbeispielen sehen, wie sich Erkrankungen wie Grauer Star oder diabetische Retinopathie auswirken: www.iww.de/s7655. Zusätzlich gibt es Simulationsbrillen, die den Seheindruck mit verschiedenen Sehbehinderungen imitieren. Gehen Sie damit einmal durch die Offizin – Sie werden gleich viel besser beurteilen können, wo noch Verbesserungsbedarf besteht. Günstige, einfache Simulationsbrillen sind z. B. beim Bund zur Förderung Sehbehinderter e. V. erhältlich (www.iww.de/s7656). |
- Treppenstufen durch kontrastierende Streifen an den Kanten farblich markieren,
- Handläufe an Treppen anbringen, auch bei wenigen Stufen,
- Glastüren über die gesamte Glasbreite in Sichthöhe und in Kniehöhe mit einer Sicherheitsmarkierung versehen (wichtig sind Hell- und Dunkelanteile),
- Kanten der HV-Tische hervorheben,
- die Offizin gut und gleichmäßig ausleuchten,
- glänzende Oberflächen vermeiden,
- für großzügige freie Zugänge sorgen, z. B. Aufsteller an der Seite platzieren,
- Stolperfallen wie Fußmatten entfernen (auch Schrift auf dem Boden oder unruhige Bodenbeläge können derartig irritieren, dass sie zur Stolperfalle werden),
- ausgehängte oder ausgelegte Informationen so gestalten, dass sie auch mit eingeschränkter Sicht gut lesbar sind (große Schrift, klare Kontraste, keine Hinterlegungen).
- statista: Anzahl der Sehbehinderten in Deutschland nach Art der Behinderung in den Jahren 2017 bis 2021: www.iww.de/s7651
- „10 Knigge-Tipps zum respektvollen Umgang mit behinderten Menschen“, Paritätischer Wohlfahrtsverband Hessen: www.iww.de/s7653
- „Nicht so – sondern so“ – Kleiner Ratgeber für den Umgang mit blinden Menschen, Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V.: www.iww.de/s7654
AUSGABE: AH 7/2024, S. 5 · ID: 49209087