FeedbackAbschluss-Umfrage

Computerfehler Darf ich mich auf meine Abrechnungssoftware ungeprüft verlassen? Spoiler: Nein!

Abo-Inhalt06.01.20221351 Min. LesedauerVon RA, FA MedizinR Christian Pinnow, D+B Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Düsseldorf

| Mit dem Voranschreiten der Digitalisierung des GKV-Systems wird die Bedeutung des Zusammenwirkens von Praxissoftware und Telematikinfrastruktur (TI) weiter zunehmen. Nun treten aber „Computerfehler“ nicht nur im privaten, sondern auch in der Arztpraxis durchaus auf. Gelegentlich erweisen sie sich als Anwenderproblem. Aber auch tatsächliche Softwarefehler sind zu beobachten. Solche Fehler sind in jedem Fall lästig, können aber im Hinblick auf die Abrechnung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) sogar zu ernsten Problemen führen. Dabei haben Vertragsärzte meist schlechte Karten, wenn sie vor Gericht um ihr Honorar kämpfen und dabei Probleme mit der EDV zur Begründung heranziehen. |

Urteile zeigen: Softwarefehler entlasten die Ärzte kaum

Die Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit hat sich aber schon lange mit Fällen befassen müssen, bei denen im Zusammenhang mit problematischen Abrechnungen eine Entlastung durch den Verweis auf Computerprobleme gesucht wurde.

PVS als Ursache für entgangene Praxisgebühr – keine Rechtfertigung

Das Sozialgericht (SG) Marburg hatte schon im Jahr 2007 (Urteil vom 31.10.2007, Az. S 12 KA 939/06) zu entscheiden, welche Konsequenzen es hat, wenn die eingereichten Abrechnungsdaten wegen eines Computerfehlers unrichtig sind.

Konkret ging es in jenem Fall darum, dass die an die KV übermittelten Daten jedenfalls teilweise fehlerhaft die Erhebung der damals noch geltenden Praxisgebühr darstellten. Wegen des neuen Praxisverwaltungssystems (PVS) war dem Arzt nicht aufgefallen, dass in 125 Fällen Patienten, die tatsächlich von der Praxisgebühr befreit waren, mit der Abrechnungserklärung softwarebedingt fehlerhaft als nicht befreit verschlüsselt wurden. Der Arzt verlangte in dem Fall die Praxisgebühren als Teil der vertragsärztlichen Vergütungen von der KV.

Doch das Gericht entschied, dass sich Vertragsärzte nicht auf Computerfehler zur Rechtfertigung von fehlerhaften Abrechnungen berufen können. So sei es eine der grundlegenden Pflichten jedes Vertragsarztes, die erbrachten Leistungen peinlich genau abzurechnen, weil die korrekte Abrechnung von der KV angesichts der Vielzahl der von ihr in jedem Quartal zu bewältigenden Datenmengen nur in eingeschränktem Umfang überprüft werden könne. Der Grundsatz der peinlich genauen Abrechnung gilt aber unabhängig davon, ob die Abrechnung auf manuellem Wege oder mittels elektronischer Datenträger erfolgt. Auch wenn sich der Vertragsarzt eines PVS bedient, entlastet ihn dies nicht davon, sich vor Weiterleitung der Daten an die KV wenigstens anhand von Stichproben zu vergewissern, dass die dort enthaltenen Angaben frei von Fehlern sind, unabhängig davon, ob diese auf eigenen Falscheingaben oder auf Mängeln der benutzten Software beruhen.

PVS zeigt Abrechnungs-Voraussetzung nicht an – keine Entlastung

Über einen weiteren Fall hatte ebenfalls das SG Marburg (Urteil vom 08.12.2010, Az. S 12 KA 229/09) zu entscheiden. Der Fall betraf den EBM 2005. Dieser sah vor, dass für die Abrechnung der „Beratung, Erörterung und/oder Abklärung, Dauer mindestens 10 Minuten“ neben dem Ordinationskomplex eine Dauer der Arzt-Patienten-Kontaktzeit von mindestens 20 Minuten als Voraussetzung für die Abrechnung der Leistung erreicht worden sein musste. Ein Arzt hatte diese Maßgabe übersehen. Die KV kürzte im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung die Honorare. Der Arzt griff dies an und verteidigte sich damit, dass sein PVS diese Voraussetzung nicht angezeigt habe, weshalb er sie übersah.

Das SG Marburg entschied dazu, dass es auf eine evtl. Fehlerhaftigkeit des benutzten PVS, das die Dauer von zwanzig Minuten nicht hat erkennen lassen, nicht ankomme. Maßgeblich für die Abrechnung seien allein die Bestimmungen des EBM, die der Vertragsarzt kennen müsse.

BSG-Beschluss: Vertragsarzt muss EBM kennen und ist verantwortlich

Das Bundessozialgericht (BSG) hat sich mit vergleichbaren Fragen bisher noch nicht tiefergehend befasst. Lediglich in einem Beschluss aus dem Jahr 2013 (Beschluss vom 11.12.2013, Az. B 6 KA 37/13 B) hat das BSG zu dieser Frage etwas ausgeführt. Ganz selbstverständlich und ohne großen Begründungsaufwand formulierte auch das BSG, dass

Merke | Soweit eine Ärztin oder ein Arzt sich bei der Abrechnung personeller oder technischer Hilfe bedient, entlastet sie bzw. ihn dies nicht von der Verantwortung. Weder die Teilnahme von Mitarbeitern an Fortbildungen zur Abrechnung nach dem EBM noch die Verwendung zertifizierter Software führen dazu, dass der Vertragsarzt von seiner persönlichen Pflicht zur korrekten Abrechnung befreit wird.

  • vom Vertragsarzt die Kenntnis der Gebührenordnung erwartet werden muss und
  • dieser allein verantwortlich ist für die korrekte Abrechnung seiner Leistungen.

Ärztin verweist auf Datenverlust und Computervirus – vergeblich

Zuletzt im Jahr 2021 hat sich das SG München mit den Folgen einer Computerpanne zu befassen. In einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren (SG München, Beschluss vom 28.04.2021, Az. S 38 KA 62/21 ER) war eine Plausibilitätsprüfung streitig. Die betroffene Ärztin hatte im Streit mit der KV um die Frage, ob sie Leistungen in dem abgerechneten Umfang auch tatsächlich erbracht haben könne, auf die Dokumentation ihrer Behandlungen verwiesen. Diese erwies sich aber als nicht schlüssig und unvollständig.

Als Grund dafür gab sie an, dass sie das Betriebssystem ihres PVS geändert habe und es in diesem Zusammenhang zu Datenverlusten gekommen sei. Zudem sei ihr PVS von einem Computervirus befallen gewesen, der ebenfalls zu Datenverlusten geführt habe.

Eingangs – noch beinahe mitfühlend – meint das SG München, dass der Wechsel des Betriebssystems oftmals nicht völlig reibungslos verläuft. So habe die IT-Firma der Ärztin bestätigt, dass die verfügbaren und auslesbaren Daten von der Software übernommen wurden, was darauf hindeutet, dass nicht alle Daten übertragen werden konnten. Andererseits ging das Gericht auch davon aus, dass ein Großteil der Daten aus der Altsoftware in die Neusoftware ohne Probleme übernommen werden konnten, sodass sich die Ungereimtheiten nur zu einem geringen Teil erklären ließen.

Im Ergebnis komme es aber darauf nicht an, weil jeder Vertragsarzt dafür Sorge tragen müsse, dass es nicht zu einem Datenverlust kommt. Als Vorsorgemaßnahme wird hier die laufende Datensicherung angemahnt. Finde eine solche nicht statt, falle dies in den Verantwortungsbereich des Vertragsarztes und er riskiere damit, dass ihm bei einer Nachprüfung seiner Abrechnung Dokumentationsfehler vorgeworfen werden. Entsprechendes gelte auch für den Fall, dass das PVS von einem Computervirus befallen gewesen sei.

Folgen für die Abrechnungspraxis

Es bleibt somit festzuhalten, dass Abrechnungsfehler leider nicht mit Erfolg durch Computerfehler oder Softwareversagen gerechtfertigt werden können. Die den Vertragsarzt selbst treffende Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung belässt die Pflicht, eine richtige Abrechnung durchzuführen, beim Vertragsarzt. Diese Pflicht kann nicht auf eine Software ausgelagert werden.

Praxistipp | Zusammengefasst lassen sich zwei Empfehlungen aus diesen Entscheidungen ableiten:

  • Zum einen ist es im Hinblick auf die Richtigkeit der Abrechnung zwingend notwendig, sich nicht blind auf das PVS und die Abrechnungssoftware zu verlassen. Zumindest stichprobenartig sind die Abrechnungsdaten darauf zu überprüfen, ob sie schlüssig sind.
  • Zum anderen ist die regelmäßige Sicherung der Daten zwingend notwendig. Das gilt nicht nur im Hinblick auf mögliche Beweisführungen in Auseinandersetzungen mit der KV, sondern auch ganz vordergründig zur Sicherung des Praxisbetriebs.
Weiterführende Hinweise
  • Dokumentationssoftware veraltet? Arzt haftet! (AAA-Beitrag auf Seite 13 dieser Ausgabe)
  • Effizient abrechnen in der Arztpraxis – Nutzen Sie die Suchfunktion Ihrer Praxissoftware! (AAA 08/2021, Seite 9)
  • Korrekte Abrechnung: Arzt ist stets verantwortlich (AAA 07/2014, Seite 20)

AUSGABE: AAA 1/2022, S. 10 · ID: 47895661

Favorit
Teilen
Drucken
Zitieren

Beitrag teilen

Hinweis: Abo oder Tagespass benötigt

Link
E-Mail
X
LinkedIn
Xing
Loading...
Loading...
Loading...
Heft-Reader
2022

Digitalisierung

EBM-Nrn. 01648, 01647 und 01431 für das Befüllen der ePA

AAA
Abo-Inhalt
Seite 3
21.12.2021
1381 Min. Lesedauer

Laut einer aktuellen Umfrage im Auftrag des Digitalverbands Bitkom haben zwar erst 0,5 Prozent der Befragten eine elektronische Patientenakte (ePA) in Gebrauch. Allerdings möchten immerhin 76 Prozent der Bevölkerung die ePA nutzen (

EBM 2022

Neue EBM-Ziffern für Patienten mit Herzinsuffizienz

AAA
Abo-Inhalt
Seite 4
23.12.2021
1423 Min. Lesedauer

Seit dem 01.01.2022 stehen neue Abrechnungspositionen für die Behandlung von Patienten mit Herzinsuffizienz zur Verfügung. Diese neuen EBM-Ziffern, die vom Bewertungsausschuss am 15.12.2021 beschlossen wurden, sind auch für Hausärzte ...

Bildrechte